Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
20.12.2005. In der Lettre streift Iain Sinclair durch die Londoner City. In der Kommune macht sich Karol Sauerland einen Reim auf die polnische Politik. Nepszabadsag beäugt ein ganz neues Phänomen in Ungarn: Schriftstellerinnen. Im Nouvel Obs debattieren Regis Debray und Marcel Gauchet über die Republik als Konkurrenz zur Religion. Die Weltwoche hat Gott im Schläfenlappen gefunden. Im Guardian stellt Harold Bloom den literarischen Stellvertreter Amerikas vor. In der Gazeta Wyborcza analysiert Kinga Dunin die Bedeutung schwul-lesbischer Literatur für Polen. Im New York Times Magazine stellt Pankaj Mishra einige Tibeter vor, die partout nicht erleuchtet werden wollen.

Lettre International (Deutschland), 19.12.2005

Eine wunderbare Reportage lang beschreibt Iain Sinclair (mehr) seinen Streifzug durch die Londoner City - vorbei an posthumanen Straßenschluchten, echten Bäumen, Nebelmachern, flitzenden Ameisen und "Kopfrunter"-Arbeitern. "In diesem innerstädtischen Wolkenkuckucksheim kann man eine neue, charakteristische Spezies beobachten. Vor den Eingängen der Büroblocks, kurz neben die Drehtüren gespuckt, auf den Pseudomarmorstufen stehen sie rum: Anzüge ... Frauen in Anzügen ... lichtscheue Typen in Anzügen ... Insider ... Kennkartenträger. Ins wettrige Draußen, in die windigen Häuserschluchten genötigt. Sie wollen, sie müssen: rauchen. Süchtige, soziale Aussätzige. Ob sie von der scharf nach unten gerichteten Videoüberwachung erfasst werden oder nicht, ist ihnen schnuppe. Sie leben, um der Hausordnung zu trotzen."

Außerdem: Peter Nadas hat in Frankreich das Konzentrationslager von Le Vernet, einem kleinen Städtchen in der Region Ariege am Rand der Pyrenäen gesucht. Von dort gingen zwischen Juni 1943 und Juli 1944 sechs Transporte nach Dachau, Mauthausen und Ravensbrück. Bora Cosic beschreibt den ostdeutschen Herbst. Roberto Bolano liefert katholische Erzählungen. Der Philosoph Samir Kassir zeichnet die historische Größe, den Selbstverlust und die kulturelle Wiedergeburt der arabischen Welt. Der Philosoph Alain Badiou schreibt über die jüngere französische Philosophie, Greil Marcus über David Lynch und Wolfgang Storch über Heiner Müllers "Todesanzeige".

Kommune (Deutschland), 01.12.2005

Einen sehr profunden Rückblick auf die polnische Politik der vergangenen Jahre gibt Karol Sauerland, der auch abzuschätzen versucht, wie sich Warschaus derzeitiges Führungsduo, die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski von der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) da einordnen werden: "Da die Kaczynskis einen starken Staat schaffen wollen, werden sie, sollte dies gelingen, über zahlreiche Möglichkeiten verfügen, Privilegien zu vergeben. Viele Soziologen meinen allerdings, dass es relativ schnell zu Protestaktionen kommen wird, denn die Mehrzahl der PiS-Wähler stammt aus sozial schwachen Schichten, die an Reformen nicht interessiert sind, sondern eine schnelle Hilfe von Seiten des Staates erwarten. Doch diese wird nicht kommen, denn woher sollen die Kaczynskis das Geld nehmen? Der Ruf nach Abrechnung mit den korrupten Beamten und dem Leitungspersonal in staatlichen sowie quasistaatlichen Betrieben wird bald abebben, denn der Normalbürger wird dadurch nicht reicher. Außerdem darf man nicht unterschätzen, dass die Korruption eine allgemeine ist. Es wird der Augenblick kommen, in dem auch der Mann von der Straße erfasst wird, der sich das aber nicht gewünscht hat."

Weiteres: Peter Schyga fragt, was am Linksnationalismus eines Oskar Lafontaines eigentlich links sein soll beziehungsweise erträglich. Und Michael Jäger erklärt, warum der Neoliberalismus vorkantisch ist.
Archiv: Kommune

Nepszabadsag (Ungarn), 19.12.2005

Dass Frauen Bücher schreiben, ist neu in Ungarn. Ist das überhaupt Literatur? Kann man darüber sprechen? "Die Literaturszene ist ein geschlossener Kreis von Autoritäten und Eingeweihten. Immer mehr Autorinnen trauen sich in die Öffentlichkeit, aber sie müssen sich ständig rechtfertigen. Die freundlichen, uns lesenden und verstehenden Männer geraten in Verlegenheit, wenn sie auf dem Podium über weibliche Perspektiven reden sollen, obwohl wir nur etwas Neues zu den allgemeinen Kenntnissen über den Menschen hinzufügen möchten", sagt im Interview die junge Autorin Kriszta Bodis, Mitherausgeberin der ersten Anthologie von ungarischen Autorinnen über weibliche Sexualität. "Auch sie ist eine Form der Kommunikation, eine Gleichrangigkeit voraussetzende, gegenseitig gestaltete Interaktion zwischen zwei Menschen. In der ungarischen Literatur haben bislang nur Männer darüber geschrieben."
Archiv: Nepszabadsag

Nouvel Observateur (Frankreich), 19.12.2005

Unter der Überschrift "Republik verzweifelt gesucht" diskutieren Regis Debray (mehr) und der Philosoph Marcel Gauchet über den Glauben an die Politik, Multikulturalismus und die Krise der französischen Nation. Im Gegensatz zu Debray, der eine "bürgerliche Religion", propagiert, glaubt Gauchet, Autor des Buchs "Desenchantement du monde" (Auszug) nicht daran, dass es eine solche überhaupt geben kann. "Ich wüsste nicht, wo man die finden sollte. Denn nach meiner Ansicht ist die Möglichkeit eines zivilen Glaubens selbst mit der Quelle, aus dem er sich nähren müsste, verschwunden. Zunächst hat er seine Haupttriebfeder verloren: den Konflikt mit den bestehenden Religionen - die katholische Kirche gegen die französische Republik. Die Republik setzte der Autorität der Kirche die Idee der Freiheit entgegen und lieh sich dabei gewissermaßen deren sakrale Energie. Die republikanische Idee hatte in Frankreich die Funktion einer machtvollen zivilen Religion. Das ist nicht mehr der Fall." Und zum Konzept des Multikulturalismus meint Debray: "Ob es einem nun passt oder nicht, unterschiedliche Identitäten sind eine Tatsache. Der abstrakte Universalismus, der die Menschen ohne Eigenschaften und Geschichte definiert, die Augen vor Identitäten verschließt und beispielsweise die koloniale Frage verleugnet, war niemals existenzfähig."

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit Luc Besson über seinen neuen Film "Angel-A".

Weltwoche (Schweiz), 15.12.2005

"Machen wir es kurz. Gott sitzt in den Schläfenlappen." Durch Magnetfelder können religiöse Visionen hervorgerufen werden, berichtet Felix Hasler, und hat ein originelles Weihnachtsgeschenk gefunden. "Das Topmodell von Shakti Spiritual Technology kostet 220 Dollar, läuft unter Windows und benutzt die Soundkarte des Computers zur Erzeugung der Magnetfelder für die spirituelle Schläfenlappen-Massage. Soll gemäss Website 'Außerkörpererfahrungen, Klarträume, Telepathie und Glückszustände' bewirken und auch die Meditation vereinfachen. Wäre es nicht denkbar, dass die neue Technologie dereinst den Kern einer modernen Religion des 21. Jahrhunderts bilden könnte? Das ultimative Wir-Gefühl in der global vernetzten Kirchengemeinde durch kollektives Zappen der Schläfenlappen?"

Weitere Artikel: In einem Essay empfiehlt der Bildungsexperte Christian Aeberli den Schweizern, sich dem internationalen Wettbewerb der Hochschulen zu stellen. Nur im Print: ein Artikel über Wikipedia und einer über Roman Polanskis neuen Film "Oliver Twist".
Archiv: Weltwoche

Babelia (Spanien), 17.12.2005

Geradezu gegen den Trend ist die spanische Tageszeitung El Pais endlich auf den Trichter gekommen und bietet ihren Inhalt (wieder - wie einst zu Beginn ihrer Online-Ausgabe) gebührenfrei im Internet an. In der aktuellen Ausgabe ihrer Wochenendbeilage Babelia findet sich ein sarkastischer Beitrag von Luis Goytisolo über den Nutzwert des Romans. Der spanische Romancier diagnostiziert einen Trend, der Bücher immer wichtiger, ihre Lektüre dagegen immer unnötiger macht: "Inzwischen wissen wir, welche Möglichkeiten in einem Meisterwerk der Literatur stecken; man muss sie nur zu nutzen wissen. Es gilt, sie in ein gesellschaftliches Ereignis zu verwandeln, und sie produzieren eine umfängliche 'Nachkommenschaft' - das beste Beispiel hierfür ist das aktuelle Don Quijote-Jahr: Das ökonomische Potential der touristischen und gastronomischen Vermarktung des Romans überstieg das der Neuausgaben um ein Vielfaches. In anderen Ländern ist man längst weiter, feiert den "Bloomsday" oder bietet eine Paris-Tour auf den Spuren des Da Vinci-Codes an und hat das Geschäft auf den Bereich von Mode, Design und Kosmetik ausgeweitet."
Archiv: Babelia

Guardian (UK), 17.12.2005

Wenn Hamlet und Don Quijote für Europa stehen, wer steht dann für Amerika, fragt der Literaturkritiker Harold Bloom. Recht zerknirscht über den Weg, den das Land unter George W. Bush eingeschlagen hat, antwortet er: Kapitän Ahab. "Ahab führt sich selbst und seine Mannschaft (außer Ismael) in eine triumphale Katastrophe, während Moby Dick fortschwimmt, unverwüstlich wie der Leviathan im Buch Hiob. Das Motiv des besessenen Kapitäns ist angeblich Rache, da ihn der weiße Wal verstümmelt hat, aber sein tieferes Verlangen ist, dem Universum die Maske zu entreißen, um zu beweisen, dass die sichtbare Welt vielleicht aus Liebe geformt sein mag, die unsichtbare aber aus Furcht. Auf Gottes rhetorische Frage an Hiob 'Kannst Du den Leviathan mit der Angel fangen?' antwortet Ahab: 'Ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt!' Die treibende Kraft der Bush-Blairianer ist Gier, aber der Unterton ihres Irak-Abenteuers liegt näher bei Jakobus' Pyromanie. Unsere Führer, und Eure, sind Feuerteufel."

Salman Rushdie preist den italienischen Künstler Francesco Clemente, dessen neueste Bilder in Londons Gagosian Gallery zu sehen sind. Mit seinem "spirituellen Zynismus" und seiner "erotischen Keuschheit" beweist er Rushdie einmal mehr, wie eng verwandt Inder und Italiener sind: "Wenn wir Inder Italiener sehen, glauben wir manchmal, in einen Spiegel zu blicken. Wir erkennen etwas wieder, vielleicht das Gestikulieren, oder die Schlagfertigkeit, die Liebe zu Mamma, die Poesie, den Geschmack des Essens, die Tonlage, das Kastensystem, die Vehemenz, das schnelle Temperament. Und wir glauben, einige Inder glauben, dass wir, wenn wir nur Wein tränken, diese Leute wären. Dass vielleicht Italiener einfach nur weintrinkende Inder sind."

Weiteres: Rick Moody feiert Ang Lees schwulen Western "Brokeback Mountain" als große amerikanische Liebesgeschichte. Michael Moorcock lobt Geoffrey Roberstons Biografie des Anwalts John Cooke, der nach dem Englischen Bürgerkrieg Charles I. der Tyrannei anklagte. Und Simon Callow trauert dem viktorianischen Schauspieler Sir Henry Irving nach, dessen Größe Jeffrey Richards noch einmal in seiner Biografie besingt.
Archiv: Guardian

HVG (Ungarn), 15.12.2005

In Budapest wurde nach umfangreicher Sanierung das berühmte Rudas wiedereröffnet, eines der vielen während der osmanischen Besatzungszeit im 16. und 17. Jahrhundert gebauten türkischen Bäder. Dora Sindelyes vergleicht Hygiene und Körperpflege der muslimischen und christlichen Stadtbewohner in jener Zeit: "Da Allah Gesundheit und Schönheit für sehr wichtig hält, wurde zuerst im heißen Dampf geschwitzt, dann der ganze Körper von Dienern trocken gerieben, zuletzt die Haut in Wechselbädern gestrafft. Abschließend wurden die Männer rasiert, die Frauen enthaart. Die Reinigung der Seele setzt die Reinigung des Körpers voraus, sagt der Prophet." Die Ungarn waren damals wesentlich schmutziger: "Nur der sichtbare Schmutz sollte entfernt werden", da "die christliche Tradition in erster Linie die Ästhetik der Seele, aber nicht die des Körpers propagierte."
Archiv: HVG

Gazeta Wyborcza (Polen), 17.12.2005

Die Literaturkritikerin und führende Feministin Polens, Kinga Dunin (mehr), überlegt, was es bedeutet, dass schwul-lesbische Literatur - vor allem Michal Witkowskis lautes Buch "Lubiewo" (ein Fragment hier) - in Polen gerade in Mode kommt. Witkowskis Helden sind Tunten, die ihre sexuellen Bedürfnisse in Hinterhöfen und öffentlichen Toiletten befriedigen. Für Dunin eine passende Metapher für die Analyse der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Andersartigkeit: "In gewissem Sinne blieb das Coming Out noch aus, und die Schwulen und Lesben stecken weiterhin in dieser Toilette - nur ist sie jetzt größer, besser ausgestattet und liberaler. Mann kann dort Menschen mit verschiedenen Präferenzen begegnen und eine nette Zeit miteinander verbringen. Die Passanten schauen kurz durchs Fenster, immer noch etwas verwundert, dafür schmeißen sie nur noch selten mit Steinen." Das Interesse an schwul-lesbischen Themen und die Mode für solche Literatur zeuge also von einer gewissen Akzeptanz, was eine positive Tendenz darstellt, so Dunin.

Bibliothekare gehören zur bedrohten Spezies auf Kuba, berichtet die Publizistin Anna Bikont. Es geht vor allem um unabhängige Bibliotheken, die zum Beispiel Werke osteuropäischer Dissidenten wie Vaclav Havel oder Adam Michnik aber auch "Harry Potter" in Umlauf bringen. "Seit Castro verkündet hat, dass es auf Kuba keine verbotenen Bücher gibt, sondern nur zu wenig Geld, um sie zu kaufen, organisieren die Kubaner eigene Büchersammlungen - mit Unterstützung der Kubaner in Miami und vieler europäischer Institutionen. Viele Bücherspenden werden schon unterwegs 'verhaftet', die Polizei drangsaliert die Empfänger. Von den 75 Oppositionellen, die Castro im Frühjahr 2003 verhaften ließ, waren 16 Besitzer privater unabhängiger Bibliotheken." Auch die polnische Reporterin und ihre italienische Kollegin wurde beim Schreiben des Artikels verhaftet und ausgewiesen.
Archiv: Gazeta Wyborcza

New Yorker (USA), 26.12.2005

Der New Yorker bringt eine literarische Ausgabe, die randvoll ist mit interessanten Texten. Und weil bald Weihnachten ist, dürfen wir fast alle online lesen!

Abgedruckt sind Texte von Autoren wie Tatjana Tolstaja ("Yorick") Vladimir Nabokov ("The Word"), Roberto Bolano ("Last Evenings on Earth"), Yoko Ogawa ("Pregnancy Diary"), Tahar Ben Jelloun ("Beauty Is a Fate Better Than Death") und Ismail Kadare ("The Albanian Writers' Union as Mirrored by a Woman").

Weitere Artikel: Paul Goldberger beschreibt die neue Architektur von Schanghai. Laura Miller porträtiert den Kinderbuchautor Philip Pullman: "Unter der Überschrift 'Dies ist der gefährlichste Autor Großbritanniens' erklärte Peter Hitchens, ein konservativer britischer Kolumnist, Pullmann zu dem Schriftsteller, 'um den Atheisten gebetet hätten, wenn sie beten würden'."

Jeffrey Frank zeichnet anlässlich einiger Neuübersetzungen ein großes Porträt von Knut Hamsun. Louis Menand stellt James Englishs Buch "The Economy of Prestige" vor, eine Studie über die historische und soziale Bedeutung von Kulturpreisen! Alex Ross resümiert die letzte Saison der Met unter der Leitung von Joseph Volpe. Und Anthony Lane sah im Kino Stephen Spielbergs "Munich", Michael Hanekes "Cache" und Terence Malicks "The New World".
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 22.12.2005

Von wegen Fortschritt! Die Geschichte hat schon seit längerem den Rückwärtsgang eingelegt, wie Umberto Eco in seiner Kolumne "Bustina di Minerva" schreibt. "Nach fünfzig Jahren Kalter Krieg erlebten wir mit Afghanistan und dem Irak die triumphale Rückkehr des tatsächlich geführten oder heißen Kriegs, die Erinnerungen an die denkwürdigen Attacken der 'listigen Afghanen' des 18. Jahrhunderts am Chaiber Pass (Wikipedia) wachrufen; wir beobachteten eine Neuauflage des Kreuzzugs mit dem Zusammenstoß von Islam und Christentum, die Selbstmordassassinen des Alten vom Berge (Wikipedia) und die Heldentaten von Lepanto (Wikipedia) inbegriffen."
Archiv: Espresso

Economist (UK), 16.12.2005

Weg vom Macho-Soldatentum, hin zum differenzierten Krisen-Management: Die US-Armee denkt langsam um und nimmt sich die Briten dabei zum Vorbild, berichtet der Economist mit einiger Belustigung - sowie lesbarer Genugtuung. Zu beobachten sei dieses Umdenken vor allem in militärischen Trainingscamps wie Fort Polk, das ein fiktives Afghanistan nebst Zivilbevölkerung zu Übungszwecken eingerichtet hat: "Glaubt man dem Brigadegeneral und Leiter von Fort Polk , Michael Barbero, dann 'wird hart daran gearbeitet, Graustufen anzuerziehen, den Befehlshabern beizubringen, nicht bloß Türen einzutreten, sondern sich unters Volk zu mischen und Informationen zu sammeln."

Der Economist hat Marin Alsop getroffen, die neue Dirigentin des Baltimore Symphony Orchestra, und weiß seitdem, warum die weibliche Dirigententätigkeit einem Spießrutenlauf gleicht: " 'Man braucht klare Linien und muss Abstand nehmen vom Filigranen', sagt Alsop. 'Einen aggressiven Mann wird man schlicht als aggressiven Mann sehen, aber eine aggressive Frau kann leicht mit gehässigeren Bezeichnungen bedacht werden. Umgekehrt, erklärt sie und dreht ihre Handflächen nach oben, 'lassen manche Gesten einen männlichen Dirigenten sensibel, eine Frau aber schwach aussehen.'"

Außerdem zu lesen: Warum die britischen Bobbies lieber auf ihre jüngst erlangten Befugnisse verzichten würden, und warum es kein Skandal - sondern rechtmäßiger Schutz von geistigem Eigentum - wäre, sollte die drahtlose Telekommunikations-Technologie BlackBerry vom Netz genommen werden. Großes Lob geht an Edward Castronovas glanzvolles Handbuch über Online-Spiele und deren neue, synthetische Welten ("Synthetic Worlds: The Business and Culture of Online Games"). Außerdem lesen wir einen Nachruf auf einen "Thomas von Aquin im Anzug", den Politiker Eugene McCarthy.
Archiv: Economist

New York Times (USA), 18.12.2005

Eine neue Generation von Exil-Tibetanern will nicht mehr nur friedlich gegen die chinesischen Besatzer protestieren, berichtet der Autor Pankaj Mishra in der Titelreportage des New York Times Magazine. "Viele junge Tibetaner sprechen voller Bewunderung von den Khampa-Kriegern des östlichen Tibet, die 1950 gegen die chinesische Invasionsarmee kämpften und 1959 den blutigen Aufstand gegen die chinesische Herrschaft initiierten, der den Dalai Lama schließlich dazu zwang, zwischen einer unterwürfigen Rolle in Tibet und dem Exil in Indien zu wählen. Ein Bericht über die Khampas, der 1987 von dem bekannten tibetanischen Romancier Jamyang Norbu veröffentlicht wurde, veranlasste viele junge Tibetaner, gewalttätigere Lösungen für ihr Problem in Betracht zu ziehen. Oder wie es Norbu, der in den USA lebt, einem Regisseur erzählte, der 1997 einen Dokumentarfilm für PBS produzierte: 'Manche Leute wollen nicht erleuchtet werden, zumindest nicht sofort.'"

Weitere Artikel: Jody Rosen porträtiert Chip Davis und seine Band Mannheim Steamroller, die sich auf Weihnachtslieder spezialisiert und damit immerhin 27 Millionen Alben verkauft haben. Matt Bai fordert eine Neuverteilung der sozialen Aufgaben von Staat und Unternehmen - ersterer soll die Gesundheitsversorgung übernehmen, letztere die Kinderbetreuung. Peter Maass erinnert an die Umweltschäden, die die Ölforderung vor allem außerhalb der USA verursacht. Jesse Green stellt die Eiskunstläuferin Emily Hughes vor, die eine Familientradition fortführt.

Die Book Review: Differenziert, zum Glück nicht hitler-fixiert und wahrheitsgetreu findet Brian Ladd die Geschichte des Dritten Reichs von Richard Evans, deren zweiter Teil "The Third Reich in Power 1933-1939" jetzt erschienen ist. Spannender sei aber immer noch William Shirers epischer Klassiker "Rise and Fall of the Third Reich". Die wirklich großen Erfindungen wurden nicht von berühmten Persönlichkeiten, sondern von unbekannten Arbeitern gemacht, behauptet Clifford Conner in seiner "People's History of Science". Das stimmt nur bis zum Beginn der Neuzeit, widerspricht Jonathan Weiner, den außerdem der penetrant klassenkämpferische Stil Connors Buchs stört. John Horgan hält Chris Mooneys Buch über die Gängelung der Wissenschaft durch die republikanische Regierung "The Republican War on Science" für eine einseitige, aber "grundsätzlich richtige" Schmährede.

Pamela Paul schreibt über die neue basisdemokratische Form der Rezension, die Bücherblogs. Hier eine Liste der meistgebloggten Bücher 2005.
Archiv: New York Times