Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
26.07.2005. In der New York Review of Books fürchtet Peter W. Galbraith, die Schiiten könnten den Irak übernehmen - ganz demokratisch. Der Spectator feiert die Größe Britanniens. Polityka fürchtet, der Antiislamismus könnte der neue Antisemitismus werden. Al-Ahram stellt zwei Bücher über Al Dschasira vor. Magyar Narancs feiert den ethischen Kapitalismus eines Budapester Fahrradkuriers. In Nepszabadsag erklärt Peter Bartok, warum Herzog Blaubart nicht mehr als drei Ehefrauen haben sollte. Im Guardian schildert Jane Stevenson ihre Erfahrungen im größten Männerclub der Welt. Die New York Times besucht ein Altersheim für Labor-Schimpansen.

New York Review of Books (USA), 11.08.2005

Zwei zentrale Probleme sieht der frühere US-Diplomat Peter W. Galbraith im Irak: "Das erste ist der Aufstand und das zweite ist eine iranische Übernahme. Der Aufstand ist, bei aller Gewalttätigkeit, ein endliches Problem. Die Aufständischen mögen vielleicht nicht besiegt werden, aber gewinnen können sie auch nicht. Das erhebt natürlich die Frage, was eine verlängerte Präsenz des US-Militärs erreichen kann, da es wohl keine militärische Lösung für das Problem geben wird, dass die Sunniten eine schiitische Herrschaft ablehnen. Iraks Schiiten erlitten Jahrzehnte brutale Unterdrückung, der die USA meist indifferent gegenüberstanden. Der Iran dagegen war ein guter Freund und engagierter Unterstützer der Schiiten. Indem sie Freiheit in den Irak brachte, hat es die Bush-Regierung Iraks Schiiten ermöglicht, für proiranische Parteien zu stimmen, die einen islamischen Staat errichten wollen. Das ist nicht unbedingt ein ideales Ergebnis, aber eines des demokratischen Prozesses."

Dass sich die Lage seit dem 11. September so verfahren hat, schiebt Max Rodenbeck, Nahost-Korrespondent des Economist, vor allem den Nachrichtendiensten der USA zu: Komplett versagt haben sie in ihrer vornehmsten Aufgabe, "den Feind zu erkennen. Sie waren unfähig zu verstehen, gegen wen oder was Amerika angehen musste. Waren es allein Osama bin Laden und seine al-Qaida, und wenn ja, was trieb den Mann? Welche seiner Ideen zog die Leute an? Wie schwächt man am besten seine Macht?" Rodenbeck empfiehlt den Geheimdiensten, mal ein europäisches Buch zu lesen: Jonathan Randals "Osama: The Making of a Terrorist" zum Beispiel oder Olivier Roys "Globalized Islam".

Weiteres: John Gray beobachtet einen neuen intellektuellen Trend zum Marxismus in den USA, zum Beispiel bei Thomas Friedman und seinem Buch "The World is Flat": "Wie Marx glaubt Friedman, dass Globalisierung am Ende nur ein einziges ökonomisches System übrig lässt; und wie Marx glaubt er, dass dieses System es der Menschheit ermöglichen wird, Krieg, Tyrannei und Armut hinter sich zu lassen." Zu Steven Spielbergs "War of the World" mutmaßt Geoffrey O'Brien: "Es ist, als suche Spielberg im Angesicht des drückenden Terrors, Trost bei den Marsianern. Bei aller Verpflichtung gegenüber den Erfordernissen eines Blockbusters, ist sein Film aber auch Wells Vorlage treu genug, um zu zeigen, was für ein schwacher Trost das ist." Von Hilary Spurling ist ein Beitrag zur Matisse-Ausstellung "His Art and His Textiles" in New Yorks Metropolitan Museum zu lesen.

Spectator (UK), 23.07.2005

In der Titelgeschichte enthüllt Anthony Browne, warum ausgerechnet in England Selbstmordattentäter ihre Mitbürger in die Luft sprengen: Weil die Linken und Multikulturalisten den Briten eingeredet haben, sich selbst zu hassen. Damit muss endlich Schluss sein, verlangt Browne. "Großbritannien ist wirklich großartig. Diese kleinen verregneten Inseln fernab des westlichen Endes der riesigen eurasischen Landmasse haben mehr zum Wohl der restlichen Menschheit beigetragen als irgend ein anderes Land, ohne Ausnahme. Manchmal braucht es einen Ausländer, um einem die Augen zu öffnen. Ein norwegischer Diplomat erzählte mir vor langer Zeit, wie er in der Schule gelernt hat - britische Kinder lernen so etwas nicht -, dass Großbritannien der Welt die Industrialisierung, die Demokratie und den Fußball geschenkt hat - das ökonomische System, das politische System und den Spaß. Und das ist noch nicht alles."

Theo Hobson lässt sich vom christlichen Soziologen David Martin (hier einige seiner Bücher) erklären, dass der Islam zwar eine "ausgezeichnete Religion" ist, im Gegensatz zum friedfertigen Christentum aber sehr viel Wert auf den Sieg legt, was schnell in Gewalt münden kann: "Im Judentum und im Islam gibt es eine Bereitschaft, militärischen Ruhm zu feiern und Kriegshelden als Märtyrer darzustellen. Das Christentum kann das nicht akzeptieren." Und P. R. Whittle erregt sich pointiert über "das Geschmatze, die Rülpser und das Piepen", das von asozialen Zeitgenossen ausgeht und mittlerweile bis in die heilige Sphäre kultureller Veranstaltungen vorgedrungen ist.
Archiv: Spectator

Polityka (Polen), 23.07.2005

Die Debatte über den Umgang mit muslimischen Einwanderern schlägt hohe Wellen in Polen - dem europäischen Land mit dem kleinsten Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung (ca. 0,01 Prozent). Die Polityka widmet dem Thema jedenfalls ein großes Dossier: Marek Ostrowski reflektiert die aktuellen Debatten über die "inneren Feinde" der europäischen Gesellschaften und die Attacken von Oriana Fallaci: "'Sollen sie doch nach Hause gehn', schreibt sie - das heißt wohin? Die Araber und Muslime sind ein Teil der europäischen Gesellschaft, und sie irgendwo hin zu 'verschieben' wäre so, als ob man sich ein Bein oder einen Arm amputieren würde. Die Muslime aus Europa 'rauszuwerfen' könnte im übertragenen Sinne bedeuten, dass man in Deutschland, England oder Frankreich versuchen wird, sie aus der Gesellschaft rauszuwerfen - soziale und mentale Barrieren aufzustellen, wie es die Israelis bei den Palästinensern tun. Der Antiislamismus kann eine moderne Version des Antisemitismus werden". Die härtere Gangart gegenüber Terroristen, wie sie überall gefordert wird, kann aber für die europäischen Muslime auch gute Seiten haben - sie helfen, sie vom Generalverdacht zu befreien, glaubt Ostrowski

Adam Krzeminski, Deutschland-Korrespondent der Polityka, hat sich auf den europäischen Bestsellerlisten umgeschaut, und liefert eine interessante Analyse des Buchmarkts: "Wir lesen Krimis, interessieren uns für das Sexualleben von Frauen in jedem Alter, amüsieren uns zu Tode und kommunizieren nicht mehr über die Literatur. Eine halbe Milliarde Europäer weiß nicht, wie sie miteinander reden soll, wir sind noch zu sehr in den eigenen Sprachkreisen eingeschlossen". Es scheint momentan nur zwei Schriftsteller zu geben, die das europäische Leserpublikum in allen Ländern ansprechen: Dan Brown und J. K. Rowling.
Archiv: Polityka

Al Ahram Weekly (Ägypten), 21.07.2005

Fayza Hassan nimmt das Phänomen Al Dschasira im Spiegel von zwei Veröffentlichungen in den Blick. Hugh Miles' schildert in "Al-Jazeera: How Arab TV News Challenged the World", wie der Sender aus Qatar von arabischen Regierungen anfangs als amerikanisches Propagandainstrument gesehen wurde. "Als Ägyptens Präsident Hosni Mubarak im Frühjahr 2000 die Redaktionsräume von Al-Dschasira in Doha mit seiner Entourage während eines offiziellen Besuchs besichtigte, war er erstaunt über die geringen Ausmaße des Unternehmens. 'All dieser Ärger aus so einer Streichholzschachtel!', soll er ausgerufen haben. Nichtsdestotrotz hat die arabische Presse die Büroräume des Senders vier Jahre später immer noch als luxuriös bezeichnet und sich gefragt, wie Scheich Hamad bin Thamer Al-Than, der Emir von Qatar, so ein vorzügliches Projekt ohne ausländische (anti-arabische) Unterstützung finanzieren konnte."

Faisal Darrai entwickelt anhand neuer Romane von Mahmoud El-Wardani und Youssef Abu Raya die These, dass die ägyptische Literatur den Realismus hinter sich gelassen und die Metapher neu entdeckt hat. Stuart Reigeluth hat mit dem palästinensischen Regisseur und Schauspieler Makram Khouri über das Theatermachen in Ramallah und seine Bühnenadaption von Mahmoud Darwishs Langgedicht "Jidariyya" (Mural) gesprochen. Lubna Abdel-Aziz wirft einen Blick nach Hollywood und fragt sich, warum neuerdings nur noch Superhelden für die eskapistische Kinokost zuständig sind: "Wo sind die prickelnden Komödien, die üppig ausgestatteten Musicals, die Historienschinken, die inspirierenden Biografien, die aufregenden Spionagethriller, die spannenden Krimis und die süßen, seichten Liebesfilme?"
Archiv: Al Ahram Weekly

Magyar Narancs (Ungarn), 20.07.2005

Gibt es eine Ethik des Kapitalismus? Die Publizistin Orsolya Androczy R. hat die "Wölfe im Schafspelz" unter die Lupe genommen. Sie recherchierte, wieviel wahres Engagement hinter den PR-Kampagnen einiger ungarischer Unternehmen steckt, die behaupten, nicht nur profitorientiert zu arbeiten, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die Prüfung bestand nur die Firma "Hajtas Pajtas", der beliebte Fahrradkurierservice von Budapest: "Sie verschmutzen die Luft nicht, sammeln Altbatterien von ihren Kunden ein, trennen den Müll in ihren Büros und bezahlen ihre Mitarbeiter gut. ... Die Fröhlichkeit ihrer Kuriere verringert sogar die Marketingkosten: sie müssen die Kunden nicht mit Riesenplakaten überzeugen, dass es schön ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen."
Archiv: Magyar Narancs

New Yorker (USA), 01.08.2005

In einer sehr unterhaltsamen Rezension stellt Steven Shapin eine Kulturgeschichte der Getränke vor: "A History of the World in 6 Glasses" (Walker) von Tom Standage versucht, den historischen und sozialen Bedeutungshorizont dessen, was wir trinken, abzustecken. "Die körperliche Notwendigkeit des Trinkens sagt noch nichts über seine Bedeutung aus. Der enorme Unterschied zwischen 'Lass uns bei einem Kaffee darüber reden' und 'Willst du noch auf einen Kaffee mit raufkommen?' hat jedenfalls mit der physiologischen Wirkung des Getränks nichts zu tun."

Weitere Artikel: Jeffrey Toobin erklärt, warum es mit John G. Roberts, dem von Bush nominierten konservativen Kandidaten für den Supreme Court, demnächst zur nächsten großen Schlacht um die Rechte von Homosexuellen kommen wird. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "CommComm" von George Saunders.

Besprochen werden eine neue Biografie über den amerikanischen Schriftsteller Henry Roth (mehr), die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einem Buch über die erste "verdeckte Mission" der USA, die1805 in Tripolis missglückte. Sasha Frere-Jones schreibt über einen gemeinsamen Auftritt der angesagten DJs Wesley Pentz alias Diplo und Luis Mattos da Matta alias Marlboro. Nancy Franklin stellt eine Fernsehserie über den Irakkrieg vor ("Over there"). John Lahr bespricht die Theaterinszenierung "Le Dernier Caravanserail" von Ariane Mnouchkine, die auf Erzählungen und Berichten beruht, die sie zwischen 1999 und 2002 bei Flüchtlingen gesammelt hat. Und Anthony Lane sah im Kino drei Filme über sympathische Antihelden: "Last Days" von Gus van Sant über einen Rocksänger und Gitarristen, dessen Geschichte schwer an Curt Cobain erinnert, "Die fetten Jahre sind vorbei" ("The Edukators") von Hans Weingartner und "9 Songs" von Michael Winterbottom.

Nur in der Printausgabe: ein Porträt des Mannes hinter dem konservativen Parteiprogramm, ein Bericht über Gewalt als eine der Spätfolgen des Tsunami und Lyrik von Kay Ryan und Emily Fragos.
Archiv: New Yorker

Elet es Irodalom (Ungarn), 22.07.2005

Ungarn feiert den hundertsten Geburtstag des großartigen Abenteur- und Kriminalromanautors der dreißiger Jahre, Jenö Rejtö, dessen unter dem Namen P. Howard veröffentlichte Bücher in Ungarn heute noch zu den beliebtesten überhaupt gehören. Aber darf man ihn deshalb ernst nehmen? Der Schriftsteller Andras Cserna-Szabo ärgert sich über die Borniertheit von Literaturwissenschaftlern, die eine scharfe Grenze zwischen Trivial- und Hochkultur ziehen und Rejtö unbedingt in eine Schublade quetschen wollen. "Warum können sie immer noch nicht kapieren, dass dieser ungarische Jude mit dem Geburtsnamen Reich schlicht und ergreifend ein Genie war, der für uns aus Heftromanen und dem Pester Kabarett eine bezaubernde, unbehagliche, bis ins Knochenmark erschütternde Welt zusammenknetete, die nie zuvor da war und nie wiederkehren wird, über die wir schallend, aber mit Tränen in den Augen lachen? Wenn die Wissenschaftler ihn nicht haben wollen, auch gut. Perlen vor die Säue? ... Wir, die Ungarn sind doch irgendwie eine hoffnungslose Spezie: während die Tschechen ihren Schwejk, den weisen Idioten, längst kanonisiert haben, und inzwischen Touristen aus aller Welt mit Schwejk in ihr Land locken, stehen die Ungarn am hundertsten Geburtstag von Rejtö da und sind mit sinnlosen Diskussionen über die Grenze zwischen Trivial- und Hochliteratur beschäftigt!"

Der Historiker Jozsef Martin feiert Andras Oplatkas Monographie "Graf Stephan Szechenyi. Der Mann, der Ungarn schuf", aber gleichzeitig fragt er sich, warum es so selten solche Bücher gibt, warum es seit der Wende so wenig Austausch zwischen den kleinen, benachbarten Völkern Mitteleuropas gibt: "Wir, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Polen, Kroaten, Serben und viele anderen wissen so wenig voneinander. Die Isolation lockert sich vielleicht ein bisschen in der deutsch-ungarischen Beziehung, zumindest was die Literatur angeht: der Erfolg von Peter Nadas, Peter Esterhazy, Imre Kertesz, die Wiederentdeckung von Sandor Marai im deutschen Sprachgebiet belegt das, und trotzdem weiß man in Deutschland nicht, wie man die Namen dieser Autoren aussprechen soll. Und wir in Ungarn wissen genausowenig, wie die Namen unserer nahen und gleichzeitig fernen Nachbarn ausgesprochen werden."

Nepszabadsag (Ungarn), 20.07.2005

Peter Bartok, der in Washington lebende Sohn des ungarischen Komponisten Bela Bartok, erzählt im Gespräch, dass auch ein werktreuer Nachlassverwalter oft nicht vermeiden kann, das Werk eines verstorbenen Künstlers umzuschreiben: "Wir versuchen von Fall zu Fall festzustellen, was die endgültige Version meines Vaters war. Es reicht jedoch nicht aus, das Manuskript zu analysieren, denn er hat oft auch in den Fahnenabzügen Korrekturen gemacht. ... Im Zweifelsfall muss ich mich eben entscheiden, aber in den Fußnoten werden auch die verworfenen Versionen abgedruckt." Für eigenwillige Neuinszenierungen hat Peter Bartok jedoch wenig Verständnis, zum Beispiel wenn Regisseure die Zahl von Herzog Blaubarts früheren Frauen, die Geliebte des Morgens, Mittags und Abends plötzlich von drei auf dreizehn erhöhen: "Stellen Sie sich vor, Blaubart würde singen: 'auf die erste traf ich bei Tagesanbruch, auf die zweite um halb neun, auf die dritte um elf, die nächste mittags' und so weiter. Das hätte selbst dann absolut keinen Sinn, wenn die Regisseure auch die Musik verändern könnten."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Bartok, Bela, Washington

Guardian (UK), 23.07.2005

Jane Stevenson berichtet von ihren Erfahrungen in der großartigsten Bibliothek der Welt, der Biblioteca Apostolica im Vatikan, die sie im Laufe der Recherchen für ihr Buch über Frauen, die auf Latein veröffentlichten, besucht hat. "In den Vatikan zu gehen ist ein bisschen so, als würde man ein Hochsicherheitsgefängnis betreten. Der Hauptbau, vier hochragende Mauern aus staubbraunem Stein, ist rund um ein trostloses Viereck gebaut und von einem Torbogen durchstoßen, die ausdruckslosen Fensterreihen blicken auf ein Brunnenbecken, das aussieht, als sei es seit Menschengedenken nicht mehr mit Wasser gefüllt gewesen. Der Vatikanstaat ist auch der größte Männerclub der Welt, deren Bewohner mit jedem Detail ihrer Körpersprache klarmachen, dass weiblich zu sein ebenso eigenartig wie vernachlässigbar ist. Es war ein sehr seltsamer Platz, um nach Frauen zu suchen, eine Ironie, die ich jedoch nie mit irgendjemand innerhalb der heiligen Mauern teilen konnte."

Weiteres: Stuart Jeffries porträtiert den streitbaren Philosophen und Ethiker Peter Singer, der vor allem mit seiner utilitaristischen Sicht auf den Wert des Lebens aneckt. "Einmal wurde er gefragt, was er tun würde, wenn er entweder einen Menschen oder eine Maus aus einem brennenden Haus retten müsste. Seine Antwort: 'In fast allen Fällen würde ich den Menschen retten. Aber nicht weil der Mensch menschlich ist." Formlos und ohne richtige Handlung kommt John Mullan der sechste Harry-Potter-Band vor, und er weiß auch, warum: J.K. Rowling "ist mittlerweile so fixiert auf den Gesamtablauf ihrer Romane, dass die narrative Gestalt eines einzelnen Buches sie nicht mehr kümmert. Es kann vermutet werden, dass Rowling, reich und bewundert, keinen Hunger mehr verspürt. Wie ihr Held ist sie nur noch darauf aus, das große Ganze zu vervollständigen."
Archiv: Guardian

Ozon (Polen), 21.07.2005

"Alles soll wieder so sein wie bei der Eröffnungszeremonie der Fußballweltmeisterschaft 1974 in München. Aus einem der riesigen Papierbälle sprang plötzlich eine Blondine mit einer Gitarre. Sie war so echt, sie strahlte so eine Stärke aus, dass die Leute große Augen machten. Und jetzt haben wir gesagt: lass uns wieder so ein Album machen - und sie hat zugestimmt!". Maryla Rodowicz (homepage), die "Madonna der RGW", ein großer Star der siebziger und achtziger Jahre, die in den letzten Jahren eher erfolglose Platten eingespielt hat, aber immer noch bekannt ist und bewundert wird, kehrt zurück - mit neuen Produzenten, die schon anderen Stars des Sozialismus ein gelungenes Comeback geliefert haben, berichtet das polnische Magazin..

Keiner weiß, wie viele Milliarden Dollar bisher in der irakischen Wüste versickert sind, schreibt Andrzej Lomianowski. Kein Zweifel besteht für ihn jedoch daran, dass das meiste einfach veruntreut wurde, so dass der groß angekündigte Marshall-Plan für den Irak bisher eine Fatamorgana blieb. "Verglichen damit, was die Amerikaner im Irak anstellen, sind unsere polnischen Affären Kinderspiele", tröstet Lomianowski seine politikverdrossenen Landsleute.
Archiv: Ozon
Stichwörter: Irak, Gitarre

Economist (UK), 22.07.2005

Der Economist registriert die Entstehung eines spezifisch britischen Islam. "Eine neue Generation britischer Muslime definiert sich nicht mehr über ihre Herkunft, sondern über die gemeinsame Religion. Im besten Falle könnte das ein Anzeichen dafür sein, dass die britischen Muslime erwachsen werden - sich also über die sprachlichen und sektiererischen Unterschiede erheben, die frühere Generationen behinderten." Der Economist hofft, dass sie moderater sind als ihre Eltern, kulturelle Tabus über Bord werfen und am demokratischen Leben des Landes teilnehmen.

Der Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Notwendigkeit, mehr Frauen in Führungspositionen zu etablieren. Zudem fordert der Economist, die jahrzehntelange Blockadehaltung gegenüber dem inkompetenten Militärregime von Myanmar (früher Burma) aufzugeben. Sie führt zu nichts. Schließlich wird berichtet, wie Indien und die USA sich um engere Beziehungen bemühen und wie unterschiedlich Männer und Frauen Schmerz empfinden.

Auch diesmal gebührt dem Schlagabtausch mit Frankreich ein fester Platz im Heft: Sieben der letzten zehn französischen Premierminister kommen aus der Politiker-Kaderschmiede ENA (mehr). Könnte diese "riesige Maschine, die Klone produziert" vielleicht schuld sein, dass die Politik gerade in einer Vertrauenskrise steckt, fragt der Economist mit spitzer Zunge. Und im Wirtschaftsteil wird natürlich die heftige Reaktion auf die Übernahmegerüchte von Danone durch PepsiCo durch den Kakao gezogen.
Archiv: Economist
Stichwörter: Behinderte, Myanmar, Burma

New York Times (USA), 24.07.2005

"Bob Woodwards Buch über Deep Throat ist die beste Kurzdiskussion über den Unterschied zwischen dem Reporter als Schnüffler und dem Reporter als Stenograf, die je veröffentlicht wurde." Mit einer Prise Sentimentalität beschreibt Christopher Hitchens in seiner begeisterten Besprechung von Woodwards "The Secret Man" (erstes Kapitel), wie er und all seine jungen Kollegen in der Kinovorführung von "All the President's Men" davon träumten, auch einmal einen so potenten Fink, einen "Friendly Insider with Necessary Knowledge" an der Hand zu haben, wie Mark Felt einer war. Bald wurde ihm aber auch klar, wie machtlos die Presse ist, wennn keiner etwas sagen will. "Die folgenden 25 Jahre in Washington überzeugten mich davon, dass es nie einen guten Skandal (hier die offiziellen Dokumente zu Watergate) geben kann, wenn es keine Verwerfungen im politischen Establishment gibt."

Weiteres: Walter Kirn dankt Cormac McCarthy übrschwenglich dafür, dass er es in "No Country for Old Men" gewagt hat, die ehernen Gesetze des Noir-Genres auszudehnen, und feiert ihn deshalb im Aufmacher. Gary Kamiyas Lesesessel wurde bei der Lektüre von William Queens Bericht seiner beiden Jahre als Undercovercop bei der Motorradgang "Mongols" zeitweise zur Harley-Davidson, wenn man seiner respektvollen Rezension von "Under and Alone" glauben darf. Und in ihrem Essay überraschen Naomi Wolf die bösen Kommentare zum Erfolg Hillary Clintons nicht sonderlich. "Wenn man sich ansieht, wie in der Geschichte auf Frauen reagiert wurde, die die Grenzen westlicher Gesellschaften gedehnt oder gebrochen haben, sieht man immer wieder die gleichen Argumente auftauchen, und zwar aus den gleichen Gründen."

Für das New York Times Magazine hat Charles Siebert ein ganz besonderes Altersheim im Dschungel von Lousiana besucht. Dort können, gesetzlich geregelt, Labor-Schimpansen ihr wohlverdientes und recht luxuriöses Gnadenbrot genießen. Mit Animateuren, Spielzeug, CD-Spielern und natürlich Fernsehen. "Jüngere Schimpansen bevorzugen Kinderfilme, Disney-Specials, 'Barney' und so was. Die Vorlieben der erwachsenen Schimpansen tendieren eher zu Melodramen und allem mit viel Action und Aggressivität. Seifenopern wie 'Passions' und 'General Hospital' sind große Hits, letztere wohl, weil Laborschimpansen so an Leute in weißen Mänteln gewöhnt sind. Die 'Jerry Springer Show' und N.F.L. Football-Übertragungen sind ebenfalls ziemlich populär, Golf, Baseball und das Programm des öffentlichen Rundfunks (Natursendungen natürlich ausgenommen) eher nicht."

Weiteres: Jeffrey Rosen beruhigt die Demokraten: Der mit der Ernennung von John Roberts wieder ein wenig konservativer gewordene Supreme Court ist gar nicht so einflussreich wie befürchtet. Robert Mackey wartet auf den Durchbruch von Minigolf als ernstzunehmender Sport. Und Zev Chafets stellt den orthodoxen Rabbi Yechiel Eckstein vor, der es kurioserweise geschafft hat, sich in seiner Mission für die jüdische Sache von republikanischen Christen unterstützen zu lassen.
Archiv: New York Times