Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.02.2006. SpectatorWeltwoche, Il Foglio, Le point, Al Ahram, Nouvel Observateur, Outlook India, L'Espresso, Economist und Gazeta Wyborcza streiten über die Mohammed-Karikaturen. In The Nation fordert der Schriftsteller Walter Mosley die Afroamerikaner auf, eine eigene politische Partei zu gründen. Folio beobachtet Super-Nannys, Karriere-Coachs, Lifestyle-Experten - kurz: Berater. Elet es Irodalom berichtet vom inszenierten Sterben des Theatermachers Peter Halasz. Und die New York Times stellt einen Band mit den Reden Osama bin Ladens vor.

Spectator (UK), 11.02.2006

Die Debatte um die Karikaturen teilt die Redaktion des Spectator. Der Leitartikel verteidigt den Nichtabdruck der Zeichnungen und kritisiert lieber ausländische Medien. "Es wäre nett, wenn die deutschen und französischen Zeitungen, die die Karikaturen abgedruckt haben, dieses Recht ein bisschen mehr gegen ihre eigenen Regierungen und die EU einsetzen würden. Wo waren diese großen Verteidiger der Meinungsfreiheit in der französischen Presse, als bekannt wurde, dass Francois Mitterand bei weitem nicht der Resistanceheld war, wie er behauptete, sondern ein Apologet Vichys?"

Theodor Dalrymple ist da ganz anderer Meinung. "Die Reaktion Großbritanniens und der Vereinigten Staaten lehrt die muslimischen Extremisten, dass sie mit genug Brustgetrommel mächtige Staaten einschüchtern können, und dass die Bekenntnisse zum Glauben an die Meinungsfreiheit leer sind. Mit anderen Worten, die terroristische Taktik der Schwachen kann den Starken die Zensur aufzwingen. Muslimische Extremisten sind zu der nicht ganz falschen Schlussfolgerung gelangt, dass die Männer, die die westlichen Regierungen kontrollieren, nicht fest genug an etwas glauben, um ihre eigenen Haut zu riskieren, kurz: Sie sind dekadent."
Archiv: Spectator

Weltwoche (Schweiz), 09.02.2006

Europa ist auf dem besten Weg, Selbstmord zu begehen, raunt Hanspeter Born mit apokalyptischem Unterton und Verweis auf die demografischen Aussichten. Er schlägt einen Drei-Punkte-Plan vor: "Erstens müsste ein geistiger Schub - vergleichbar etwa mit den großen religiösen Erweckungsbewegungen, wie sie England und die USA im 19. Jahrhundert erlebten - durch Europa gehen, der eine höhere Geburtenrate begünstigen würde. Zweitens müssten die europäischen Staaten durch eine die nichtmuslimischen Kulturkreise bevorzugende Einwanderungspolitik eine größere kulturelle Diversifizierung erreichen. Drittens müsste es den europäischen Gesellschaften durch sozialpolitische Maßnahmen gelingen, die einwandernden Muslime von der Gültigkeit der aufgeklärten Moderne zu überzeugen und sie kulturell zu assimilieren."
Archiv: Weltwoche

Foglio (Italien), 11.02.2006

Unter Rückgriff auf den byzantinischen Bilderstreit (Wikipedia) betont Sandro Fusina, wie glücklich sich das Christentum doch schätzen kann, dass die seiner Meinung nach vom Islam inspirierten Ikonoklasten verloren haben. "Das Verdienst des Christentums besteht sicher nicht darin, die okzidentale figurative Kunst aus dem Nichts erschaffen zu haben, aber es hat die klassische figurative Tradition vor dem radikalen islamischen ikonoklastischen Furor gerettet, vor dem desaströsen byzantinischen Versuch des Bildersturms. Vor allem aber besteht sein Verdienst darin, dass es eine lebendige Tradition geschaffen hat, die in der Lage war, sich andere Richtungen und Auffassungen anzueignen. Daraus hat sich die darstellende Kunst entwickelt, einer der einflussreichsten und charakteristischsten Züge der abendländischen Identität." Teil 1 und 2 des Artikels sind als pdf abzurufen.
Archiv: Foglio

Point (Frankreich), 09.02.2006

Für die französische Journalistin Elisabeth Levy zeigen die Reaktionen auf den Karikaturenstreit wie auch die stürmische Debatte über die französischen "Erinnerungsgesetze" zur kolonialen Vergangenheit vor allem eines: Es werde "in Frankreich immer schwieriger, der Gedankenpolizei zu entkommen". "Redeverbot, Lachverbot, Schockierverbot, Kritikverbot: Frankreich war immer stolz darauf, eine Wiege des kritischen Denkens zu sein, ein Land, in dem Anschauungen miteinander ringen. Jetzt scheint das Land von der Verbotslust gepackt zu sein. Jetzt pflastern vom Gesetz und der Doxa geprüfte offizielle Wahrheiten und amtlich geprüfte, konforme Ansichten die Wege der Erkenntnis. Abweichlern droht ein Meinungstribunal - oder es wird gleich kurzer Prozess mit ihnen gemacht." Levy kritisiert auch das Zurückweichen der französischen Politik vor den islamistischen Protesten gegen die Karikaturen: "Darf denn jede Minderheit neuerdings verlangen, dass sie nicht nur ihre eigene Geschichte kontrolliert, sondern auch noch vor Kritik zu schützen ist?"
Archiv: Point

Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.02.2006

Al-Ahram bringt ein dickes Dossier zum Thema Mohammed-Karikaturen: In einem Exklusivinterview übt sich Dänemarks Premier Fogh Rasmussen in Schadensbegrenzung: "Karikaturen von Politikern können bei uns ja eine große Ehre bedeuten ... Aber Politiker unterscheiden sich natürlich von Propheten."

Von Ehre keine Spur, findet Anjali Kamat und erklärt in einem Beitrag des Dossiers, die Debatte offenbare "eine klaustrophobische Vision von Menschlichkeit", imstande, den Kampf der Kulturen anzuheizen: "Verblendet durch Polarisierungen ist sie unfähig, die Karikaturen als das zu sehen, was sie sind: hässlich und rassistisch ... So lehrt sie uns weniger über fanatische Muslime als über Europas Umgang mit der 'Muslim-Frage'."

Für Salama A Salama sind die "Spannungen leicht zu erklären: Europa hat es versäumt, seine ethnischen Minderheiten auf sinnvolle Weise zu integrieren. In Dänemark gab es überhaupt keinen Grund, die beleidigenden Zeichnungen zu veröffentlichen. Aber die jüngsten Wahlen haben zum Aufstieg der rechtsextremen Volkspartei geführt, die bekannt ist für ihren Rassismus und ihre Xenophobie. Die Volkspartei hat es geschafft, die öffentliche Meinung gegen Muslim und Ausländer in Dänemark aufzuwiegeln - eine leichte Sache, bedenkt man die jüngsten Geiselnahmen im Irak."

Ein anderes Dossier befasst sich mit den Rangeleien um die Publikation eines Romans von Nagib Machfus. Nachdem Machfus selbst die Veröffentlichung von "Children of the Alley" an die Zustimmung durch die Muslimbrüderschaft geknüpft und so die ägyptische Intelligenz gegen sich aufgebracht hat, erinnert Sayed El-Bahrawi an die moralische Funktion von Literatur: "Indem sie die Widersprüche eines menschlichen Dilemmas oder sozialen Phänomens erkundet ... erweitert sie unser Bewusstsein und hilft uns, solche Widersprüche zu überwinden ... Wenn Machfus der Muslimbrüderschaft moralische Autorität zuspricht, muss man dagegen angehen."
Archiv: Al Ahram Weekly

Nouvel Observateur (Frankreich), 09.02.2006

Der Nouvel Obs interviewt den Philosophen Regis Debray, der mit Rücksicht auf den Islam eine freiwillige Selbstbeschränkung der freien Meinung im Westen fordert: "Wir dürfen unsere Denkkategorien und unserer System sozialer Empfindungen nicht auf eine andere Kultur übertragen, die eine andere Geschichte hat und wo der religiöse Faktor eine strukturierende Rolle spielt wie bei uns vor 300 Jahren."
Stichwörter: Debray, Regis

Outlook India (Indien), 20.02.2006

Die Mohammed-Karikaturen - eine Geschmacksfrage? Ein Beitrag von Sanjay Suri dokumentiert die rechtlichen Implikationen: "Der Fall entwickelt sich von einer Medienkontroverse hin zu einer Debatte über den Konflikt zwischen Gesetzen, die die freie Meinungsäußerung garantieren, und solchen gegen Blasphemie. Eine Menge Gesetze gegen religiöse Hetze galten hitzigen Imamen ... Die Gerichte könnten sich schon bald mit dem pikanten Fall 'friedliche Moslems gegen provokante europäische Presse' konfrontiert sehen."

Sheela Reddy erzählt, wie der Lesehunger in den indischen Provinzen findigen Verlegern einen Goldregen beschert: "Die Leute wollen wissen, wer dieser 'Harry Potter' ist, auch wenn sie kein Englisch verstehen." Kleinere Regionalverlage wie Prabhat Prakashan kaufen die Übersetzungsrechte für Hindi oder Marathi. Dass die so publizieren West-Bestseller den regionalsprachigen Autoren schaden könnten, ist indes nicht befürchten: "Damit verhält es sich wie mit Holly- versus Bollywood: Solche Bücher ersetzen nicht das Lokalkolorit."

Weitere Artikel: Namrata Joshi stellt die heiß diskutierte Bollywood-Produktion "Rang De Basanti" vor: "Ein Film über den Verlust nationaler Identität." Mit ungewöhnlicher PR: "Der Regisseur wendet sich an sein Publikum in Internet-Foren und Chatrooms." Besprochen werden Joseph Stiglitz' "Fair Trade For All" - ein ambitionierter Versuch, das fragwürdige Prinzip der Reziprozität im Welthandel aufzuheben, findet Pratap Bhanu Mehta. Sowie ein laut Manohar Singh Gill nicht weniger als die Geschichte des unabhängigen Indien karikierender Band des Cartoonisten R. K. Laxman.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 16.02.2006

Umberto Eco betont, dass die meisten Demonstranten die Karikaturen höchstwahrscheinlich nicht gesehen haben. "Sind die Brände der Botschaften von den Zeichnungen verursacht worden? Nein, denn wenn das Gebot, menschliche Figuren nicht darzustellen und sie schon gar nicht auszustellen (was übrigens nicht stimmt, da wir Mohammed auf vielen wunderschönen Miniaturen finden) etwas wert ist, darf kein fundamentalistischer Muslime so frevelhaft sein und ihnen die Karikaturen tatsächlich zeigen, genauso wie kein katholischer Priester in der Kirche Fotos von nackten Frauen zeigt, um die Gläubigen anzuhalten, nicht den Playboy zu kaufen. Und deshalb versteht man nicht, warum diese Hitzköpfe so erhitzt sind. Die Wahrheit ist, dass sie sehr wenig über die Karikaturen wissen und von jenen angestiftet wurden, die die extremen Ränder beherrschen."
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto, Playboy

Economist (UK), 10.02.2006

Im Karikaturen-Streit schlägt sich der Economist ganz entschieden auf die Seite der Pressefreiheit und tadelt den britschen Außenminister Jack Straw, der die Veröffentlichung der Zeichnungen "unnötig, taktlos, respektlos und falsch" genannt hat. "Die Redefreiheit, zu der auch die Freiheit gehört, die Religion auf die Schippe zu nehmen, ist nicht nur ein hart erkämpftes Menschenrecht, sondern jene Freiheit, über die sich liberale Gesellschaften definieren. Wenn dieser Freiheit Gewalt angedroht wird, ist es die Aufgabe der Regierungen, sie ohne jede Einschränkung zu verteidigen."

Gerade im Hinblick auf den Karikaturen-Streit begrüßt der Economist Daniel C. Dennetts ("Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon") Initiative, Religion als Naturphänomen aufzufassen und zum Gegenstand rationaler und wissenschaftlicher Betrachtung zu machen. Außerdem zu lesen: Dass die USA erneut in Versuchung geraten, sich außenpolitisch zu isolieren, welche marktwirtschaftliche Macht in der Hand der blogger liegt, und wie es um die Geburtenraten in Europa steht (vor allem für Deutschland richtig übel).

Das Dossier ist Deutschland gewidmet. Online lesen dürfen wir nur den Einführungsartikel von Ludwig Siegele, der ankündigt, nicht die positiven (Exportweltmeister), sondern die negativen Seiten aufs Korn zu nehmen. Wenn sie ihre strukturellen Probleme nicht anpacken, glaubt Siegele, haben die Deutschen bald amerikanische Verhältnisse.
Archiv: Economist

Gazeta Wyborcza (Polen), 11.02.2006

In der Wochenendausgabe der polnischen Tageszeitung argumentiert die polnisch-englische Schriftstellerin und Aktivistin Lisa Appignanesi gegen Gesetze, die Religionen, insbesondere Muslime, vor Angriffen schützen sollen. "Man kann nicht in der heutigen, multikulturellen Welt leben, ohne mehrmals täglich beleidigt zu werden! Wenn jede Beleidigung mit Zensur belegt wird, haben wir bald keine freie Kunst, Presse, Gedanken mehr." Auf die Frage, wie weit Redefreiheit gehen kann, antwortet Appignanesi: "Freie Gesellschaften sollten schädliche Meinungen bekämpfen, indem sie gute verbreiten - nicht mit Hilfe von Staatsanwälten und Gefängnissen."

In Polen kommt der Liberalismus in Verruf, bedauert der polnisch-amerikanische Historiker und Philosoph Andrzej Walicki. "Der eingeschränkte Liberalismusbegriff - als ökonomische Doktrin - wurde von polnischen Thatcher-Bewunderern gepflegt, deshalb bietet er jetzt eine gute Angriffsfläche für jene, die ihn mit Verachtung für Schwächere und Sozialdarwinismus gleichsetzen wollen. Das Pflänzchen des Liberalismus, der sich für Toleranz und weltanschauliche Neutralität des Staates einsetzt, wurde in Polen jäh ausgerissen, im Namen einer kollektivistischen, republikanischen Tradition. Genau in diese Richtung geht die Rhetorik des heute herrschenden Lagers".
Archiv: Gazeta Wyborcza

The Nation (USA), 27.02.2006

Der Schriftsteller Walter Mosley ruft die Afroamerikaner dazu auf, eine eigene Partei in den USA zu gründen, eine neue Black Power. Denn von den Demokraten, meint er, sei nichts mehr zu erwarten: "Von allen ethnischen Gruppen in den USA haben wir das niedrigste Durchschnittseinkommen. Wir sitzen mit einer alarmierend hohen Rate im Gefängnis. Wir werden immer noch segregiert und rastergefahndet und sind in den Führungspositionen der Demokratischen Partei nur spärlich repräsentiert. Wir sind treue Anhänger, das Bollwerk, die alten Getreuen der Demokraten, und dennoch haben unsere Anliegen dort schon lange keine hohe Priorität mehr."

Der französische Intellektuelle Bernard-Henri Levy richtet einen Weckruf an die amerikanische Linke, die er bei seiner Reise auf Toquevilles Spuren in einem "semi-komatösen" Zustand vorgefunden hat: "Für einen außenstehenden Beobachter ist es recht seltsam, dass so viele Progressive nach eigenem Bekenntnis erst den Hurrikan Katrina brauchten, um sich über das unerhörte Maß an Armut in amerikanischen Städten empören zu können oder es wenigstens zu begreifen. Für einen an die Schlachtfelder der Ideen gewöhnten europäischen Intellektuellen, ist es schlichtweg unbegreiflich, dass sich nicht mehr Stimmen im Namen der Aufklärung erhoben haben, um den lächerlichen Betrug der Anti-Darwinistischen Unterstützer des "intelligent design" zu entlarven. Und was ist mit der Todesstrafe? Wie kann es sein, dass es in den politischen Parteien, besonders bei den Demokraten noch immer keinen Stimmungstrend gibt, der die Abschaffung dieser zivilisierten Barbarei fordert? Und Guantanamo? Und Abu Ghraib?"
Archiv: The Nation

Folio (Schweiz), 13.02.2006

Die Februar-Ausgabe nimmt die Berater unter die Lupe, die sich uns als "Super-Nanny, Karriere-Coach, Lifestyle-Experte, Aufräum-Berater und der Fitness-Guru" zur Verfügung stellen. Der Sozialforscher Gerhard Schulze hält sie vor allem für "süßes Gift": "Beratung wird gern als Aufklärung verkauft, doch Immanuel Kant sieht das genaue Gegenteil darin: bezahlte Selbstentmündigung... An die Stelle des Eigensinns und des Herumprobierens ist heute jedoch die Diskreditierung des 'Dilettanten' getreten und der Ruf nach dem Spezialisten. Die Geschichte der Menschheit begann als Projekt des Selbermachens und führte zur Abhängigkeit von Experten."

Der Unternehmensberater und Weltwoche-Kolumnist Kurt W. Zimmermann erzählt von einer einschlägigen Erfahrung, die er bei einem Job in Österreich machte: "Der Aufsichtsratspräsident erzählte, dass er soeben Mitglied im piekfeinen Fontana-Golfclub bei Wien geworden sei. 'Wunderbar', sagte ich, 'dann können wir ja dort demnächst eine Runde zusammen spielen.' Seit dieser Bemerkung weiß ich, was man unter dem Ausdruck 'peinliches Schweigen' versteht. Berater, so lernen wir daraus, sind die Hilfstruppen des Kapitalismus. Sie sind die Vorarbeiter und Poliere ihrer Dienstherren im Management, aber sie sitzen nicht selber auf der Kommandobrücke. Das definiert ihre soziale Rolle, aber auch ihre Funktion. Eine Zeitlang haben Berater diese Grundregel missachtet und sich aufgeführt, als ob sie selber am Drücker wären. Sie taten es zwar mit Billigung ihrer Auftraggeber, aber dennoch sind dabei ein paar schöne Weltfirmen wie Enron, Worldcom und Swissair den Bach hinuntergegangen."

Weiteres: Gudrun Sachse protokolliert eine Sitzung bei einer Beziehungsberaterin ("Frau: Ich müsste einfach mehr schlafen mit ihm. So. Fertig. Punkt. Wir waren in einem Kurs 'making love'. Da hieß es jeden Tag: 'plug in'. Stöpseln.") Klaus Harpprecht erinnert sich an seine Zeit als Schattenmann von Willy Brandt. Und in seiner "Duftnoten"-Kolumne widmet sich Luca Turin dem Trend der Parfumeure, an den alten Formeln ihrer Klassiker herumzubastelm, " um sie zu verbilligen oder um sie den neuen Richtlinien anzupassen".
Archiv: Folio

Polityka (Polen), 11.02.2006

Agnieszka Lada erklärt, warum die von Medienunternehmen initiierte "Du-Bist-Deutschland"-Kampagne in Deutschland wenig Enthusiasmus hervorgerufen hat. "Die Diskussion um die Werbespots hat gezeigt, dass es in Deutschland schwer ist, Stolz auf sein Land von oben zu oktroyieren,oder offen über diesen Stolz zu sprechen". Die Schatten der Vergangenheit würden dabei immer wieder beschworen, so dass man sich schwer tue, eine Balance zwischen den beiden Polen zu finden: "Dieses innere Gleichgewicht müssen die Deutschen erst noch lernen - vielleicht mit Hilfe wenig gelungener Werbekampagnen, die viel Geld verschlingen und nicht immer Früchte tragen."
Archiv: Polityka
Stichwörter: Geld

Revista de Libros (Chile), 11.02.2006

In seiner Kolumne denkt der chilenische Schriftsteller und Journalist Rafael Gumucio (mehr hier) über den Unterschied zwischen Lüge und Fiktion nach: "Die subtile Unterscheidung dieser beiden Konzepte, der geheime Gegensatz zwischen diesen scheinbar identischen Begriffen, ist eine der größten Errungenschaften des Westens. Einmal mehr an dem Wettstreit zwischen ihnen teilzuhaben und mit Gewinn daraus hervorgehen zu dürfen, ist unsere große Hoffnung, wenn wir uns daran machen, einen Roman zu lesen: einmal mehr spielerisch in Frage stellen, was man erzählen kann und wie man erzählen soll. Vielleicht sind wir aber durch ein Zuviel an politischen, historischen und patriotischen Fiktionen der Legenden überdrüssig geworden ... vielleicht sind wir durch Fernsehen und Kino einem derartigen Dauerbeschuss mit Fiktion ausgesetzt, dass wir es uns angewöhnt haben, allzu subtile Urteile über die Fiktion zu fällen, Gourmets, die sich nicht mehr ohne Murren alles vorsetzen lassen - erst recht nicht, wenn es von der Hand der selbstherrlichen Schriftsteller stammt, die uns das 20. Jahrhundert über mit ihrem Ego bombardiert haben."
Stichwörter: Gumucio, Rafael

Elet es Irodalom (Ungarn), 10.02.2006

Der an Krebs erkrankte Theatermacher Peter Halasz inszeniert öffentlich seine eigene Beisetzung. Er stellte in der Budapester Kunsthalle einen offenenen Sarg auf, legte sich hinein und hörte sich die Trauerreden seiner Freunde an. Das ES-Magazin druckt den "Nekrolog" des Schriftstellers György Konrad: "Das Theater zieht um einen großen Theatermacher konzentrische Kreise. ? Theater ist, wo Du bist. Dein Bett, in dem Du liegst, der Katafalk, auf dem Du liegst. Witzig, würde mein Kind sagen. Gar nicht witzig, würde mein anderes Kind traurig hinzusetzen. Die Wahrheit ist, dass diese vielen Menschen hier, die Du je begegnet bist, in Deinen Augen alle ihre Rolle gespielt haben."

Anfang der achtziger Jahre waren die Polen viel solidarischer mit oppositionellen Intellektuellen als die Ungarn, erinnert sich einer der wichtigsten Vertreter der ungarischen demokratischen Opposition, Roza Hodosan im Gespräch: "Während der Flucht vor der Polizei öffneten sich in Warschau alle Haustüren, überall wurden Demonstranten ins Haus geschoben und gesundgepflegt. ? Es war faszinierend zu erleben, dass ganz Polen sich in der kritischen Haltung gegenüber dem Regime einig war." Die Ungarn zeigten dagegen wenig Mitgefühl. Als Gabor Demszky - heute Bürgermeister von Budapest - von Polizisten auf offener Straße geschlagen wurde, "schrie ich pausenlos, um Augenzeugen zu haben, bis ich die Stimme verlor. ? Als am nächsten Tag eine Zeitung unter der Überschrift 'Soziologe fiel über Polizisten her' darüber 'berichtete', fanden wir keinen einzigen Augenzeugen, absolut niemanden. Obwohl an sämtlichen Fenstern und Balkonen Menschen standen; viele sahen genau, was passierte."
Stichwörter: Konrad, György, Krebs, Mitgefühl

New York Times (USA), 12.02.2006

In der New York Times Book Review stellt Noah Feldman "Messages to the World" vor, einen Band, der die Reden, Interviews und Internetartikel Osama bin Ladens versammelt, stellt uns in der Book Review vor. Eine irgendwie obszöne Lektüre, findet er, erkennt jedoch auch ihren Wert an: "Gleichwohl moralisch verwerflich und unverantwortlich im religiösen Sinn, könnte bin Laden Zuspruch finden bei durchaus logisch Denkenden mit den gleichen Prämissen ... Seine Worte zu drucken bedeutet, ihn zu zeigen als das, was er ist - ein verirrter Moslem, der den Glauben missbraucht, um Mord zu rechtfertigen."

David Brooks bespricht ein Buch ("World as Laboratory: Experiments With Mice, Mazes, and Men"), das die mitunter haarsträubenden Versuche der Wissenschaft dokumentiert, menschliches Verhalten zu steuern: "Diese Forschung wurde großzügig finanziert und gefördert von den renommiertesten Instituten ... Und sie wurde betrieben in der noch immer verbreiteten Ansicht, dass es dies Reiz-Reaktions-Schema im Gehirn gibt und dass man menschliches Verhalten kontrollieren kann, indem man die Reize kontrolliert."

Außerdem: Pankaj Mishra stellt uns "The Inheritance of Loss" von Kiran Desai vor (Kapitelprobe als Audiofile) - für Mishra der "perfekte post-9/11-Roman", erzählt mit "moralischer Intelligenz" und echtem Talent. Und der Autor Curtis Sittenfeld gibt seine Erfahrungen mit Buchclubs zum Besten: "Es gibt nur wenige Orte, wo Cellulitis und Tolstoi im selben Gespräch auftauchen."

Im Magazin der New York Times stellt Joseph Lelyveld Senator Chuck Hagel vor, der möglicherweise der nächste Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird: "Hagel war nie eine Taube, aber im republikanischen Aviarium ist er allemal ein seltener Vogel: Ein Internationalist mit einem starken Sinn für Allianzen, für multilaterale Bemühungen, weltumspannende Institutionen und Außenpolitik, der sich um den Rest der Welt schert - und nicht nur wegen des Agrarexports."

Im Gespräch mit Deborah Solomon erklärt die BBC-Legende David Frost, was er täte, wenn seine neuen Arbeitgeber von Al Jazeera International ihn für ein Interview auf Osama bin Laden ansetzen würden: "Ich würde wohl nein sagen. Als pflichtbewusster Bürger müsste man ihn dingfest machen. Das wäre wohl unmöglich. Du würdest vielleicht reinkommen, aber vielleicht auch nie wieder heraus."
Archiv: New York Times