Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
28.02.2006. In Literaturen denkt Friedrich Kittler über die Liebe der Griechen und ihrer Götter nach. Aatish Taseer hat für Prospect einige Monate an der Abu Nour Universität in Damaskus verbracht, wo ausländische junge Leute im Islam unterrichtet werden. Im Nouvel Obs grübelt Jacques Derrida, warum er sich nackt vor seiner Katze schämt. The New Statesman porträtiert den chinesischen Künstler Song Dong, der Städte aus Keksen baut. Im Merkur macht Jan Philipp Reemtsma kurzen Prozess mit der Diskussion um die Willensfreiheit. In Elet es Irodalom erzählt der Schriftsteller Krisztian Grecso von einem ungarischen Juden, der 1948 beinahe wegen eines angeblichen Ritualmords gelyncht worden wäre. Die New York Times hat den ehemaligen Sprecher der Taliban in Yale besucht.

Literaturen (Deutschland), 01.03.2006

Literaturen widmet den Schwerpunkt seiner Ausgabe der Wiederentdeckung der Alten Griechen als geistige Inspirationsquelle, ob in der Geschichtsschreibung oder der Literatur. Rene Aguigah fährt nach Berlin-Treptow, um vom Berliner Ästhetikprofessor Friedrich Kittler in die Liebe der Antike eingeführt zu werden: "Es ist ja nicht einfach der Gott entschwunden, wie Hölderlin und Heidegger dichten, sondern es ist ein auf Männer-Frauen-Beziehungen gegründetes Fühlen und Denken und Musizieren entschwunden. (?) Ich habe ein bisschen Angst, dass die Pfarrer- und Mesnerkinder wie Hölderlin und Nietzsche und Heidegger von dem im Herzen nicht ganz überwundenen Christentum daran gehindert worden sind zu sehen, what's at stake: wirklich ein Frommsein - 'Religion' passt ja nicht zu den Griechen -, das die Götter und Göttinnen insofern ehrt, als sie sich mit den Sterblichen und diese sich auch untereinander paaren. '? And the Gods Made Love' habe ich immer so verstanden bei Hendrix."

Weitere Artikel: Frauke Meyer-Gosau begleitet den Schriftsteller Juri Andruchowytsch in seine galizische Heimatstadt Ivano-Frankivsk. Aus Dublin berichtet Hans-Peter Kunisch von der drohenden Abschaffung der Steuerfreiheit für Künstler. Und in der Netzkarte ärgert sich Aram Lintzel über den tierischen Zuwachs auf der Internetseite des Deutschen Bundestages: ein ulkiger und zappeliger Bundesadler, der sich als "virtueller Berater" in Sachen Demokratie gebärdet.
Archiv: Literaturen

Prospect (UK), 01.03.2006

Aatish Taseer hat einige Monate im Umfeld der Abu Nour Universität in Damaskus verbracht, wo vor allem ausländischen Studenten über den Islam unterrichtet werden. In zahlreichen Unterhaltungen mit nicht-arabischen jungen Leuten versucht Taseer in Erfahrung zu bringen, welchen Reiz der Islam auf sie ausübt. Nach einem Gespräch mit dem jungen Norweger Even, der ihm erklärt, dass "es bei uns im Westen immerzu um Rechte geht", und dass im westlichen Hedonismus "der Gedanke an Grenzen in Vergessenheit gerät", trifft Taseer auf den Führer Nadir, für den Syriens eigentliche Geschichte mit dem Islam beginnt, eine für das allumfassende Wesen des Islam symptomatische Behauptung. Denn "wenn du den Islam hast, brauchst du nichts weiter. 'Sollte ich ein einziges Ding finden', sagte Nadir, 'ein Ding, das der Koran nicht abdeckt, werde ich dem Glauben abschwören.' Doch Nadir konnte dieses eine Ding nie finden, einfach weil der Islam allem als Quelle dient. Im Gegensatz zu Even, fühlte ich allmählich, dass diese Begrenzung, und nicht der westliche Hedonismus, das eigentliche Problem ist."

Weitere Artikel: Der Journalist Kamran Nazeer und die Herausgeberin des muslimischen Lifestyle-Magazins Emel, Sarah Joseph, sind sich zutiefst uneins darüber, wie Muslime mit den Mohammed-Karikaturen umgehen sollen. Der Realismus in der Literatur, erklärt ein feuriger James Wood, ist weder eine Epoche noch ein Genre, und schon gar nicht lächerlich, wie eitle, postmoderne Theoretiker uns weismachen wollen, sondern der grundlegende Impuls des Erzählens. Edward Skidelsky beschreibt den Einfluss von Leo Strauss auf die amerikanischen Neocons: "Seine wichtigste Hinterlassenschaft war die Wiederbelebung einer moralischen Sprache. Er schrieb robustes, klassisches Englisch, gespickt mit Beiwörtern wie 'ehrenhaft', 'vornehm', 'geldgierig' oder "vulgär'. Ein Wort, das er nicht gebraucht hat, war 'böse'." Geoffrey Wheatcroft wendet sich dem Idol seiner Jugend zu - dem Oxforder Geschichtsprofessor AJP Taylor - und muss ihn, nachdem er ihn auf Herz und Nieren geprüft hat, als geistige Jugendsünde verbuchen. Robin Harris sieht den neuen Tory-Chef David Cameron in einer Zwickmühle zwischen Parteireform und Basisverprellung.
Archiv: Prospect

Nouvel Observateur (Frankreich), 23.02.2006

Eineinhalb Jahre nach seinem Tod erscheint postum nun ein Essay von Jacques Derrida, den Rezensent Didier Eribon "fulminant" findet. In "L'Animal que donc je suis" (Galilee) entdecke man Derridas Faszination für die Tierwelt - aus der heraus er erneut über Moral und Gerechtigkeit nachdenke. "Das Buch beginnt wie eine sartresche Reflexion über den Blick des Anderen: Wenn fremde Augen auf mich gerichtet sind, bin ich dann nicht geradezu gezwungen, mich zu fragen, wer ich bin? Auch wenn der Andere in diesem Fall ein Tier ist. Eine Katze. Das ist tatsächlich die Anfangsszene, aus der heraus Derrida seine Überlegung entwickelt: in dem Moment, in dem er sich im Bad anschickt, unter die Dusche zu steigen, bemerkt er, dass seine Katze ihn beobachtet. Der 'splitternackte' Philosoph kann sich nicht helfen: ein Gefühl der Scham, ja der Beschämung erfasst ihn. Deshalb fragt er sich: Was bedeutet es, mit Tieren zusammenzuleben? Was bedeutet es für uns, aber auch für sie?"

Im Debattenteil diskutieren die Juristin Francoise Chandernagor, Unterzeichnerin der Petition "Freiheit für die Geschichte", und die sozialistische Abgeordnete Christiane Taubira, Namenspatronin eines Gesetzes von 2001, das Sklaverei und Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit festschreibt, über die Frage, ob man Geschichte und Erinnerung gesetzlich festlegen muss. Zu lesen ist außerdem ein Porträt und Bericht eines Besuchs bei Deborah Devonshire, der letzten noch lebenden Mitford-Schwester, die, inzwischen 85-jährig, jetzt ihre Erinnerungen vorgelegt hat. Nur in der Online-Ausgabe des Magazins ist ein Vorabdruck aus einem neuen Buch über Bernard-Henri Levy zu lesen: "Une imposture francaise" der beiden Journalisten Nicolas Beau (Canard Enchaine) und Olivier Toscer (Nouvel Observateur). Der ungeliebte Intellektuelle - der Buchtitel "ein französischer Betrug" mag bereits ein Hinweis sein - ist damit erneut Objekt einer Untersuchung des "Systems BHL".

New Statesman (UK), 27.02.2006

Der chinesische Künstler Song Dong baut Städte aus Keksen. Bisher hat er sich eher an der imperialen Zeit orientiert, sein neuestes Projekt ist gegenwärtiger, berichtet William Sidelsky. "Das alte Viertel ist schon fast fertig, die modernen Sektionen sind noch mitten in der Konstruktion. Einige einsame Blöcke ragen wie Jenga-Türme (Wikipedia) vom Tisch empor, dessen Oberfläche komplett mit umgedrehten Ryvitas bedeckt ist. Das Projekt wird gesponsert von McVities (die zum Keksimperium United Biscuits gehören) - eine kleine Enttäuschung, da die Auswahl nicht wirklich erstklassig ist. Ich erkenne Digestives, HobNobs und Rich Tea, außerdem verschiedene Sorten Waffeln, die sich besonders für Wolkenkratzer eignen. Offensichtlich hält Dong jedoch wenig von seinen Materialien. 'Chinesische Kekse sind bunter', sagt er. 'Besser für schönere Gebäude'." Song Dongs Kunstwerke (Beispiel) wurden von den Besuchern bisher meist relativ schnell aufgegessen.
Archiv: New Statesman

Merkur (Deutschland), 01.03.2006

Der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma erklärt kategorisch die gesamte Debatte über die Willensfreiheit für überflüssig - ob es diese nun gibt oder nicht, sei mehr oder weniger zweitrangig: "Eine Gesellschaft ohne die Unterstellung des freien Willens wäre nicht denkbar. Oder so unterschieden von allem, was wir historisch gewohnt sind, dass wir sie nicht denken können. Verzichten können wir als handlungsleitende Unterstellung auf die Idee des freien Willens nicht. Ist es sinnvoll, viele Gedanken darauf zu verwenden, ob es sich bei der Unterstellung nur um eine nützliche Funktion handelt? Ich weiß nicht, ob jemand so weit gehen würde zu bestreiten, dass es sich dabei um eine nützliche Funktion handelt. Er müsste die eben als undenkbar bezeichnete Gesellschaft schildern und uns schmackhaft machen. Bevor er das nicht tut, können wir das auf sich beruhen lassen."

Weiteres: In zwei Texten befassen sich mit Eli Zaretsky und Elisabth Roudinesco mit Sigmund Freud und der Psychoanalyse. Ulrich Speck fragt mit Blick auf Aufstieg und Niedergang des Europäismus, ob der vielbeschworene Geist Europas auch denkbar ist, wenn die USA nicht die militärischen und moralischen Rahmenbedingungen setzen. Jochen Rack erlebt auf einer Reise über Dubai, Bangkok, Ho-Chi-Minh-Stadt nach Sidney, wie quicklebendig Religionen "außerhalb der westlichen Welt" sind. Marius Meller verteidigt die Leser gegen die Ideologen des Lesens. Patrick Bahners schreibt über den Historiker Hans Rothfels. Ulrike Ackermann verteidigt die französischen "Neoracs", die Neuen Reaktionäre, gegen ihre linken Kritiker.
Archiv: Merkur

Espresso (Italien), 02.03.2006

Für Umberto Eco scheint der bisherige Wahlkampf - links wie rechts - einem Drehbuch von Groucho Marx entsprungen zu sein. "Es scheint so, dass die Angehörigen eines Lagers hauptsächlich damit beschäftigt sind, schlecht über die eigene Gruppierung zu sprechen und die inneren Streitigkeiten zu betonen. Das betrifft nicht nur die Union, die einen wahren Sport daraus gemacht hat, sondern auch die Casa delle Liberta, für die Freiheit einzig darin besteht, sich gegenseitig zu zerfleischen." Ein weiteres Merkmal dieses Wahlkampfes sei der Krieg der Prognosen. "Prinzipiell müsste jeder, der eine Prognose macht, sie geheim halten, weil er etwas weiß, das der Gegner nicht weiß. Aber heutzutage hat die Prognose die Funktion einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: sie soll die Unentschiedenen mobilisieren, ausgehend von der Überzeugung, dass man es hier mit einer Horde von Unterentwickelten zu tun hat, deren einziges Bedürfnis es ist, auf der Seite der Gewinner zu sein - oder auf der Seite derer, die sich im Vorfeld großreden."

Jan-Hendrik Stahlbergs auf der Berlinale gezeigte Satire "Bye Bye Berlusconi" hat noch keinen italienischen Verleih gefunden, berichtet Cesare Balbo. Der Film sei eher "auf ein ausländisches Publikum zugeschnitten", lautet die Begründung. Peter Gomez und Marco Lillo fragen sich im Titel, wie Waffen der italienischen Polizei im Irak wieder auftauchen konnten - auch in den Händen der Aufständischen.
Archiv: Espresso

Elet es Irodalom (Ungarn), 24.02.2006

Der junge Schriftsteller Krisztian Grecso erzählt im Gespräch über seinen demnächst auf Deutsch erscheinenden Roman "Gott zum Gruße", der sich mit dem kollektiven Gedächtnis eines Dorfes beschäftigt: "Es ist die Geschichte des Viktor Klein, der 1948 nach seiner Heimkehr aus dem Konzentrationslager des Ritualmords an einem Mädchen verdächtigt wurde. Nur die aus der Hauptstadt eingetroffene Polizei konnte ihn vor der aufgehetzten Menge retten. Als Kind habe ich oft Geschichten darüber gehört. Die meisten Dorfbewohner glauben heute noch, dass der jüdische Händler der Mörder war, nur eine Minderheit blickt durch. Es ist bestürzend, dass sich das Dorf ausgerechnet an diesen Fall erinnert. Mitte der 1990er Jahre bekamen die Kinder der Dorfschule die Aufgabe, frei zu zeichnen, was sie wollen, und in einer der Zeichnungen war der Jude im Blut der Jungfrau zu sehen. Das kollektive Gedächtnis basiert auf individuellen Erinnerungen. Es ist sehr bezeichnend, dass dieses Kind die Klein-Geschichte kennt, aber keine einzige Geschichte über seine Großmutter erzählen kann."

In der Debatte über die Stasi-Vergangenheit des Filmemachers Istvan Szabo plädiert der Politologe und Vertreter der ehemaligen demokratischen Opposition Janos Kis dafür, die Öffentlichkeit der Stasi-Unterlagen nicht nur für Politiker, sondern auch für Personen des öffentlichen Lebens per Gesetz zu garantieren: "Die erfolgreichsten Filme Istvan Szabos vermitteln die Botschaft, dass selbst die größten Künstler nicht ohne moralische Konsequenzen mit der Diktatur zusammenarbeiten können. Eine Gesellschaft, die ihr Urteil darüber unter anderem aufgrund dieser Filme fällt, hat das Recht zu wissen, ob es in diesen Filmen um den Regisseur selbst geht ? Auf Istvan Szabos Entlarvung hätte die Öffentlichkeit vielleicht auch mit Verständnis und Feinsinn reagiert, wenn er seine Schuld anerkannt oder wenigstens eine einzige ehrliche Geste gemacht hätte."

Outlook India (Indien), 06.03.2006

Freund oder Feind? Angesichts des Bush-Besuchs am 1. März widmet sich das Titeldossier den Beziehungen zwischen Indien und den USA. Während ein Beitrag sich des indisch-amerikanischen Reizthemas "Kernwaffen" annimmt, warnt ein Artikel von Prakash Karat vor einer Vereinnahmung seines Landes für amerikanische Hegemonie-Bestrebungen im westasiatischen Raum und vor ökonomischer Ausbeutung: "Indien muss auf der Hut sein vor einem Amerika ... das unter dem Vorwand, Demokratie und freie Märkte zu bringen, eine imperialistische Politik betreibt."

Naturgemäß positiver sieht das Treffen Karl F. Inderfurth, seinerzeit Asien-Experte in der Clinton-Administration: "Clinton 2000, Bush 2006, das bedeutet eine Kontinuität in der Politik über nur demokratische beziehungsweise republikanische Interessen hinaus. Es bedeutet, dass wir unsere Beziehung zu Indien auf lange Sicht ausbauen."

Außerdem stellt das Magazin die "Gewinner" des Follywood Film Award in den Kategorien "Zero Hero", "Worst Film", "Worst Story" und "Fashion Disaster" vor. Und Sheela Reddy bespricht eine Monografie über den indischen Maler, Bildhauer und Architekten Satish Gujaral.
Archiv: Outlook India
Stichwörter: Hegemonie, Fashion, Ausbeutung

Newsweek (USA), 27.02.2006

In fünfzehn Jahren wird Indien Großbritannien als Wirtschaftsmacht überholt haben. Und schon heute gibt das Land die heißesten Parties bei einschlägigen Wirtschaftstreffen. Das Land ist also schwer im Kommen, freut sich Fareed Zakaria über "Asiens andere Großmacht": "Jeder, der schon mal in Indien war, wird jetzt wahrscheinlich fragen 'Indien? Mit seinen abbruchreifen Flughäfen, seinen durchlöcherten Straßen, riesigen Slums und verarmten Dörfern? Reden wir über dieses Indien?' Ja, stimmt, auch das ist Indien. Das Land mag mehrere Silicon Valleys haben, aber es hat auch drei Nigerias in sich, mehr als dreihundert Millionen Menschen leben von weniger als einem Dollar am Tag. 40 Prozent der Ärmsten der Welt leben in Indien, und das Land hat die zweithöchste HIV-Verbreitung. Aber das ist das bekannte Indien, das Land der Armut und Krankheit. Das Indien der Zukunft enthält all dies auch, aber es gibt auch etwas Neues. Man kann den Wandel schon spüren, sogar den Tiefen der Slums."
Archiv: Newsweek
Stichwörter: Silicon Valley, Nigeria

Times Literary Supplement (UK), 25.02.2006

Als meisterhafte Übung in "gesundem Menschenverstand" preist Simon Jenkins den Essay "The Politics of Good Intentions", in dem der Philosoph David Runciman mit Tony Blairs "militärischem Humanismus" abrechnet: Bei diesem "sind alle Mittel entschuldbar, weil die Absichten ehrenwert sind. Die Bombe, die über einem Marktplatz oder einer Hochzeitsgesellschaft abgeworfen wird, ist moralisch, weil sie eigentlich anderswo herunterkommen sollte. Tatsächlich wäre es sogar unmoralisch, eine solche Bombe nicht abzuwerfen. Per Definition sind unsere Bomben gut und die der anderen nicht. Außerdem ist Saddam so viel schlimmer, wie Blair unablässig betont. Absolutes wird zu Relativem, wenn es gerade passt."

Weiteres: In einem sehr gelehrten Text befasst sich Jeremy Adler mit der Kabbala, ihrer einstigen Bedeutung und ihrer heutigen Trivialisierung. Oswyn Murray kann der Neuauflage des Skandalstückes "The Romans in Britain" wenig abgewinnen, legt aber Wert auf die Feststellung, dass er vor 25 Jahren der einzige Kritiker war, der den "Schocker" ernst genommen hatte. Aisling Foster stellt Gifford Lewis Biografie der anglo-irischen Schriftstellerin und Malerin Edith Somerville vor.

Gazeta Wyborcza (Polen), 25.02.2006

Der polnisch-amerikanische Publizist Andrzej Lubowski analysiert die politischen Folgen des wachsenden Ölpreises. Seine Entwicklung hatte wie kaum ein anderer Faktor Einfluss auf die Geschicke Russlands in den letzten dreißig Jahren - er war größer als Reagan, die "Solidarnosc" und Gorbatschow. "Das Glück kam erst mit Putin - sein Russland lebt vom hohen Erdöl- und Erdgaspreis. Die Kontrolle über das Erdgas ersetzt Nuklearraketen und Panzerdivisionen als Erpressungsinstrumente." Das Problem dabei: "Hohe Energiepreise verhindern Reformen. Khatami versuchte etwas im Iran zu bewegen, als das Öl billiger war. Seine Nachfolger haben keine Reformen nötig". Ähnliches zeichne sich in Moskau ab.

Anlässlich des 50. Jahrestag der Rede Chruschtschows über Stalins Verbrechen erinnert der Historiker und Publizist Piotr Oseka an die Reaktionen in Polen - vom Herzinfarkt und Tod des Parteichefs Boleslaw Bierut, über die Orientierungslosigkeit vieler einfachen Parteimitglieder, bis zum kurzzeitigen politisch-gesellschaftlichen "Tauwetter" unter Gomulka. "Wir sind erschüttert, schrieben Parteifunktionäre. Man muss die Werke Lenins und Stalins neu studieren, auf eigene Faust die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis entdecken, und dann sich erst eine Meinung bilden". Das war der Anfang vom Ende des Kommunismus.

Und: Die Präsidentschaftswahlen in Belarus waren entschieden, bevor der Wahlkampf überhaupt begann - der autoritäre Präsident Lukaschenko wird wieder siegen. Zu einer kleinen Sensation wurde aber letzten Mittwoch eine Debatte mit oppositionellen Kandidaten, bei der Lukaschenko nicht nur geduzt wurde, sondern sich auch unangenehme Fragen anhören musste, schreibt die weißrussische Journalistin Swiatlana Kurs. "Wenigstens dazu waren diese Wahlen gut!"
Archiv: Gazeta Wyborcza

Babelia (Spanien), 25.02.2006

Auch wenn es immer noch Probleme gibt - die Integration von Latinos, Schwarzen und Juden in den USA wie auch in Europa war letztlich erfolgreich, meint der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes. Warum dann nicht auch Westen und islamische Welt lernen, miteinander zu leben? "Mit Hilfe ihres Glaubens, aber auch von Stimmzetteln sind in vielen Ländern die religiösen islamischen Mehrheiten an die Macht gekommen oder nahe daran, die Macht zu übernehmen. Aufgabe des Westens ist es, sie weder zu verteufeln noch zu attackieren, sondern sich des eigenen langen und mühseligen Weges bis zur Erringung der Toleranz zu erinnern und gelassen und geduldig den Prozess der Identitätsfindung innerhalb von Gemeinschaften zu begleiten, die lange Jahre hindurch kolonisiert, gedemütigt und benachteiligt wurden. Die im Westen lebenden islamischen Minderheiten dagegen müssen ihrerseits die Gesetze der Länder, die sie aufgenommen haben, respektieren."
Archiv: Babelia

Weltwoche (Schweiz), 23.02.2006

Vor 40 Jahren erschien Truman Capotes auf einem realen Vierfachmord basierender Roman "In Cold Blood", sein größter Erfolg und zugleich Anfang vom Ende des Schriftstellers, wie Julian Schütt aus einer neuen Biografie und Bennett Millers gefeiertem Biopic schließt. "Er kam über die Erfahrungen, die er in Kansas gemacht hatte, und besonders die Hinrichtung nicht hinweg. 'Niemand wird je ermessen, was "Kaltblütig" mich gekostet hat', sagte er einmal gegenüber seinem Biografen. 'Ich war danach bis ins Mark angeschlagen. Es hat mich fast umgebracht. Ich glaube, es hat mich in gewisser Weise sogar tatsächlich umgebracht.' Er begann zu trinken, schluckte Unmengen Tabletten, experimentierte auch mit andern Drogen, bekannte dabei freimütig: 'Ich bin süchtig. Ich bin schwul. Ich bin ein Genie.' Die Hautevolee genoss seine schrille Exzentrik, solange sie gutartig war, das heißt sich nicht gegen sie selbst wandte."
Archiv: Weltwoche

Al Ahram Weekly (Ägypten), 23.02.2006

Erica Silverman stellt den für einen Oscar in der Kategorie "Bester ausländischer Film" nominierten Streifen "Paradise Now" des palästinensischen Regisseurs Hany Abu Assad vor: "Der Film vermittelt die Brutalität militärischer Besatzung, die junge Menschen dazu führt, den Tod zu wählen - allerdings ohne diesen Standpunkt zu verteidigen." Jüdische Organisationen in den USA sind dennoch besorgt: "Sie drängen darauf, den Film nicht mit dem Herkunftssiegel 'Palästina' zu versehen, weil es keinen palästinensischen Staat gäbe."

Weiteres: In der Titelstory untersucht Firas Al-Atraqchi die mysteriösen Umstände der Zerstörung des 1200 Jahre alten Askariya-Schreins im irakischen Samarra. Und Anouar Abdel-Malek schreibt einen Nachruf auf den linksintellektuellen Publizisten Mohamed Sid-Ahmed. Besprochen wird die (Auto-)Biografie einer Analphabetin - Tonbandaufnahmen und Diktate, die die libanesische Schriftstellerin Hanan al-Shaykh ihrer Mutter abgelauscht hat. Eine kleine Volksgeschichte des modernen Libanon in höchst erfrischendem Ton, findet der ungenannte Rezensent.

Für die aktuelle Ausgabe der Cairo Review of Books nimmt Hazem Kandil die jüngst erschienene arabische Übersetzung von Edward Saids Essaysammlung "Representations of the Intellectual" über die Rolle des Intellektuellen in Staat und Gesellschaft zum Anlass, um über Saids eigenen Standpunkt in der Sache zu reflektieren: "Im Bewusstsein, sich zwischen Wahrheit und Fremdbestimmung entscheiden zu müssen, hat er seinen Weg gefunden. Der Intellektuelle muss sich die Möglichkeit erhalten, sich zu entwickeln, zu verändern, Neues zu entdecken oder Verworfenes wiederzubeleben."


Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Libanon, Mutter, Said, Edward

New York Times (USA), 27.02.2006

Der Rezensent als Bestatter, das passt! "Death's Door" von Sandra M. Gilbert hält der Dichter und Bestattungsunternehmer Thomas Lynch für "die wohl umfassendste multidisziplinäre Betrachtung der Sterblichkeit, die unsere Generation zu lesen bekommt". Das Buch, das Wege der Trauer ebenso behandelt wie die Sterblichkeit in der Literatur, so Lynch, profitiere vor allem von der Belesenheit seiner Autorin: "Der Leser erhält nicht nur eine Einführung in die Poesie von Emily Dickinson, sondern auch einen Platz in der kleinen Trauergesellschaft, die den weißen Sarg mit dem Körper der Dichterin durch Felder voller Blumen zum Grab in Amherst begleitete. Whitmans 'Song of Myself' wird in Beziehung gesetzt zu des Autors spektakulärer Beisetzung 1892." Für Lynch ist es "ein Buch, das inspiriert, instruiert, erhebt und ermutigt, den Trauernden wie den Bestatter."

Weiteres: In einem Essay huldigt Rachel Donadio noch einmal der unlängst verstorbenen Publizistin und Frauenrechtlerin Betty Friedan ("Der Weiblichkeitswahn"). Terence Rafferty schwärmt vom neuen Mantel-und-Degen-Roman "Purity of Blood" des Spaniers Arturo Perez-Reverte. Und Dwight Garner teilt mit, dass sich Bernard-Henri Levys "American Vertigo" in den USA zum Bestseller entwickelt - sei's trotz oder dank der bösen Besprechung in der New York Times.

Im New York Times Magazine erzählt Chip Brown die unglaubliche Geschichte von Rahmatullah Hashemi, der in Afghanistan als Sprecher für die Taliban dolmetschte und dann als freshman nach Yale ging: "Er war im Glauben erzogen worden, in der Gewissheit einer höheren Ordnung, eines sinnvollen Universums, und jetzt, in diesem Schrein des kritischen Denkens, lernte er zu zweifeln, nicht zu glauben."

Weitere Artikel: Steven Lee Myers besucht Weißrussland vor den Wahlen im kommenden Monat und porträtiert Aleksandr Lukaschenko, "Europas letzten Diktator aus Sowjetzeiten": "Natürlich wird Lukaschenko mit 75 Prozent der Stimmen die Wahl gewinnen. Wie seine demokratischen Widersacher schon sagen: 'Er mag keine Zahlen unter 75 Prozent'." Alissa Quart porträtiert die kanadische Indie-Band "Broken Social Scene", deren kollektivistischen Ideale gerade vom kommerziellen Erfolg angekratzt werden.
Archiv: New York Times