Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.01.2006. In Clarin schildert John Berger die stumme Botschaft israelischer Siedlungen in Palästina. Im Guardian will Pankaj Mishra nichts mehr hören von Schriftstellern in Hotels. Im Nouvel Obs spricht Michel Rocard als wohl einziger Franzose schlecht über Mitterand. Magyar Hirlap ärgert sich über ein Online-Spiel zum ungarischen Aufstand von 1956. Folio macht Statistik lebendig. Outlook India beschreibt den neuesten Schrei von Fitness mit Weisheits-Aura. Der New Yorker hat 2005 wenigstens einen guten Film gesehen: Fatih Akins "Gegen die Wand". Und die New York Times untersucht "the hottest thing on earth" - die Maler der Leipziger Schule.

Clarin (Argentinien), 08.01.2006

Ein Jahr nach dem Tod Jassir Arafats hat der Schriftsteller John Berger erneut die Palästinensergebiete besucht. Im Vergleich zu seinem im August 2003 in Le Monde Diplomatique veröffentlichten Reisebericht scheint sich gespenstisch wenig geändert zu haben. In der Beilage der argentinischen Zeitung Clarin schreibt er: "Die Siedlungen wachsen, neue werden errichtet. Zwei kürzlich fertig gestellte Siedlungen: Identisch, kompakt, städtisch (die Siedler fahren jeden Tag zur Arbeit nach Israel), unerreichbar. Keine Dörfer, eher eine Art riesiger Jeeps, groß genug für gut zweihundert bewaffnete Siedler. Beide illegal errichtet, beide auf Hügeln, beide mit Wachtürmen, schlank wie Minarette. Deren stumme Botschaft an die Umgebung lautet: 'Die Hände über den Kopf; über den Kopf, habe ich gesagt; und jetzt langsam zurückgehen.' Der tiefe Graben zwischen dem, was als politische Prinzipien bezeichnet wird, und der 'Realpolitik' ist womöglich eine historische Konstante. Häufig sind die entsprechenden Erklärungen hochtrabend und bombastisch. Hier geschieht das genaue Gegenteil. Die Worte sind viel harmloser als die Tatsachen."
Archiv: Clarin

Guardian (UK), 07.01.2006

Mit Erleichterung bemerkt der indisch-britische Schriftsteller Pankaj Mishra, dass sich Autoren heutzutage keine längere Hotelaufenthalte mehr leisten können: "Es ist schwer, an gewisse Schriftsteller zu denken - Noel Coward, Somerset Maugham -, ohne zugleich Zimmerservice und Cocktailstunden im Kopf zu haben. Ihr spröder Zynismus gegenüber der menschlichen Natur konnte nur in der Anonymität und Einsamkeit eines Hotelzimmers entstehen. Das Posenhafte und die Leere des späten Hemingway mag etwas mit seinen längeren Abstechern zur Bar des Gritti Hotels in Venedig zu tun haben. Nabokovs bereits gut entwickeltes Ego scheint sich in der Isolation seines Schweizer Hotel noch ausgeweitet haben, die Folge: die unlesbare 'Ada'. Naipauls sinnlose Kämpfe mit dem Personal in seinem Hotel in Srinagar dürfte auch zur Freudlosigkeit seines Mr. Stone beigetragen haben."

Weiteres: Zum 250. Geburtstag von Mozart erzählt Anthony Holden die wechselvolle Geschichte seines Librettisten Lorenzo da Ponte, die ihn zum Dichter, katholischen Priester, zu einem Frauenheld, einem Kolonialwarenhändler und schließlich zum amerikanischen Professor machte. Zu lesen ist ein weiterer Auszug aus John Fowles' Tagebüchern. Besprochen werden unter anderem Helen Simpsons zunehmend düstere Kurzgeschichten und Keith Sagars Geschichte der naturfeindlichen Literatur "Literature and the Crime Against Nature".
Archiv: Guardian

Nouvel Observateur (Frankreich), 05.01.2006

Zehn Jahre nach dem Tod Francois Mitterrands zeigt sich, dass die morbide Faszination der Franzosen für den korruptesten ihrer Chefs seit Napoleon III. ungebrochen ist. Alle Magazine sind voll mit pittoresken Details aus dem Privatleben und Hymnen auf seine historische Größe. Einen tiefen Blick in das französische Seelenleben erlaubt im Nouvel Obs ein Gespräch zwischen Jacques Attali, einem der brillantesten Höflinge und Berater Mitterrands, und dem ehemaligen Premierminister Michel Rocard, der dank seiner Ehrlichkeit zu einem der ersten Opfer des Präsidenten wurde. Er erinnert an eines der zynischen Kabinettstücke Mitterrands im Jahr 1985, die Einführung des proportionalen Wahlrechts (das dann bald wieder abgeschafft wurde), um dem Front National den Einzug ins Parlament zu verschaffen und damit die Rechte zu spalten: "Die Konsequenzen waren in meinen Augen untragbar. Die Linke und Mitterrand öffneten dem Front National alle Schleusen und lösten das Gebrüll einer zweigespaltenen Rechten aus. Das war ein widerliches Kalkül. Ich bleibe bei meinem Standpunkt. Ich halte es nach wie vor für meine Ehrentat, mich dieser Entscheidung widersetzt zu haben und zurückgetreten zu sein."

Magyar Hirlap (Ungarn), 04.01.2006

Kolumnistin Julianna R. Szekely kritisiert den Onlinewettbewerb "Freedom Fighter", den das Ungarische Bildungsministerium anlässlich des 50. Jahrestags des 1956er Aufstands für Schüler ausgeschrieben hat: "Das Ziel ist, dass die Kinder nicht mehr als globaler Terminator im virtuellen Raum um sich schießen, sondern sich mit den Budapester Jungs identifizieren, die mit virtuellen Benzinflaschen die virtuellen sowjetischen Panzer vernichten. ? So werden die Kinder ein Verhältnis zu dem Aufstand entwickeln, das unter ihren Eltern bereits verbreitet ist: Unklarheit, Unwissenheit, Schwarz-Weiß-Malerei und die daraus resultierende Langeweile. Wie man sieht, kann sogar unsere Geschichte in der Diktatur und die Heldenhaftigkeit des Aufstandes gegen das riesige Reich zu einem Klischee reduziert werden."
Archiv: Magyar Hirlap
Stichwörter: Langeweile, Terminator

Espresso (Italien), 12.01.2006

Der marokkanische Autor Tahar Ben Jelloun würde Saddam Hussein gerne in Den Haag vor Gericht sehen. Jetzt bleibe die Verhandlung eine irakische Angelegenheit. "Dieser Prozess sollte ein Beispiel für die gesamte Welt sein: er könnte daran erinnern, dass niemand straffrei bleibt, dass jegliches Verbrechen, das bekannt wird, verfolgt werden kann. Einige Staatschefs verfolgen diesen Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit und einigen Bedenken, weil sie wissen, dass sie früher oder später selbst zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Der Prozess gegen Saddam sollte keine lokale Sache sein, die sich auf den Irak beschränkt: er sollte vielmehr den Beginn der Moralisierung der Politik in der arabischen Welt markieren."

Im Gesellschaftsteil gibt Monica Maggi die Sorgen der italienischen Pornoindustrie weiter, die befürchtet, dass durch die von der Regierung geplante Sondersteuer noch mehr Arbeitsplätze als bisher in das liberalere Osteuropa verlegt werden könnten.
Archiv: Espresso

Rivista dei Libri (Italien), 01.01.2006

Roberto Satolli zerpflückt anhand einiger Neuerscheinungen den medizinisch-industriellen Komplex und das Geschäft mit der Gesundheit, das nicht unbedingt auf Heilung, sondern auf die Erfindung und Erhaltung neuer Krankheiten ausgerichtet sei. Nicht nur wegen ihrer Größe seien Megakonzerne wie Pfizer (50 Millarden Umsatz) nicht mehr zu kontrollieren. "Alle Akteure in diesem Spiel haben gleichgerichtete Interessen: die Ärzte, die ihre Patientenzahlen und damit ihr Einkommen, ihre Reputation oder ihren Einfluss steigern können; die Betreiber von Krankenhäusern, die mehr Fördergelder erhalten und mehr Leistungen anbieten können; die Hersteller von Diagnoseapparaten und Tests; die Produzenten von Verbrauchsmaterial und Prothesen; und nicht zuletzt die Pharmakonzerne, die der eigentliche Motor dieses ganzen Prozesses sind."
Stichwörter: Krankenhaus, Libri

Folio (Schweiz), 03.01.2006

Wunderbares Heft! Handelt von Statistik. Anja Jardine porträtiert den in Stanford lehrenden Statistiker Persi Diaconis, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Diaconis' Karriere begann im Alter von 14 Jahren, da haute er von zuhause ab, um mit dem berühmten Zauberer Dai Vernon durchs Land zu ziehen. Mit 24 entschied er, dass die Beherrschung gezinkter Würfel und Karten ohne Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht wirklich möglich ist, und belegte einen Abendkurs in Mathematik. "Zwei Jahre später bewarb er sich unerschrocken in Harvard und wurde dank dem Referenzschreiben eines Kolumnisten des Scientific American an der Eliteuniversität aufgenommen. Der Kolumnist hatte zwei von Diaconis erfundene Kartentricks zu den zehn besten der Welt gezählt. Weitere drei Jahre später machte Diaconis seinen Doktor in Statistik und wurde Mitglied der Statistischen Fakultät von Stanford." Dort hat er dann herausgefunden, "wie viele Mischvorgänge beim sogenannten Riffle-Shuffle, der gängigsten Mischmethode, nötig sind, bis die Reihenfolge der Karten wirklich zufällig ist", wozu er sich in nichtkommutative Geometrie versenken musste.

Der Sportreporter und Spieler Todd Kobrin erklärt im Interview, warum Statistiken im Basketball als nützlich gelten: "Einer der besten Center aller Zeiten, Shaquille O'Neal, war einer der schlechtesten Werfer aller Zeiten von der Freiwurflinie aus. Jahrelang hat 'Shaq' mit Psychologen an seinem Freiwurf gearbeitet, ohne die Statistik verbessern zu können. Die statistisch belegbare Nervenschwäche O'Neals machten sich wiederum die Trainer der gegnerischen Mannschaften zunutze. In den letzten Sekunden eines Spiels wurde immer O'Neal gefoult, im Wissen, dass er nur jeden zweiten Freiwurf verwandeln würde." Im Fußball interessiert man sie dagegen nicht für Statistiken. "Fußball ist geprägt von archetypischen Interpretationen wie Führungsanspruch, Kampfgeist, Torriecher - ich würde gern die Zahlen hinter den Floskeln sehen."

Weitere Artikel: Ulrich Schnabel stellt den bestgehassten (und wahrscheinlich bestaussehenden) Statistiker der Welt vor: Björn Lomborg. Reto U. Schneider bezweifelt die Aussagekraft von Umfragen, weil sogar in der NZZ-Leserbefragung einige nachweislich gelogen haben. Er stellt auch das kuriose Benford-Gesetz vor, das "Rätsel der abgegriffenen Seiten". Robert Matthews hält medizinische Studien für wenig objektiv - sie sind einfach zu oft manipuliert. Und Martin Lindner besucht Eurostat, eine der größten Behörden in Brüssel.

In einer köstlichen Duftnote vermutet Luca Turin, auch bei klassischen Düften gebe es, wie bei der Mozartschen Musik, einen Hang zur Quinte. "Letztens ließ ich eine Computertomografie meines Gehirns machen, die keine größere Unregelmäßigkeit zutage förderte, trotzdem bin ich seit je der Überzeugung, dass Mozarts leichtere Stücke fruchtig sind und dass umgekehrt Obst, besonders Fruchtsalat, einen wesentlich mozartischen Geruch hat. Dafür gibt es einen plausiblen Grund: Die Frequenzen von Estern und Lactonen, den beiden Molekülstrukturen, die für 90 Prozent der fruchtigen Gerüche verantwortlich sind, stehen beinahe im Verhältnis einer reinen Quinte."
Archiv: Folio

Outlook India (Indien), 16.01.2006

Sandalwood Simhasana stellt das kleine indische Örtchen Mysore vor, das sich zu einer wahren Yoga-Pilgerstätte für Begeisterte aus aller Welt gemausert hat und geschickt auf der "zweiten Welle einer westlichen Anwandlung, den Orient zu verstehen" schwimmt, bei der allerdings mehr der Körper als der Geist im Mittelpunkt steht. Das sind dann oftmals geradezu nach Fitness, wenn auch mit Weisheits-Aura, aus: "Drei Frauen aus drei Kontinenten sitzen auf einer Bank vor einem Haus hier in Kuvempunagar und essen ihren Frühstücks-Snack aus gestoßenem Reis (poha), über den kunstvoll fein gehackter Koriander gestreut ist. Falls Sie denken, dass poha für diese Frauen lediglich Frühstücksessen ist, dann täuschen Sie sich: Es symbolisiert die Leichtigkeit des Seins. Jede der Frauen balanciert eine zarte grüne Kokosnuss auf ihren Knien - ein neuer Ersatz für Mineralwasser. Die schwache Morgensonne wirft einen Glanz auf ihre leicht schwitzende Haut - der Glanz des Wohlbefindens, den das Yoga ihnen schenkt. Und wenn Lara, Kyra und Cassandra sprechen, runden sich ihre Lippen automatisch, als wäre jede Silbe ein 'Om'."
Archiv: Outlook India
Stichwörter: Tausch, Orient, Yoga, Schwimmen

New Yorker (USA), 16.01.2006

Hendrik Hertzberg fragt sich in einem Kommentar zur Affäre um den amerikanischen Lobbyisten Jack Abramoff (mehr), was genau diese eigentlich zum "größten Korruptionsskandal seit Generationen" in den USA macht. Auch wenn zahlreiche Kommentatoren behaupteten, Abramoff habe sein Geld "gleichberechtigt" auf die beiden großen politischen Parteien verteilt, rechnet Hertzberg vor, dass der Skandal "so republikanisch ist wie die Privatisierung der Sozialsystems". Laut einer Definition des Politjournalisten Michael Kinsley, wonach ein "Skandal nicht darin besteht, was illegal, sondern was legal ist", sei die Abramoff-Affäre allerdings "weder ein rein republikanischer noch ein Zweiparteienskandal. Sie ist schlicht der gegenwärtig am deutlichsten sichtbare Auswuchs eines wahrhaft nationalen Skandals: die beängstigende Dominanz von privatem Geld über das öffentliche Interesse."

In einem Resümee des vergangenen Kinojahres erinnert Anthony Lane an einen Film von John Carpenter, "Assault on Precinct 13" (1976), der mit folgendem Dialog zwischen einem Cop und seinem Gefangenen endete: "You're pretty fancy, Wilson." "I have moments." Daran gemessen waren das amerikanische Kinojahr 2005 komplett uncool, klagt Lane. Und was hat ihm gefallen, na? "Der Film, der mich am stärksten beeindruckt hat, war eine deutsch-türkische Produktion, 'Gegen die Wand'."

Weiteres: Stephen Hapin stellt zwei Veröffentlichungen vor, die sich mit dem Problem der Fettleibigkeit beschäftigen. In "The Hungry Years: Confessions of a Food Addict" (Gotham) beschreibt der britische Journalist William Leith die Geschichte seines Abspeckens und in "Fat Politics: The Real Story Behind America?s Obesity Epidemic" (Oxford) polemisiert der Politikwissenschaftler J. Eric Oliver gegen den "behaupteten Zusammenhang" zwischen Übergewicht und Krankheiten. Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem dem neuen Buch von Paul Auster "The Brooklyn Follies" (Henry Holt). Sasha Frere-Jones stellt das neue Album von Neil Diamond "12 Songs" vor. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Three Days" von Samantha Hunt.

Nur in der Printausgabe: Geschichten über Grabsteine und Thaiboxen sowie Lyrik von Linda Gregg, Robert Pinsky und Robin Robertson.
Archiv: New Yorker

Spectator (UK), 09.01.2006

Warum gehen die Amerikaner - vor allem die Erwachsenen - immer seltener ins Kino? Weil die Hollywoodfilme immer unrealistischer werden, glaubt James Bowman. Seit dem "Weißen Hai" und "Star Wars" wollten Filme nicht mehr dem Leben gleichen, sondern anderen Filmen. Und dann die politische Korrektheit! Zumindest bis "True Lies" (1994) sei es möglich gewesen, arabische Terroristen als Verrückte zu zeigen. Nach dem 11. September nicht mehr, klagt Bowman. Völlig außer Mode gekommen seien auch "normale" Leute, wie sie zum Beispiel 1968 Henry Fonda, Lucille Ball und ihre 18 Kinder in "Yours, Mine and Ours" verkörperten. Das Remake des Films mit Dennis Quaid und Rene Russo "verwandelt Papa von einem bescheidenen Unteroffizier bei der Navy in den Kommandanten der Küstenwache - ein Mann, der seinen Kindern Teamwork beibringt, indem er sie auf seiner Segelyacht arbeiten lässt! Mama wiederum ist nicht mehr Krankenschwester bei der Navy, sondern eine Designerin von Luxus-Handtaschen, die kurz vor ihrem Durchbruch steht. Wie die Mutter in 'Im Dutzend billiger' darf sie Karriere machen, während vom Vater erwartet wird, seine aufzugeben, damit er sich um die Kinder kümmern kann. In der wirklichen Welt dürfte das nicht sehr oft passieren - nicht mal in Hollywood", meint Bowman.

Paul Robinson findet Russlands Vorgehen im Streit mit der Ukraine um den Gaspreis aus der Perspektive eines Marktwirtschaftlers und Umweltschützers absolut richtig: "Die Ukraine ist nicht der sechstgrößte Verbraucher von Erdgas, weil ihre Industrie soviel davon braucht, sondern weil die subventionierten Preise jegliches Energiesparen unerheblich gemacht haben. Mehr für Energie zu zahlen, kann hier von Vorteil sein."
Archiv: Spectator

Foreign Policy (USA), 02.01.2006

David Morton porträtiert die National Rifle Association als globale Organisation, die die Interessen der Waffenindustrie nun in globalem Maßstab vertritt - dank einer verfänglichen Botschaft. "Die unerwartete Ablehnung des geplanten Waffenverbots im vergangenen Oktober in Brasilien lässt vermuten, dass das 'Recht Waffen zu besitzen und zu tragen', wenn es richtig verpackt wird, Menschen mit sehr verschiedenen Hintergründen, Erfahrungen und Kulturen anspricht, selbst wenn diese Kultur historisch gesehen Waffen eher ablehnt. Tatsächlich könnte der zweite Verfassungszusatz ein leichter zu exportierendes Gut sein, als Anhänger der Reglementierung von Waffen wahrhaben wollen, besonders in Ländern, die noch vor relativ kurzer Zeit Diktaturen waren. Gekoppelt mit der öffentlichen Angst vor dem Verbrechen - ein großes Problem in den meisten Entwicklungsstaaten - ist die Botschaft ideal für ein Massenpublikum."

Archiv: Foreign Policy

New York Times (USA), 07.01.2006

Für das New York Times Magazine begibt sich Arthur Lubow nach Leipzig, um "the hottest thing on earth" zu studieren: die Maler der Leipziger Schule. Lubow trifft auch Gerd Harry Lybke, den Galeristen von Neo Rauch, der eigentlich Kosmonaut werden wollte und mit Kunst nur als Nacktmodell der Leipziger Akademie in Berührung kam. "Lybkes Karriere als Kunsthändler begann 1983, als er in seiner WG die einzige private Galerie in Leipzig eröffnete. 'Eigen + Art' war ein Spaß, kein Geschäft (jetzt schon). 'Ich habe die Galerie nackt eröffnet', erzählt Lybke. 'Ich hatte echte Dreadlocks, weil ich meine Haare nicht wusch, und drei Vogeleier im Haar. Nach dieser Eröffnung hatte ich mit einigen gutaussehenden Mädchen zu tun, und ich fragte mich 'Warum nicht noch einmal?'"

Weiteres: Jonathan Mahler erzählt die Geschichte von Salim Hamdan, der zu einem Erfolg oder Desaster des Anti-Terror-Feldzugs werden könnte, je nachdem, ob er Terrorist oder doch nur Osama bin Ladens Chauffeur ist. Noah Feldmann fordert den Kongress dazu auf, den Präsidenten zu kontrollieren.

Literatur, die das Internet schreibt: Die Sache mit Ana Marie Cox' erstem Roman "Dog Days" ist zwar zunächst verwirrend, aber sehr lohnend, verspricht Christopher Buckley in der Book Review. Ana Marie Cox (Kurzporträt) betreibt den politischen Klatschblog Wonkette ('Politik für Leute mit schmutzigen Gedanken'). Ihr größter Erfolg war 2004 die Identifizierung von Jessica Cutler, die ihre sexuellen Eskapaden in der politischen Welt Washingtons ebenfalls in einem Internet-Tagebuch (hier eine Replika) veröffentlicht hatte. In dem "flotten, schlauen, schmutzigen, informierten und sehr gut geschriebenen Roman wiederum lenkt nun die 28-jährige Protagonistin Melanie Thorton, Mitarbeiterin bei der Kampagne für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten, das Medieninteresse von den politischen Problemen ihres Kandiaten - und ihrem eigenen Liebeskummer - ab, indem sie einen fiktiven Blog entwirft, der angeblich von einer lokalen Freidenkerin geschrieben wird, die sich selbst Capitolette nennt. (Ja, das reimt sich auf Toilette.)" Es gibt sogar schon wieder eine Trittbrettfahrerin, die offensichtlich einen echten Blog unter dem Pseudonym aus dem Roman veröffentlichen wollte.

Liesl Schillinger möchte die boshaftesten Stellen in den drei (!) Bänden der gesammelten Rezensionen des New-York-Magazine-Kritikers John Simon am liebsten rot anstreichen, nur des grausamen Vergnügens wegen. Über Liza Minelli etwa lästerte Simon: "Ihre Nase ist immer auf halbem Weg, ein Rüssel zu werden, ihre Blubberlippen können der Gravitation nichts entgegensetzen und ihr Kinn versucht immer sein Äußerstes, sich in den Hals zurückzuziehen".

Weitere Besprechungen: Die Anthologie "Journalistas" mit Texten von Journalistinnen aus den vergangenen 100 Jahren hat den zunächst skeptischen Jill Abramson vollauf überzeugt, der die Stücke "wunderbar" und die Auswahl "hervorragend" findet. Tommie Shelbys "glänzende" Gedanken zur Identität und den Problemen der Schwarzen in den USA "we who are dark" übertreffen alles bisher dagewesene, schwärmt der Harvard-Soziologe Orlando Patterson. Mit gemischten Gefühlen dagegen begegnet Walter Kirn dem neuesten Streich von Paul Auster, "The Brooklyn Follies".

Rachel Donadio salutiert M. H. Abrams, der 1962 die ehrwürdige "Norton Anthology of English Literature" (mehr), den bekanntesten Kanon englischsprachiger Literatur, gegründet hat und nun die Geschäfte abgibt. Dazu gibt es zum Vergleichen die Inhaltsverzeichnisse der ersten (Teil 1 und 2) und der jüngsten Version (Teil 1 und 2) .
Archiv: New York Times