Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.04.2007. Vanity Fair präsentiert Annie Leibovitz' Starfotos von Knut. Outlook India porträtiert den populärsten Autor Indiens: Khushwant Singh. Die New York Review of Books bewundert den Pinselstrich Tintorettos. Im Nouvel Obs charakterisiert Vladimir Sorokin den Homo Putinus. Letras Libras prophezeit, dass "Das Leben der Anderen" auf Kuba nicht gezeigt wird. Das du-Magazin untersucht den Vitalitätsterror gegen die Alten. In Le Point beschreibt die Historikerin Madeleine Ferrieres die Nourriture canailles. Die New York Times beschreibt Papst Benedikt XVI. als intellektuelle Circe.

Vanity Fair (USA), 01.05.2007

Knut mit Leonardo DiCaprio auf dem Cover von Vanity Fair. Fotografiert von Annie Leibovitz. Mein lieber Schwan, das ist Ruhm! Mehr davon hier.

Die grüne Ausgabe von Vanity Fair umfasst einen Artikel von Robert Kennedy Jr., der mit der Umweltpolitik der Bush-Regierung abrechnet. "Das Urteil der Geschichte lässt manchmal Jahrhunderte auf sich warten. Das Urteil über George W. Bush als Hüter unserer Umwelt ist bereits in Stein gemeißelt. Kein Präsident hat einen gründlicheren und überlegteren Anschlag auf die Umwelt der Nation verübt. Kein Präsident hat sich stärker für die umweltverschmutzenden Industrien eingesetzt. In einem auf breiter Front vorgetragenen Angriff gegen die Umwelt hat die Bush-Regierung mehr als 400 Maßnahmen getroffen, die dreißig Jahre Umweltpolitik bedeutungslos machen. Nach Jahren des Leugnens hat der Präsident kürzlich die potentiell katastrophale Bedrohung durch Klimaerwärmung anerkannt, aber die Worte haben nicht mehr Bedeutung als sein Versprechen, New Orleans wieder aufzubauen, 'besser als je zuvor'."

Außerdem lesen dürfen wir William Langewiesches Reportage über den Kampf einiger Equadorianer gegen den Ölkonzern Chevron. Die heutige Chevron-Tochter Texaco hatte jahrzehntelang ein 1.700 Quadratkilometer großes Stück Regenwald verschmutzt. Umweltorganisationen sagen, es sei eines der am schlimmsten kontaminierten Industriegebiete der Welt.
Archiv: Vanity Fair

Outlook India (Indien), 16.04.2007

Glaubt man Outlook India, dann ist Khushwant Singh zumindest innerhalb Indiens der berühmteste Schriftsteller des Landes. Seine Kolumne "With Malice towards One and All" (hier das einzige Exemplar, das wir beim Googeln fanden) wird in mehreren indischen Zeitungen in allen möglichen Sprachen nachgedruckt. Er ist mit seinen 92 Jahren aktiver denn je, schreibt Sheela Reddy in einem ausführlichen Porträt. "Er hat etwas, dessen sich kein anderer Schriftsteller rühmen kann: Eine treue Leserschaft im weniger gebildeten Publikum. Eines Abends zum Beispiel betritt Singh bei einem seiner seltenen Spaziergänge zum Khan Market in Delhi einen Fleischerladen, der seine Neugier erregte. Sofort standen die Schlachter auf, ehrerbietig, die Messer pausierten auf ihren Holzblöcken, während Indiens ältester und berühmtester Autor einige Koranverse an den Kachelwänden studierte. 'Wir lesen Sie jede Woche in den Urdu-Zeitungen', bringt einer schüchtern hervor." Nützlicherweise wird dem Artikel noch eine Liste von Leuten beigestellt, die er liebt, und die er hasst.

Außerdem bringt Outlook India eine Besprechung von Gita Aravamudams Buch über die immer noch grassierende Praxis der Abtreibung weiblicher Embryonen: "Disappearing Daughters - The Tragedy of Female Foeticide".
Archiv: Outlook India
Stichwörter: Abtreibung, Delhi

New York Review of Books (USA), 26.04.2007

Nach landläufiger Meinung gelten Michelangelo, Tizian und Raffael als die besten Künstler des 16. Jahrhunderts. Anlässlich einer Ausstellung im Prado überlegt Andrew Butterfield, ob nicht doch Tintoretto der größte von allen war. "Tintoretto benutzte den Pinsel mit einem Grad an Spontaneität und Kraft, die nie zuvor gesehen wurde. Er malte in großer Geschwindigkeit, mit großen Pinseln, er fügte die Lichter mit langen rasanten Strichen hinzu. Diese jagen mit einer erstaunlichen Kraft über die Oberfläche der Leinwand, mit ihrer Bewegung geben sie Form und erschaffen Leben. Zeitgenössische Beobachter verglichen Tintorettos Pinselführung mit Blitzen, und man erkennt leicht, warum: Es ist eine ungeheure Energie, die hier zum Vorschein kommt. Die Pinsel nehmen von der Hand des Künstlers den Schwung auf und ihre Striche wirken so dynamisch, als wären sie noch immer in Bewegung und würde niemals zur Ruhe kommen."

Edmund S. und Marie Morgan erinnern zum vierhundertsten Jahrestag an die Anfänge der USA in Jamestown, Virginia: "Die 108 Männer und Jungen, die am 14. Mai 1607 an Land gingen, und die vier- oder fünftausend, die ihnen in den nächsten fünfzehn Jahren folgten, wurden Opfer eines gescheiterten Handelsunternehmens. Aber es überlebten genug von ihnen Hunger, Krankheit, die Vernachlässigung durch ihre Auftraggeber und die eigenen Fehler, dass sie die erste dauerhafte Siedlung dessen errichten konnten, was die Vereinigten Staaten werden sollten."

Weitere Artikel: Bei den Wahlen 2004 haben 78 Prozent der Evangelikalen für die Republikaner gestimmt, Frances FitzGerald erklärt, dass Evangelikalismus und christliche Rechte trotzdem nicht unbedingt identisch sind, was nun auch einige Kirchenoberen versuchten deutlich zu machen. Sarah Kerr bespricht Joan Didions neues Buch "Tell Ourselves Stories in Order to Live", in dem Didion von ihren Ur-Ur-Ur-Großeltern erzählt, die auf den Trecks von Missouri nach Kalifornien gezogen waren. Besprochen werden außerdem Jonathan Lears Buch "Radical Hope" und anlässlich einer Neuausgabe Roald Dahls "Collected Stories".

Nouvel Observateur (Frankreich), 05.04.2007

Unter der Überschrift "Homo Putinus" gibt der von jungen Putin-Anhängern heftig angegriffene russische Schriftsteller Vladimir Sorokin Auskunft über sein Land, dessen Gewalt und Umwälzungen. Die ihn dennoch zu inspirieren scheinen: "In Russland sind vom Taxifahrer über die Funktionäre und Politiker bis zu den Intellektuellen alle literarische Figuren. Bei uns macht man keinen Unterschied zwischen der Literatur und dem Leben. Für einen Schriftsteller ist dieses Land ein Eldorado. In Frankreich müssen die Romanautoren die Erde umgraben, um eine Figur zu finden. In Russland befinden sie sich an der Oberfläche. Unsere Schriftsteller von Tolstoi bis Pasternak werden als Götter betrachtet. Deshalb hat es mir Spaß gemacht, mir in ,Der himmelblaue Speck? fürs Jahr 2068 Klone von Tolstoi, Tschechow, Dostojewski oder Platonov auszudenken. Das ist meine Art, gegen diese russische Sakralisierung der Literatur zu kämpfen. In der Literatur kann ich mir im Gegensatz zum Leben alles erlauben."

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 07.04.2007

Der kubanische Schriftsteller Jose Antonio Ponte, einer der Protagonisten des hierzulande gerade angelaufenen Dokumentarfilms "Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen", hat sich Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen" angesehen: "Ungenau, vereinfachend, schlecht umgesetzt - der Film ist außerstande, ein politisches System und eine Epoche glaubwürdig darzustellen. Trotzdem scheint er gut geeignet (vielleicht gerade weil er so ungenau und vereinfachend vorgeht), einem breiten Publikum bestimmte Vorgehensweisen vorzuführen, die mit dem Fall der Berliner Mauer keineswegs aufgehört haben, auch wenn sie aus Deutschland verschwunden sein mögen. Anders als die übrigen mit einem Oscar ausgezeichneten Filme wird der Erstling von Florian Henckel von Donnersmarck jedenfalls schwerlich in kubanischen Kinos zu sehen sein. Stattdessen wird er in Kuba im Verborgenen zirkulieren, von Hand zu Hand gehen und der kubanischen Staatssicherheit, Schülerin und Erbin der Stasi, zusätzlich Anlass zur Wachsamkeit bieten."

Das Journalistenduo Maite Rico und Bertrand de la Grange besteht derweil - auch gegen Einwände John Lee Andersons - auf seiner vor wenigen Wochen veröffentlichten These, im offiziellen Grab Che Guevaras auf Kuba liege überhaupt nicht Che Guevara begraben (Perlentaucher berichtete, Mario Vargas Llosa kommentierte).
Archiv: Letras Libres

DU (Schweiz), 01.04.2007

Das du-Magazin ist dem Alter gewidmet. Lothar Müller findet es ja schön, dass viele alte Menschen heute so vital sind, er möchte das nur nicht als "terroristischen Imperativ" vorgesetzt bekommen: "Sei vital, wie alt du auch bist! Informier dich über Antiaging! Geh täglich schwimmen! Du schaffst es, noch mit siebzig am Marathon teilzunehmen! Vernachlässige nicht dein Anti-Demenz-Training!" Wer gebrechlich wird, gilt quasi schon als "begründungspflichtiger Sonderfall" oder noch schlimmer: Er ist eigentlich schon tot! "Unter den öffentlichen Figuren des Alters ist wohl kaum zufällig der Stufe-3-Pflegefall, den seine Pfleger drangsalieren, das Gegenbild zum fitten Alten im bunten Trainingsanzug. In seiner Gestalt wird die Gebrechlichkeit, die traditionell viele Stadien, Ausdrucksformen und Grade der Beschwernis kannte, auf die Regionen des kaum noch lebbaren, kaum noch lebenswerten Lebens verengt. Sie erscheint weniger als Teil des Lebens denn als Vorbotin des Todes, so nachdrücklich sind alle Lebenszuversicht und alle Lebenszugewandtheit am Vitalitätspol angelagert. Darin, in dieser Neigung, die Gebrechlichkeit sogleich dem Tod zuzuschlagen, liegt die Grausamkeit der Propaganda für das neue Alter."
Archiv: DU
Stichwörter: Schwimmen, Demenz

Al Ahram Weekly (Ägypten), 05.04.2007

In einem Artikel, der ausschließlich den israelischen Kolonialismus für die Lage in Palästina verantwortlich macht, schildert Ramzy Baroud auch die hierzulande wenig bekannten Probleme palästinensischer Flüchtlinge im Irak: "Die Not der Palästinenser im Irak wächst sich zur Horrorstory aus. Saddam hatte die Palästinenser gut behandelt, aber er hatte ihre Versuche vereitelt, Land zu erwerben, denn sie sollten nicht fest ansiedeln und auf ihr Rückkehrrecht in die Heimat verzichten. Als Saddams Statue gefällt wurde, vertrieben irakische Landbesitzer Tausende von Palästinensern. Über 500 Palästinenser sind seitdem im Irak getötet wurden, Tausende wurde verletzt und der große Teil der übrigen Palästinenser lebt in Zeltstädten nahe der jordanischen Grenze."

Jill Kamel warnt in einem zweiten Artikel vor der Zerstörung der Königsgräber in Luxor durch allzu viel Tourismus.
Archiv: Al Ahram Weekly

New Yorker (USA), 16.04.2007

Alec Wilkinson stellt eine in einem Pariser Vorort entwickelte Methode vor, mit der sich die Welt quasi immer geradeaus durchqueren lässt und die im letzten James-Bond-Film "Casino" zu bewundern war: Parkour. "Parkour, ein vom französischen parcours (Weg) entlehntes Kunstwort, ist gewissermaßen ein System aus Sprüngen, Volten, Rollen und Landungen, das entwickelt wurde, alles zu überwinden oder zu unterlaufen, was einem im Weg steht - kurz: wie man Hindernisse überwindet. Parkour heißt: über Mauern zu gehen, nicht um sie herum; das Treppengeländer zu nehmen, nicht die Stufen. Es ist eher eine städtische als eine idyllische Beschäftigung."

Weiteres: Alex Ross beschreibt New Yorks lebendige Szene für Neue Musik. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "The Stolen Pigeons" von Marguerite Duras und Lyrik von Philip Levine und C.K. Williams.

John Updike rezensiert eine Biografie über Edith Wharton von Hermione Lee (Knopf). Rebecca Mead bespricht "The Feminine Mistake", einen flammenden Aufruf der Journalistin Leslie Bennetts zu weiblicher Erwerbsarbeit (Voice). Und Claudia Roth Pierpoint stellt eine Biografie über den amerikanischen Schriftsteller und Impressario Lincoln Kirstein vor, der unter anderen gemeinsam mit George Balanchine die School of American Ballet und das New York City Ballet gründete: "The Worlds of Lincoln Kirstein" (Knopf). Sasha Frere-Jones lobt das neue Album der kanadischen Musikerin Leslie Feist. Nancy Franklin stellt die TV-Show "This American Life" vor. Und David Denby sah im Kino den über dreistündigen "schlock movie" (etwa Ramschfilm) "Grindhouse" von Quentin Tarantino and Robert Rodriguez und die satirische Komödie "The TV Set" von Jake Kasdan.

Nur im Print: eine Reportage über die rätselhafte Sprache eines Amazonasstammes, ein Text von Orhan Pamuk über seinen ersten Pass, Artikel über Reisen von Peking nach Lhasa, Berufspendler und Kofferkaufen.
Archiv: New Yorker

Point (Frankreich), 05.04.2007

Die Historikerin Madeleine Ferrieres, die sich bereits mit einer Geschichte der Ernährungsängste einen Namen gemacht hat, hat nun eine neue Studie über die Geschichte der "Nourritures canailles" vorgelegt. Bei diesem - wörtlich übersetzt - "Gesindelfraß" handelt es sich um die Küche und Ernährung der Unterschichten, die nie Kochbücher lasen oder sich an die kulinarischen Codes der klassischen französischen Küche hielten, die den Eliten vorbehalten blieben. Gleichzeitig haben ihre Gerichte die französische Küche bereichert. Im Interview erläutert sie ein interessantes Detail zur Entstehung und den historischen Formen von Fastfood: "Man spricht heute von der 'McDonalidisierung' unserer Sitten, aber eigentlich gab es das schon früher. Der Arbeitstag war damals häufig von Pausen unterbrochen, in denen gegessen wurde. Das galt auch für den Arbeiter, der sich vormittags um elf Kutteln an der nächsten Ecke kaufte. Zu Zeiten des Ancien Regime gab es in den Städten ein bemerkenswertes Angebot an Fertiggerichten zum Mitnehmen. Ich betone diese öffentliche Küche, die Weinstuben und Tavernen, die sie erfunden haben. Sie haben es verstanden, sich an den Geschmack ihrer Kundschaft anzupassen. Ihnen verdanken wir die Weinküche, die Schmorgerichte und Fischragouts."
Archiv: Point

Times Literary Supplement (UK), 06.04.2007

Der Zoologe Robert May, früher höchster wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, hält zum Thema Klimawandel fest, dass es zwar immer Temperaturschwankungen auf der Erde gegeben hat, dass aber die CO2-Konzentration seit 8.000 Jahren konstant bei 280 ppm lag. Und dieses relativ gleichmäßige Klima hat solche segensreiche Entwicklungen wie den Ackerbau erst ermöglicht. Inzwischen liegt die CO2-Konzentration bei 380, im Jahr 2050 wird sie bei 500 ppm liegen. "Es sollte festgehalten werden, dass ein solcher Grad an Treibhausgasen auf unserem Planeten zuletzt vor 20 bis 40 Millionen Jahren herrschte, als der Meeresspiegel rund hundert Meter höher lag als heute. Laut dem niederländischen Nobelpreisträger Paul Crutzen sollten wir endlich anerkennen, dass wir in eine neue geologische Epoche getreten sind: das Anthropozän, das um 1780 begann, als James Watt die Dampfmaschine entwickelte und die Industrialisierung die geochemische Geschichte unseres Planeten zu verändern begann."

Weiteres: Karl Miller schwärmt von Ian McEwans neuem Roman "On Chesil Beach" als einem meisterlichen Meisterwerk. A. E. Harvey stellt einen Ansatz neutestamentlicher Quellenforschung von Richard Bauckham vor, der die Übereinstimmungen in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas damit erklärt, dass sie sich alle auf Augenzeugen berufen. Ali Smith preist Jan Bondesons Geschichte erstaunlicher Tiere "The Cat Orchestra and the Elephant Butler".

Al Hayat (Libanon), 08.04.2007

Das Scheitern aller Friedensinitiativen, die in den letzten Jahrzehnten zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes vorgetragen worden, liegt, so schreibt Imad Umar, vor allem an der Verweigerung der israelischen Gesellschaft, sich den eigentlichen Fragen zu stellen: "Zu den wichtigsten dieser Fragen zählt jene nach den Grenzen des Staates Israels, nach der Haltung Israels gegenüber seinen palästinensischen Bürgern, sein Verhältnis zu den Nachbarstaaten und zur regionalen Sicherheit, die Frage bezüglich der israelischen Kontrolle über die Schnittstellen des Lebens der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Wer ist ein Jude, was tun hinsichtlich der historischen und geographischen Bedeutung Jerusalems für die Muslime und Christen? Wie steht Israel zum internationalen Recht? Wie ist das Verhältnis der Juden außerhalb des Landes zum Staat Israel? Was ist mit der Verfassung des Staates? Was hat es mit dem Militarismus der israelischen Gesellschaft auf sich und mit ihrem Chauvinismus? Ist der Staat ein säkularer oder ein fundamentalistisch-religiöser?" (Man wünschte sich nur, die islamischen Staaten würden sich dieses Fragen auch einmal selbst stellen.)
Archiv: Al Hayat

Nepszabadsag (Ungarn), 06.04.2007

Eine neue Umfrage zeigt, dass die europäische Integration der Ungarn auf emotionaler Ebene noch nicht gelungen ist: die Mehrheit der befragten Ungarn meinte, die ungarische Kultur sei nur partiell Teil des europäischen Kulturerbes. Judit N. Kosa kommentiert: "Liegt dieses schockierende Ergebnis nicht daran, dass wir selbst unsicher sind, was wir unter ungarischer Kultur verstehen? Die Politiker führen seit der Wende einen verbitterten Kulturkampf, die Politik ist in allen Bereichen der kulturellen Bildung omnipräsent, die ungarische Kultur wurde ghettoisiert. Die Menschen wählen Bücher, Filme, Musik aufgrund dessen aus, welchem politischen Lager die Künstler angehören. Theaterdirektoren werden wie zu Zeiten der Diktatur aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit ernannt, Theaterstücke werden aus politischen Gründen angezeigt, in Statuen suchen wir zuerst die politische Botschaft, statt sie einfach visuell auf uns wirken lassen. Wenn man Andersdenkende im eigenen Land am liebsten aus dem ungarischen Kulturerbe ausschließen würde, kann man sich auch mit dem auf gegenseitige Toleranz aufgebauten Europa kaum identifizieren."
Archiv: Nepszabadsag

New York Times (USA), 08.04.2007

Im New York Times Magazine beschreibt Russell Shorto Papst Benedikt XVI. als eine Art intellektuelle Circe, die linke Theologen wie Hans Küng, säkulare Professoren wie Jürgen Habermas oder Senator Pera oder Protestanten wie Angela Merkel gleichermaßen umgarnt. Als antireligiöse Strömung ist ihnen allen der Säkularismus so unheimlich wie ihnen der Versuch Benedikts, Vernunft und Glaube zu vereinen, sympathisch ist. Das größte Problem des Papstes ist jedoch er selbst, so Shorto. Denn als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre habe Ratzinger die von vielen Gläubigen als unzeitgemäß und verlogen empfundene Unangreifbarkeit der Katholischen Kirche als Institution jahrelang verteidigt. "Trotz der weichgespülten Reden des Papstes könnte es gerade Joseph Ratzingers eigene Arbeit in den letzten Jahrzehnten sein, die Strenge, mit der er die Kirche beschützt und bewahrt hat, die die Europäer daran hindert, an ihre Wurzeln anzuknüpfen. 'Denken Sie an die Theologen, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Schweigen gebracht wurden', sagt Vater Reese, der ehemalige Redakteur des jesuitischen Magazins America. 'Die Unterdrückung von Diskussion und Debatte. Wie manche Streitfragen zum Litmustest für Orthodoxie und Loyalität wurden. All das macht es für Benedikt sehr schwierig, seine Absichten durchzusetzen.'"
Archiv: New York Times