Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
31.10.2006. The New Republic fordert die Europäer zu umfassender Meinungsfreiheit auf - auch die Leugnung des Holocaust soll erlaubt sein. In Le Point hält Bernard-Henri Levy dagegen: die Negation sei schon Teil des Verbrechens. Outlook India begutachtet Schönheitssalons in Slums. Der Merkur beschreibt den Zusammenhang zwischen der kulturellen Arroganz des Islam und wirtschaftlichem Misserfolg. Der New Yorker porträtiert den Computerspielerfinder Will Wright. Im NRC Handelsblad erzählt der Reporter Vik Franke, wie er in Afghanistan zurückschoss. Der Spectator spottet über die braven Thatcher-Kinder. In der Gazeta Wyborcza beschreibt Adam Michnik den Unterschied zwischen der polnischen und der ungarischen Revolution. Die New York Times erklärt Akademikern, wie sie Google für sich nutzen können.

New Republic (USA), 06.11.2006

Für einen gefährlichen Schritt einen rutschigen Abhang hinab halten Philip H. Gordon & Omer Taspinar das französische Gesetz, das die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellt. "Das neue französische Gesetz ist nur das letzte Beispiel einer illiberalen Politik in Europa, die sich als Liberalismus verkleidet. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben eine ganze Zahl von europäischen Ländern, darunter Deutschland, Österreich und Frankreich, Gesetze gegen die Leugnung des Holocaust erlassen. Befürworter argumentieren, dass die Gesetze es diesen Nationen ermöglichen, politisch für die Sünden der Vergangenheit zu büßen, und sicherstellen, dass Holocaust-Leugner nicht denselben Antisemitismus pflegen, der zu eben diesem Holocaust geführt hat. Tatsächlich können sie einer ganzen Anzahl von verschiedenen ethnischen oder religiösen Gruppen als Inspiration dienen, die die gleiche rechtliche Anerkennung ihrer historischen Leiden erhalten möchten wie die Armenier. Doch die Parlamente in Europa täten besser daran, solche Gesetze außer Kraft zu setzen, als den Ansprüchen aller Gruppen gerecht zu werden. Wollen wir wirklich, dass eine Regierung entscheidet, welche historischen Sichtweisen akzeptabel sind und für welche man ins Gefängnis muss?"
Archiv: New Republic

Point (Frankreich), 27.10.2006

In einer bisher noch eher unverbundenen Debatte scheinen derzeit wieder länderspezifische Unterschiede im Umgang mit Verboten, Kontrollen und Gesetzen auf. Die Engländer mögen es nicht, wenn eine andere Religion in Frage gestellt wird, die Franzosen stellen die Leugnung des Holocaust oder des Völkermords an den Armeniern unter Strafe. In einem kontroversen Interview mit der Journalistin Elisabeth Levy über Integration und den Umgang mit dem Islamismus räumt der britisch-niederländische Schriftsteller Ian Buruma dem Multikulturalismus neue Chancen ein. Gleichzeitig spricht er sich gegen die "Wachhundmentalität" des Westens und allgemein für mehr Respekt gegenüber dem Islam als Religion und den Gläubigen aus. "Im Namen des Prinzips 'gleiches Recht für alle' wird im französischen Diskurs absichtlich die Existenz von Unterschieden geleugnet. Was den klassischen Multikulturalismus betrifft, lässt dieser sich auf einen Satz bringen: Leben lassen. Ob sie in die Moschee gehen oder ihre eigene Kultur entwickeln: So lange sie das Gesetz anerkennen, müssen wir uns nicht überschneiden."

In seinen Bloc-notes plädiert Bernard-Henry Levy wiederum erneut für ein Gesetz, das das Leugnen des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellt. Implizit geht er dabei auf eine Polemik des britischen Historikers Timothy Garton Ash ein, der vergangene Woche im Guardian das Gesetz kritisiert und den Standpunkt bezogen hatte, im Zuge der Meinungs- und wissenschaftlichen Forschungsfreiheit müsse selbst der Holocaust geleugnet werden dürfen. Levy fragt - so ähnlich wie Buruma in bezug auf den Islam -, ob nicht eine "Dosis politischer Korrektheit" zu begrüßen sei. Er bezieht sich auf ein jüngst von Claude Lanzmann in den Temps modernes vorgebrachtes Argument: "Lanzmann erinnert daran, dass die Negation im Fall der Shoah schon Teil des Verbrechens war. Das Töten und das Verwischen der Spur des Tötens waren ein und dasselbe. Ich glaube man muss dieses Argument einem Negationismus entgegenstellen, der im Prinzip genau wie das Verbrechen selbst funktioniert."
Archiv: Point

Outlook India (Indien), 06.11.2006

Payal Kapadia nimmt die Schönheitssalons unter die Lupe, die in den Slums von Bombay und Delhi wie Pilze aus dem Boden schießen. "Einen Salon in den ärmsten Gegenden der Stadt zu betreiben, ist eine Herausforderung. Die Preisliste muss moderat bleiben: Zehn Rupien (17 Cent) fürs Augenbrauenformen, einen einfachen Haarschnitt gibt es für 50 Rupien (87 Cent). Die Konkurrenz ist beinhart: gerissenes Marketing mit Mobiltelefonen sowie strategische Dumping-Preise. Anu Salunkhe, Eigentümerin des Diksha Schönheitssalons, macht die Augenbrauen für 7 Rupien, um Kunden von anderen Salons in Dharavi abzuwerben. Sparsamkeit und Recycling sind das Maß aller Dinge, frisch geschnittenes Haar wandert nicht in die Mülltonne, sondern - zu einem gewissen Preis - zu anderen Frauen, die Zöpfe und Haarteile herstellen. Es gibt auch Schläger, um die Gauner zu vertreiben, die die Ladenbesitzer belästigen."

In einem wütenden Kommentar verdammt Saba Naqvi Bhaumik mit einer in Europa seltenen Schärfe die falsche Toleranz gegenüber der Unterdrückung der Frauen im muslimischen Teil der Gesellschaft. "Die Einstellungen dieser muslimischen 'Führer' sind erschreckend mittelalterlich, aber ironischerweise spielen wir mit, um Minderheitenrechte zu verteidigen." Im Aufmacher platzt Arindham Mukherjee fast vor Selbstbewusstsein, wenn er beschreibt, wie potente indische Firmen sich auf Einkaufstour in der westlichen Welt begeben.
Archiv: Outlook India

Merkur (Deutschland), 01.11.2006

Siegfried Kohlhammer erkundet die kulturellen Hintergründe für wirtschaftliche Erfolge. Seiner Meinung nach sind zum Beispiel die geringen Integrationserfolge einiger Einwanderungsgruppen nicht auf ihre schlechteren Chancen oder Diskriminierung zurückzuführen, sondern auf eigene kulturelle Prägungen wie etwa Familienstrukturen. "Ein weiterer entscheidender kultureller Faktor ist die Lernbereitschaft einer Kultur, ihre Rezeptivität anderen Kulturen gegenüber. Die traditionelle islamische Gesellschaft versteht sich als die beste aller Gemeinschaften, sie hat von anderen Kulturen nichts mehr zu lernen. Diese kulturelle Arroganz stellt ein wichtiges Integrationshindernis dar und hat auch negative wirtschaftliche Folgen. Zwar haben auch die traditionellen muslimischen Familien oft eine positive Einstellung zu Schule und Lernen, aber dabei geht es um die orthodoxen, approbierten Inhalte, die die eigene Kultur und Religion vermitteln und bestätigen, geht es um den Koran, die Prophetenworte und um islamische Gelehrtheit, um die ruhmreiche arabische oder türkische Geschichte."

Weiteres: Volker Gerhardt gibt angesichts der "Geburtenratenhysterie" zu bedenken, dass sich Politik aus Liebe und Lust heraushalten sollte, den Kinderwunsch von Paaren fördern könne sie gleichwohl: "Bedingung ist jedoch, dass dieser Wunsch bereits besteht. Will die Politik ihn erzeugen, versteht sie sich falsch; erzeugt sie ihn dennoch, haben die Eltern etwas nicht verstanden." Zur immer wieder beklagten hohen Subventionierung der Opernhäuser (besonders der Berliner) schreibt Jens Malte Fischer, dass pro Jahr in Deutschland mehr Menschen die Theater, Konzerte und Festspiele besuchen als die Fußballstadien: "35,6 Millionen Besucher waren es in der Spielzeit 2003/2004." Friedrich Pfohlmann denkt über Selbstmordattentäter, Todeskult, Opfermut und Heimtücke nach. Rainer Paris schreibt über den Neid.
Archiv: Merkur

London Review of Books (UK), 02.11.2006

Neal Asherson stellt den britischen Lesern - durchaus mit Sympathie - die Grass-Erinnerungen "Beim Häuten der Zwiebel" vor und führt sie auch gleich durch die Diskussion in Deutschland, die nach Grass' spätem Bekenntnis, er sei in der Waffen-SS gewesen, eingesetzt hatte. Auch Asherson überlegt, warum Grass erst so spät darüber gesprochen hat. "In den Jahrzehnten nach dem Krieg waren Ausländer entsetzt über die offensichtliche Unfähigkeit vieler Deutscher zu begreifen, wieviel Leid ihre Nation über andere gebracht hatte. Aber irgendjemand - vielleicht war es Grass - schrieb kürzlich, dass diese Stille die Folge einer anderen, älteren Stille war: der Widerwille der Deutschen, offen darüber zu sprechen, was sie selbst erlitten hatten. Da ist was dran."

Literaturen (Deutschland), 01.11.2006

"Wer Tier sagt, muss auch Mensch sagen" - In dieser Ausgabe widmet sich Literaturen dem Verhältnis von Mensch und Tier. Im Gespräch erklärt Roger Willemsen, was Alfred Brehm, dessen Klassiker "Brehms Tierleben" er gerade neu herausgegeben hat, von heutigen Zoologen unterscheidet: "Brehm hat häufig Werke benutzt, die nicht im engeren Sinne zoologische Quellen waren, Reiseberichte zum Beispiel. Dabei hat er auch Funde über die kulturelle Bedeutung von Tieren gemacht - wie etwa der Hund in China behandelt wird. Er reduziert das Tier nicht auf seine Maße oder seine physiologischen Eigenschaften. Vielmehr kommt bei ihm etwas dazu: die Stellung des Tieres in der Kultur, Habitat, Geruch, Gefühl beim Anfassen - solche Dinge werden plötzlich Teil der Tierbeschreibung."

Außerdem geht Manfred Schneider der Frage nach, wie die Tier-Fotografie unseren Blick auf Tiere geprägt hat, Richard David Precht untersucht den Menschen in seiner Eigenschaft als fleischfressendes Raubtier, und Cord Riechelmann nähert sich dem animalischen Bewusstsein.

Auch in der Netzkarte geht es tierisch zu: Aram Lintzel stöbert auf der Webseite des Kölner Zoos und trägt dort anthropologisierend-ideologische Kämpfe auf dem Rücken der Zoobewohner aus. Manuela Reichart verschmäht Sofia Coppolas "Marie Antoinette" als Highschool-Königin. Sigrid Löffler bespricht John Banvilles Booker-Preis-gekürten Roman "Die See". Und Frauke Meyer-Gosau begleitet den russisch-jüdisch-amerikanischen Schriftsteller Gary Shteyngart durchs sowjetische New York.
Archiv: Literaturen

New Yorker (USA), 06.11.2006

John Seabrook porträtiert Will Wright, den Erfinder eines der - auch bei Frauen - erfolgreichsten, gewaltfreien Computerspiels der Welt: Sims. Beiläufig erzählt er dabei auch die Geschichte der Computerspielszene. Wright hat sich ein neues Projekt ausgedacht, das möglicherweise ähnlichen Erfolg wie Sims haben kann: Spore. Es geht darum, eine Spezies - vom Einzeller bis zum hochentwickelten Raumfahrer - durchzuspielen. Was Wright an der Entwicklung dieses Spiels wirklich interessiert habe, sei die Geschichte der Astrobiologie gewesen. "Diesmal hat Wright auch Waffen und Eroberungen eingebaut. Die Gewalt ist nicht unbegründet - in manchen Fällen muss man töten, um zu überleben -, aber sie wird auch nicht beschönigt. Und man tötet in Spore nicht nur andere Kreaturen, man muss sie auch essen."

Hierzulande überschlagen sich die Kritiken ja geradezu über den Film des britischen Komikers Sacha Baron Cohen, der als seine eigene Erfindung "Borat" - ein angeblich kasachischer TV-Journalist - durch Amerika zieht und Leute zu unglaublichen Aussagen und Handlungen treibt. Anthony Lane bleibt in seiner Besprechung eher gelassen und sachlich ("einer der wenigen britischen Juden, der sich erfolgreich an das Genre Schock-Comedy wagt"), bescheinigt Cohens Film aber immerhin, ein "Meisterstück der Schmuggelei" zu sein; für "Volver" von Pedro Almodovar empfiehlt Lane, man solle "auf das Küssen hören".

Weiteres: Peter Schjeldahl führt durch eine Ausstellung des amerikanischen Minimalisten Brice Marden im MoMA. John Lahr stellt die Theaterstücke "Butley" von Simon Gray und "Vigils" von Noah Haidle vor. Nicht wirklich begeistert zeigt sich Joan Acocella von Twyla Tharps Choreografie "The Times They Are A-Changin" zu Musik von Bob Dylan.

Besprochen werden außerdem Bücher, darunter eine Studie über die Bekämpfung der Cholera "The Ghost Map: The Story of London?s Most Terrifying Epidemic - and How It Changed Science, Cities, and the Modern World" (Riverhead), eine kommentierte Neuausgabe von "Onkel Toms Hütte" (Norton) und eine Studie über den Völkermord an den Armeniern "A Shameful Act: The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility" (Metropolitan) von Taner Akcam. Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einem Buch über das Leben von neun Ungarn - Fotografen, Wissenschaftler, Regisseure und Schriftsteller -, die vor Hitler nach Amerika flohen ("The Great Escape"). Zu lesen ist schließlich die Erzählung "Paper Losses" von Lorrie Moore.

Nur im Print: Das Porträt eines nicht näher bezeichneten kleinen Mädchens, das sich mit dem literarischen Paris angelegt hat, ein Bericht über den Kampf um ein amerikanisches Dictionnaire, das Porträt eines "Weisen" der HipHop-Szene und Lyrik.
Archiv: New Yorker

NRC Handelsblad (Niederlande), 30.10.2006

Darf ein "embedded journalist" auf Taliban-Kämpfer schießen? Vik Franke hat es getan. Im Interview mit Jaus Müller erzählt der Dokumentarfilmer, der die niederländischen ISAF-Truppen in Uruzgan begleitete, wie es dazu kam, dass er seine Kamera gegen ein Gewehr tauschte: "Wir gerieten in einen Hinterhalt. Der Angriff begann mit der Explosion eines Sprengsatzes, der einen afghanischen Soldaten in Stücke riss. Ich sah seinen abgetrennten Arm in der Böschung liegen. Ein anderer wurde erschossen, während ihn schon ein Sanitäter betreute. Sieben andere afghanische Soldaten wurden verwundet. Sie waren überall um uns und beschossen uns mit Kalaschnikows und Raketengranaten. Es war unvorstellbar. Ich habe gefilmt und fotografiert und so alles dokumentiert, bis die Batterien leer waren." Als er dann im Gras ein Gewehr liegen sah, habe er zugegriffen und "sein Scherflein beigetragen". Moralische Skrupel oder Sorge um seine journalistische Unabhängigkeit habe er dabei nicht gehabt: "Ich schoss nicht um zu töten, sondern nur um zu überleben. In diesem Moment hatte ich nur einen einzigen Gedanken: Soviel Blei wie möglich in dieses Maisfeld zu schießen."

Anil Ramdas empfiehlt "Reporting Religion" auf BBC-World, die "wunderlichste Sendung, die ich kenne" (als Audiostream hier zu hören). Früh am Sonntagmorgen präsentiere dort ein "immer fröhlicher Gottesreporter" Neues aus den Weltreligionen. "Sie kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Bischof des Sudan, der sich jetzt für den Frieden in seinem Land einsetzt, war früher Kindersoldat. Glauben Sie mir, danach können Sie nicht mehr weiterschlafen, tausend Fragen rasen Ihnen durch den Kopf. Sie sehen den kleinen Jungen eine riesige Flinte mit sich herumschleppen und Menschen erschießen, oder mit einem Messer Kehlen durchschneiden. Sie sehen ihn Drogen nehmen, plündern und brandschatzen - und dann ist er auf einmal Bischof. Vom Mörder zum Priester in einem einzigen Menschenleben, das nenne ich allemal eine Blitzkarriere. Dagegen ist die Tellerwäscher-zum-Millionär-Story nichts."
Archiv: NRC Handelsblad

Spectator (UK), 28.10.2006

Wie aufgeräumt, nett und klug sind doch die in den Thatcher-Jahren geborenen Kinder, die jetzt als Universitätsabsolventen auf Jobsuche gehen, staunt Boris Johnson. Vor zwanzig Jahren war das noch ganz anders: "Wo ist die Wut geblieben? Überall nur noch iPods, tiefhängende Jeans und Lässigkeit. Unsere Rockstars hießen Sid Vicious, bissen Tauben den Kopf ab oder warfen ihren Freundinnen einen Fön ins Badewasser. Heute gibt es James Blunt mit seinen coolen Strickmützchen, der einem genialisches Zuckerzeug in die Ohren träufelt. Brillant, aber nicht gerade rebellisch, oder?" Maggies Kinder sind superlieb, superclever und müssen sich nie um einen Job sorgen. Na dann, so Johnson, "kann Thatcher letztens so eine böse kleine Mutter nicht gewesen sein".

Weitere Artikel: Problemschüler bringen es im Leben am weitesten, meint Rachel Johnson: Tony Blair, Richard Branson, Stephen Fry zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie von ihrer Schule geflogen sind. Musterknaben wie Gordon Brown und Michael Howard blieben dagegen die ewigen Zweiten. Und James Shaw berichtet, wie er im Studium gescheitert ist: Er hat nach dem ersten Semester hingeschmissen, weil er sich unterfordert fühlte.
Archiv: Spectator

Foglio (Italien), 28.10.2006

Der unter dem Pseudonym Ibn Warraq publizierende Autor des Buches "Warum ich kein Muslim bin" kommentiert gegenüber Giulio Meotti Umberto Ecos Essay von 1995 über den "Ewigen Faschismus". Warraq kritisiert Ecos um Verständnis bemühte Haltung zum Islamismus scharf. "Ich frage Eco: Darf der Westen seine Meinungsfreiheit aufgeben, für die Tausende gestorben sind? Seid stolz, entschuldigt Euch für nichts. Müsst Ihr Euch für Dante, Shakespeare und Goethe entschuldigen? Und Mozart, Beethoven und Bach? Und Rembrandt, Vermeer, van Gogh, Galileo, Kopernikus und Newton? Und das Penicllin und den Computer? Und die Menschenrechte und die parlamentarische Demokratie? Der Westen braucht keine Belehrungen von einer Gesellschaft, die Frauen unterdrückt, ihre Klitoris beschneidet, Ehebrecherinnen steinigt und Säure in ihre Gesichter kippt."

Der neue Bill Gates heißt Eric Schmidt, ist unter anderem CEO von Google und Mitglied des Verwaltungsrats von Apple, und setzt sich politisch für die Demokraten ein, weiß Claudio Cerasa. Die USA müssen lernen, sich zurückzuhalten, lernt Siegmund Ginzberg aus seinem Vergleich (hier und hier) der römischen Besetzung Judäas. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Alessandro Schwed erzählt in einem Schwank, wie einer seiner Verwandten bewiesen hat, dass wir nicht vom Affen, sondern von Steinen abstammen.
Archiv: Foglio

Guardian (UK), 28.10.2006

Oliver Burkeman besucht den Literaturkritiker und politischen Kommentator Christopher Hitchens und ist beeindruckt von dessen Unbeeindrucktheit gegenüber Kritikern, die ihm die Unterstützung des Irak-Kriegs nicht verziehen. "Er begrüßt es, als Trinker angegriffen zu werden, 'weil ich es als Zeichen des Sieges betrachte, wenn sie auf die Person losgehen'. Er trinke, sagt er, 'weil es andere Leute weniger langweilig macht. Ich habe große Angst vor der Langeweile. Aber ich kann mit oder ohne arbeiten. Es braucht eine ganze Menge, damit ich lalle."

Der Schriftsteller Orhan Pamuk begeht seinen 30. Geburtstag als Schriftsteller mit einem Essay über seine Romanwelt, in die er sich tagtäglich zurückziehen muss. "Wenn ich völlig in dem Roman bin und gut schreibe - wenn ich mich von klingelndem Telefon, von dem ganzen Ärger und dem Geschrei des Alltags distanziert habe - dann erinnern mich die Regeln meines freischwebenden Paradieses an die Spiele als Kind. Es ist, als wäre alles einfacher geworden, als wäre ich in einer einfacheren Welt, in der ich in jedes Haus, Auto, Schiff oder Gebäude sehen kann, weil sie alle aus Glas sind und mir nach und nach ihre Geheimnisse erzählen. Mein Job ist es, die Regeln zu erraten und zuzuhören: mit Vergnügen die Vorgänge zu beobachten, mit meinen Helden in Autos und Busse zu steigen und in Istanbul herumzufahren, Plätze zu besuchen, die mich zu Tode langweilen, sie mit neuen Augen betrachten und sie so zu verwandeln. Mein Job ist es, Spaß zu haben, unvernünftig zu sein, denn während ich mich amüsiere (wie wir das von Kindern sagen) könnte ich ja was lernen."

Zum 60. Geburtstag der Taschenbuchreihe Penguin Classics stellt Alice Rawsthorn die Macher der legendären Cover vor. Dazu verraten fünf Designer, was sie sich bei den von ihnen gestalteten Neuausgaben gedacht haben. Der Dramatiker Mark Ravenhill denkt zurück an seinen Aufenthalt mit Sarah Kane in Berlin 1997 und wendet sich gegen den Mythos von der gequälten, düsteren Künstlerin. "Sie war sehr unterhaltsam."
Archiv: Guardian

Gazeta Wyborcza (Polen), 28.10.2006

"Die ungarische Revolution hatte, wie jede Revolution, zwei Gesichter: das fröhliche - der kurzzeitige Triumph der Freiheit und der Wahrhheit; und das hässliche - die Explosion des Hasses und der Grausamkeit." Zum Jahrestag des Ungarn-Aufstands erinnert Adam Michnik daran, dass es damals die Polen waren, die auf Heroismus verzichteten und einige Konzessionen seitens des Regimes verzeichneten. Später jedoch hat der als Held gefeierte Parteichef Gomulka die Schraube angezogen, so dass der "Gulaschkommunismus" unter Kadar sich als das liberalere System entpuppte. Obendrauf gibt es noch persönliche Erinnerungen von Michnik: "Als die Revolution ausbrach, war ich zehn. Ich kann mich gut an die Trauer in meinem Elternhaus erinnern, die mich dazu veranlasst hat, mein ganzes angespartes Taschengeld für die Ungarn zu spenden. Das war die erste politische Aktion meines Lebens."

Im Interview vergleicht der ehemalige Knesset-Vorsitzende und Botschafter in Polen, Schewach Weiss, die Situation im Nahen Osten mit der in Mitteleuropa: "Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge ist so unrealistisch wie die Rückkehr der Deutschen nach Schlesien und Pommern. Für Israel käme das einer Selbstzerschlagung gleich". Weiss hält es für "sicherlich besser, politische Großmachtträume aufzugeben und sich mit den Nachbarn zu arrangieren. Den Polen hat das Jerzy Giedroyc erklärt, in Israel gibt es so jemanden nicht."
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Michnik, Adam, Mitteleuropa

Nouvel Observateur (Frankreich), 26.10.2006

Der portugiesische Literaturnobelpreisträger und Kommunist Jose Saramago erklärt einmal mehr, was von der Demokratie überhaupt zu halten ist. Anlässlich des Erscheinens seines neuen Buchs "Die Stadt der Sehenden" in Frankreich (,,La Lucidite", Seuil) erläutert Saramago in einem Interview seine in diesem Roman ausgebreitete These, dass die Demokratie am Ende und letztlich eine "Lüge" sei. "Die westlichen Demokratien sind nur politische Fassaden der ökonomischen Macht. Eine bunte Fassade mit Fahnen und endlosen Diskursen über die Demokratie. Wir leben in einer Zeit, in der man über alles diskutieren kann - mit einer Ausnahme: über die Demokratie. Sie ist da, das ist eine gegebene Tatsache. Nicht anfassen, wie in den Museen. Dabei sollte man, bevor es zu spät ist, eine Debatte, eine große, weltweite Debatte über die Demokratie eröffnen."
Stichwörter: Saramago, Jose

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 25.10.2006

In Ägypten erschien dieser Tage eine "Volksausgabe" des Buches "Meine Heimat Ägypten" des kürzlich verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfus. Das Buch, über das Khalid Sulayman berichtet, basiert auf Gesprächen, die Mahfus mit seinem Vertrauten Muhammad Salmawy geführt hat. Es geht um die ganz großen Themen: Ägypten als Wiege der Menschheit, die Vorstellungen vom Tode im alten Ägypten, um die Bedeutung der islamischen Eroberung des Landes. Aber auch um Biografisches: "Meine Mutter spielte in meinem Leben eine sehr große Rolle. Sie liebte es, außer Freunden und Grabstätten auch alte Baudenkmäler zu besuchen. Sie war eine alte Frau, Analphabetin und von der alten Generation, aber ihr lag sehr viel an solchen Ausflügen. Dutzende Male habe ich mit ihr die Pyramiden und die Sphinx besucht, wo sie wie verblendet stehen blieb, in einem Zustand der Verehrung. Mit meiner Mutter habe ich alle koptischen Altertümer besucht, mehrmals auch die Kirche Mar Girgis, woran ich mich noch genau erinnere. Meine Mutter liebte Ausflüge - ich habe keine Ahnung, woher sie diese Passion hatte. Schon mit vier Jahren habe ich sie bei ihren Streifzügen begleitet. Alle meine Geschwister, Männer wie Frauen, waren verheiratet, und so gab es im Haus niemand anderen als mich."

Drei kurze Essays, verfasst von saudischen Literaturkritikern, widmen sich den Ursachen des gegenwärtigen Booms saudischer Romane. Man könne, so heißt es in der Einleitung zu den Beiträgen, ohne Übertreibung sagen, "dass die Zahl der saudischen Romane, die seit Mitte der 1990er Jahre erschienen sind, ungefähr so groß ist, wie alles, was in dem halben Jahrhundert davor heraus kam."

Aus Jerusalem berichtet Osama Alaysa von einer neuen touristischen Attraktion, die den Besucher virtuell in die Zeit der Ummayaden zurückversetzt. In einem computeranimierten Modell kann man durch die Straßen und Gebäude in der Jerusalemer Altstadt flanieren, wie sie im achten Jahrhundert unter der Herrschaft der ummayadischen Kalifen ausgesehen haben soll. Das Projekt wird von der Israel Antiquities Authority getragen, woraus Alaysa schlussfolgert, dass Israel begonnen habe, seinen Frieden mit dem islamischen Erbe der Stadt zu schließen - nicht aber ohne damit eigene Interesse zu verfolgen. Schließlich, so Alaysa, böte das Modell eine Möglichkeit, erneut an den Ort des zerstörten jüdischen Tempels unter dem Felsendom zu erinnern.

New York Times (USA), 29.10.2006

Google ist überall. Auch Intellektuelle sollten darüber nachdenken, meint Steven Johnson in einem Essay für die New York Times Book Review. Wer Definitionsmacht über Begriffe sucht, sollte die richtigen Suchbegriffe besetzen: "Sagen wir, Sie sind ein Juraprofessor, der sich ein Renommee als Experte für 'affirmative action' erwerben will. Früher hätten Sie diesen Ruf durch Artikel in verschiedenen Prestigepublikationen und Zeitschriften mit hoher akademischer Glaubwürdigkeit aufgebaut. Viele dieser Artikel würden in einer Google-Suche dann bei der Eingabe von 'affirmative action' auch genannt, aber verstreut über die ganze Ergebnisliste. Da Google Links als Abstimmung für den Inhalt einer bestimmten Seite ansieht, würden Sie aber - sofern Sie eine 'Affirmative Action'-Website aufbauen, wo Ihre Artikel versammelt sind, und andere ermuntern, darauf zu verlinken - den Begriff bei Google bald 'besitzen'... Und wenn Sie es in die Top Ten der Ergebnislisten bringen, würde Ihre Seite noch populärer werden, da sie zu den ersten gehört, die über Google gefunden werden." (Haben wir schon mal erwähnt, dass der Perlentaucher auch Websiten baut? Gern auch für Akademiker.)

Weitere Artikel in der Book Review vom Samstag: A.O Scott bespricht den neuen Roman von Richard Ford, "The Lay of The Land" (man darf sich die Kritik auch als MP3 anhören).

In einem großen und etwas ungemütlichen Essay für das New York Times Magazine fragt der Verfassungsrechtler Noah Feldman (der an der irakischen Verfassung mit geschrieben hat), was passieren würde, wenn der Iran die Bombe hätte: "Die Nachbarn des Iran werden keine Wahl haben - sie müssen aufschließen. Nordkorea, das jetzt durch seine eigene Bombe geschützt ist, hat bereits mit Weitergabe gedroht. Und im Nahen Osten würde es willige Käufer finden. Kleine Fürstentümer mit riesigen US-Basen wie Qatar mögen sich unter den Schutz der USA begeben. Aber Saudi Arabien, das Iran stets als bedrohlichen Konkurrenten ansah, würde seine nukleare Sicherheit nicht allein in die Hand der Amerikaner geben. Sobald die Saudis mit von der Partie sind, wird Ägypten Nuklearwaffen brauchen, um in der regionalen Machtbalance nicht an Bedeutung zu verlieren. Schon im letzten Monat hat Gamal Mubarak, der Sohn und wahrscheinliche Erbe des Präsidenten Mubarak, in aller Öffentlichkeit ein ägyptisches Nuklearprogramm gefordert."
Archiv: New York Times