Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.02.2007. Die New York Review of Books reist in den kurdischen Teil der Türkei. Der Economist findet Ayaan Hirsi Alis Autobiografie charmant, wenn auch etwas problematisch. Tygodnik Powszechny kommentiert den Streit um Adam Michnik. Der New Yorker zählt die Folterszenen in  der Serie "24". Nepszabadsag mag nicht mehr in die lächelnd uninteressierten Augen der Westeuropäer sehen. Im Nouvel Obs sieht Tariq Ali schwarz für die Zukunft eines unabhängigen Irak. Die New York Times begutachtet eine Website zu Harry Potter 7

New York Review of Books (USA), 01.03.2007

Christopher de Bellaigue betrachtet die Lage im kurdischen Teil der Türkei, dessen Autonomiebestrebungen neuen Auftrieb bekommen haben, seit sich das irakische Kurdistan so erfolgreich entwickelt. Sein letzter Besuch scheint allerdings schon etwas her zu sein: "Als oberster Soldat in einem Gebiet mit kurdischer Mehrheit hatte der Captain, mit dem ich sprach, mehr zu sagen als alle anderen Offiziellen, auch wenn er von der lokalen Bevölkerung nicht besonders gemocht wurde. An einem Tag im Jahr 2005 standen wir auf einem Hügel und betrachteten die Trümmer der Polizeistation, die von der PKK ausgebombt worden war, und er sagte, dass die Türkei sich nicht auf einen EU-Beitrittsprozess einlassen sollte, dessen Ziel es sei, das Land zu entmannen. Im Zuge des EU-Prozesses und seiner angeblichen demokratischen Reformen, meinte er, würde nur der Grunsteind für ein unabhängiges Kurdistan in Anatolien gelegt. Mustafa Kemals Regierung hatte maßgebend gehandelt, als sie 1920 die Alliierten von ihren Plänen abbrachte, einen kurdischen Staat zu errichten. Im Angesicht der neuen Bedrohung, versicherte mit der Captain, würden die Streitkräfte und andere patriotischen Türken einen solchen Staat verhindern."

Weiteres: Russell Baker widmet sich ausführlich John Patrick Diggins Ronald-Reagan-Biografie "Fate, Freedom, and the Making of History", die mit kraftvollen Standpunkten aufwarte und in Reagan neben Lincoln und Roosevelt "einen der drei großen Befreier in der amerikanischen Geschichte" sehe: Und zwar nicht nur, weil er Osteuropa vom Kommunismus befreit, sondern auch Amerika von der Scheu befreit habe, selbstsüchtig zu sein. Richard Bernstein blickt auf die bisher ergebnislosen Atom-Verhandlungen mit Nordkorea. Besprochen werden Pedro Almodovars jetzt in den USA anlaufender Film "Volver", Martin Amis' neuer Roman "House of Meetings" und Haruki Murakamis Erzählungen "Blind Willow, Sleeping Woman".

Economist (UK), 12.02.2007

Der Economist bespricht Ayaan Hirsi Alis Autobiografie, die er nicht weniger faszinierend und fragwürdig findet als die Person selbst: "Liest man das Buch als moderne, in Afrika angesiedelte Geschichte vom Erwachsenwerden, dann hat es einen gewissen Charme. Nimmt man es allerdings als Schlüssel zum Denken einer Frau, die gerne der muslimische Voltaire wäre, dann wird es deutlich problematischer. Die Fakten, wie sie Hirsi Ali hier berichtet, passen nicht besonders gut zu den Geschichten, die sie früher erzählt hat, noch zu der ihren politischen Schriften zugrundeliegenden Tendenz, dem Islam die Schuld an fast allen Problemen der muslimischen Welt zu geben."

In der Titelgeschichte zum Thema Iran warnt der Economist den US-Präsidenten George W. Bush vor einem "wagnerianischen Abgang" in Blut und Chaos. Geschildert werden die neuen deutschen Diskussionen um die Atomkraft und die Reaktionen deutscher Weinbauer auf den Klimawandel.
Archiv: Economist

Foglio (Italien), 10.02.2007

Michele Serra kehrt als Kommentator zur linken Tageszeitung l'Unita zurück und übernimmt die Kolumne des berühmten Fortebraccio. Seine Verwandlung in einen Gemäßigten will Stefano di Michele dem Satiriker und Starautor des gegenüberliegenden politischen Lagers nicht so ohne weiteres abnehmen. "Der aufmerksame Bürger ist sicherlich ein illustrer Schriftsteller und genialer Journalist und vielfältiger Autor - der heute russische Flügel auf Raten kauft, und sich dabei selbst kommentiert, wie er russsische Flügel auf Raten kauft - aber vielleicht spürt man am Grunde zwischen Militanz und Gelehrsamkeit noch etwas nachklingen, wie eine tollkühne Peperonata (Rezept) am späten Abend oder ein unvergessliches Dessert bei einem denkwürdigen Gelage. Zwischen dem progressiven Kommentator und dem militanten Kommunist bleibt eine Kluft, und Abgründe sind anziehend, wie man weiß. Seine grundlegende Verfassung könnte man sicher so beschreiben wie es Serra selbst getan hat, "mit einem Mönch, dem das Kloster weggebombt wurde und der nun in die Welt hinauszieht"."

Weitere Artikel: Claudio Cerasa sinkt hier und hier vor dem Genie des Apple-Chefs Steve Jobs auf die Knie und dankt ihm für die Farben und die Musik, die er in die Computerwelt gebracht hat. Francesco Cundari zerpflückt noch einmal ausführlich die seit kurzem ehemalige Sportministerin Giovanna Melandri, die ziemlich unnötigerweise, aber ausdauernd über einen Besuch in Flavio Briatores afrikanischer Villa gelogen hat, bis ein Beweisfoto auftauchte. Besprochen wird eine Ausstellung zum Reisepoeten Bruce Chatwin in Rom.
Archiv: Foglio

Tygodnik Powszechny (Polen), 12.02.2007

Spätestens seit der Spitzelaffäre um den zurückgetretenen Warschauer Erzbischof Wielgus hat sich die polnische Diskussion um die Abrechnung mit der kommunistischen Vergangenheit verlagert. Viele konservative Politiker und Publizisten beschuldigen Adam Michnik, einst führender Dissident und jetzt Chefredakteur der einflussreichen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die sogenannte Lustration über Jahre behindert und gemeinsame Sache mit den (Post-)Kommunisten gemacht zu haben. Michal Olszewski sieht ein Kalkül hinter diesen Vorwürfen: "Die Zeit der Abrechnung ist gekommen. Die Gazeta Wyborcza und Michnik selbst, mit ihrer Strategie der nationalen Versöhnung und des Vergebens, sind in der Defensive. Das Sagen hat jetzt eine Gruppe, die vom Differenzieren genug hat, die an ein einfaches Gut und Böse glaubt. Der Kommunismus war böse, die unterlassene Abrechnung nach 1989 war böse. Jetzt ist die Zeit gekommen, sich an Michnik für alle realen und angeblichen Vergehen zu rächen."

New Yorker (USA), 19.02.2007

Jane Mayer analysiert das Politikverständnis der Kultserie "24", in der im Kampf gegen Terroristen häufig Foltermethoden angewendet werden. "Seit dem 11. September hat die Darstellung von Folter im Fernsehen insgesamt zugenommen. Davor gab es laut der Nonprofit-Organisation Human Rights First zur Hauptsendezeit weniger als vier Folterszenen im Jahr. Inzwischen sind es mehr als einhundert. Außerdem, so ein Projektleiter der Organisation, 'haben die Folterer gewechselt. Normalerweise waren es meistens die Schurken, die folterten, heutzutage sind es oft die Helden'. Der Parents' Television Council hat nachgezählt und 67 Folterszenen in den ersten fünf Staffeln von '24' ausgemacht, mehr als in jeder anderen Serie."

Weiteres: Dana Goodyear berichtet über das Imageproblem der amerikanischen Lyrik und die Poetry Foundation, die gegründet wurde, nachdem eine reiche Erbin vor fünf Jahren der Zeitschrift Poetry einen 200-Millionen-Dollar-Scheck hinterlassen hatte. Susan Orlean porträtiert den Physiker Robert J. Lang, der alles aufgab, um sich künftig der Origami-Kunst zu widmen. Adam Green untersucht, wie Psychotherapeuten in Filmen dargestellt werden. David Sedaris erzählt von einem Erlebnis mit einem Haschischdealer. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Swan" von Tessa Hadley.

Um Zitate und Sprüche sowie deren Herkunft und Richtigkeit geht es in Louis Menands lesenswerter Besprechung von zwei einschlägigen Büchern, von denen er das erste als "kurz, amüsant und teuer" und das zweite als "ziemlich unwiderstehlich" lobt: "Yale Book of Quotations" (Yale) und "The Quote Verifier" (St. Martin?s); so erfährt man unter anderem, dass "Play it again, Sam" falsch ist oder wo der Spruch "Shit happens" erstmals auftauchte. Die Kurzbesprechung widmet sich einem Romandebüt von Andre Aciman: "Call Me by Your Name". Sasha Frere-Jones schreibt über den "immensen Reiz" der kanadischen Band Arcade Fire. Und David Denby sah im Kino den düsteren Thriller "Breach" von Billy Ray und den "überflüssigen" biografisch angehauchten Film "Factory Girl" über die Warhol-Muse Edie Sedgwick von George Hickenlooper.

Nur im Print: das Porträt eines Pizzamoguls und seines "katholischen Kreuzzugs", eine Reportage über eine Odyssee im Pazifik, ein Bericht über einen Überwachungsskandal bei Hewlett-Packard und Lyrik.
Archiv: New Yorker

Nouvel Observateur (Frankreich), 08.02.2007

Anlässlich des Erscheinens seines neuen Buchs "Der Sultan von Palermo" in Frankreich spricht der pakistanische Schriftsteller, Journalist und Filmemacher Tariq Ali über den Islamismus, den Irak und seine Jugend in den sechziger Jahren in London, wo er auch Mick Jagger und John Lennon begegnete. Für den Irak sieht er schwarz: "Nach meiner Meinung werden sich die kurdischen Gebiete im Norden abspalten, um unter israelisch-amerikanische Schutzherrschaft zu kommen. Ein Großteil des Südens wird iranisches und die Mitte saudi-arabisches oder syrisches Protektorat werden. Die Zeiten für einen unabhängigen Irak mit eigener Gebietshoheit sind vorbei. Er ist ebenso wie Afghanistan eine echte Zeitbombe."

Weiteres: Die Philosophin Barbara Cassin wettert gegen die Definitionsmacht und Englischlastigkeit von Google und plädiert für eine europäische Suchmaschine. Zu lesen ist ein Gespräch mit dem Philosophen Jacques Ranciere, der ein Buch über das Verhältnis von Politik und Literatur seit dem 19. Jahrhundert geschrieben hat: "Politique de la litterature" (Galilee). Georges Moustaki hat sich Olivier Dahans Film "La vie en rose" über seine ehemalige Lebensgefährtin Edith Piaf angesehen, für die er auch mehrere Chansons geschrieben hat, und erinnert sich.

Nepszabadsag (Ungarn), 10.02.2007

Der Politikwissenschaftler Laszlo Lengyel hat den neuen Essayband von Adam Michnik gelesen und schließt sich seiner Kritik an Westeuropa an, dass es "das Interesse an unserer Region verloren" habe. "Wir sind keine Mitgestalter Europas, sondern immer noch entweder ehrerbietige oder skeptische Außenseiter. ... Es ist schwer, die anderen Europäer in Brüssel und in den Hauptstädten ständig anzuflehen, von ihnen Hilfe zu verlangen, um die liberale Peripherie Europas vor den Barbaren zu schützen, und dabei die kalten, berechnenden oder lächelnd-uninteressierten Blicke wahrzunehmen. Diese Blicke sagen: Liebe Ostmitteleuropäer, erledigt doch eure Barbaren selbst, wir haben genug Probleme! Michnik hasst jenes Polen, das der historische 'Gläubiger' Westeuropas sein will, der Forderungen an Europa und die Welt stellt, selbst aber angeblich keine Schulden hat, jenes Polen - und das gilt für ganz Ostmitteleuropa - das nur seine Leidensgeschichte vor Augen führt und all seine Sünden erlassen haben will. Michnik wollte, dass Polen ein normales Land wird. Jetzt steht er da, immer noch an der Peripherie, und muss ständig das Besondere, das Andere an Polen vorzeigen, um überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Michnik, Adam

Espresso (Italien), 15.02.2007

Umberto Eco erklärt in seiner Bustina di Minerva, warum eine gute Verschwörung aufgedeckt sein will. "Das Schöne ist, dass im alltäglichen Leben nichts leichter zu durchschauen ist als das Komplott und das Geheimnis. Ein effizientes Komplott führt früher oder später zu realen Resultaten, indem es evident wird. Genauso wie das Geheimnis, das normalerweise nicht von einer 'Deep Throat' enthüllt wird. Die Sache, auf die es sich bezieht, kommt früher oder später ans Licht, wenn sie wichtig genug ist. Komplotte und Geheimnisse, die nicht enthüllt werden, sind entweder misslungene Komplotte oder leere Geheimnisse. Die Macht desjenigen, der angibt, ein Geheimnis zu haben, gründet sich nicht in der Enthüllung von irgendetwas, sondern darin, allen glauben zu machen, dass es überhaupt ein Geheimnis gibt. In diesem Sinne können Geheimnis und Komplott effiziente Waffen nur in den Händen derer sein, die selbst nicht daran glauben."
Archiv: Espresso

Monde des livres (Frankreich), 08.02.2007

Seit einigen Wochen herrscht unter Angehörigen und Freunden von Pierre Bourdieu einige Aufregung. Anlass ist der Antisemitismusvorwurf, den der Linguist und Philosoph Jean-Claude Milner in Alain Finkielkrauts Radiosendung "Repliques" (hier) gegen den Soziologen erhoben hat. Inzwischen haben am 8. Februar mehrere Intellektuelle in Liberation gegen die "absurden und lächerlichen" Behauptungen protestiert. Jean Birnbaum fasst Milners Vorwürfe, die sich vor allem auf Bourdieus Bücher "Die Illusion der Chancengleichheit" (Les Heritiers) und "Homo Academicus" (La noblesse d?Etat) stützen, noch einmal zusammen. Danach habe Milner mit einer "Provokation zum Denken anregen" wollen, weil er die Auswirkungen von Bourdieus Thesen auf die jungen Immigranten für "verhängnisvoll" halte. Milner wird weiter zitiert: "Was mich an Bourdieu verblüfft, ist eine allgemeine Stilistik, eine Form der Rhetorik, die darin besteht, Worte zu verdrehen. Er bezeichnet Gruppen als 'Erben', die gar kein Erbe haben, und nennt etwas 'Staatsadel', das überhaupt nichts mit Adel zu tun hat. Ich selbst bin ein Beispiel für das, was er meritokratischen Elitismus nennt! Aber was soll ich geerbt haben? Meine Eltern hatten kein Geld, und Französisch war nicht ihre Muttersprache!"

New York Times (USA), 11.02.2007

Am 21. Juli erscheint "Harry Potter and the Deathly Hallows". Wer's nicht abwarten kann, liest "What Will Happen in Harry Potter 7" (Auszug) oder besucht die Website der jugendlichen Autoren, denen Lee Siegel in der New York Times Book Review eine nicht ungefährliche Hingabe an den Stoff attestiert: "Zu Rowlings Ankündigung, Buch 7 werde das letzte sein, schreiben sie: 'Solange wir unsere Fantasie haben, wird Harry Potter niemals sterben.' Solche Menschen verletzen sich nicht selten an Windmühlenflügeln. Vielleicht hat Rowling ja die dunklen Machenschaften in Hogwarts verstärkt und es immer mehr von einem Ort der Zuflucht zu einem des Unfriedens gemacht, um ihren Fans eine Lektion zu erteilen, indem sie ihr Universum sich selbst auflösen lässt, bevor sie es tut. Seht her, könnte das heißen, so sieht die Welt in Wirklichkeit aus."

Weitere Artikel: Allison Glock hält Charlie LeDuffs Soziologie des durchschnittlichen amerikanischen Mannes für zu durchschnittlich männlich. Und Marilyn Stasio bespricht neue Krimis von Ariana Franklin, John Cardinal und S. J. Rozan.
Archiv: New York Times