Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
08.08.2006. Für Walrus reist Lisa Moore von Neufundland nach Tasmanien. In Outlook India skizziert Asiya Andrabi mit Wonne die kommende islamische Weltherrschaft. Der Spectator gibt Russland die Schuld an der Existenz Israels. Die Gazeta Wyborcza stellt den neuesten polnischen Exportschlager vor: Priester. Die Weltwoche experimentiert mit Meerschweinchenhoden. In Prospect seziert Jorge Castaneda die lateinamerikanische Linke. In Le Point fragt Bernard-Henri Levy, warum sich kein Demonstrant für ermordete Muslime interessiert, die nicht von Israelis getötet wurden. Im Believer denkt Steven Soderbergh über die Wechselwirkung von Porno und Politik nach. In Elet es Irodalom erklärt Laszlo Vegel die Missverständnisse zwischen Ost- und Westintellektuellen in der Handke-Debatte.

Walrus Magazine (Kanada), 01.08.2006

Unter der Überschrift "Die Enden der Welt" beschreibt die aus Neufundland stammende kanadische Schriftstellerin Lisa Moore, wie die Literatur zweier abgelegener Inseln - Neufundland und Tasmanien - die "Phantasie der ganzen Welt gefangen genommen" habe. Die besondere Aufmerksamkeit verdanke sich vor allem "der wahren Explosion einer erstaunlichen literarischen Produktion" in den letzten 20 Jahren. "Die tasmanische und neufundländische Literatur fesselt die internationale Phantasie insofern als beide - teilweise weil sie Neuland vermessen - über die besonderen Details des Orts, der Stimme, des Tonfalls und des Witzes verfügen, die sich dem Leben auf Inseln an der Peripherie, an den Enden der Welt verdankt. London, Paris, Rom - das sind Orte, die in unserer Phantasie Jahrhunderte lang als feste, verlässliche Landschaften existierten. Die phantastischen Landschaften Tasmaniens und Neufundlands dagegen sind noch ziemlich wild."
Archiv: Walrus Magazine

Outlook India (Indien), 14.08.2006

Im einem Interview mit Aditi Bhaduri spricht die berüchtigte Führerin der separatistischen kaschmirischen Frauenbewegung Dukhtaran-e-Millat (Töchter der Nation) Asiya Andrabi erstmals in der indischen Presse über ihre Unterstützung der Mudschaheddin im Kaschmir-Konflikt und über ein fernes Weltkalifat: "Ich glaube nicht an einen unabhängigen Staat Kaschmir, ich glaube nicht an Nationalismus. Für mich gibt es nur Moslems und Nicht-Moslems. Ich bin eine Muslimin, es ist mir egal, ob man mich eine Kashimiri nennt. Ich bin Andrabi, aus der Syed Dynastie. Tatsächlich bin ich gar keine Kashmiri, sondern Araberin, meine Vorfahren kamen aus Arabien nach Zentralasien. Ich glaube an einen islamischen Nationalismus." Das nächste Ziel, die Vereinigung Kaschmirs mit Pakistan, ist für Andrabi dann auch nur ein Zwischenschritt zur weltbeherrschenden Vereinigung aller Muslime. "Wissen Sie, es gibt hunderte und tausende solcher Bewegungen. Nicht nur Dukhtaran-e-Millat arbeitet daran. Lokale Bewegungen überall auf der Welt arbeiten daran. Aber sie sollten vereint werden. Die islamische Lehre sagt, es solle nur eine Ummah geben... wir arbeiten daran."

Außerdem: Shuddhabrata Sengupta entdeckt in Pankaj Mishras kritischer Studie "Temptations of the West" Kanonisches zum Thema Nationalismus. Und die Titelstory von Pramila N. Phatarphekar schlägt Alarm: Die weltgrößte Veggie-Nation hat ein Gewichtsproblem. Jeder Vierte aus der urbanen Mittelschicht leidet unter Fettleibigkeit.
Archiv: Outlook India

Spectator (UK), 05.08.2006

Der wahre Gegner Israels ist weder der Libanon noch die Hisbollah, sondern der Iran, betont Melanie Phillips. Und dann dreht sie sich in einer überraschenden Wendung um und zeigt auf Russland. "In einem iranischen Fernsehinterview vom 23. Juli behauptete Präsident Mahmud Ahmadinedschad, dass 'England der Begründer des bösen Regimes' (Israel) und, genau wie Amerika, 'ein Mitschuldiger an dessen Verbrechen' gewesen sei. Tatsache ist jedoch, dass Großbritannien eigentlich sein Versprechen gebrochen hat, einen jüdischen Nationalstaat in Palästina zu gründen. Es hat sich auf die Seite der die Nazis unterstützenden Araber gestellt und sich letztlich bei der UN-Abstimmung zur Gründung Israels der Stimme enthalten. Die wirkliche Unterstützung erhielten die Juden von der Sowjetunion - also sollte der Empfänger von Ahmadinedschads Beschwerden ordnungsgemäß sein momentaner Schutzpatron Vladimir Putin sein."
Archiv: Spectator

Gazeta Wyborcza (Polen), 05.08.2006

Der Soziologe Zygmunt Bauman erklärt uns die Globalisierung! Sie sei über uns hereingebrochen wie seinerzeit Industrialisierung und Kapitalismus. "Die Wendung 'fließende Moderne' beschreibt die Realität am besten. Es geht um ein obsessives Verändern, 'Modernisieren', einen Prozess ohne Aussichten auf Finalität. Es ist ein Rennen ohne Ziel. Wir schmelzen die bestehenden Formen ein, lassen aber die dadurch gewonnene Masse nie lang genug kühlen, um neue Formen entstehen zu lassen. Die Hüttenöfen arbeiten rund um die Uhr, die Gießereien kommen aber nicht hinterher." Sogar die Zukunftsvisionen sind fließend, meint Bauman. Ja, "sie wurden privatisiert. Den Individuen sagte man, sie sollen sich um ihre Zukunft selbst sorgen. Das trägt nicht gerade zu sozialen Bindungen und Solidarität bei."

In Polen wird seit längerem über die Folgen der massenhaften Arbeitsmigration diskutiert - seit dem EU-Beitritt sind schätzungsweise 2 Millionen Menschen, hauptsächlich junge, gut ausgebildete, nach Westeuropa emigriert. Einen spezifischen Aspekt dieses Phänomens beschreibt Jaroslaw Makowski: die Migration katholischer Priester. "Während im Westen - sogar im erzkatholischen Irland, wo besonders viele Polen jetzt arbeiten - die Zahl der Berufungen immer weiter zurückgeht, werden hierzulande ca. 7.000 Priester jährlich geweiht. Kein Wunder, dass sie zu einem Exportschlager wurden!" Einige Geistliche benennen die Vorteile: "Man kommt in Kontakt mit anderen, liberaleren Strömungen innerhalb der Kirche. Hier geht es weniger um Riten als um die individuelle Arbeit mit den Menschen."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Weltwoche (Schweiz), 03.08.2006

In dieser Weltwoche dreht sich alles um den Test. Reto U. Schneider präsentiert eine kleine Chronik der medizinischen Selbstversuche. "An 15. Mai 1889 zermalmte Charles-Edouard Brown-Sequard in seinem Labor am College de France in Paris die Hoden eines jungen, kräftigen Hundes, fügte etwas destilliertes Wasser hinzu und spritzte sich den Saft in den linken Unterarm. Er wiederholte die Injektion an den zwei darauffolgenden Tagen, und als ihm der Hundehodensaft ausging, stieg er auf zerkleinerte Meerschweinchenhoden um. Brown-Sequard glaubte, dass 'die Schwäche des Alters zum Teil auf die verschlechterte Hodenfunktion' zurückzuführen sei. Schon am zweiten Tag des Versuchs glaubte Brown-Sequard die Wirkung zu spüren. Er konnte wieder Treppen hochrennen, lange am Labortisch stehen und abends an Artikeln arbeiten. Auch an seinem Urinstrahl ging die Behandlung nicht spurlos vorbei: 'Was die Distanz betrifft, die er zurücklegte, bis er im Pissoir zu Boden kam' - eine seiner seltsamen Messgrößen -, stellte er einen Zuwachs von mindestens einem Viertel fest."

Der Statistiker Walter Krämer versucht - nicht immer erfolgreich - allgemeinverständlich zu erklären, warum seine Profession nicht zu ernst genommen werden darf. "Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Atomkraftwerke Leukämie erzeugen, aber eine Häufung nur bei einem Kraftwerk ist dafür kein Indiz. In den USA zum Beispiel gibt es 'signifikante' Häufungen von Blutkrebs in der Nähe katholischer Gotteshäuser."

Weiteres: Ingolf Gillmann sinniert über den Test als Ersatzreligion. Außerdem darf man sich ausgiebig selbst testen, und zwar über Biblisches, Beziehungstechnisches, Bergiges und Biologisches.
Archiv: Weltwoche

Radar (Argentinien), 06.08.2006

Wenig optimistisch über die Aussichten seines Berufsstandes äußert sich Yves Champollion, Nachkomme des mythischen Hieroglyphenentzifferers Jean-Francois Champollion, weltbekannter Spezialist für wissenschaftliche Übersetzungen und einer der Entwickler der Übersetzungssoftware Wordfast: "Als Übersetzer befindet man sich heute in der gleichen Situation wie die Industriearbeiter vor hundert Jahren: Ein heutiger Übersetzer schafft zwanzig Seiten pro Tag, vor zwanzig Jahren waren es höchstens fünf. Man muss immer schneller arbeiten und hängt immer stärker von der Maschine ab. Im Grunde genommen arbeiten die Übersetzer heute wie Roboter. Zu 97 Prozent besteht ihre Arbeit aus technischen oder kommerziellen Texten, Literaturübersetzung ist inzwischen völlig marginal, reine Folklore."

Im Interview vergleicht sich Alberto Garcia-Alix, berühmt geworden als der Fotograf der Madrider 'movida', mit seiner Kollegin und Bekannten, der US-Fotografin Nan Goldin: "Ich empfinde mehr Scham als Goldin, Menschen, die im Sterben liegen, wollte ich nie abbilden. Spanier haben ein stärkeres Gefühl für die Tragik des Lebens als Angelsachsen. Ein Spanier wütet, dreht durch, ist exzessiv, aber anschließend verspürt er Scham angesichts der Tragödie."
Archiv: Radar

Prospect (UK), 01.08.2006

Jorge Castaneda, ehemaliger Außenminister Mexikos, beschreibt in einem detailreichen Hintergrundartikel die beiden unterschiedlichen Ursprünge der lateinamerikanischen Linken, die inzwischen fast überall in der Region an der Regierung ist. Die einen kommen eher aus ehemaligen kommunistischen oder prokommunistischen Bewegungen und regieren zum Beispiel in Chile, Uruguay oder Brasilien. Die anderen haben ihren Ursprung im lateinamerikanischen Populismus a la Peron - wie etwa Hugo Chavez in Venezuela. Castanedas Sympathien gehören den ersteren: "Die reformierte radikale Linke ist gut für Lateinamerika. Angesichts der Ungleichheit in der Region, der Armut, der immer noch schwachen demokratischen Tradition und der unfertigen Institutionen bietet diese Linke genau das, was für ein gutes Regieren in der Region gebraucht wird. Chile ist das Beispiel: Der Weg dieser Linken ist der Weg heraus aus Armut, Autoritarismus und sogar aus der Ungleichheit. Die linken Populisten hingegen mit ihrer wenig gefestigten Ideologie (...) sind kaum offen für modernisierende Einflüsse. Für sie ist Rhetorik wichtiger als Substanz."

Prospect verlinkt auch auf ein etwas älteres großes Porträt von Hugo Chavez.
Archiv: Prospect

De Volkskrant (Niederlande), 04.08.2006

Die "Goldene Ära" der Zeitung ist vorbei! Die Medienexperten Warna Oosterbaan und Hans Wansink verordnen den klassischen Printmedien in ihrem Essay eine radikale Schlankheitskur: "Statt der 'Catch all'- Zeitungen, die mit audiovisuellen Medien konkurrieren und alles mögliche gleichzeitig bedienen wollen, brauchen wir kompakte Zeitungen, die sich auf ihre Kernkompetenzen besinnen: Nachrichten und vor allem Hintergrundberichte aus den drei Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur." Das komme auch der Mediennutzung der holländischen Jugend entgegen. Die findet "Emotionen spannender als Fakten und das Persönliche interessanter als das Allgemeine".

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit Halleh Ghorashi, Exil-Iranerin und Anthropologin an der freien Universität in Amsterdam, über ihr Leben zwischen zwei Welten: "Ich kann inzwischen fast so gut Rad fahren wie ein echter Niederländer. Und die lässige Kultur des 'Doe maar gewoon' (dt.: 'Bleib auf dem Teppich') mag ich sehr. Die persische Lust am Prunk habe ich noch nie verstanden. 'Doe maar gewoon' - das ist typisch Holland."
Archiv: De Volkskrant

Przekroj (Polen), 03.08.2006

Anfang der neunziger Jahre wollte Lech Walesa aus Polen ein "zweites Japan" machen. Jetzt fordern Marcin Fabjanski und Milena Rachid Chehab: Polen sollte sich ein Vorbild an Spanien nehmen! "Innerhalb von 20 Jahren wurde aus der rückständigen Peripherie Europas ein führendes Land. Ein wichtiger Baustein war dabei der 'Pakt des Schweigens' nach der Franco-Diktatur, der das Land nach vorne schauen ließ". Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung sei Spanien "eine lebendige Reklame für die EU" geworden und ein aufsteigender Global player.

Und: Lukasz Drewniak und Jacek Sieradzki blicken zurück auf die vergangene Theatersaison. "Die Szene hat sich geteilt - auf der einen Seite die düsteren Experimentierer, auf der anderen die leidenschaftslosen Routiniers. Die Mitte ist leider leer. Zum Glück gibt es manchmal noch Inszenierungen mit Witz, die nicht in die Falle der Albernheit tappen. Zähneknirschen und Depressionen haben wir auch so genug, dazu brauchen wir das Theater nicht."
Archiv: Przekroj

Guardian (UK), 05.08.2006

Zum Buch der Woche kürt der Guardian Amartya Sens "Violence and Identita", in dem der Nobelpreisträger allen Denkschemata eine Abfuhr erteilt, die dem Menschen nur eine - ethnische oder religiöse - Identität zubilligen. Doch in den Augen von John Gray hat Sen ein sträflich positives Menschenbild: "Sen als guter liberaler Rationalist ist der unerschütterlichen Überzeugung, dass die Gewalt, die einer Zugehörigkeit entspringt, das Ergebnis eines fehlgeleiteten Glaubens ist. Er kann nicht akzeptieren, dass ihre Ursachen den Menschen selbst inhärent sind - nicht weil ihre Vernunft fehlbar ist, sondern weil dies nun mal geschieht, wenn Freiheit und Ordnung zerbrechen, wie Isaiah Berlin erkannte."

Geoff Dyer preist Rebecca Wests neu aufgelegtes Buch "Schwarzes Lamm und grauer Falke" von 1941 als immergültigen Reiseführer durch Jugoslawien: "Die prophetische Qualität erweist sich bereits auf Seite zehn, wenn West schreibt, dass es eine Angewohnheit der Menschen hier sei, von einem alten Mann, der seinen Laden in den Ruin getrieben hat, bei seinem Tod zu sagen: 'Der Mann war ein Wunder. So lange hat er die Dinge zusammen gehalten, und nun seht, was passiert, da er nicht mehr da ist!' Ich kann mich noch genau erinnern, wie irritierend es war, dies 1993 zu lesen und angesichts der damaligen Ereignisse denken zu müssen, sie schreibe nicht über Kaiser Franz Josef, sondern über Tito."

Weitere Artikel: Als stärkende Lektüre empfiehlt Natasha Walter die Briefe Martha Gellhorns, die sie genau so großartig findet wie ihre Reportagen aus den Kriegen des vorigen Jahrhunderts - und das obwohl - oder weil? - "so viele wütende, so viele traurige und so viele verzweifelte" Briefe darunter sind. Besprochen werden unter anderem auch Rodney Bolts Biografie des Librettisten Lorenzo Da Ponte und John Updikes neuer Roman "Terrorist".
Archiv: Guardian

Tygodnik Powszechny (Polen), 31.07.2006

"Die ersten Äußerungen von Premierminister Kaczynski klingen fast so, als wolle sich Polen aus Europa verabschieden. Seine Philosophie lässt sich wie folgt zusammenfassen: die EU-Gelder bekommen wir, weil wir es historisch verdienen, und werden sie in unserem nationalen Interesse nutzen. Ansonsten ist eine polnische Beteiligung an europäischen Debatten nicht zu erwarten", schreibt der Brüsseler Korrespondent Marek Orzechowski. In den anderen Hauptstädten sieht es seiner Ansicht nach nicht viel besser aus: Italien ist mit sich selbst beschäftigt, genau so wie Spanien, von Frankreich gar nicht zu reden. Deutschland schiele zu sehr nach Paris, außerdem fehle es dem Land an Mut und Mobilität. "Polen erhält 50-60 Prozent aller EU-Mittel für die neuen Mitgliedsländer. Es wäre schon was, wenn es wenigstens 10 Prozent seines intellektuellen Potenzials in das Gespräch über Europa einbringen würde. Alles nehmen und nichts geben ist kein Rezept für eine effektive EU-Politik."
Stichwörter: Mobilität

Foglio (Italien), 05.08.2006

Andrew Higgins stellt (auf einer Doppelseite hier und hier) den texanischen Prediger John Hagee vor, eine der aktivsten Stimmen der pro-israelischen christlichen Bewegung in den USA. "Christlichen Zionismus gibt es schon länger, mit dem Marketing-Instinkt von Hagee und anderen religiösen Entrepreneuren hat er aber einen gewaltigen Schub bekommen. Hagee hat enorme Ressourcen bereitgestellt, um Unterstützung für Israel zusammenzutrommeln. Er leitet eine Megakirche in San Antonio mit 19.000 Mitgliedern, betreibt eine Fernsehgesellschaft und unterhält enge Beziehungen zu einflussreichen Republikanern. Sein Bankett in Washington vergangene Woche kostete nach Angaben eines Veranstalters 500.000 Dollar. Ein großer christlicher Sender, Daystar, übertrug das Ereignis live. Am nächsten Tag organisierte er Evangelikale aus allen 50 Staaten für einen Lobbying-Blitz in der Hauptstadt." Der Artikel erschien im Original in der Pittsburgher Post-Gazette.

Weiteres: Die neue Mafia bedroht oder bezahlt keine Politiker mehr, weiß Riccardo Arena, sie berät sie - ganz legal und auch noch profitabel. Angiolo Bandinelli stellt anlässlich einer Ausstellung in Rom den italienischen Maler Galileo Chini vor, den "italienischen Gauguin" (zwei Beispiele).
Archiv: Foglio

Point (Frankreich), 03.08.2006

Bernard-Henri Levy setzt in seinen Bloc-notes seine Kommentierung des israelisch-libanesischen Kriegs fort. Eingangs fragt er sich, ob es "angesichts des Gemetzels in Kana", des Kummers und der Trauer noch möglich sei, "an die Tatsachen zu erinnern". Ein paar Fragen an die Demonstranten gegen Israel hat er auch: "So berechtigt die weltweite Erschütterung angesichts der sechzig Toten in Kana auch sein mag, fällt es dennoch schwer, sich einer letzten Frage zu enthalten. Wo waren die Demonstranten von Kairo oder auch Paris, als die zweihunderttausend tschetschenischen Muslime ermordet wurden? Warum hörte man sie so selten, als Muslime in Dafur getötet wurden? Und mit welcher Logik akzeptieren dieselben Leute ohne größere Gemütsbewegung die sechzig Toten täglich, die der Bürgerkrieg im Irak fordert? Wenn Muslime von anderen Muslimen vor den Toren der Moscheen niedergemetzelt werden, dann ist das für diese Leute nur eine Nachricht. Aber wenn der jüdische Staat Trauer über ein libanesisches Dorf bringt, dann soll das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein." Levys Text ist auf Deutsch auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom Wochenende zu lesen.
Archiv: Point

Believer (USA), 01.08.2006

"Das Schwerste auf der Welt ist es, gut und klar zu bleiben, wenn man kreativ ist. Verworren und undurchsichtig zu sein, ist einfach", meint ein, hm, leicht unkonzentriert wirkender Steven Soderbergh im Gespräch mit dem New Yorker Magazin The Believer, um dann seine filmisch-politischen Vorlieben darzulegen: "Aufwändig produzierte Pornos mit perfekter Ausleuchtung interessieren mich nicht. Das ruiniert alles. Vielleicht nimmt das einigen Leuten die Hemmung. Ich mag lieber das Amateurzeug. Es ist faszinierend, wie viel es davon gibt - zumindest bei uns - und wie machtvoll es trotzdem ist. Das Zeigen des Aktes, die Dokumentation des Aktes - bei Gewalt stumpfen die Leute irgendwann ab, aber sexuelle Aktionen sind so stark wie eh und je, was das Auslösen von Reaktionen betrifft... Wenn ich eine politische Partei hätte - und ich glaube tatsächlich, dass wir eine dritte Partei brauchen -, dann wären Pornos die beste Art, die Haltung eines Menschen zu bestimmen, viel besser als die Unterscheidung von Republikanern und Demokraten. Wir sollten eine neue politische Partei haben, und was die Leute an sie bindet, sollte interessanter sein als 'Sind sie pro-business oder pro-health-care?'"
Archiv: Believer
Stichwörter: Soderbergh, Steven, Porno

Elet es Irodalom (Ungarn), 04.08.2006

Der Handke-Debatte liegen fatale Missverständnisse zwischen Intellektuellen in West- und Osteuropa zugrunde, glaubt Laszlo Vegel, ungarischer Schriftsteller aus Novi Sad (heute Serbien): "Serbische Nationalisten und Rechtspopulisten feiern Handke als Anhänger der ethnischen Homogenisierung und der sogenannten 'serbischen Wahrheit'... Aber ihre Berührungspunkte sind trügerisch. Die Kritik am Westen und der Antiamerikanismus eines Peter Handke wird in einem völlig anderen kulturellen Kontext formuliert: Antiamerikanismus ist in Westeuropa Teil der demokratischen Kultur, in Osteuropa dient er fast immer als Rhetorik populistischer Bewegungen...

Mitläufer in Diktaturen, die nach jahrzehntelangem Schweigen entlarvt werden, versuchen ihre Tat zu leugnen oder schön zu reden, stellt Agnes Heller fest. Auch prominente Künstler wie Istvan Szabo sind keine Ausnahme: "Er war jung, der Druck war enorm, er machte einen Fehler, aber ab Anfang der 60er Jahre diente er diesen Herren nicht mehr. Er wird heute eher deshalb verurteilt, weil er auch dann schwieg, als er schon hätte reden dürfen, weil er als falsches Beispiel anderen voran ging, weil er letzendlich von seiner Schandtat profitierte."

New York Times (USA), 06.08.2006

Online lesen dürfen wir schon Michael Youngs höchst informatives Hintergrundstück über das vertrackte politische und konfessionelle System der libanesischen Demokratie, das eigentlich erst in der nächsten Woche im Magazin der New York Times erscheinen soll. Ausführlich beschreibt Young die vergeblichen Versuche der libanesischen Politik, die Hisbollah einzubinden und straft alle israelischen Hoffnungen eine Illusion, die Miliz zu schwächen. "Die große Angst vieler Libanesen ist, dass das Land weder mit einem Sieg der Hisbollah gegen Israel fertig werden würde noch mit ihrer Niederlage. Wenn die Hisbollah diesen Krieg als politische und militärische Organisation einfach nur übersteht, kann sie den Sieg für sich beanspruchen. Das Ergebnis könnte ein größerer Einfluss der Partei auf das politische System sein, dank ihrer Waffenstärke und ihrer Macht über die libanesische Armee, die auf einer erheblichen schiitischen Basis ruht. Dies wiederum würde zu einer Festigung des iranischen und der Wiederherstellung des syrischen Einflusses führen. Eine Niederlage der Hisbollah dagegen, würde von den Schiiten als Niederlage ihrer Gemeinschaft insgesamt angesehen werden und das System bedeutend schwächen."

Weiteres: Übernommen wurde Bernard-Henri Levys Bericht über seine Reise in die Kampfzonen Israels. (Hier die deutsche Übersetzung in der Welt, hier das französische Original in Le Monde). Lynn Hirschberg stellt den 29-jährigen belgischen Modedesigner Olivier Theyskens vor, der nach einer Blitzkarriere arbeitslos wurde, weil er mehr Talent als Selbstvermarktungsgeschick besitzt. Und im Interview mit Deborah Solomon spricht die Mitherausgeberin des Bitch magazine Andi Zeisler über Feminismus in postfeministischen Zeiten.

In der Book Review:  Einen Thriller nennt Dexter Filkins Lawrence Wrights Buch über die Vorgeschichte zu 9/11 (Leseprobe "The Looming Tower"). Wright erwecke ein Personal zum Leben (bin Laden, al-Zawahiri oder den F.B.I.-Terrorexperten O'Neill), von dem Krimiautoren träumen, dokumentiere Unmengen Tonmaterial und lege die Wurzeln islamischer Militanz und die Fehler der Geheimdienste offen. Der Thrill hat aber noch einen Grund: "So erstaunlich diese Geschichte für sich ist, sie ist noch nicht zu Ende."

Sie lesen immer zwei, drei Bücher auf einmal? Joe Queenan liest 25, und er ahnt, warum: "Erst dachte ich, ich sei auf der Suche nach dem richtigen Buch. Falsch. Jedes dieser Bücher ist das richtige. Sie sind alle so gut, dass ich mir Zeit nehme; die schlechten habe ich in ein paar Stunden durch."

Weitere Artikel: Rachel Donadio hält Alexander Stilles Buch "The Sack of Rome" über Berlusconis Italien für eine klare Analyse mit wenigen, verzeihlichen Romantizismen. Und Nick Tosches findet, Alessandro Bariccos Nacherzählung der Ilias (Leseprobe "An Iliad") sei eine Schande.
Archiv: New York Times