Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
20.03.2007. Vanity Fair porträtiert den König der Söldner. Die Gazeta Wyborcza wendet sich gegen die Forderung nach partieller Nicht-Existenz von Schwulen in Polen. Im Spectator erklärt der Historiker Martin Gilbert: Churchill war kein Antisemit. Im du-Magazin erklärt Suad Amiry, warum man in Ramallah besser nicht ins Fitness-Studio geht. Der New Yorker porträtiert irakische Dolmetscher. Foglio besucht einen Swinger-Club, in dem fast alles, was Spaß macht, verboten ist. In Le Monde erklärt Pierre Nora die französische Identitätskrise. Al-Ahram ermutigt zur Wiederbelebung des Idschtihad. Die Weltwoche begleitet einen arabischen Scheich beim Kunst kaufen.

Vanity Fair (USA), 01.04.2007

Gar nicht glücklich ist der Brite A.A. Gill mit dem Auftritt seiner Landsleute in New York: "Warum kriegen die Engländer es in New York nicht richtig hin? Es ist etwas eigentümlich Irritierendes um die Briten hier. New York ist eine Stadt, die weit offen steht für Fremde, mit einer klumpigen Homogenität von Intriganten und Immigranten. Nur die Briten schaffen es, abseits und für sich zu bleiben, sie sind der Sand in der Vaseline. Diese Leute mit ihren Stimmen wie splitterndes Geschirr müssen eine Menge Fragen beantworten. Die Briten glauben, sie hätten die Ehrlichkeit in die Wiege gelegt bekommen. Für sie zählt nicht, was man sagt, sondern wie man es sagt. Wir glauben, dass all die dummen, leichtgläubigen Yanks, vom Polizisten bis zur Gesellschaftsdame, uns durch die Straße des Lebens winken, sobald wir den Mund öffnen und unsere wohlklingende Sprache hören lassen. Tatsächlich sehen die meisten Amerikaner keinen Unterschied zwischen Billy Connolly und Russell Crowe. Warum sollten sie auch? Wenn Sie wirklich einen Engländer zerlegen wollen, dann fragen Sie ihn einfach, aus welcher Ecke Australiens er kommt."

In London, behauptet der frühere CIA-Agent Robert Baer, tummeln sich mehr Abenteurer als in jeder anderen Stadt der Welt: "Schurken-Öl-Händler, Kunstfälscher, exilierte Präsidenten, geschasste Journalisten, Waffenhändler". Für ein großes Porträt hat sich Baer Tim Spicer ausgesucht, den König der Söldner: "Auf dem Radar der CIA tauchte er erstmals auf, nachdem er die britische Armee verlassen und 1996 als CEO bei Sandline Internationale angefangen hatte, einer privaten Militärfirma, die 'operative Unterstützung' für 'legitime Regierungen' anbietet. Ein Jahr später war Spicer in Papua-Neuguinea, wo er eine Söldnerarmee für die Regierung führte, um ein multinationales Kupferunternehmen zu schützen. Als Spicer ausgewiesen wurde, ging er nach Sierra Leone. Diesmal half er, Waffen für Putschisten zu liefern. Spicers Name tauchte 2004 in Verbindung mit einem Putschversuch in Äquatorialguinea wieder auf, der mutmaßlich von seinem Freund, früheren Armeekameraden und Geschäftspartner Simon Mann angeführt wurde. Spicer wurde von britischen Behörden verhört, aber nicht mit dem Vorfall in Verbindung gebracht. Doch zwei Monate später, landete Spicers Firma, bekannt als Aegis Defence Services, einen 293-Millionen-Dollar-Vertrag mit dem Pentagon, um im Irak die Sicherheit für Wiederaufbau-Projekte zu koordinieren und andere private Militärfirmen zu unterstützen. Das gab ihm effektiv das Kommando über die zweitgrößte ausländische Streitmacht im Land - nach den USA, aber vor Großbritannien."

Im Interview mit Peter Biskind erzählt David Chase, warum er seine "Sopranos" nicht auf einem der großen Fernsehsender zeigen konnte: "Die Senderchef sind phänomenal darin, genau den Punkt zu finden, der einem am meisten bedeutet. Von dem wollen sie dann, dass man ihn rausschneidet. Wirklich genial." CBS habe etwa nicht einsehen wollen, dass Tony Soprano zum Psychiater geht.
Archiv: Vanity Fair

Point (Frankreich), 15.03.2007

In einem interessanten Interview spricht der Historiker und Antikenexperte Paul Veyne über sein neues Buch, in dem er sich - "gelehrt und unverschämt" - mit dem Rätsel der Christianisierung des römischen Reiches auseinandersetzt ("Quand notre monde est devenu chretien", Albin Michel). Auf die Frage, ob der römische Kaiser Constantin mit seinem Übertritt zum christlichen Glauben tatsächlich an einen metaphysischen Plan geglaubt und nicht auf gesellschaftliche und politische Bedürfnisse reagiert habe, antworte er: "Hüten Sie sich vor Vorurteilen! Das Christentum hat sich durchgesetzt, weil es dem Heidentum und den östlichen Religionen kulturell und spirituell überlegen war. Man sollte anerkennen, dass es wie jeder Bestseller die Bedingungen seines Erfolgs selbst geschaffen hat. Wir wiederholen heutzutage unentwegt, dass die Wirtschaftsgesellschaft neue Produkte auf den Markt wirft und falsche Bedürfnisse schafft. Das Christentum hat eine Sensibilität für sich geschaffen, die es im Gegenzug unterstützt hat."

In seinen Bloc-notes denkt Bernard-Henri Levy über Darfur und französische Politik nach.
Archiv: Point

Gazeta Wyborcza (Polen), 17.03.2007

Im Vorfeld des Besuches von Angela Merkel in Polen analysierte Piotr Buras neue Entwicklungen im Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert. "Bis vor kurzem endete für die Deutschen die Geschichte 1945. Alles was danach kam, war Teil einer breit verstandenen Gegenwart. Nach dem Abgang der 68-er Generation, mit dem Regierungsantritt von Angela Merkel, setzte eine entscheidende Zäsur ein: auch die Nachkriegs- Bundesrepublik wird Geschichte. Was vor nicht allzu langer Zeit politisch war, verliert an Aktualität. Deutschland betritt die Nach-Nachkriegszeit." Mit einer "Neuschreibung der Geschichte", wie es in Polen oft verstanden wird, habe das alles wenig zu tun, meint Buras. Das Wichtigste an diesem neuen Diskurs sei der "für deutsche Verhältnisse schockierend unpolitische Blick auf die Vergangenheit"; die sinnstiftende Rolle der jüngsten Geschichte habe ausgedient.

Ein aktuelles Thema greift auch Piotr Pacewicz auf: die Homophobie in Polen. Zwar unterstützt Premierminister Kaczynski nicht die Ankündigung des stellvertretenden Bildungsministers Orzechowski, homosexuelle Lehrer zu entlassen. Er will ihre Bürgerrechte respektieren, nur reden sollen sie nicht über ihre sexuelle Orientierung. "Leider geht es dabei um mehr als das Werben um konservative Wähler", schreibt Pacewicz. "Die Regierenden teilen die Auffassung, dass die Existenz von Homosexuellen in Polen eine partielle Nicht-Existenz sein soll - sie genießen danach volle Rechte, nur nicht in dem Bereich, der ihre Andersartigkeit ausmacht." Leider unterstützen ca. vierzig Prozent der Polen diese Haltung, so Pacewicz, was vor allem an der Tabuisierung des Sexuellen insgesamt in der Gesellschaft liege.

"Genau 80 Jahre nachdem im Warschauer Hotel 'Polonia' eine Ausstellung mit Werken Malewitschs gezeigt wurde, stellt das Hotel jetzt sechs Zeichnungen des Malers und Fotografien aus dieser Zeit aus. Es ist eine Ausstellung für Kenner, die Freude an Details haben." Zusätzlicher Reiz hat für Dorota Jarecka der Ausblick aus dem Ausstellungsraum auf den Kulturpalast, "die degenerierte Version der Visionen russischer Konstruktivisten."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Spectator (UK), 19.03.2007

War Churchill ein Antisemit? In einem neuen Buch erhebt der Historiker Richard Toye ebendiese Anschuldigung, als Beleg dient ihm ein Artikel aus dem Jahr 1937, der einige antisemitische Stereotype bedient. Churchill-Biograf Martin Gilbert will dies nicht gelten lassen. Der Artikel sei von Churchills Redenschreiber Adam Marshall Diston verfasst, von Churchill nie abgesegnet und daher auch nie veröffentlicht worden. Antisemitismus sei Churchill immer ein Gräuel gewesen, schon die Dreyfus-Affäre habe er als "monströse Verschwörung" betrachtet. Und: "Nach dem Anschlag jüdischer Terroristen auf das King David Hotel 1946, als in Großbritannien starke antijüdische Gefühle aufkamen, erklärte Churchill im Unterhaus: 'Ich lehne es ab, Juden etwas vorzuenthalten, was anderen Menschen erlaubt ist. Und ich habe den größten Abscheu gegenüber jeglichem antisemitisch geprägten Vorurteil."

Im Aufmacher erklärt Austen Ivereigh von der Initiative Strangers into Citizens, warum sich Großbritannien mit einem Kampf gegen illegale Einwanderung ins eigene Fleisch schneiden würden. Er plädiert dafür, allen, die seit mindestens vier Jahren in Großbritannien leben eine zweijährige Arbeitserlaubnis zu geben und - bei guter Führung und ausreichendem Englisch - die Aufenthaltserlaubnis.
Archiv: Spectator

DU (Schweiz), 01.03.2007

Du widmet sich in der aktuellen Ausgabe arabischen Schriftstellerinnen. Die palästinensische Autorin Suad Amiry erzählt, worüber man sich auf dem Weg ins Fitnessstudio von Ramallah mit seiner Freundin so unterhält. "'Wie war der Kurs denn bisher?' 'Gar nicht schlecht!' antwortete Penny und fügte in ihrem reizenden, kindlichen Ton hinzu: 'Weißt du, Suad, neulich wurde jemand bei Tri Fitness angeschossen und verletzt. Aber keine Sorge, das war nicht in unserem Aerobic-Kurs, sondern auf dem Dach.' 'Tatsache!' Ich war vollkommen entsetzt. In diesem Augenblick wollte ich nur noch, dass Penny sofort anhält, den Wagen wendet und mich zurückbringt zu meinem Wohnzimmersofa, auf dem ich mich jeden Abend fläzte, seit ich vor einiger Zeit aus Italien zurückgekehrt war. 'Penny, wurde er schwer verletzt? Wer hat auf ihn geschossen? Und warum? Und wann?' fragte ich besorgt. Ich musste mich wirklich zurückhalten, um Penny nicht mit weiteren Fragen zu bestürmen. 'Die Israelis behaupten, jemand hätte auf die jüdische Siedlung Pisgot geschossen, aber der Manager von Tri Fitness sagt, die Mistkerle würden lügen, niemand hätte auf Pisgot geschossen. Es war nur der arme Klempner, der den Wassertank auf dem Dach repariert hat.'"

Außerdem: Samiha Khrais berichtet von ihrer Kindheit, als ihre Familie Besuch von der Schlagersängerin und Schauspielerin Samira Taufiq bekam. Nicht online zu lesen ist Kristin Seebecks Report von einem Lyrikabend in Amman, Suleman Taufiqs Betrachtung erotischer Literatur von arabischen Schriftstellerinnen oder Marica Bodrozics Begegnung mit der ägyptischen Autorin Miral al-Tahawi (mehr).
Archiv: DU

Europa (Polen), 17.03.2007

Das Magazin der polnischen Tageszeitung Dziennik beschäftigt sich in der letzten Ausgabe mit Radikalismen und Revolutionen. Philippe Raynaud stellt den Philosophen Alain Badiou vor, dessen Buch "Paulus. Die Begründung des Universalismus" bald in Polen erscheint (mehr dazu hier). Im Artikel platziert Raynaud Badiou unter den Vertretern der neuen radikalen Linken, die dem Marxismus und Leninismus nicht abgeschworen hat. "Seine politischen Positionen spiegeln oft die Meinung der Mehrheit der französischen Gesellschaft wider, er ist aber zweifellos originell in seinem Radikalismus, was sich in seinem philosophischen und vor allem politischen Weg ausdrückt. Der Charme seiner Werke begründet sich in der Verbindung zweier Typen von radikaler Kritik an der Demokratie: die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft für ihre Mittelmäßigkeit und der Vorwurf, das Gleichheitsversprechen nicht eingelöst zu haben. Badious Erfolg rührt teilweise auch daher, dass er antidemokratische Leidenschaften ausdrückt, die bei einem großen Teil der radikalen Linken noch lange nicht erloschen sind."

In Polen ist eine Diskussion über das neueste Buch des Dichters und Schriftstellers Jaroslaw Marek Rymkiewicz entbrannt. In "Wieszanie" ("Hängen") behauptet er, hätten die Polen 1794 (Kosciuszko-Aufstand) und 1989 härter mit den Verrätern abgerechnet, wäre die heutige Gesellschaft moderner und "politischer", statt an der Idee der nationalen Einheit zu hängen. Für den Philosophen Bronislaw Lagowski wird das Buch deswegen so stark rezipiert, weil es die momentane Stimmung der "Post-Solidarität" (im doppelten Sinne) in der Gesellschaft ausdrückt. "Jede politisch-kulturelle Formation will sich in historischen Vorbildern, Mythen oder Präzedenzfällen wiederfinden. Die heute vorherrschende Formation wird sich in dem wiederfinden, was uns Rymkiewicz vor die Augen hält. Die Leser wiederum werden gerne dieses gut geschriebene Buch über das Hängen von Verrätern lesen - als Ausgleich zur tatsächlichen Entwicklung der letzten zwanzig Jahre."
Archiv: Europa

New Yorker (USA), 26.03.2007

Schicker neuer Online-Auftritt des New Yorker! Sehr übersichtlich, und man darf eine ganze Menge lesen. Gutes Konzept.

In einer Reportage porträtiert George Packer unter der Überschrift "Betrogen" jene Iraker, die Amerika am stärksten vertrauten: die Dolmetscher. "Millionen von Irakern quer durch alle Ethnien und Religionen begrüßten Saddam Husseins Sturz. Doch die meisten jungen Männer und Frauen, die sich für Amerikas Projekt so begeisterten, dass sie bereit waren, ihr Leben dafür zu riskieren, bilden wohl die kleinste Minderheit im Irak. Ich stieß in jeder Stadt auf sie: auf den jungen Mann in Mosul, der Metallica mag und sich als Übersetzer in einer US-Basis meldete; auf den DVD-Händler in Najaf, dessen Pläne für ein Medizinstudium von der Baath-Partei durchkreuzt worden waren und der seine Dienste dem ersten amerikanischen Humvee anbot, der in seine Stadt kam. Sie hatten Englisch aus amerikanischen Filmen, aus Musik und durch heimliches BBC-Hören gelernt. Vor dem Krieg bestand ihre einzige Chance auf ein normales Leben in der Flucht aus ihrem Land - ein fast unmögliches Unterfangen."

Weiteres: Simon Shama untersucht, was sich Picasso bei Rembrandt abschaute. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Playdate" von Kate Walbert sowie Lyrik von Carolyn Forche und James Arthur. Nancy Franklin weist auf die neue TV-Serie "The Riches" hin. Anthony Lane sah im Kino "Reign Over Me" von Mike Binder und "Premonition" von Mennan Yapo mit Sandra Bullock.

Nur im Print: ein Bericht über Punk im East Village.
Archiv: New Yorker

Foglio (Italien), 17.03.2007

Mit der weit fortgeschrittenen Vermengung von Erotik und Pornografie in der Postmoderne scheint die Prostitution ihre Aufgabe in der Gesellschaft zu verlieren, notiert Roberta Tatafiore beim Besuch eines Clubs, der eine Mischung aus Swingerclub und Bordell zu sein scheint. Der ehemalige Pornostar, der das recht bürgerliche Etablissement betreibt, "sammelt die Clubkärtchen ein und erklärt den Neulingen die Regeln. Paaren ist es verboten, sich zu trennen. Verboten ist es auch, sich mit mehr als vier Personen in die Separees zu verabschieden. Es ist verboten, Telefone oder Eintrittskarten mit den Aktpartnern zu tauschen. Für ihn ist Kondom Pflicht. Es erklärt sich von selbst, dass Alkohol, Drogen und Anmache anderer Besucher nicht gestattet sind."

Weiteres: Washington könnte sich vielleicht über Zack Snyders Comicverfilmung "300" aufregen, meint Siegmund Ginzberg, aber dass der iranische Kulturminister den Streifen über die Schlacht bei den Termophylen als Instrument einer "kulturellen und psychologischen Kriegsführung" geißelt, kann er nicht ganz nachvollziehen. Leonardo Luccone erinnert an den Literaturvermittler Roberto Bazlen (mehr), der nie selbst ein Buch veröffentlichte, aber in seinen Skizzen eine Vision vom perfekten Buch hinterließ.
Archiv: Foglio

Le Monde (Frankreich), 17.03.2007

Der französische Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy hat kürzlich angekündigt, im Falle seiner Wahl ein Ministerium einrichten zu wollen, das sich einzig den Problemen der Immigration und der nationalen Identität widmen solle. In einem Interview konfrontiert der Historiker Pierre Nora ("Erinnerungsorte") wenige Wochen vor der Wahl die Franzosen nun mit einigen Thesen zum beschädigten französischen Selbstverständnis, die vermutlich einige Diskussionen auslösen werden. Als Hauptursache der französischen Identitätskrise macht Nora eine bisher in dieser Länge seit Ende des Algerienkriegs 1962 nie gekannte Friedenszeit aus. Daneben nennt er aber noch eine Reihe weiterer Gründe: "den Machtverlust Frankreichs seit Ende des Kolonialreichs; die Veränderung traditioneller Parameter der staatlichen Souveränität (...) mit dem Verschwinden des Franc; die Integration Frankreichs in einen europäischen Raum, in dem es als Mittelmacht auf den Rang der anderen herabgesetzt wurde; die Schwächung der staatlichen Macht, die in Frankreich eine fundamentale Dimension des nationalen Bewusstseins war, und der Sog der Dezentralisierung."
Archiv: Le Monde

London Review of Books (UK), 22.03.2007

John Lanchester hat eine ganze Reihe Bücher zum Klimawandel gelesen - und stellt sie auch vor. Zunächst geht es ihm aber um grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik: "In der Praxis ist die Frage des Klimawandels immer heftig umstritten gewesen, und zwar in einem Ausmaß, das strukturelle Probleme auf drei Ebenen sichtbar werden lässt: der Vermittlung von Politik und Wissenschaft; der Information in den Medien über die Wissenschaft; und im allgemeineren Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Nun könnte man sagen, es sei egal, wie wir in die gegenwärtige Lage geraten sind; ich bin da aber nicht sicher. Eine Maxime des problemlösenden Handelns lautet: Wenn du es nicht kaputtmachen kannst, ist es auch nicht in Ordnung. Mit anderen Worten: Wenn du nicht weißt, wie etwas kaputt gegangen ist, kannst du nicht sicher sein, dass es jetzt wirklich wieder funktioniert. Da eine systematische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel ein neues Verhältnis von wissenschaftlichen Voraussagen und Öffentlichkeit implizieren würde, sollten wir uns vielleicht doch darüber klar zu werden versuchen, wie wir in die gegenwärtige Lage geraten sind."

Michael Wood bietet zwei Lesarten zu Florian Henckel von Donnersmarcks Film "Das Leben der anderen" an - und präferiert die, in der Ulrich Mühe nicht als Held erscheint, sondern als jemand, der das Leben der Anderen leben muss, weil er kein eigenes hat.

Weitere Artikel: Ross McKibbin zieht eine Bilanz von zehn Jahren Labour-Regierung unter Tony Blair - und glaubt nicht, dass Blairs designierter Nachfolger bei Labour, Gordon Brown, das "Projekt" Labour wird retten können. Mark Greif bespricht ein Buch von Richard Witt über die Band "Velvet Underground".

Figaro (Frankreich), 16.03.2007

Der Historiker Max Gallo und der Essayist Alain Finkielkraut legen beide neue Bücher vor, in denen sie sich mit der französischen Identität auseinandersetzen (Gallo: "L'Ame de la France", Fayard; Finkielkraut: "Qu'est-ce que la France?", Stock). In einem Gespräch reden sie über ihre Thesen, ein neubelebtes Interesse an der Demokratie und die Bedeutung der Nation. Dazu meint Finkielkraut: "Die Nation ist der Sockel der Demokratie. Wir haben ein perfektes Gegenbeispiel im Irak. Die amerikanische Intervention war verheerend, weil die Amerikaner geglaubt haben, man könne die Demokratie in eine nicht-nationale Gesellschaft einführen. (...) Sie haben die infernalischen Kräfte eines Bürgerkriegs entfesselt. So weit sind wir in Frankreich noch nicht, aber es ist nicht mehr das nationale Gedächtnis, das die Alltagswelt formt, sondern das Fernsehen." Der Linkspatriot Max Gallo will dagegen "nicht ganz schwarz" sehen für die Nation: "Wir wissen ja heute, dass die europäische Konstrutkion nur eine oligarchische Konstruktion ist. Also ist für die Nationen noch nicht alles verloren. Man muss nur wollen."
Archiv: Figaro
Stichwörter: Finkielkraut, Alain, Irak

Economist (UK), 16.03.2007

Der Economist informiert darüber, wie neue Finanzierungsmodelle die Filmproduktion in Hollywood zu verändern beginnen: "In den letzten Jahren haben die großen Studios Hedgefonds und andere Investoren dazu ermutigt, nicht einzelne Filme, sondern pauschal Dutzende für das ganze nächste Jahr geplanter Filme mitzufinanzieren. (...) In einer im letzten September veröffentlichten Schätzung kam Merrill Lynch auf einen Anteil der Außenseiter am Produktionsgeschäft von mehr als 30 Prozent. (...) Das hat nicht zuletzt die Karrieremöglichkeit in Hollywood deutlich verändert. Es ist noch nicht so lange her, dass Produzenten und Stars, die es sich mit den Studiobossen verscherzten, als Karriereoption nur der Rückzug und das Schreiben von Büchern wie 'Sie werden in dieser Stadt zu keinem Essen mehr eingeladen' blieb. Heutzutage besorgen sie sich Risikokapital und gehen wieder an die Arbeit."

Weitere Artikel: Resümiert wird der Stand der Dinge im Streit um Milliarden zwischen YouTube und Viacom. Außerdem erfahren wir, wie die US-Präsidentschaftskandidaten sich im Internet präsentieren, warum die Southern Methodist University in Dallas nicht hundertprozentig glücklich damit ist, in Zukunft George W. Bushs Präsidentenbibliothek beherbergen zu dürfen. Besprochen wird Allan M. Brandts Buch über das amerikanische "Jahrhundert der Zigarette". Einen Nachruf gibt es auf den Philosophen des "Simulakrum", Jean Baudrillard. Vom Titel-Dossier zum 50. Geburtstag der Europäischen Union gibt es nur einen Text von John Peet zu lesen, in dem dieser über die zentralen Probleme der Union schreibt.
Archiv: Economist

Al Ahram Weekly (Ägypten), 15.03.2007

Anlässlich des ägyptischen Frauentags am 16. März untersucht ein Dossier den noch unbefriedigenden Stand der Emanzipation. Dina Ezzat referiert die Ergebnisse einer Konferenz des nationalen Frauenrats, die dem des Arab Human Development Report des UNDP ziemlich ähnlich sind: "Als entscheidend wertet der Report, die Diskriminierung von Frauen als kulturelles Konstrukt bei den Wurzeln zu packen. In einer Welt, in der die Religion, der Islam, benutzt wurde und wird, die geringe Stellung der Frau in den meisten arabischen Ländern zu rechtfertigen - und zwar mehr als Recht und Gesetz dies tun - muss der Islam sorgfältig als Quelle gedeutet werden, die die Emanzipation von Frauen fördern kann. Dies ist vielleicht der Grund, warum der Ruf nach einer Wiederbelebung des Idschtihad - die Ermutigung zur unabhängigen Rechtslehre, wie die Autoren es nennen - immer wieder in den verschiedenen Kapiteln des Reports auftaucht. 'Die Ursachen der Diskriminierung von Frauen in der arabischen Tradition müssen bekämpft werden', und deshalb darf sich die Frauenfeindlichkeit nicht durch eine voreingenommene Auslegung des Korans speisen, empfiehlt der Report."

Außerdem porträtiert Amira El-Noshokaty ägyptische Karrierefrauen. Ein weiteres Dossier blickt zurück auf hundert Jahre ägyptischen Film (hier, hier und hier). Und Rania Khallaf erinnert an den Komponisten und Pionier moderner arabischer Musik, Sayed Darwish.
Archiv: Al Ahram Weekly

Nouvel Observateur (Frankreich), 15.03.2007

Der Nouvel Obs erinnert an das 50jährige Erscheinungsjubiläum von Roland Barthes' Kultbuch "Mythologies". Auszüge daraus - darunter seine Betrachtungen über Steak-Frites und Abbe Pierre - werden unter der Überschrift "Mythologies 2007" durch neue Mythen ergänzt, denen sich Autoren und Intellektuelle, darunter Catherine Millet (überdimensionierte Kinderwagen), Frederic Beigbeder (GPS), Paul Virilio (Auslagerung) oder Philippe Sollers (Euro) widmen. Der Schriftsteller und "Unsterbliche" Frederic Vitoux feiert das "velo" als Nachfolger des durch die Dopingskandale der Tour de France beschädigten "bicyclette": "Kurz: das Fahrrad ist tot. Bleibt das Velo. Das Velo ist eine neue Idee. Wenigstens in den Städten. Das Velo ist links. Das Velo ist militant. Das Velo ist öko."

In der Abteilung "Reflexions" sind drei kurze Würdigungen des kürzlich verstorbenen Philosophen Jean Baudrillard zu lesen: Für den Soziologen Edgar Morin war er "Der Streifenpolizist des Irrealen", für den Philosophen Paul Virilio "Der Bewusstseinsverweigerer" und der Ideenhistoriker Francois Cusset ("French Theory") sieht in seinem Werk "Die Ekstase des Pessimismus".

Weltwoche (Schweiz), 15.03.2007

Julian Schütt besucht die Gulf Art Fair in Dubai. Er durfte Omar Bin Sulaiman, Leiter des Finanzzentrums von Dubai, auf seinem Eröffnungsrundgang begleiten. Omar ist die Nummer 81 in der Hierarchie, eine Tatsache, die man in dem Scheichtum angeblich am Autokennzeichen ablesen kann. Reich scheint er immer noch zu sein. "Einige Werke betrachtet er eingehender. Ein Blick von zwei bis drei Sekunden heißt: Das Bild ist reserviert. Ein Blick, der noch länger dauert, heißt: Das Bild ist gekauft. Offenbar auch ein gigantischer Sam Francis von sechs Metern Länge und drei Metern Höhe. An anderem geht Dr. Omar eher gelangweilt vorbei, zum Beispiel an einem realen Mini Cooper, den Damien Hirst mit Tupfen bemalt hat und der deswegen als Kunst gilt. Das Beste daran ist der kleine Kofferraum, in dem die Galeristin ihre Handtasche verstauen kann."

Der ehemalige Nestle-Chef Helmut Maucher animiert Ralph Pöhner im Interview zu mehr Riskofreude. "Die totale Sicherheit ist ein Problem unserer Zeit. Denn die letzten zwei Prozent an Sicherheit kosten bekanntlich am meisten Geld. Und das läuft überall. Heute will man überall Sicherheit: Sicherheit am Arbeitsplatz, Sicherheit bei der Ernährung - die letzten Milliardstelteile irgendeines Stoffes müssen raus, obwohl Sie Tonnen verzehren müssten, bevor der Organismus etwas spürt. Dieses Denken trägt dazu bei, dass wir langsam degenerieren - und zugleich immer mehr Kosten produzieren."

Weiteres David Signer schreibt eine kleine Geschichte des Yogas im Westen. Peer Teuwsen erfährt von Kiera Chaplin, Enkelin Charlie Chaplins, wie ihr betrügerischer Mann ihre Firma ruiniert hat. Hanspeter Born rechnet dem französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen gute Chancen im bevorstehenden Wahlgang aus.
Archiv: Weltwoche

New York Times (USA), 18.03.2007

Groß und von "ätzender Komik" nennt James Poniewozik Joshua Ferris' Debütroman "Then We Came to the End" (Auszug), der den Alltag in einer Chicagoer Werbeagentur während der Dotcom-Krise schildert. Nicht satirisch, meint Poniewozik, sondern mittels exakter Beobachtung der "Pavlowschen Anziehungskraft von gratis Bagels" oder der "Trostlosigkeit eines am Schreibtisch verzehrten hartgekochten Eis" und mit ausgeprägtem Sinn für die Paranoia der Angestellten: "Dass der Bürokoordinator weiß, welches Mobiliar in welches Büro gehört, lässt die Angestellten fürchten, ihre - in einem komplizierten Wettstreit um die Hinterlassenschaften gefeuerter, einst besser gestellter Kollegen - errungenen Stühle könnten ihnen zum Verhängnis werden. Der Stuhl wird zum Symbol alles Hassens- und Begehrenswerten am Job, Statussymbol und Erinnerung daran, dass einem 'sein' Büro nicht wirklich gehört".

Weitere Artikel: James Campbell findet Adam Sismans Doppelbiografie über Wordsworth und Coleridge ("The Friendship") faszinierend. Bob Shacochis entdeckt in Jonathan Rabans Zukunftsroman "Surveillance" (Auszug) die Wahrheit.

Im Magazin der New York Times führt Ben Neihart den Nachweis literarischer DNA anhand des Schriftstellers Joe Hill, der mit "Heart-ShapedBox" einen Bestseller gelandet hat und dessen Vater Stephen King heißt. Aufmacher des Magazins ist ein Artikel über weibliche Soldaten im Irak.
Archiv: New York Times