Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.03.2006. Fünf Jahre nach der Debatte über Jedwabne stellt die Gazeta Wyborcza fest: nur die Täter fühlen sich sicher. Die New York Review of Books stellt den gerissensten Pokerspieler der Welt vor. DU feiert Bach. In Polityka wünscht sich Andrzej Wajda mehr Film über das heutige Polen. Der Nouvel Obs gratuliert den Neuen Philosophen zum Dreißigsten. Das TLS kennt unseren Mann in Havanna. In der Weltwoche weiß Kurt Vonnegut welchen Fehler alle Präsidenten haben.     

Gazeta Wyborcza (Polen), 04.03.2006

Vor fünf Jahren begann in Polen eine Debatte, die das nationale Selbstverständnis des Landes in Frage stellte: die "Jedwabne-Debatte". Es ging dabei um den von deutschen Besatzungssoldaten gewollten und von polnischen Bauern 1941 durchgeführten Mord an der jüdischen Bevölkerung der Kleinstadt Jedwabne. Etwa 1600 Juden kamen dabei ums Leben. Die Beteiligung der Polen wurde lange verschwiegen, rüttelte sie doch an dem fundamentalen Geschichtsmythos von Polen als Opfernation. Die Journalistin Anna Bikont, die in der Gazeta darüber berichtet hatte, erzählt, wie die Geschichte nach Aufdeckung der Wahrheit weiterging. "Nur die Täter fühlen sich sicher, und erzählen stolz von ihrem Patriotismus. Diejenigen, die für die Wahrheit gekämpft haben, mussten ausreisen. In Jedwabne selbst gibt es keine Spuren des Verbrechens mehr. Hier gibt es kein Happy End." Die wichtigste Konsequenz der Debatte aber war: "Nach diesem Schock sind alle anderen Tabu-Themen weniger tabu".
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Jedwabne, Patriotismus

New York Review of Books (USA), 23.03.2006

Der britische Schriftsteller und bekennende Zocker Al Alvarez zollt dem besten und gerissensten Poker-Spieler aller Zeiten seinen Tribut, Stuey Ungar, genannt "The Kid", dessen Biografie "One of a Kind" Nolan Dalla and Peter Alson jetzt vorgelegt haben: "Die andere Profis waren oft ebenso charmant wie bewandert im Kartenspiel. Einmal fragte ich einen von ihnen, warum chancenlose Amateure eigentlich mit ihm spielen wollen. 'Ich lasse die Leute denken, dass es Klasse hat zu verlieren', sagte er. 'Es bedeutet, dass sie entweder sehr reich sind oder dass sie sich selbst gut im Griff haben. Stuey, immer von Schlägern umgeben, hatte keinen Charme. 'Er war als Sieger unausstehlich und als Verlierer armselig', schreiben seine Biografen... Sein Ziel war nicht, Geld zu gewinnen, sondern Menschen zu zerstören und der Beste zu sein." (Hier ein Bild von Ungar - der Mann rechts - vor seinem dritten 1 Million Dollar Gewinn in Las Vegas.)

Weitere Artikel: Tony Judt findet zwar John Lewis Gaddis' Geschichte "The Cold War" viel zu triumphalistisch, gut gefallen haben ihm aber die Passagen, in denen Gaddis Washingtons jahrzehntelangen Kampf um Glaubwürdigkeit beschreibt: "Wie die Sowjets davon überzeugen, dass wir tatsächlich für einige Teile Europas oder Asiens einen Krieg anfangen würden? Und wie gleichzeitig behaupten, dass wir dies nicht tun wollen?" Paul Krugman und Robin Wells zeichnen en detail das Elend des amerikanischen Gesundheitssystems nach. Der amerikanische Jurist Ronald Dworkin stellt klar, dass "in einer Demokratie niemand, so mächtig oder machtlos er auch immer sei, das Recht hat, nicht beleidigt zu werden", dass dies aber nicht heiße, dass jeder die Mohammed-Karikaturen in der Zeitung sehen dürfe. Besprochen werden zudem neue Bücher über Insekten und anderes krabbelndes Kleintier.

DU (Schweiz), 01.03.2006

Das Schweizer Magazin DU setzt einen Kontrapunkt zum Mozart-Jahr und macht ein Heft über Johann Sebastian Bach, den "geometrischen Komponisten". Volker Hagedorn fährt als Bratscher mit einem Orchester durch Albanien und hat viel Zeit, über Bach nachzudenken. "Acht Viertel pro Takt, rauf und runter in lauter kleinen Schritten, wie ein emsiger kleiner Wanderer, und jenseits die fünfstimmige Herrlichkeit. Das hat etwas sehr Irdisches und Rührendes, diese beharrliche Menschenmühe der Bässe vor dem schwerelosen Vokalhorizont. Der entfaltet sich sanft, so wie von einem fahrenden Bus aus gesehen der unbewegliche Horizont sich allmählich wandelt. Es ist eine panoramische Musik, die unendlich viel Platz für Blicke auf die Welt hat. Und während die Geigen goldene Höhenlinien ziehen, können die Bratscher zuhören, 45 Takte lang, schweigende Zeugen dieser Weltbalance."

Online
zugänglich sind außerdem Lislot Freis Analyse der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur, BWV 1068. "Ein kleines Zückerchen gibt's gratis: den Klang der Barocktrompeten ganz am Ende des Satzes. Ihr langer Schlusston leuchtet uns zu einer Erfahrung der überirdischen Art." Konrad Heidkamp beschreibt, wie Jazz und Bach zueinander finden können. Nur im Print gibt es einen Mozart-Bach-Vergleich und einen Artikel über Musik als Abbild der göttlichen Ordnung. Helga Leiprecht skizziert kurz Ossip Mandelstams Verhältnis zu Bach: "Vielstimmigkeit ist für Ossip Mandelstam ein anderes Wort für Poesie und vor allem ein anderes Wort für Kultur. Nebeneinander und Gleichberechtigung von Stimmen statt Gleichschaltung und Monotonie (wie sie der Stalinismus erzwingen wollte)." Und Wolfram Goertz unternimmt 23 Versuche, den Kosmos Bach zu ergründen.
Archiv: DU

Polityka (Polen), 04.03.2006

Politisches Kino, das bei der Berlinale und anderen internationalen Festivals hoch angesehen wird, hat in Polen kaum eine Chance, findet Andrzej Wajda im Interview mit dem polnischen Magazin. "Wenn nur die Hälfte der Polen zur Wahl geht, sollte man sich nicht wundern, dass Filme mit politischer oder sozialer Thematik kaum Publikum anziehen. Ich hoffe, meine jüngeren Kollegen werden Filme über das gegenwärtige Polen machen, die nicht nur die Menschen daheim und im Ausland interessieren, sondern auch Zeugnis ablegen von unserem Ringen um Polens Platz im neuen Europa". Wajda, der jetzt einen Film über das Massaker von Katyn drehen wird, zeigt sich auch verwundert darüber, dass das Publikum vor allem Fabeln sehen will: "Ist die heutige Realität denn so abstoßend?"
Archiv: Polityka

Foglio (Italien), 04.03.2006

Stefano di Michele schreibt über die untergegangene Tradition der großen Wahlkampfveranstaltungen unter freiem Himmel, die durch das Fernsehen verdrängt wurden: "Die Nachkriegszeit war die goldene Ära der Kundgebungen (genau dokumentiert in den Filmen von Don Camillo und Peppone), aber noch 1960, im Regierungswahlkampf, berichten die Zeitungen über die erstaunliche Menge von einer Million Kundgebungen. Und Il Giorno titelte: 'Ein Heer von Rednern (vierzigtausend) auf den Plätzen'. Es war eine ernste Angelegenheit, die Kundgebung. Die Feier und der Gefeierte, die letzte Ölung der lebendigen Haut der Politik." Den ganzen Artikel gibt es als pdf.
Archiv: Foglio
Stichwörter: Nachkriegszeit

Nouvel Observateur (Frankreich), 02.03.2006

In einem eher boshaften Geburtstagsartikel zu "30 Jahren neue Philosophen" analysiert Aude Lancelin die frühen Erfolge Andre Glucksmanns und Bernhard-Henri Levys mit ihren antitotalitären Büchern als "entscheidende fortschrittsfeindliche Wende einer ganzen Fraktion der französischen Intelligenzija". Lancelin erinnert auch an die furiosen Angriffe, die Gilles Deleuze seinerzeit gegen die antitotalitären Nachwuchsdenker abfeuerte, und zitiert Glucksmanns Antwort: "Ja, mein lieber Gilles, der Gulag ist kein Komma in einem Text von Kant! Der Gulag ist ein Kraftwort, ein dicker Brocken, den wir damals der verblendeten französischen Intelligenzija in die Suppe warfen." Levy hat gerade "American Vertigo" (Grasset, hier), veröffentlicht, Reisetagebuch und zugleich Versuch, ein Bild der USA nach dem 11. September zu entwerfen, und Glucksmann den Erinnerungsband "Une rage d?enfant" (Plon, hier). Zu lesen ist außerdem ein Bericht über Levys Auftritt bei diversen öffentlichen Veranstaltungen während seiner USA-Reise.

In der Titelgeschichte werden die "Lehren" diskutiert, die aus der Entführung, Folterung und Ermordung des jungen jüdischen Franzosen Ilan Halimi durch eine Jugendbande zu ziehen seien. Die Verortung des "barbarischen Verbrechens" arbeitet sich in Frankreich an den Themenfeldern "Supergewaltbereitschaft von Banden", "unmenschliche Städte", "Kultur des Hasses" und "Verharmlosung des Antisemitismus" ab.

Weiteres: Im Debattenteil sind Auszüge aus einem Katalogbeitrag zu lesen, den der Schriftsteller Abdelwahab Meddeb ("La Maladie de l'islam", Seuil) für die demnächst in der Bibliotheque Nationale eröffnende Ausstellung "Lumieres!" geschrieben hat. Darin erklärt er, wie die islamische Welt im 19. Jahrhundert der Aufklärung begegnete und warum sie selbst deren Ideen nicht übernahm. Der Nouvel Obs-Mitarbeiter Jean-Louis Ezine hofft in einem offener Brief an den Philosophen Michel Onfray, dass sein Projekt einer "Contre-histoire de la philosophie" (Editions Grasset), von dessen sechs angekündigten Bänden die ersten zwei gerade erschienen sind, "nur lustig gemeint sei". Zwei Rezensenten erörtern schließlich das Für und Wider des neuen Romans "Villa Amalia" von Goncourt-Preisträger Pascal Quignard.

Times Literary Supplement (UK), 03.03.2006

Ian Thomson hat den Agenten identifiziert, der offenbar das Vorbild für Graham Greenes "Unser Mann in Havanna" war. Allerdings war er als Vize-Konsul seiner Majestät in Tallinn stationiert: Peter Edmund James Leslie. "Nach allen Standards lebte Leslie ein ausgefallenes Leben. Vor dem Ersten Weltkrieg war er Hilfsprediger in der episkopalen Church of the Ascension, einem turmartigen Backstein-Gebäude bei den Victoria Docks im östlichen London. Für das Jahr 1916 listet das Diözesan-Jahrbuch einen Reverend Leslie als anglikanischen Armee-Kaplan, bei Kriegsende konvertierte er allerdings zum Katholizismus und begann als Verkäufer bei der Waffenfirma William Beardmore & Co. Wenn auch nicht wohlhabend, bewegte er sich doch in Patrizierkreisen und erwarb Anteile an einer Diamantenmine in Südafrika." Begegnet waren sich die beiden im Flugzeug von Riga nach Tallinn im Jahr 1934, wie Thomson rekonstruiert: "Die beiden Männer lasen zufällig einen Henry-James-Roman in der gleichen Ausgabe und kamen miteinander ins Gespräch. Sie verbrachten 'viele fröhliche Stunden' zusammen in Tallin, wie Greene selbst schreibt, 'während ich nicht vergeblich nach einem Bordell suchte.'"

Als eines der brillantesten, klügsten und klarsten Bücher über die begrenzte Bedeutung der Gene für unser Verhalten preist Louise Barrett Robert Sapolskys "Monkeyluv". Morris Dickstein stellt Lewis Dabneys Biografie des Schriftstellers Edmund Wilson vor. Tom Shippey lässt sich von Jennifer Westwood und Jacqueline Simpson durch Englands legendäre Landschaften führen.

Elet es Irodalom (Ungarn), 03.03.2006

Vor einigen Wochen entlarvte der junge Historiker Krisztian Ungvary den Kardinal Laszlo Paskai, Ex-Primat der ungarischen katholischen Kirche als ehemaligen Stasi-Spitzel und löste damit eine heftige Debatte über das Verhältnis der katholischen Kirche zur Stasi aus, auf die Ungvary in der neuen Ausgabe reagiert: "In der Debatte wurde zu Recht gefordert, dass nicht nur ehemalige Spitzel, sondern auch die Stasioffiziere enttarnt werden sollen. Dem steht aber gerade das Schweigen der betroffenen Bischöfe im Wege, die ihre Unterdrücker heute noch schützen. ? Nur sie könnten jene Personen endlich entlarven, die heute eine führende Rolle in Wirtschaft und Politik spielen. ? Das Kadar-Regime ist immer noch nicht zu Ende, allem Anschein zum Trotz. Viele tragen die Last der Diktatur heute noch in sich, gehorchen heute noch den Anordnungen, die ihnen damals aufgezwungen wurden. Aus der Knechtschaft der Diktatur könnten sie sich befreien, wenn sie heute ihre Geschichte erzählen würden. Sie brauchen keine Angst zu haben. Eine ganze Reihe spektakulärer Fälle zeigt, dass die Gesellschaft ihnen verzeihen will."

Espresso (Italien), 03.03.2006

Russland hat nichts anzubieten außer Gas und Gewehren, erklärt Andrzej Stasiuk in seinem Psychogramm der Wirtschaft des großen Nachbarn. Das reiche aber völlig aus. "Sowohl die Kalaschnikow als auch das Gas brauchen alle, es ist ganz einfach. Jeder benötigt günstige Waffen zum Leben, jeder benötigt Energie. Agressivität und die Macht über Energie sind eine Art siamesische Zwillinge. Die Agressivität dient zur Sicherstellung der Energie, und mit mehr Energie kann man agressiver auftreten, und so fort, bis zum bitteren Ende. Darin besteht das russische Genie."

Weiteres: Monica Maggi berichtet von der Comicon, der dreitätigen Comic-Messe in Neapel, auf die in diesem Jahr Deutschland und Großbritannien eingeladen wurden. Edmondo Berselli betrachtet den italienischen Wahlkampf als Western, in dem die Hauptdarsteller nicht schwul, sondern schön altmodisch gut, böse oder verschlagen sind. Silvia Bizio erfährt von der Schauspielerin Sarah Jessica Parker, dass sie beim Dreh mit Matthew McConaughey errötete.
Archiv: Espresso

Folio (Schweiz), 06.03.2006

Im neuen Folio-Heft geht es um Zucker, jenes fatale Doppelmolekül aus Fruktose und Glukose (C12H22011), das so schädlich ist und doch glücklich macht, wie Beate Kittl erklärt: "Das Gehirn hat ein enges Verhältnis zum Zucker: Es ist das einzige Organ, das seine Energie ausschließlich aus Zucker schöpft... Süßes gehört zu den Erfahrungen, die das Gehirn als angenehm registriert, genau wie Sex, beruflicher Erfolg oder Zärtlichkeiten. Dafür sorgt auch ein weiteres Molekül: der Glücksbotenstoff Serotonin. Zucker bewirkt die Ausschüttung von Serotonin im Gehirn, und wenn die Hirnzellen von Serotonin umspült werden, ist der Mensch froh und zufrieden. Bei Depressionen mangelt es an Serotonin im Gehirn; ebenso im Winter, denn Tageslicht kurbelt die Serotoninbildung an. Daher die besonders starken Gelüste auf Süßes im Winter."

Richard Bauer besucht die einstigen Zuckerrohr-Plantagen der Karibik, auf denen Sklaven für den ungeheuren Reichtum ihrer Kolonialherren schuften mussten. Nahe dem Cap-Haitien ist er auf das Rütli der Haitinaer gestoßen, den Bois Caiman: "Dort, so will es die Legende, versammelte der Voodoo-Priester Boukman in einer stürmischen Gewitternacht 1791 eine große Zahl von Sklaven aus den umliegenden Zuckerplantagen. Ein schwarzes Schwein wurde geschlachtet. Die Anwesenden tranken von seinem Blut und schworen ihrem Anführer bedingungslose Gefolgschaft im Aufstand gegen die Weißen. Als sich die Sklaven vom Joch der Kolonialherrschaft befreit hatten, war es auch mit der Blüte der Zuckerwirtschaft vorbei: Die Unterdrücker wurden getötet oder vertrieben, ein Großteil der Plantagen verkamen, und die befreiten Sklaven schworen, nie mehr für andere Herren zu schuften."

Weiteres: Reto U. Schneider besucht in Köln die größte Süßwarenmesse der Welt. Der Markt, muss er feststellen, ist gesättigt: "Jeder Schweizer konsumiert im Jahr durchschnittlich neun Kilo Schokolade, jeder Holländer vierzehn Kilo Kekse, jeder Finne acht Kilo Zuckerwaren." Mikael Krogerus macht uns mit dem neuen Trendprodukt aus den USA bekannt, Splenda: Der Süßstoff wird aus Zucker gewonnen, ist aber 600 Mal süßer als Zucker, enthält keine Kalorien und verursacht keine Karies." Tobias Zick erklärt die Brüsseler Zuckerpolitik. Und Andreas Heller sorgt sich um die Zukunft der Schweizer Zuckerrüben-Bauern.
Archiv: Folio

Al Ahram Weekly (Ägypten), 02.03.2006

Voll des Lobes und der Anerkennung zeigt sich Nehad Selaiha angesichts der arabischen Premiere von Jean Genets Bordellstück "Der Balkon" in Kairos Al-Hanager Theater: "In der arabischen Welt ein Stück aufzuführen, das vor einem halben Jahrhundert in Paris einen Skandal verursachte, ist noch immer eine Herausforderung ... die Schauspielerinnen mußten erst lernen, dass man sich im Puff nicht nach den Regeln der Keuschheit kleidet ... jeder Zentimeter nackte Haut war nervenaufreibende Verhandlungssache."

Weitere Artikel: Galal Nassar blickt zurück auf 15 Jahre Al Ahram und stellt fest, dass die Probleme im Nahen Osten noch immer die gleichen sind wie im Gründungsjahr des Blattes. Jailan Halawi kommentiert den jüngsten Verstoß gegen die Pressefreiheit in Ägypten. Und in einem Interview schwärmt der britische Fotograf und bekennende Muslim Peter Sanders vom "blendenden Licht reinen Glaubens".
Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Genet, Jean, Pressefreiheit

London Review of Books (UK), 09.03.2006

Ist Osama bin Laden ein Wahnsinniger, wie die amerikanische Regierung uns weismachen will? Keineswegs, glaubt Charles Glass nach der Lektüre von "Messages to the World: The Statements of Osama bin Laden", in denen Glass außer rhetorischer Gewandtheit und einer beherzten Prise Scheinheiligkeit keinerlei Anzeichen von geistiger Verwirrung erkennen konnte - ganz im Gegenteil. "Bin Ladens Ausgleich zwischen dem Westen und dem Islam deckt sich mit seiner Beanspruchung von Sendezeit in den weltweiten Medien. Im Internet wie auch im Fernsehen hat er Bush den Rang abgelaufen. Und im Gegensatz zu Bush kann er sich gewandt und stimmig artikulieren. Seine Begründung der Gewalt ist einfach: Ihr habt Muslime über das gesamte vergangene Jahrhundert hinweg angegriffen, und nun ist es an den Muslimen, den Krieg zu euch zu bringen."

Weitere Artikel: Paulus oder Odysseus - Wer war Johnny Cash? Ian Sansom vergleicht die Mythenbildung in Steve Turners Biografie "The Man Called Cash: The Life, Love and Faith of an American Legend" und in James Mangolds Filmbiografie "Walk the Line". Angeregt von John Burnsides überzeugend gruseliger Autobiografie "A Lie about My Father" denkt Hilary Mantel darüber nach, wie sich die Lügen der anderen, die eigenen Lügen und der autobiografische Gestus zueinander verhalten. "Neuigkeiten breiten sich im Internet wie Lauffeuer aus, allerdings nicht immer über die vorhersehbaren Kanäle", stellt Thomas Jones fest, nachdem er in einem Online-Rollenspiel auf Andeutungen über Dick Cheneys Jagd-Malheur gestoßen war, bevor dieses überhaupt öffentlich wurde. Und Hal Foster erfreut sich an der Ausstellung zum 100. Geburtstag des Bildhauers David Smith im New Yorker Guggenheim-Museum.

Rivista dei Libri (Italien), 01.03.2006

Der Politikwissenschaftler Gianfranco Pasquino gibt anlässlich zweier Neuerscheinungen über die italienische Demokratie eine Einführung in den römischen Politikbetrieb. "Wenn die Parteien nicht mehr nur die politische Machtsphäre besetzen, sondern die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Bürokratie und die Medien infiltrieren, verbiegen sie diese nach ihren Bedürfnissen und parzellieren sie, bis die Demokratie in die Parteienherrschaft mündet. Es ist wahrscheinlich, dass nicht wenige Phasen der italienischen Republik, sicher aber jene der Pentapartito (1980-1992) (Wikipedia), mit diesem Terminus bezeichnet werden müssen. Die Pentapartito im Besonderen verkörpert den höchsten Grad einer voll entwickelten Parteienherrschaft. Im Jahr 1993, nach der Welle der Referenden zur Absetzung einiger Minister (in erster Linie des berüchtigten Ministers für Staatsbeteiligungen) und nach dem Referendum zum Verbot der staatlichen Finanzierung der Parteien, schien es, dass die italienische Parteienherrschaft einen irreparablen Schaden davongetragen hatte und sich nie mehr erholen würde." So kann man sich irren.

Weltwoche (Schweiz), 02.03.2006

Im Gespräch mit Sacha Verna erklärt der 84-jährige amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut Gott zum Totempfahl und jeden Präsidenten zum Verwirrten. "Der tragische Fehler jeder Demokratie besteht darin, dass nur ein Verrückter Präsident werden will. Meine High-School-Klasse war demokratisch organisiert. Wir wählten einen Klassenpräsidenten, einen Klassenvizepräsidenten, einen Sekretär und so weiter. Jeder, der für das Amt des Präsidenten kandidierte, hatte eine Schraube locker. Alles, was sie wollten, war, gewählt zu werden. Alles, was George W. Bush wollte, war, gewählt zu werden. Darüber hinaus hatte er keine Pläne. Seine Freunde hingegen hatten jede Menge Pläne. Und die regieren jetzt das Land."

Weiteres: Deutsche Autofirmen avancieren zu Katalysatoren für moderne Architektur, bemerkt Axel Simon. Außerdem unterhält sich Mark van Huisseling mit Gitta Saxx, dem deutschen Playmate des Jahrhunderts.
Archiv: Weltwoche

New York Times (USA), 05.03.2006

Einen mutigen Mann nennt Jim Windolf den Musikkritiker Simon Reynolds, der sich mit "Rip It Up and Start Again" an eine Geschichte des Postpunk wagt (Devo u. a. als Audiofile). Mitunter ein bisschen zu geschwätzig, wie Windolf findet: "Das passiert vielen, die über Popmusik schreiben: Weil ihr Thema nicht den Status der Hochkultur genießt, geraten sie in Panik und schwadronieren drauf los. Bei Reynolds stehen zwischen den obligatorischen Barthes- und Derrida-Referenzen immerhin ein paar Kraftausdrücke."

Dave Itzkoff eröffnet die neue Science-Fiction-Kolumne der Book Review mit einer Besprechung von David Maruseks neologismenfreudigen Roman "Counting Heads" - "einem mitunter brillianten Porträt unserer Gesellschaft im 22. Jahrhundert ... das uns in seinen besten Momenten nostalgisch stimmt und dankbar, eine Zukunft nicht erleben zu müssen, in der unsere Körper zu schnöden Datenträgern reduziert werden."

Weiteres: Elisabeth Royte hält Mark Kurlanskys kleine Kulturgeschichte der Auster (Leseprobe "The Big Oyster") für ein wunderbares Buch über die Stadt New York, die Austern werden dafür nicht so recht greifbar. In einem Essay erinnert Mike Meyer an die Schriftstellerin, Nobelpreisträgerin und unermüdliche Vermittlerin zwischen Orient und Okzident Pearl S. Buck.

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Archiv: New York Times