Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.03.2007. In der New York Review of Books analysiert Julian Barnes die leichte Übelkeit der Franzosen. In ResetDoc ärgert sich die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi über Fundamentalisten der Aufklärung. Der American Scholar findet Peter Handke nicht genial genug, um ihm seine Bewunderung Milosevics zu verzeihen. Im Nouvel Obs verkündet Alain Minc, er werde Sarkozy wählen, auch wenn das Cafe de Flore ihn auslacht. Im Espresso plädiert Umberto Eco für ein Uffizyland. Elet es Irodalom fragt sich, warum in Ungarn die Piresen so gehasst werden. Der Economist fürchtet den neuen Nationalismus in der Türkei. In Al Ahram protestiert der israelische Filmemacher Haim Besheeth gegen jüdische Zirkel, die Kritik an Israel antisemitisch finden. Die New York Times liest Brigitte Hamanns Winifred-Wagner-Biografie.

New York Review of Books (USA), 29.03.2007

Der Schriftsteller Julian Barnes liest Robert und Isabelle Tombs' Geschichte der britisch-französischen Animositäten "That Sweet Enemy". Nach seinem Eindruck dämmert den Franzosen allmählich mit "Beschämung und leichter Übelkeit", dass sie mehr britischen Liberalismus bräuchten. "Die Stimmung in Frankreich ist ohne Zweifel deprimiert. 'Warum läuft es bei uns so schief?', wird der Schriftsteller zu Besuch oft gefragt. Selbst die weniger befrachtete Frage, warum die britische Literatur derzeit so viel besser als die französische sei, impliziert die Antwort, dass Frankreich vielleicht endlich Adam Smith anerkennen sollte. Manchmal ist dies nur routinierte Trübsal, ein Hauch von Masochismus - oft die Kehrseite französischer Heiterkeit. Aber die Lage ist ernst. Luc Ferry, Philosophieprofessor an der Universität Paris VII und früherer Bildungsminister, beschreibt seine Diskussionen mit rebellischen linken Studenten (wenn diese Attribute in Frankreich überhaupt nötig sind). Er selbst, sagt er, sei nie ein 68er gewesen, aber die Rebellen wollten nach Arkadien, zum Parnass oder ins Paradies auf Erden, die Rebellen von heute fürchten um ihre Rentenansprüche. Haben dafür, legt sein Ton nahe, Napoleons Kaiserliche Garden bis zum letzten Mann bei Waterloo gekämpft? Hat dafür ihr General Cambronne die britischen Forderungen nach Kapitulation mit dem berühmten 'Merde' beantwortet?"

Weiteres: Stephen Kinzer wirft einen Blick auf Ruanda, das Paul Kagames Tutsi-Regierung dreizehn Jahre nach dem Völkermord Kinzers Meinung nach recht erfolgreich stabilisiert hat (wenn auch auf Kosten des ausgeplünderten Kongos). Joseph Lelyveld bespricht das neue Buch zum Nahost-Konflikt von Jimmy Carter, der viel Zorn auf sich gezogen hat, weil er die israelische Besatzungspolitik als Apartheid bezeichnet. Andrew Delbanco stellt fest, dass die reichen Studenten auf Amerikas reichen Colleges noch viel reicher sind als ihre Vorgänger.

Besprochen werden außerdem James Oakes' Buch über Abraham Lincolns Kampf gegen die Sklaverei "The Radical and the Republican" und Ron Rosenbaums Buch über die Fehden unter Shakespeare-Experten "The Shakespeare Wars".

ResetDoc (Italien), 09.03.2007

Die iranische Anwältin und Trägerin des Friedensnobelpreises Shirin Ebadi ärgert sich im Interview über "Fundamentalisten der Aufklärung", weil sie im Grunde tyrannischen Regimen wie in Saudi-Arabien in die Hände spielten. Leute wie Ayaan Hirsi Ali, sagt sie, "stellen die Muslime an Ende vor ein Ultimatum: entweder akzeptiert ihr den Islam und alle Ungerechtigkeiten, unter denen ihr leidet, oder ihr schafft die Religion eurer Väter zugunsten der Demokratie ab. Es ist nicht fair, eine solche Entscheidung zu erzwingen. Ich schlage einen anderen Weg vor - der Islam sollte so interpretiert werden, dass er mit der Demokratie vereinbar ist. Im Christentum gibt es auch einige Kirchen, die Homosexualität verdammen, und andere, die sie akzeptieren. Sie sind alle Christen, aber interpretieren ihre Religion verschieden. Dasselbe kann auch für den Islam gelten. In einem Land wie Saudi-Arabien gibt es nicht einmal ein Parlament, während es in Malaysia eine ziemlich fortgeschrittene Demokratie gibt. Über welchen Islam sprechen wir? Der Islam ist absolut vereinbar mit Frauenrechten. Die, die anderes sagen, rechtfertigen im Grunde undemokratische islamische Regierungen."
Archiv: ResetDoc

American Scholar (USA), 12.03.2007

Peter Handke ist der "stärkste, erfinderischste Schriftsteller" in der deutschen Literatur seit Günter Grass. Aber soll man ihm deshalb seine Bewunderung für Milosevic verzeihen? Nein, findet Michael McDonald in einem Essay (leider nicht online) und zitiert leicht bitter Günter Grass, der fand, Genie sei keine Entschuldigung für gefährlichen Unsinn. Aber vielleicht ist Handke ja auch gar kein Genie? Denn der Wahrheit, so McDonald, kommt seine romantische Auffassung vom Schreiben auch nicht nahe. "Indem er sich mit chirurgischer Präzision auf physische Details des Lebens konzentriert, kann Handke ein entsetzliches Bild der mechanischen Dumpfheit alltäglicher Routine zeichnen. Aber beschreibt er damit das wirkliche Leben? Literatur ist viele Dinge, aber sie wäre unsere Aufmerksamkeit nicht wert, wenn sie nicht etwas mit menschlicher Psychologie zu tun hätte - der Handke eindeutig zu entkommen wünscht. Literatur, die ausschließlich von den äußeren Formen des Lebens handelt, wird repetitiv und trivial - was oft genug auf Handkes Schreiben zutrifft. Sein Ansehen als Schriftsteller wird kaum überleben, außer in Lehrbüchern. Wer liest (außerhalb eines Studierzimmers) Robbe-Grillet und andere nouveaux romanciers, von denen Handke so viel gelernt hat."

Vielleicht würde Handke darauf antworten: 2+2=5. Und auf den Artikel von Robert Orsi verweisen. Orsi ist Katholik - und Empiriker. Und weil er beides ist, sehnt er sich nach einem radikalen, einem "reichen" Empirismus des sichtbaren und unsichtbaren Realen. Das unsichtbare Reale, das sind zum Beispiel die blutigen Tränen einer Madonnen-Statue - peinliche Vorstellung für jeden Protestanten. "Die Herausforderung ist es, weiter zu gehen als bis zu einem 'dies war real in ihrer Vorstellung', um das Reale - ob es der Heilige Geist bei einem Treffen der Pfingstgemeinde oder die Erscheinung der Heiligen Jungfrau oder die Vision des Paradieses, so bezwingend, dass man dafür tötet - zu beschreiben, wie es seine Präsenz, seine Existenz und Macht in Raum und Zeit findet, wie es so real werden kann wie ein Gewehr, Steine oder Brot, und wie dann das Reale im Gegenzug als Agent seiner selbst in der Geschichte handeln kann. Ein reicher Empirismus erlaubt es uns, die Bedingungen solcher Kreativität in der Kultur zu erforschen, in der 2+2=5 ist, im guten wie im schlechten, was bedeutet, dass die Summe von 2+2 ebenso Grausamkeit und Gewalt, kulturelle Auflösung wie auch kulturelle Erneuerung sein kann."

Nouvel Observateur (Frankreich), 08.03.2007

Das Rennen um die französische Präsidentschaft geht allmählich in die Endrunde. Der Nouvel Obs dokumentiert eine Auswahl der Beiträge von Alain Finkielkraut, Cynthia Fleury, Bernard-Henri Levy, Michel Onfray, Alain Minc, und Jean Daniel in einer Diskussion zur Rolle der Intellektuellen im Wahlkampf, die im französischen Fernsehen zu sehen war. In den Beiträgen geht es auch um die Nation und die Demokratie im Allgemeinen. Zur Frage, ob es - wie im Fall von Andre Glucksmann, der sich öffentlich für Sarkozy ausgesprochen hatte und daher nach Ansicht von Alain Finkielkraut nun als "demaskiert" gilt - richtig sei, Stellung zu beziehen, herrschen unterschiedliche Auffassungen. Der Ökonom Alain Minc findet: "Wenn man erklärt, für Nicolas Sarkozy zu stimmen, was ich tun werde, wird man in einigen Milieus tatsächlich mit Schande überzogen. Man muss nicht übertreiben, man läuft eben unter Gelächter durchs Cafe de Flore, aber man stirbt nicht daran. Ich glaube übrigens, dass das, was wir denken, wohl kaum Stimmen beeinflussen wird. Umgekehrt hat man, wenn man im öffentlichen Leben steht, zwangsläufig eine Verpflichtung zur Transparenz. Zu sagen, wie man stimmen wird, ist eine Form davon."

Espresso (Italien), 15.03.2007

Umberto Eco hält den künstlichen griechischen Tempel, der in der Nähe des süditalienischen Albanella gebaut werden soll, für gar keine so schlechte Idee. Dann wäre er mit den Originalen endlich alleine. "Man muss die natürlichen Tendenzen des Massentourismus ausnützen, der nicht zwischen der Pieta Rondini und Mulino-Bianco-Keksen unterscheidet und der dazu führt, dass viele Amerikaner den Cesars Palace in Las Vegas römischer finden als das Kolosseum. Viele Leute wären mit dem falschen Tempel von Albanella weitaus zufriedener - alles völlig intakt und glänzend und prächtig, was das müde Überbleibsel bei Paestum nicht bieten kann. Nach Albanella würde die Masse gehen, während Paestum für jene bliebe, die bewusst dort hingehen und für die der bereit gestellte Nachmittagsimbiss nicht so wichtig ist. Wie nützlich wäre ein Uffizyland am Rande von Florenz, mit perfekten Reproduktionen der Gemälde in den Uffizien, vielleicht mit leicht aufgefrischten Farben, wie man es in den amerikanischen Bestattungsunternehmen mit den Lippen der Verstorbenen macht."
Archiv: Espresso

New Yorker (USA), 19.03.2007

John Colpitano porträtiert den Modeschöpfer Karl Lagerfeld, der seit 1983 für Chanel entwirft. "Paradoxerweise ist Lagerfeld ein Anhänger des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Seine Leidenschaft für Geschichte spiegelt seine Kleidung wieder, eine Mischung aus Zeitgenössischem (Dior-Jackets zu hautengen Diesel Jeans) und einem selbstbewussten Retrostil (...) mit maßgeschneiderten Hemden von Hilditch & Key mit hohen, steifen Krägen, die an Gentleman wie Walther Rathenau erinnern, den jüdischen Industriellen, der als Vorlage für eine Nebenfigur in Musils 'Mann ohne Eigenschaften' diente, und an Harry Graf Kessler, den englisch-deutschen Kunstmäzen, der mehrere Bände Tagebücher geschrieben hatte (die Lagerfeld gelesen hat) und legendär für seinen Dandystil war. Rathenau und Kessler verkörpern für Lagerfeld alles Noble an der Weimarer Republik. 'In meiner Seele bin ich Deutscher', erklärt er, 'aber eines Deutschlands, das es nicht mehr gibt.'"

Weiteres: Paul Goldberger porträtiert das Architekturbüro Single Speed Design aus Cambridge, Massachusetts. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Lucky Alan" von Jonathan Lethem und Lyrik von Jack Gilbert, Nicholas Christopher und Robert Bly.

Judith Thurman rezensiert die Biografie "Leni: The Life and Work of Leni Riefenstahl" von Steven Bach (Knopf). Peter Schjeldahl führt durch zwei Ausstellungen "zur alten Idee" Abstraktion: eine Schau der Werke von Robert Ryman in der Gallerie PaceWildenstein und "Comic Abstraction" im MoMA. Hilton Als stellt eine Inszenierung von "König Lear" mit Kevin Kline in der Hauptrolle und Patrick Marbers Stück "Howard Katz" vor. Und David Denby sah im Kino den neuen Film von Ken Loach "The Wind That Shakes the Barley" und den Krimi "Zodiac" von David Fincher.

Nur im Print: Berichte über die Turner-Prize-Manie in London und Zweite-Hand-Produktionen aus Hollywood, eine Warnung vor allzu lässiger "texanischer" Freizeitmode und eine Reportage über einen Detektiv, der Modefälschungen auf der Spur ist.
Archiv: New Yorker

Elet es Irodalom (Ungarn), 09.03.2007

Nach neuesten Umfrageergebnissen lehnen immer mehr Ungarn die Einwanderung der Piresen ab. Nie gehört? Das ist eine Volksgruppe, die extra für eine Umfrage erfunden wurde, um die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber realen Minderheitengruppen - Roma, Deutsche, Slowaken, Serben - mit Gefühlen gegenüber einer fiktiven Ethnie vergleichen zu können. Gusztav Megyesi kommentiert sarkastisch: "Überraschenderweise werden die Piresen ausgerechnet von Linken und den wohlhabenden Bewohnern Westungarns gehasst. Sie hassen die Piresen in erster Linie, weil sie keinen einzigen Piresen kennen. Persönliche Begegnungen würden ihnen vielleicht helfen, Vorurteile abzubauen. ... Wieso fühlt sich eigentlich kein Politiker berufen, gegen die Interessen der Piresen aufzutreten, wenn sie hierzulande so unbeliebt sind? Wenn eine fiktive Volksgruppe gehasst wird, dann kann man sie doch ziemlich einfach besiegen. Wieso ist es noch keinem Politikern eingefallen, seine Karriere auf der Rettung unseres Landes vor den Piresen zu bauen. 'Ich habe alle Piresen aus dem Land abschieben lassen, ich bin die Hoffnung des ungarischen Volkes, ich will an die Macht', könnte derjenige rufen. Und seine politischen Gegner könnten keinen einzigen Piresen als Wiederlegung vorweisen."

Der Historiker Janos Sebök fordert, die historische Rolle von Miklos Horthy, des umstrittenen Staatsoberhauptes von Ungarn 1920-1944, endlich ohne alle ideologischen Manipulationen zu analysieren. "Weil Horthy vor der Wende zu negativ dargestellt wurde, wird er heute von der Rechte um so mehr verehrt, idealisiert und mit propagandistischen Gesten zum Helden verklärt. ... In Wahrheit trug Horthy als Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber des Heeres während des Zweiten Weltkriegs eine außerordentliche politische und moralische Schuld: an Millionen Kriegsopfern, die vermeidbar gewesen wären, an den ungarischen Judengesetzen, am Massaker von Kamenetz-Podolski, an der Kriegserklärung der Sowjetunion gegen Jugoslawien, am Tod der sogenannter Arbeitsdienstler, an der Deportation des ländlichen Judentums. Die Rechte behauptet, dass Horthy von all dem nichts wusste. Die Ministerpräsidenten, die Regierung, die Beamten, die Institutionen, die deutschen Besatzer wären für alles verantwortlich gewesen. Viele Maßnahmen, Verordnungen, blutige Entscheidungen wurden getroffen, und Horthy wusste nichts davon?

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 10.03.2007

Gerard Prunier erklärt, warum das Morden in Darfur so schnell nicht aufhören wird. "Das Projekt, einen ethnischen Schutzwall in der Region zu schaffen, hat hohe Priorität. Und zu diesem soll neben den Nuba-Bergen in Kordofan eben auch Darfur gehören. Die Stämme der Nuba wurden von 1992 bis 2002 in zahlreichen Militäroperationen niedergemacht. Darfur erweist sich jetzt jedoch als großes Problem: Khartum fürchtet nichts mehr als eine Allianz der Schwarzafrikaner im Westen mit einem unabhängigen schwarzafrikanischen Süden - der auch noch über Öleinkünfte verfügt. Also muss die Rebellion in Darfur mit allen Mitteln unterdrückt werden."

Weitere Artikel: Jean-Pierre Sereni erläutert die neuen Regeln auf dem Ölmarkt, wo die großen multinationalen Konzerne gegenüber den staatlichen Betrieben an Boden verlieren. Gary L. Francione stellt das Great Ape Project vor, dessen Vertreter Menschenaffen schützen wollen, weil sie so menschlich sind. Und Colin Murphy schreibt eine Reportage aus Mosambik, wo alle, die zwei Mahlzeiten am Tag haben, als Weiße eingestuft werden.
Stichwörter: Mosambik, Darfur

Al Hayat (Libanon), 11.03.2007

Muhammad al-Haddad fragt angesichts der internationalen Besorgnis über das Elend in Darfur: "Warum sehen wir nicht den gleichen Eifer bei der Lösung des Problems in Gaza? Warum interveniert die internationale Gemeinschaft nicht wenigstens mit Beobachtern, um das Leid der Zivilisten zu mildern? Warum wird der Sicherheitsrat nicht aktiv, um die Angelegenheit zu diskutieren, die Angreifer zu kritisieren und um zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln? Warum schweigt die Welt über die Verhältnisse, in denen Kindern Milch und Medikamente vorenthalten werden? Hierbei handelt es sich um eine Politik, die mit zweierlei Maß misst, die einer gerechten Sache abspricht, gerecht zu sein."

Die Kritik am Konfessionalismus ist nur allzu oft selbst vom Konfessionalismus inspiriert, schreibt Yassin al-Haj Salih. Dies mache die Sammlung von Karikaturen, die im aktuellen Heft der Beiruter Zeitschrift al-Adab zum Thema Konfessionalismus erschienen ist, deutlich: "In unterschiedlicher Weise sagt derjenige, der in diesen Karikaturen spricht: 'Ich bin kein Anhänger des Konfessionalismus, aber die anderen sind dies und jenes!' Wir verstehen sofort, dass diese Anderen einer anderen Konfession angehören als der, der spricht. Und 'dies und jenes' sind unveränderliche Eigenschaften dieser Anderen. (...) Die Anhänger des Konfessionalismus sind Angehörige einer anderen Konfession, oder sie sind eine andere Konfession. So sind wir alle und jeder Einzelne gegen den Konfessionalismus - und gegen eine andere Konfession."
Archiv: Al Hayat

Foglio (Italien), 10.03.2007

Gabriella Mecucci erzählt die beiden großen Kunstraubfälle, die Italien derzeit beschäftigen, als Gaunergeschichte. Angeklagt sind die ehemalige Direktorin des Getty Museums, Marion True, und der Kunsthändler Giacomo Medici. "Alles begann 1964. Im Morgengrauen kreuzte das Fischerboot 'Ferri-Ferruccio' in den Gewässern der Adria, vor der Küste der Marken nahe Fano. Der Kapitän Romeo Pirani widmete sich den alltäglichen kleinen Aufgaben, bis er merkte, dass sich etwas sehr Schweres in den Netzen verfangen hatte. Zusammen mit den anderen Fischern holte er die Beute aufs Boot, und hervor kam, bedeckt von Algen und Schlamm, eine Statue, die sofort als Meisterwerk zu erkennen war: Die Füße und Beine waren abgebrochen, aber der Rest war in gutem Zustand. Sie verstanden, dass dies ihr Glückstag war, auch wenn sie noch nicht wussten, dass sie Lisippos Athleten gefunden hatten."

Weiteres: Jerzy Pomianowski entdeckt in dem vor 150 Jahren geborenen Joseph Conrad nicht mehr nur einen Chronisten des menschlichen Schreckens, sondern einen überzeugten Moralisten. Besprochen wird (etwas spät, sie endet am 15. März) eine Mailänder Schau, in der sich sechzehn italienische Künstler mit Kultfilmen wie Michael Manns "Collateral Damage" auseinandersetzen.
Archiv: Foglio

Semana (Kolumbien), 10.03.2007

Der Schriftsteller Hector Abad (mehr hier) fordert eine allgemein verbindliche Vereinbarung über einige wenige grundlegende Dinge, um sein Land aus der Krise zu führen: "Halten wir es mit der Maxime Deng Xiaopings: 'Schwarze Katze, weiße Katze - Hauptsache, sie fängt Mäuse.' Ein solches (schwarzes, weißes, rotes, neoliberales, kommunistisches, konservatives, anarchistisches) nationales Vorhaben wäre etwa die Abschaffung der Unterernährung von Kindern. 'Aber wie?', werden Sie fragen, 'durch Flexibilisierung der Arbeitswelt? Durch Kollektivierung der Landwirtschaft?' Genau darum geht es: Egal wie. Wie auch immer. Unter jedweder Regierungsform produziert Kolumbien heute und auch in Zukunft Nahrungsmittel, und ein ansehnlicher Teil davon wäre automatisch für die Ernährung der Kinder abzuzweigen. Wenn nötig, auch unentgeltlich. Ein anderes Beispiel: Absolute Ächtung von Entführungen - selbst wenn in Kolumbien noch Sklaverei herrschte, hätten die Sklaven nicht das Recht, die Kinder der Sklavenhalter zu entführen, um politische Forderungen zu stellen. Mir fielen noch mehr Punkte ein: achtjährige Schulpflicht, Recht auf Wohnraum, Kinder- und Altenbetreuung, Umweltschutz - aber mehr als fünf dürften es nicht sein, um ihre Einhaltung Jahr für Jahr und egal unter welcher Regierung effizient überprüfen zu können."
Archiv: Semana

Plus - Minus (Polen), 10.03.2007

Letzte Woche starb im Alter von 64 Jahren die Blues-Rock-Legende Tadeusz Nalepa. Seine Band Breakout gilt als Ausnahmeerscheinung in der Musik Nachkriegspolens und wurde auch in den übrigen Ostblockländern stark rezipiert. Für Krzysztof Maslon war Breakout wie Cream und The Doors zusammen, und Nalepa wie Eric Clapton und John Mayall. Er erinnert sich, wie er im Juli 1969 nachts von einem Konzert der Band in Zoppot zurückkam und sein Vater ihn in der Tür erwartete. "Wundersamerweise schimpfte er nicht. Er sagte nur: 'Fantastisch, nicht wahr, fantastisch'. 'Genial', bestätigte ich, 'ein geniales Konzert'. Er guckte mich an wie einen Verrückten, 'Wovon redest du? Ein Mensch ist auf dem Mond gelandet!'. Naja, für mich als 16-Jährigen war in diesem Sommer Tadeusz Nalepa wirklich wichtiger als Neil Armstrong."
Archiv: Plus - Minus

Times Literary Supplement (UK), 09.03.2007

Zinovy Zinik bespricht den Sammelband "The Solzhenitsyn Reader", der Alexander Solschenizyn gegen die zunehmenden Vorwürfe verteidigt, ein theokratischer, antisemitischer und slawophiler Monarchist zu sein. Zinik ist nicht überzeugt: "Während seiner zwanzig Jahre in Vermont (nach seiner Ausweisung aus der der Sowjetunion), bemerkte Solschenizyn nur die hässlicheren Manifestationen der Massenkultur und übersah die revolutionären sozialen Kräfte der amerikanischen Demokratie. Er neigte dazu, ein Land als eine Gemeinschaft zu betrachten, die im kollektiven Konsens über soziale Fragen zur Harmonie findet. Er kann nicht den politischen Wert verstehen, den das Recht auf eine andere Meinung hat, die Übereinstimmung, nicht übereinstimmen zu müssen. Er hat im Westen nicht gelernt, dass politische Idee ohne praktische Anwendung auch keinen spirituellen Wert besitzen. Und in der Praxis ziehen seine Ansichten zu Patriotismus, Moralität und Religion die reaktionärsten Kräfte der russischen Gesellschaft an, von ganz oben bis ganz unten."

Besprochen werden eine F.P. Locks Biografie des Denkers und Revolutionsgegners Edmund Burke (die Jonathan Clark einfach großartig findet), Celia Applegates Studie zu Mendelssohn Wiederentdeckung der Matthäus-Passion "Bach in Berlin", zwei Bücher über Schauspielerinnen in der frühen Neuzeit, und neue Shakespeare-Inszenierungen auf britischen Bühnen.

Economist (UK), 08.03.2007

Besorgt registriert der Economist das Wiedererstarken eines fanatischen Nationalismus in der Türkei: "Neue ultra-nationalistische Gruppen, manche angeführt von Armee-Offizieren im Ruhestand, schwören über Waffen und Korankopien, die Türken zu den 'Herren der Welt' zu machen und auf dem Weg dahin 'zu sterben und zu töten'. (...) Diese neue Aufwallung des Nationalismus droht die Fortschritte der vier Reformjahre von Tayyp Erdogans gemäßigt islamistischer Regierung zunichte zu machen. Ja, dies Wiedererstarken des nationalistischen Eifers läst sich zum Teil gerade als Reaktion auf diese Reformen - mehr Freiheiten für die Kurden, eine Beschneidung der Macht des Militärs, Konzessionen gegenüber Zypern - begreifen."

Weitere Artikel: Gefeiert wird James Attlees "Anti-Reisebuch" "Isolarion" über die Universitätsstadt Oxford. Ganz auszuschließen, meint der Economist, ist ein erneuter Überraschungscoup Jean-Marie Le Pens bei den französischen Präsidentschaftswahlen nicht - aber die Chancen stehen deutlich schlechter als vor fünf Jahren. In der Titelgeschichte geht es um einen Schritt der chinesischen Wirtschaftspolitik in Richtung Privateigentum an Grundstücken.
Archiv: Economist

Al Ahram Weekly (Ägypten), 08.03.2007

Der aus Isarel stammende Filmemacher, Autor und bekennende Antizionist Haim Bresheeth ("Introducing the Holocaust") fordert den kulturellen Boykott seiner Heimat als Antwort auf die "üble Propaganda" gegen liberale jüdische Intellektuelle wie Noam Chomsky oder Tony Judt, die mit ihrer Kritik an der israelischen Politik "führende jüdische Organisationen des Westens" verärgert hätten: "Das Vergehen? Israels unveräußerliches Recht anzuzweifeln, alles und jeden im Nahen Osten zu zerstören oder einzusperren. Wie der Observer berichtete, drohen jüdische Organisationen mit dem Vorwurf des Antisemitismus. Während es in anderen Ländern ein demokratisches Recht ist, seine Regierung zu kritisieren, existiert so ein Recht offenbar nicht, wenn es um Israel geht ... All das ist Teil eines größeren Phänomens: der Mobilmachung jüdischer Zirkel gegen die immer lauter werdenden Stimmen jüdischer Kritiker der israelischen Gräueltaten in Palästina und anderswo."

Außerdem: Nehad Selaiha berichtet vom ersten Internationalen Forum für Kinder- und Jugendtheater in Kairo. Mohamed El-Assyouti annonciert das erste Frauen-Filmfestival vom 8.-16. März, das auch Marc Rothemunds "Sophie Scholl" zeigt. Und Hadeel Al-Shalchi sieht die Ausstellung der Gewinner des World Press Photo 2006 in Zamalek als Chance für ein neues visuelles Verständnis.
Archiv: Al Ahram Weekly

New York Times (USA), 11.03.2007

Intelligent, schön und "einfach schrecklich" findet Geoffrey Wheatcroft die Winifred Wagner, die Brigitte Hamann in ihrer Biografie porträtiert. Sogar Wieland war ein Nazi, stellt er fest. Und noch eine Kleinigkeit verstört ihn: In den letzten Jahren habe Deutschland (vor allem Günter Grass und Jörg Friedrich) angefangen, die eigenen Opfer zu beklagen. "Diese Leiden waren real. Erinnern wir uns, was Emil Praetorius an seinen Freund Thomas Mann schrieb: 'Kein Deutscher hat heute das Recht, sich zu beklagen ... Unter den vielen fragwürdigen deutschen Posen, ist Selbstmitleid die erbärmlichste.' Es ist fair zu vermuten, dass nur wenige Leser die Lektüre von Hamanns Buch mit viel Sympathie für Grass oder Friedrich beenden werden. Andererseits, wenn das Dritte Reich uns etwas gelehrt hat, dann dass es Wahnsinn ist, 'Rassen' oder Nationen zu generalisieren. Von Geburt war Winifred Wagner eine Landsmännin von Winston Churchill (und, in aller Bescheidenheit, auch von mir). Wohin führt uns das?"

David Orr nimmt einen kürzlich im New Yorker erschienenen Artikel der Dichterin Dana Goodyear über die Chicago Poetry Foundation zum Anlass, gegen die Lyrik-Redaktion des New Yorker (zu der auch Goodyear gehört) zu polemisieren: "Erstens druckt der New Yorker meist schlechte Gedichte von exzellenten Lyrikern, weil er große Autoren bringen muss, diese aber selten den Geschmack des New Yorker-Lesers bedienen (auch schreiben sie selten, was in der Welt der Lyrik als typisches New Yorker-Gedicht bekannt ist, diese epiphanische 'Wasser-und-Licht-Lyrik'). Tolle Autoren, die sich in einem Stil versuchen, der nicht zu ihnen passt ... Das zweite Problem ist die bekannte Affinität zu den Schöpfungen der eigenen Mitarbeiter ... Seit 2000 ist von Goodyear mehr im New Yorker erschienen als von Czeslaw Milosz, Jorie Graham, Derek Walcott, Wislawa Szymborska, Kay Ryan und jedem lebenden US-Dichter, außer W. S. Merwin. Sogar mit Sylvia Plath ist sie gleichauf."

Ferner: In ihren Essays und Reden ("At the Same Time") erscheint Pankaj Mishra Susan Sontag als europäische Traditionalistin. Und John Schwartz erscheint Brian Selznicks Kinderbuch "The Invention of Hugo Cabret" als ein "Stummfilm auf Papier".
Archiv: New York Times