Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
11.10.2005. Die Lettre veröffentlicht Auszüge aus den Reportagen der sieben Finalisten für den Lettre Ulysses Award. Der New Yorker porträtiert den Galeristen Leo König. Outlook India blickt in die Zukunft des Journalismus. In Radar erzählt die Dichterin Silvina Ocampo, warum Affen am schönsten singen. Die Gazeta Wyborcza denkt über Weißrussland und Europa nach. In Polityka erzählt Dorota Maslowska von einer Reise nach Moskau. Im du-Magazin beschreibt Sybille Lewitscharoff das Wirken Satans in der Moderne. Die Weltwoche porträtiert Abu Mussab al-Sarkawi. Das New York Times Magazine zitiert afghanische Landays.

Lettre International (Deutschland), 01.10.2005

Der peruanische Journalist Ricardo Uceda hat jahrelang über den brutalen Kampf seines Landes und der Guerilla-Organisation "Leuchtender Pfad" recherchiert. Gefoltert wird dabei auf beiden Seiten. Aber wie wird man ein Folterer? "'In der Zeit damals war ich nicht abgehärtet, ich konnte noch zweifeln und Mitleid mit den Verhörten empfinden', sagte Sosa in einer Erklärung, die er für diese Recherche abgab. 'Aber wenn mehrere Monate vergangen sind, ziehen sich die Mitleidsgefühle in die untersten Schichten deines Bewusstseins zurück und tauchen nur ab und zu in deinen Träumen auf. Dann hast du schon gemerkt, dass bewährte Kämpfer, die mit dem größten Fanatismus, am längsten durchhalten. Für uns wurde die Folter zu einer Arbeitsmethode. Du siehst sie als eine Herausforderung und zugleich als eine unangenehme Arbeit an.'"

Ucedas Reportage "Verhör in den Anden" ist eine von sieben, die es in die Endauswahl für den Lettre Ulysses Award geschafft hat. Der einzige internationale Preis für Reportagen wird am Sonntag zum dritten Mal verliehen. Wir bringen vorab einen langen Auszug.

Weitere Auszüge aus den Reportagen der sieben Finalisten finden sich im neuen Lettre-Heft: "Schiffsverschrotter" - William Langewiesches Reportage über die Schiffsabwracker in Alang/Gujarat, die im August 2000 in Atlantic Monthly veröffentlicht wurde (die ganze Reportage auf Englisch finden Sie hier); "Baghdad Burning" - das Blog einer Anonyma mit dem nom de guerre Riverbend aus dem Irak; "Tage in Mekka" von Abdellah Hammoudi; "In Kolumbien" von Carolin Emcke; "Bombay; Maximum City" von Suketu Mehta; "Söldnerherz. Unterwegs mit einem Killer - Reise in die afrikanische Nacht" von Alexandra Fuller (Peter Longworth, Britisch High Commissionar von Zimbabwe 1998-2001 hat das Buch im Guardian besprochen).

Gazeta Wyborcza (Polen), 08.10.2005

Über das Verhältnis der Weißrussen zu Europa macht sich Waclaw Radziwinowicz Gedanken - am Rande seiner Erwägungen zu den Chancen des Präsidentschaftskandidaten der Anti-Lukaschenko-Opposition. "Der Westen, Europa, zieht die Weißrussen an, aber sie haben Angst vor Veränderungen. In Minsk, Grodna oder sogar dem kleinen Wolkowysk heißt jede zweite Firma 'Euro' oder 'West'. Andererseits sehen sie aber die Demokratie und den freien Markt in ihrer östlichen Dimension - sie sehen russisches Fernsehen, reisen nach Russland, und können sich davon überzeugen, dass freier Markt die Vorherrschaft von zwielichtigen Oligarchen bedeutet."

Im Interview erklärt der französische Publizist Guy Sorman, warum die Vorstellung einiger europäischer Linken und Jeremy Rifkins, Europa könnte ein erfolgreiches Alternativmodell zum angelsächsischen Liberalismus darstellen, falsch sind: "Das wird unter anderem deshalb nicht passieren, weil Europa nicht mit einer Stimme spricht und ein Identitätsproblem hat. Wenn Europa in der globalen Konkurrenz bestehen will, muss es den Schritt Richtung Föderation wagen. Ich glaube, es wird diesen Schritt tun."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Weltwoche (Schweiz), 07.10.2005

Die Weltwoche macht auf mit dem ersten Teil ihrer Serie über Abu Mussab al-Sarkawi. Urs Gehriger zeichnet seinen Weg nach vom "bloßen Taugenichts" zum weltweit gesuchten Terroristen nach. Al-Sarkawi war unter anderem auch Initiator eines Attentats auf einen amerikanischen Diplomaten im Sommer 2002. "Das Attentat ist ein Meilenstein in Sarkawis Karriere. Er hat bewiesen, dass er in der Lage ist, vom Ausland aus gezielt eine Operation zu koordinieren. Für diese Tat wird Sarkawi am 6. April 2004 in seiner Heimat Jordanien 'zum Tod durch den Strang' verurteilt. Ein Verdikt, das er mit einer Geste quittiert, die einem das Blut gefrieren lässt: Vor laufender Kamera schneidet er einem gefesselten Amerikaner, Nicholas Berg, den Kopf ab, hebt ihn hoch und preist Gott im Himmel. Es ist das Fanal zur bisher grausamsten Phase des Irakkrieges. Washington setzt 25 Millionen Dollar aus auf den Kopf von Abu Mussab al-Sarkawi. Damit tritt er endgültig aus dem Schatten Bin Ladens. Und droht ihm gleich den Rang abzulaufen."

Weitere Artikel: Hanspeter Born besucht den englischen Historiker Robert Conquest und ist beeindruckt: "Als Historiker bringt er das Weltgeschehen auf die Reihe, als Dichter alles auf fünf Zeilen." Christian Seiler geht mit Marianne Kaltenbach essen, der Frau, die "der Schweiz das Kochen beibrachte".
Archiv: Weltwoche

DU (Schweiz), 01.10.2005

Das neue Heft begibt sich auf die Suche nach dem Teufel. Leider fast ausschließlich auf Papier, online sind nur drei Artikel freigeschaltet. Die Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff hat die Hoffnung auf Gnade in der aufgeklärten, gottlosen Moderne schon aufgegeben. "Der Körper wird seine Mängel immer krasser zeigen. Jede seiner Poren ein scharf ausgeleuchtetes Schmutzloch. Dass er zum Objekt umfassender Bestrafung geworden ist, zeigen die den KZs entschlichenen Moden: Twiggy, Tattoo, Kahlkopf, Kremierung. Die meisten Leute sterben schlecht. Den gebieterischen Ruheruf Gottes vernehmen sie nicht. Die satanische Lektion haben sie gründlich gelernt: Alles ist vergeblich. Das Totenreich wirst du nie zu dir hinauf-, das Himmelreich nie zu dir hinabbiegen können. Gierig krallen sie sich mit Hilfe von Apparaten ans letzte Fetzchen Leben und lassen sich anschließend in Öfen schieben."

Zu lesen ist außerdem Andrea Böhms Bericht aus Colorado Springs, mit 641 Kirchen ein Stützpunkt der evangelikalen Christen Amerikasim Kampf gegen die Gottlosen. Nur in der Printausgabe zeichnet Hans Richard Brittnacher die Geschichte des Satanismus nach. Rudi Thiessen macht das Christentum für die Macht des Teufels über die Seelen verantwortlich. Und Gert Scobel verortet das Böse im Nachahmungstrieb des Menschen.
Archiv: DU

Spectator (UK), 07.10.2005

Die nächste Dschihad-Welle könnte von Somalia ausgehen, meint Aidan Hartley, der besorgt die explosive Stimmung in der Hauptstadt beschreibt. "In Mogadischu wird das Prestige nicht durch das Auto bestimmt, das man fährt, sondern durch den Wert, der einem als Attentatsziel zugemessen wird. Vor unserer Ankunft hatte ich bei unserem Gewährsmann drei Schützen mit schweren Maschinengewehren und sieben Begleiter mit AK-47-Gewehren angefordert. Durch die getönten Scheiben unseres Allradfahrzeugs konnte ich auf dem Weg in die Stadt beobachten, dass wir trotzdem nicht sehr gut abschnitten. Wir passierten regelmäßig Konvois, die vor Flugabwehrgeschützen und Raketenwerfern nur so strotzten."

Dominic Midgley macht darauf aufmerksam, dass London ein Mekka für russische Oligarchen geworden ist. "Diese Leute ziehen England den Vereinigten Staaten zum Teil vor, weil die Londoner Bankenszene weniger strikt reguliert ist als die amerikanische - aber auch weil wir weniger Vorurteile gegenüber Russen mit Geld haben. Ein mittelschwerer Oligarch, der seinen Urlaub in Aspen verbrachte, berichtet, dass ein Amerikaner vor Angst fast aus dem Skilift gesprungen wäre, als er ihm erzählte, wo er herkam. In Amerika bedeutet Russland Mafia. Hier nicht."
Archiv: Spectator

Outlook India (Indien), 17.10.2005

Outlook India feiert den 10. Geburtstag mit einer prall gefüllten Ausgabe, in der die Redaktion auf die eigene Geschichte zurückblickt. Unter anderem erzählt Chefredakteur Vinod Mehta, wie er Outlook mit einer fulminanten ersten Ausgabe startete, nachdem er in einen Gully gefallen war.

Einige blicken in die Zukunft: Sir Harold Evans, der in den siebziger Jahren bei der Sunday Times mit seinem investigativen Journalismus Furore machte und und 2002 als "Redakteur des Jahrhunderts" geehrt wurde, findet im Gespräch mit Sugata Srinivasaraju die Meinungslust der Blogger "sehr gesund". Ein anderer Sir, Arthur C. Clarke, ist sich sicher: "Es wird kein Zurück geeben auf dem Weg von Citizen Kane zum 'Citizen Journalist'." Clarke schreibt: "Die Publikation von Online-Tagebüchern zeigt, wie passionierte Individuen Aufmerksamkeit erregen und Einfluss weit über ihre beruflichen und sozialen Zirkel hinaus ausüben können." Interessant ist auch Seema Sirohis Interview mit David Remnick, dem Chefredakteur des New Yorker, über die Zukunft des Magazinjournalismus.

Bei der Frage, ob Indien oder China das Rennen um die künftige Supermacht macht, greift Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman zu einer schönen Metapher: "Ich sehe beide als Super-Highways, sechsspurig. Der chinesische Super-Highway ist perfekt gepflastert, hat prima Gehwege, und alle Straßenlaternen funktionieren. Aber weiter hinten bremst eine Bodenschwelle das Tempo, auf der steht: politische Reform. (...) Indien ist auch ein Super-Highway, allerdings voller Schlaglöcher, mit Rissen im Zement, unfertigen Gehwegen und kaputten Laternen. Weiter hinten jedoch sieht man, wie die Straße sich glättet." Und Jeremy Seabrook ergänzt: "Man hat Mutter Indien in Miss World verwandelt."

Andere blicken zurück: Gabriel Garcia Marquez erinnert sich an seine Anfänge als Reportereleve vor einem halben Jahrhundert, als Journalisten noch Journalisten waren und nicht der O-Ton der Gipfel der Wahrheit, sondern die Zeugenschaft des gewissenhaften Berichterstatters. Sheela Reddy führt ein langes Gespräch mit einer indischen Journalistenlegende, dem 91-jährigen Khushwant Singh.
Archiv: Outlook India

Radar (Argentinien), 09.10.2005

Vor dreißig Jahren gelang es der Journalistin Maria Moreno, die argentinische Malerin und Dichterin Silvina Ocampo (mehr hier und hier), schon damals ein lebender Mythos, zu einer Reihe von Interviewsitzungen zu überreden, die soeben in Buchform erschienen sind. Unter anderem erzählt die so exzentrische wie elitäre Autorin darin vom Besuch einer Tierhandlung: "Einmal wollte ich mir einen Vogel kaufen. Nicht sein Gefieder, sondern sein Gesang sollten beim Kauf den Ausschlag geben. Der Verkäufer führte mir eine Lerche vor, einen Kardinalsvogel, eine Drossel, ja sogar eine Elster. Ich konnte mich für keinen entscheiden. Da hörte ich ein sehr seltsames Geräusch aus einem der Käfige im hintersten Teil des Ladens. 'Das ist es, dieser Gesang gefällt mir', sagte ich, trat näher und sah einen winzig kleinen Affen vor mir, dessen Gesicht in meine Hand gepasst hätte."

Der katalanische Sänger Jaume Sisa (mehr) versucht den Anspruch, kostenlos jede Art von Musik aus dem Netz herunterzuladen, konsequent zu Ende zu denken: "Und zuletzt ist es soweit: Eine Welt ohne Geld. Der digitalen Technologie gelingt, was weder die Französische Revolution noch die Republik noch der Oberste Sowjet noch der Mai '68 geschafft haben: der Traum von Arkadien wird wahr."
Archiv: Radar

New Yorker (USA), 17.10.2005

Unter der Überschrift "trügerische Konzeptualität" bespricht John Updike einen Band über die Geschichte der amerikanischen Buchcover-Gestaltung ("By Its Cover: Modern American Book Cover Design", Princeton Architectural Press). "Buchumschläge mögen zwar über eine ernsthafte kritische Auseinandersetzung erhaben scheinen, doch der akademischen Disziplin namens 'Kulturwissenschaft' ist nichts Menschliches fremd, seien es nun Eintrittskarten von Baseballspielen, Vampirfilme oder Damenschuhe. All ihre Instrumente öffnen den Blick auf die seelischen Geheimnisse von Jedermann und die hinterlistigen Gestaltungsmittel des Kapitalismus beim Taschenbuch für Jedermann."

In einem Porträt des jungen und erfolgreichen New Yorker Galeristen Leo König untersucht Nick Paumgarten, wie man heutzutage ein erfolgreicher Kunsthändler wird. Die Sache ist außerordentlich verwickelt. "Seine langjährige Freundin, Deborah Warner, eine Künstlerin, mit der er sein Appartement teilt, meinte neulich bei einem alkoholisierten 3-Uhr-morgens-Gespräch: 'Ich verstehe deine finanzielle Situation nicht.'"

Weitere Artikel: Hendrik Hertzberg "entschlüsselt" und kommentiert Bushs Nominierung von Harriet E. Miers für den Supreme Court. James Surowiecki berichtet über Anlagefonds, die ausschließlich in Kunst investieren. Anthony Lane sah im Kino Curtis Hansons Film "In Her Shoes" und den neuen "Wallace and Gromit"-Film von Nick Park ("Der Plot quillt über von euripidischem Horror.") Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Path Lights" von Tom Drury.
Archiv: New Yorker

Polityka (Polen), 08.10.2005

Die Schriftstellerin Dorota Maslowska beschreibt ihre Eindrücke von einer Autorenreise nach Moskau. Sie ist überwältigt von der Größe der Stadt, der Menschenmengen und ... der Ähnlichkeit mit Polen! "Das hier ist nicht der Westen, wo die Leute nicht an Krankheit und Tod glauben. Hier regiert die unerträgliche Schwierigkeit des Seins, mit einem blutigen Nachgeschmack. Früher dachte ich von den Polen das Gleiche. Ich führte diese seelischen Schmerzen auf ökonomische Unannehmlichkeiten, auf die hässliche Architektur zurück und dachte: In Deutschland oder Frankreich gibt es das nicht. Jetzt komme ich nach Russland und sehe das volle Leidensprogramm. Also stammen wir wohl von einer Mutter ab, das dramatische Wesen ist uns angeboren." (Mehr über Maslowska hier.)

Außerdem: die letzte Leprakrankenkolonie Europas befindet sich in dem rumänischen Dorf Tichilesti. Wladyslaw Borowiec und Piotr Wrobel waren da, und berichten in Wort und Bild aus einem Ort, der noch vor 15 Jahren auf keiner Landkarte verzeichnet werden durfte.
Archiv: Polityka
Stichwörter: Mutter

Folio (Schweiz), 01.10.2005

"Ich weine lieber in einem Rolls-Royce als in einer Straßenbahn." Dieser schönen Satz von Zsazsa Gabor ist gewissermaßen das Leitmotto dieser Folio-Ausgabe. Es geht um Reichtum und Schönheit. Mikael Krogerus war mit einem Sohn aus gutem Haus unterwegs in Genf und Paris. Der 18-jährige Jean, Sohn eines schwedischen Unternehmers, muss ziemlich viele Erwartungen erfüllen. "Jean wirkt nicht unglücklich. Vielleicht weil sein Leben ja auch nicht schwerer ist als andere, bloß unvorstellbar anders: Zusätzlich zu den üblichen Fragen, die sich ein 18-Jähriger so stellt (Wer bin ich? Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Liebt sie mich? Und wenn ja: Liebe ich sie dann noch?), muss sich Jean noch fragen: Wie investiere ich 300 Millionen? Liebt mich meine Freundin wegen meines Geldes? Wem kann ich eigentlich vertrauen?"

Weitere Artikel: Luca Turin behauptet: "Die Zukunft hält Schönheit und Reichtum für uns alle bereit." Daniele Muscionico porträtiert die indische Schauspielerin Nandita Das, die erfolgreich gegen westliche Schönheitsideale ankämpft: Eine perfekte Schönheit, doch gilt sie als zu dunkel, heller schminken lässt sie sich nicht. Und der Schweizer Bankier Hans J. Bär schildert im Interview eine besondere Form des Geizes: "Wir wurden erzogen, Reichtum nicht zur Schau zu stellen. Das tat man einfach nicht. Es ist wohl überhaupt nicht schweizerisch."

In seiner Duftnote erklärt Luca Turin die Dauer der Duftmoleküle: "Wenn sie ein Parfum auf ihre warme Haut sprühen, ist das etwa so, als schössen sie auf einem Strand, der von vielen Vogelarten bevölkert wird, mit einer Startpistole: Zuerst flattern die kleinen Vögel in die Luft - Reiher und Pelikane brauchen viel länger. Wäre der Strand ein Duftstreifen und der Pelikan ein Moschusmolekül, dann hätte der Strand eine Breite von 200 Kilometern."
Archiv: Folio

Economist (UK), 07.10.2005

Der Economist berichtet über eine Schule in Harrisburg, die von einigen Eltern verklagt wurde, nachdem sie ihre Schüler auf "unerklärte Lücken" in der Evolutionstheorie hingewiesen und ihnen die Lektüre eines kreationistischen Buches empfohlen hatte. Mit raffinierten Argumenten versucht man Löcher in Darwins Theorie zu bohren: "Die Schulbehörde verteidigt sich mit dem Argument, 'Intelligent Design' sei eine Wissenschaft, keine Theorie. Es ist eine neue Theorie, die behauptet, dass heutige Organismen zu komplex sind, um sich einfach aus einer Reihe von zufälligen Mutationen entwickelt zu haben und deshalb von einer intelligenten Entität geformt worden sein müssen. Anders als der frühe Kreationismus wird Gott nicht ausdrücklich erwähnt." Sollte der Fall vor das Oberste Gericht kommen, könnte das Unterrichten der kreationistischen Theorie als Verstoß gegen die Trennung von Kirche und Staat geahndet und an sämtlichen Schulen Amerikas verboten werden.

Angesichts der politischen Bücher, die dieser Tage in Amerika veröffentlicht werden, kann der Economist nur angewidert den Kopf schütteln: Sie werden immer voreingenommener und reißerischer - und dadurch immer schlechter. Trostspendende Ausnahme: Michael Barones ausgezeichneter "Almanac of American Politics".

Außerdem zu lesen: Dass Japans Wirtschaft sich erholt (und was andere, stockende Industrienationen - etwa Deutschland - daraus lernen können), dass es endlich einmal eine spannende Theorie zum Prinzip des Universums gibt, warum der radikale Rückgang des Opiumanbaus in Afghanistan ein Pyrrhussieg ist, dass ein freimütiger UNO-Bericht den Weg freimacht für Verhandlungen über die Zukunft Kosovos, welche Lehren ein riesiges Umweltprojekt in den Everglades für den Wiederaufbau nach Katrina bereithält, und schließlich wie seltsam die Verleihung der naturwissenschaftlichen Nobelpreise doch ist.
Archiv: Economist

Espresso (Italien), 07.10.2005

Als die linke Opposition vor kurzem über eine Art Zivilehe für Homosexuelle nachdachte, die etwa Erbschaftsfragen regeln sollte, reagierte die neuerstarkte katholische Kirche prompt und harsch. Umberto Eco entwirft nach der Affäre um die sogenannten "Pacs" nun Regeln für künftige Auseinandersetzungen. "Erstens: Jeder hat das Recht, die Meinung eines Kirchenvertreters zu kritisieren. Zweitens: Kirchenvertreter können ihre Meinungen auf theologischem und moralischem Gebiet kundtun, auch wenn sie in Einzelfällen den Gesetzen des Staates widersprechen. (...) Viertens: Wenn der Aufruf eines Kirchenvertreters ein Gesetz kritisiert oder in einen laufenden politischen Prozesse eingreift, ob nun beabsichtigt oder nicht, dann wird dieser Kirchenvertreter zum politischen Subjekt und riskiert, Anfechtungen politischer Art ausgesetzt zu werden."

Weitere Artikel: Wlodek Golkdkorn verteidigt Roberto Benignis Film "Der Tiger und der Schnee" gegen Anfeindungen von links und von rechts. "Ein großer Regisseur hat einen schönen Film gemacht, der wie alle schönen Dinge nicht perfekt ist." Für die Titelgeschichte berichtet Fabrizio Gatti aus dem Einwandererlager in Lampedusa, wo er eine Woche unter "unmenschlichen" Bedingungen verbracht hat.
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto, Lampedusa

Al Ahram Weekly (Ägypten), 06.10.2005

Youssed Rakha wird in seinem Porträt nicht schlau aus Scheich Mohamed Sayed Tantawi, set 1996 Großer Imam der Al-Azhar Universität in Kairo und damit offiziell die die höchste Autorität des sunnitischen Islam. "Wer hat gesagt dass Al-Azhar keine politische Rolle mehr spielt? Wenn Politik bedeutet, sich um die Interessen der muslimischen Nation zu kümmern, dann ist das etwas, worüber Al-Azhar spricht. Aber wenn man Politik im Sinne von Beziehungen zwischen zwei Staaten begreift, Angelegenheiten des Außenministeriums etwa, dann überlässt Al-Azhar das den Experten." Tantawi gilt als moderater Denker, schreckt als Islamgelehrter aber offensichtlich nicht vor antisemitischen Theorien zurück (mehr).

Gamal al-Ghitanis Roman "Le Livre des illuminations" wurde der diesjährige Prix Laure Bataillon für das beste übersetzte belletristische Werk verliehen (das Netz weiß von nichts), was David Tresilian zum Anlass nimmt, sich mit dem Übersetzer Khaled Osman über die Vorreiterschaft französischer Verlage bei der Publikation arabischer Literatur in Europa zu unterhalten. (Al-Ghitani hat es immerhin mit einem Buch auch nach Deutschland geschafft.)
Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Arabische Literatur, Imam

Nouvel Observateur (Frankreich), 06.10.2005

Anlässlich der großen Ausstellung "Melancolie - Genie et folie en Occident" im Grand Palais mit Werken von Dürer bis Picasso, denkt der französische Lyriker und Essayist Yves Bonnefoy (mehr) über Melancholie nach, diese Gemütsverfassung, die vor allem den Westen beherrsche. In seiner Eingangsdefinition beschreibt er sie als "eine sich stets wiederholende und nie erfüllte Sehnsucht. Doch besteht diese Sehnsucht weniger in einem echten Verlangen nach dem 'wahren Leben', als im Mangel eines tatsächlichen Bedürfnisses nach Erfüllung dieses Verlangens." Die Kunst sei "ein Ansporn für diesen hellen Traum, dieses unglückliche Glück: die Melancholie. Im Verlauf der Geschichte des Westens entwickelte sie sich zu einem Vergrößerungsspiegel dieses Oxymorons in der Existenz."
Stichwörter: Bonnefoy, Yves

Magyar Narancs (Ungarn), 06.10.2005

Die 1979 gegründete illegale Galerie "Artpool", die zum wichtigsten Forum für verbotene oder geduldete Kunst und Kultur im kommunistischen Ungarn wurde, ist heute die mit Abstand größte Dokumentensammlung der oppositionellen Untergrundkultur der 1970er und 80er Jahre. Dennoch droht sie den Sparmaßnahmen des Kultusministeriums zum Opfer zu fallen. Die Begründer Julia Klaniczay und György Galantai sind der Meinung, dass "sich die Politiker nicht für progressive, avantgardistische, alternative, nonkomforme Kunst und Kultur interessieren und vergessen, dass diese Kunst einen wichtigen Beitrag zur Wende darstellte. ... Artpool ist für uns eine Herzenssache, aber die Bewahrung wertvoller Kulturgüter kann nicht in die Verantwortung einiger Menschen exiliert werden."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Kulturgüter, 1970er, 1980er

New York Times (USA), 09.10.2005

Für das New York Times Magazine berichtet Elizabeth Rubin aus Afghanistan und von den Frauen, die sich um einen Sitz im Parlament bewerben. Dabei stößt sie auch immer wieder auf Landays, zweizeilige Kurzgedichte, die von den Frauen üblicherweise beim Wasserholen, Waschen, oder auf Hochzeiten rezitiert werden. "Sie sind körperlich und brutal, leidenschaftlich und direkt. Eines, das ich im vergangenen Monat einige Male zu hören bekam, war fast eine Drohung an den Geliebten. Es zeigt, wie tief verwurzelt das Gefühl der Stammesehre sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist. 'Hast Du keine Wunde in der Mitte Deiner Brust, werde ich gleichgültig bleiben, selbst wenn Dein Rücken durchlöchert ist wie ein Sieb.'"

Weitere Artikel: Noah Feldman hofft, dass die Iraker bei der Abstimmung über die Verfassung der Demokratie ihre Sympathie erweisen, wenn schon nicht den Amerikanern. Michael Kimmelman besucht den Maler Raymond Pettibon, der glaubt, seine Kunst sei leichter zu verstehen als die meisten Gedichte. Michael Lewis besucht New Orleans und schickt eine Reportage aus der Stadt seiner Jugend. Deborah Solomon plaudert mit Intellektuellenliebling und Regisseur Noah Baumbach über seinen Film "The Squid and the Whale". Auf den Funny Pages gibt es das vierte Kapitel von Elmore Leonards Erzählung "Comfort to the Enemy".

Aufmacher der New York Times Book Review ist die Besprechung von Joan Didions Buch "The Year of Magical Thinking", in dem sie den Tod ihres Mannes verarbeitet. Trotzdem zieht das Buch den Leser nicht runter, versichert Robert Pinsky. "Ihre Art ist verdammt komisch, sie säbelt die Banalität mit einem Stil weg, der rücksichtslos und doch akribisch ist."
Archiv: New York Times