Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
20.02.2007. De Groene Amsterdammer überlegt, ob Sex für Islamisten nicht Wunder in der Bekämpfung des Dschihad bewirken könnte. Im Spectator verabschiedet sich John Gray von einem nationalen Konsens, der Briten aller Couleur einen könnte. Al-Sharq al-Awsat beschreibt religiös bedingte Unruhen unter Studenten in Beirut. Alberto Fuguet reist für die Revista de Libros in die digitale Nacht. Im Guardian denkt Eric Hobsbawm über den Spanischen Bürgerkrieg, Marx und Bakunin nach. Im Nouvel Obs stellt Bernard-Henri Levy drei Regeln für das Engagement Intellektueller in Wahlkämpfen auf. The New Republic dokumentiert einen Aufruf zur Gründung einer American Review of Books. Der Economist beschreibt das boomende Zeitungsgeschäft in Indien. Die New York Times bespricht Götz Alys Buch "Hitlers Volksstaat".

Groene Amsterdammer (Niederlande), 17.02.2007

Jetzt haben also auch die Soziologen den "Polder-Dschihad" entdeckt. Aart Brouwer sichtet eine Flut aktueller Fachliteratur zum Thema "Islamistische Jugend in Holland" und ist nicht sehr beeindruckt. "Die Soziologie schießt immer noch zu kurz bei der Klärung des 'Wendepunkts', an dem ein junger Mann oder eine junge Frau zu Terroristen werden." Viel besser treffe das die Literatur und dort vor allem "der deutsche Essayist Hans Magnus Enzensberger. Seine Abhandlung 'Der radikale Verlierer' (englische Version) beginnt dort, wo die Soziologie aufhört: Bei der Psychologie des Einzelgängers, der sich in der Gesellschaft ebenso wie im Leben als 'Verlierer' wahrnimmt. Eine umherwandelnde Bombe, die jederzeit aus einem willkürlichen Grund hochgehen kann: Eine Demütigung, eine enttäuschte Liebe, eine Entlassung. Die Ideologie steht dabei an letzter Stelle." Viel wichtiger sei der sexuelle Aspekt, dem auch der Schriftsteller Ian Buruma "eine prominente Rolle in der Biografie jedes Radikalen" einräumt. "Ein Beispiel hierfür bietet Mohammed Bouyeri, der Mörder von Theo van Gogh, den es wurmte, das er bei den niederländischen Mädchen nicht landen konnte und der 'austickte', als er erfuhr, dass seine Schwester einen Freund hatte."

Spectator (UK), 16.02.2007

Die britische Gesellschaft sollte sich von der Vision einer "liberalen Monokultur", in der Muslime zu westlichen Werten bekehrt werden sollen, verabschieden, meint der Philosoph John Gray in einem Essay. Im besten Fall sei ein friedliches Zusammenleben denkbar, das Teilen der gleichen Ansichten dagegen unrealistisch. "Der Austausch von Menschen und Ideen im großen Maßstab, der Einfluss der Medien und eine kontinuierliche kulturelle Innovation haben Großbritannien weit pluralistischer als früher gemacht. Diese anarchische Vitalität scheint mir eine der akttraktiveren Seiten der Globalisierung zu sein, und wird bleiben, was auch immer man darüber denkt. In Großbritannien findet sich eine noch nie dagewesene Mischung von Lebensstilen und Weltanschauungen. Es gibt Fundamentalisten aller Coleur, meist unauffällige Enklaven traditionellen Lebens und unzählige Menschen, die sich aus den diversen Überlieferungen das heraussuchen, was ihnen passt. Warum sollten ausgerechnet die Muslime dafür an den Pranger gestellt werden, dass sie von einem nationalen Konsens abweichen, der mittlerweile zum großen Teil ein Mythos ist?"
Archiv: Spectator

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 14.02.2007

Ali al-Azir beschreibt die jüngsten Ausschreitungen unter Beiruter Studenten: "Die Universitäten haben sich in Frontlinien verwandelt, ihre Studenten sind in feindliche Lager gespalten. (?) Die Universitätsverwaltungen beeilten sich, den Schock aufzufangen und warben in öffentlichen Aufrufen für einen rationalen Dialog, für das Recht auf Differenz und für eine Anerkennung des Anderen. Die Bildungseinrichtungen sahen sich gezwungen, an ihre Kernaufgabe als Oase des schöpferischen Denkens zu erinnern." Dass die politischen Konflikte nun auch die Studentenschaft erreicht haben, wirft für al-Azir grundsätzliche Fragen bezüglich des libanesischen Bildungssystems auf: "Zielen die Lehrpläne darauf ab, das Konzept der Staatsbürgerschaft unter den Studenten zu festigen? Ermutigen die Lehrpläne die Studenten, sich an die Gesetze zu halten und sich gegen den Einsatz von Gewalt zu entscheiden, wenn es darum geht, mit Hindernissen umzugehen? Wird ihnen beigebracht, dass das Axiom, nach welchem alle Angehörige der einen Nation sind, notwendigerweise im Widerspruch steht zu religiösem, rassischem und ethnischem Fanatismus?"

Aus Ägypten berichtet Muhammad Abu Zayyed von einer - aus seiner Sicht unerfreulichen - Entwicklung: dem zunehmenden Einfluss privater und ausländischer Förderer in der Kultur. Ob Internationale Buchmesse, Filmfestival oder Kulturpreise: Geschäftsleute übernehmen immer mehr die Rolle der Finanziers dieser Veranstaltungen. "Dies wirft die Frage nach dem Ziel solcher Förderung auf. Ist es der Wunsch der Finanziers, der Kultur zu dienen, oder geht es eher darum, sich selbst zu vermarkten? Einiges deutet darauf hin, dass die Geschäftsmänner Gewinne machen, während die Kultur und die Kunstschaffenden zu den Verlierern zählen."

Revista de Libros (Chile), 19.02.2007

"Kann ein Blog Literatur sein?", fragt sich der chilenische Schriftsteller und (mehrfach-)Blogger Alberto Fuguet. "Fernando Pessoa wäre der ideale Blogger gewesen, schon allein wegen seiner pathologischen Schüchternheit, seiner bald psychotischen, bald dreipoligen Heteronyme und seines fatalen Mangels an sozialen Kontakten. Kafka und Pavese hätten heutzutage höchstwahrscheinlich ebenfalls Blogs. Letztlich ist das der Unterschied: Bevor Max Brod sie veröffentlichte, konnte sich niemand in Kafkas Tagebücher einklinken; in den Blog von Alexander von Alexandria dagegen kann sich jeder einklinken, nur weiß keiner, dass es ihn gibt. Alexander von Alexandria ist weder der einzige Blogger noch der einzige Schriftsteller dieser Welt, geschweige denn ihr einziger Bewohner - trotzdem, und das ist das Faszinierende daran, kommt es ihm oder ihr so vor, und wahrscheinlich schreibt er oder sie auch genau deshalb so gut und so wahrhaftig inmitten der digitalen Nacht."
Stichwörter: Brod, Max, Pessoa, Fernando

Guardian (UK), 17.02.2007

Der Spanische Bürgerkrieg ist einer der wenigen Momente der Historie, in der die Geschichte nicht von den Siegern geschrieben wurde, sondern von Intellektuellen, konstatiert der standhaft marxistische Historiker Eric Hobsbawm. Allerdings fürchtet er angesichts eines zunehmend kritischen Blicks auf die republikanische Seite die Ausbreitung eines falsches Bewusstseins: "Die große Frage des Spanischen Bürgerkriegs war und bleibt, wie gesellschaftliche Revolution und Krieg auf der republikanischen Seite zueinander im Verhältnis standen. Der Bürgerkrieg war, oder begann, als beides. Der Krieg entstand aus dem Widerstand einer legitimen Regierung und mit Hilfe einer Massenmobilisierung gegen einen teilweise erfolgreichen Militärputsch sowie durch die spontane Verwandlung dieser Mobilisation in eine Revolution. Ein ernsthaft von einer Regierung geführter Krieg braucht Struktur, Disziplin und einen Grad an Zentralismus. Was gesellschaftliche Umwälzungen wie die von 1936 kennzeichnet, sind lokale Initiativen, Spontaneität, und die Unabhängigkeit von oder gar der Widerstand gegen höheren Autoritäten - angesichts des starken Anarchismus in Spanien gilt dies hier im Besonderen. Kurz gesagt,die große Frage war und bleibt in dieser Debatte der Unterschied zwischen Marx und Bakunin."

Weiteres: Salman Rushdie schreibt über die indisch-ungarische Künstlerin Amrita Sher-Gil, der die Londoner Tate Modern eine große Ausstellung widmet und die ihm selbst als Vorbild für seinen Roman "Des Mauren letzter Seufzer" gedient hat. DBC Pierre verbeugt sich vor Luis Bunuel und seinem Film "Los Olvidados". Zum Buch der Woche erklärt Simon Callow Tennessee Williams' Tagebücher.
Archiv: Guardian

Magyar Narancs (Ungarn), 16.02.2007

Mit dem Argument, Geistliche seien keine Personen des öffentlichen Lebens, waren bislang die Stasi-Unterlagen hoher Würdenträger der Kirchen geheim. Dagegen klagte Daniel Kozak, Mitarbeiter der Wochenzeitung Magyar Narancs, vor Gericht und gewann. Heute feiert er das Urteil: "Mein Ziel war es nicht, die Stasi-Vergangenheit einzelner Personen aufzudecken, sondern den Gesetzgeber aufzufordern, sich mit dem alten Stasi-Unterlagengesetz auseinanderzusetzen. Obwohl das Verfassungsgericht bereits 1994 die Frage stellte, 'warum die Kirchen als politische Meinungsbildner nicht zum Personenkreis gehören, deren Stasi-Vergangenheit geklärt werden soll', ist es den Kirchen bislang immer gelungen, sich der Verantwortung zu entziehen. Moralische und politische Fragen, damit auch die Interessen von Kirchen und Parteien, überschneiden sich oft. Wie könnte man anders erklären, dass die Aufklärung der Stasi-Vergangenheit der Kirchen immer noch nicht begonnen hat? Diese Aufklärung wäre auch für die Kirchen von Vorteil, die mehr Glaubwürdigkeit in moralischen Fragen gewinnen würden."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Stasi, Stasi-Vergangenheit

Nouvel Observateur (Frankreich), 15.02.2007

"Driften die Intellektuellen nach rechts?", fragt der Nouvel Obs besorgt in seinem Titeldossier. Hintergrund ist die bevorstehende Präsidentenwahl und das Engagement ehemaliger Linker wie Alain Finkielkraut oder Andre Glucksmann, die öffentlich Position beziehen - für Nicolas Sarkozy, den Kandidaten der gaullistischen UMP. Ein Überblicksartikel stellt die verschiedenen Positionen vor, und bringt am Ende eine Art Kurzcharakterisierung der wichtigsten Beteiligten. Beispiel: "Pierre-Andre Taguieff, Andre Glucksmann, Max Gallo und Alain Finkielkraut verkörpern jeder auf seine Art einen gewissen 'Rechtsruck' der Intelligenzija. Partisanen eines neuen Atlantismus (Taguieff, Glucksmann) oder überzeugt von der Dekadenz des republikanischen Modells (Gallo, Finkielkraut), weisen sie dennoch das Etikett 'Neoreaktionismus' zurück."

In einem Interview stellt Bernard-Henri Levy dagegen klar, dass er Linker ist. Seinen Freund Glucksmann, gibt er zu, verstehe er "nicht so ganz". Denn für das Engagement von Intellektuellen in Wahlkämpfen gälten drei Prinzipien. Das erste sei, dass sie nie "Gefolgsleute" sein dürften, das zweite "Misstrauen". Das wichtigste jedoch sei das "Timing": "Intellektuelle sind Freibeuter und ein Ärgernis, Leute, die Bedingungen stellen und maximalen Druck ausüben. Sie sollten sich so spät wie möglich äußern."

Zu lesen sind außerdem Beiträge des Historikers Benjamin Stora (hier) und von Nicolas Baverez, Autor des vieldiskutierten Buchs "La France qui tombe" (hier und zur damaligen Debatte hier und hier).

Times Literary Supplement (UK), 16.02.2007

David Wootton preist Hugh Trevor-Ropers postum herausgegebene Biografie "Europe's Physician" des calvinistischen Arztes Theodore De Mayerne, den die katholischen Häscher von Genf über Paris nach London jagten. Für Wootton ist es eines der düstersten und pessimistischsten Geschichtsbücher, die je geschrieben wurden: "Trevor-Roper glaubte nicht, dass sich Ideen ihren Weg in der Welt bahnen würden. Dies ist das zentrale Thema seines letzten Buches. Die hugenottischen Ärzte im Paris des Henri IV. hatten im Streit mit der Medizinischen Fakultät die besseren Argumente, aber der Disput war am Ende nichts anderes als ein Kräftemessen, und die Fakultät war stärker. Dasselbe gilt für Kardinal du Perrons Erfolg, die Protestanten zum Katholizismus zu bekehren, nachdem Henri IV. entschieden hatte, dass Paris durchaus eine Messe wert wäre: Perron hatte nicht die besseren Argumente, er zahlte gut. Am Ende überlebte das protestantische Genf nicht wegen d'Aubignes Beredsamkeit oder Mut, sondern wegen Richelieus zynischer Realpolitik."

Bee Wilson hat Andrew F. Smith' "Encyclopedia of Junk Food and Fast Food" gelesen und stellt nun fest: "Der größte Reiz am Junk Food besteht darin, dass er von der erdrückenden Kontrolle eines Küchenhaushalts befreit. Es braucht kein Besteck und kein Geschirr, keine festen Essenszeiten, kein Bitte und Danke. Junk Food ist die Antithese zu 'Iss Deinen Spinat.'"

Weiteres: Stephen Abell attestiert Norman Mailer angesichts seines Hitler-Romans "The Castle in the Forest" eine "Analität des Bösen". Besprochen werden zwei Neuerscheinungen zum Kampf um die Abschaffung der Sklaverei (David S. Reynolds' "John Brown, Abolitionist" und Nicholas Lemanns "Redemption") sowie Briefe von Jessica Mitfords.

NRC Handelsblad (Niederlande), 17.02.2007

Ein Überraschungscoup: Bildungsminister in Premier Balkenendes neuem Kabinett wird Ronald Plasterk, Utrechter Professor für Molekulargenetik und bekannter Kolumnist der Volkskrant. Der Kritiker als Minister? Guus Valk freut sich auf heiße Debatten. "In seinen Kolumnen hat Plasterk die Bildungspolitik seiner Vorgängerin Maria van der Hoeven stets abgekanzelt. Heftigen Streit hatten der überzeugte Atheist und die Katholikin zum Beispiel über 'Intelligent Design', den Glauben an einen Schöpfer des großen Ganzen. Van der Hoeven, im neuen Kabinett übrigens Wirtschaftsministerin, fand die Theorie interessant und erntete bei Plasterk dafür Hohn und Spott: 'Bald melden sich hier ein paar indische Fakire, die behaupten, dass die Schwerkraft nicht existiert.'" Spannend auch die Frage, wie Minister Plasterk mit dem niederländischen Unikum des "bijzonder onderwijs" umgehen wird. Als Kolumnist hatte er das in Europa einzigartige Privatschulsystem noch gegeißelt als "ein System, das jeglicher Glaubensgemeinschaft auf Kosten des niederländischen Steuerzahlers eigene Schulen spendiert, damit sie den Kindern dort ihre Heilslehre predigt."

Außerdem: In Bagdads Straßen herrscht Krieg, aber die irakische Nationalbibliothek bleibt geöffnet. Floris van Straten zitiert aus dem Weblog ihres Leiters Dr. Saad Eskander (hier auch auf Englisch): "'Meine Sekretärin war bestürzt, weil zwei Bomben keine siebzig Meter neben ihrem Auto explodierten. Doch wie auch andere sprach sie nur etwa zwei Minuten über den Vorfall und fuhr danach mit ihrer täglichen Arbeit fort. Um elf Uhr kam die niederschmetternde Nachricht, dass man Ali Salih ermordet hatte, während seine jüngere Schwester neben ihm stand.' Den jungen Salih hatte Eskander erst kurz zuvor nach Florenz zum Computertraining geschickt. 'Er symbolisierte für uns die Modernisierung der Nationalbibliothek. Alle begannen zu weinen. Ich ging zutiefst deprimiert nach Hause, nahm meinen kleinen Sohn in den Arm und dachte daran, dass Ali ebenfalls zwei Söhne hinterließ.'"
Archiv: NRC Handelsblad
Stichwörter: Bildungspolitik, Florenz, Guut

London Review of Books (UK), 22.02.2007

In einem ausführlichen Interview erläutert der 2004 durch einen Militärputsch aus dem Amt gejagte Ex-Präsident von Haiti Jean-Bertrand Aristide unter anderem das Funktionieren von Realpolitik: "1994 brauchte Clinton einen außenpolitischen Erfolg, und die Rückkehr zur Demokratie in Haiti bot ihm dafür die Gelegenheit. Wir benötigten ein Instrument, den vor Morden nicht zurückschreckenden Widerstand der Armee Haitis in die Schranken zu weisen - und Clinton bot uns dieses Instrument. Wir hatten nie irgendwelche Illusionen, dass die Amerikaner unsere langfristigen Ziele teilten. Aber ohne sie hätten wir die Demokratie nicht wiedererlangen können."

Gleich zwei Bücher über Pythagoras bespricht M.F. Burnyeat. Beide machen vor allem eines endgültig klar: Mehr oder minder alles, was die meiste Zeit über den Philosophen bekannt schien, war falsch, wie schon Walter Burkert in seinem 1962 erschienenen Buch "Weisheit und Wissenschaft: Studien zu Pythagoras, Philolaus und Platon" nachgewiesen habe. "Das meiste, was Sie über Pythagoras zu wissen glauben, ist Fiktion, vieles davon mit voller Absicht erfunden. Hat er etwa das Theorem der Geometrie entdeckt, das seinen Namen trägt? Nein. Hat er über die Harmonie der Sphären nachgedacht? Ganz sicher nicht." Mit zwei Texten ist Peter Wood vertreten: Zum einen analysiert er das Werk des US-Romanciers Richard Powers, zum anderen beschäftigt er sich mit Akira Kurosawas Film "Yojimbo" und den vielen amerikanischen Filmen, die er inspirierte.

New Republic (USA), 19.02.2007

The New Republic hat die Debatte online gestellt, die sich an einem Aufruf des Historikers Jeffrey Herf entzündet hat, eine neue American Review of Books zu gründen. Grund seines Appells ist, dass selbst in der New York Times Book Review oder der New York Review of Books nur ein Bruchteil der rund 10.000 wissenschaftlichen Bücher rezensiert werden, die jährlich veröffentlicht werden. Weiter heißt es bei Herf: "Wir Wissenschaftler wissen, dass es in den ganzen Vereingten Staaten sehr gute Universitäten gibt. Wir wissen, dass über das ganze Land verstreut Talent zu finden ist wie niemals zuvor, sowohl über die traditionell bekannten Universitäten wie über Manhattan hinaus, das angesichts der dortigen hohen Lebenshaltungskosten kaum noch das wissenschaftliche und intellektuelle Mekka ist, das es einst war. Wir wissen, dass eine große Anzahl gut geschriebener, gründlich recherchierter und wichtiger Arbeiten in diesem Land einem betäubenden Schweigen anheimfällt. Wir wissen, dass die meisten nicht-spezialisierten Akademiker dieses Landes keine Ahnung davon haben, was in den Bereichen Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie, Philosophie, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Naturwissenschaft und anderen kleineren Disziplinen eigentlich vor sich geht."
Archiv: New Republic

Economist (UK), 16.02.2007

Indien, du hast es besser - auch, was das Zeitungsgeschäft angeht. Einige beeindruckende Zahlen hat der Economist zu bieten: "Indien hat etwa 300 große Zeitungen, mit einer gemeinsamen Auflage von 157 Millionen im letzten Jahr - ein Anstieg von 12,9 Prozent im Vergleich zu 2005. Nur ein paar Dutzen der Blätter, zusammen haben sie eine Auflage von 35 Millionen, sind in Englisch, aber sie teilen sich ungefähr die Hälfte der gesamten Werbeeinnahmen. (...) Die Zukunft sieht rosig aus. Großzügig geschätzt, gehören etwa 300 Millionen der mehr als eine Milliarde Inder der Mittelklasse an; nur 60 Prozent können lesen und schreiben. Die Alphabetisierung der ungebildeten Massen dürfte den Zeitungen zugute kommen. Zugang zum Internet haben, wachsenden Zahlen zum Trotz, nach wie vor nur rund 1,2 Prozent der Inder ab 12 Jahren."

Weitere Artikel: Besprochen wird ein Buch der Gender-Historikerin Silvia Evangelisti, das das Leben der Nonnen in der Renaissance als Erfolgsgeschichte beschreibt. Der recht ausführliche Nachruf auf Anna Nicole Smith kann über die herausragenden Eigenschaften des früh verstorbenen Models nicht hinwegsehen: "Was zu allererst ins Auge stach, wenn man Ms Smith begegnete, waren die Brüste. Zwar waren es auch nur zwei, aber sie bildeten eine ganze Straßenfront: riesig, überwältigend, pneumatisch." Wenig erfreut sein dürfte George W. Bush, erfahren wir, vom Grammy-Erfolg der Frauen-Country-Band Dixie Chicks. Und aus Japan wird vom Kampf gegen den übertriebenen Alkoholkonsum im Angestelltenmilieu berichtet. Die Titelgeschichte, die es nicht online zu lesen gibt, befasst sich mit dem Ende des Bargeld-Zeitalters.
Archiv: Economist

New York Times (USA), 18.02.2007

Als "frisches Modell" zum Verständnis der breiten Unterstützung Hitlers in Deutschland stellt Dagmar Herzog die englische Ausgabe von Götz Alys auch bei uns viel diskutiertem Buch "Hitlers Volksstaat" ("Hitler?s Beneficiaries") vor. Ein Modell mit Fehlern allerdings: "Alys Verdienst ist es zu zeigen, dass weder der Zweite Weltkrieg noch das Stillhalten der deutschen Bevölkerung ohne die Enteignung der Juden so lange hätte andauern können. Aber Zusammenhang ist nicht gleich Ursache und das Aufzeigen von Zusammenhängen kein Beweis für eine Motivation. Der Historiker Jonathan Petropoulos schrieb: 'Die Nazis waren nicht nur die berüchtigsten Mörder der Geschichte, sondern auch die größten Diebe.' Aly beweist, dass Raub und Mord in vielen Fällen Hand in Hand gingen. Dass der Holocaust mit unerhörter Habgier verbunden war, darf aber nicht dazu verleiten, ihn auf die Gier allein zurückzuführen."

Weitere Artikel: Jane Stern blättert interessiert in den bunten Memoiren des Porno-Stars Ron Jeremy ("The Hardest (Working) Man in Showbiz"). Sophie Harrison erscheint Paul Austers neuer Roman "Travels in the Scriptorium" wie ein Lehrbuch in Creative Writing. Und Rachel Donadio erinnert an den jüngst verstorbenen CIA-Mann, Watergate-Strippenzieher und Autor Hemingwayesker Groschenromane, E. Howard Hunt.
Archiv: New York Times