19.06.2007. Der amerikanische General Antonio M. Tabuga erklärt Seymour Hersh im New Yorker, dass die USA in Abu Ghraib die Genfer Konvention verletzen. Il Foglio verfällt auf der Biennale dem Charme der Zwangsminimalisten aus Rumänien. Die London Review of Books stellt eine Geschichte der Berliner Mauer vor. In al-Sharq al-Awsat erzählt der Journalist al-Sayed Yassin, warum er in den Fünfzigern ein Muslimbruder wurde. Elet es Irodalom bestreitet, dass die ungarische Schwiegertochter Clemenceaus Schuld hat am Verlust großer Teile des ungarischen Staatsgebiets. Im Guardian streitet Hitchens für Marx. New Criterion untersucht das Desaster der Kunstwelt.
New Yorker, 25.06.2007

Seymour M. Hersh, der 2004 den Folterskandal im irakischen Gefängnis
Abu Ghraib öffentlich gemacht hatte,
beschreibt nun, wie der amerikanische General
Antonio M. Taguba, nachdem er seinen
Bericht über das Gefängnis vorgelegt hatte, von Militärkollegen gemieden und selbst zu einem Opfer des Skandals wurde. In Hershs Bericht geht es auch um die Frage, was
Rumsfeld und das
Pentagon wussten, und was sie, als sie es wussten, unter Verschluss hielten. Hersh zitiert Taguba: "Der Überbringer der Nachricht wird immer erschossen. Ich wurde dafür geächtet, dass ich getan habe, was man mir aufgetragen hat. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass das Zeug [die Bilder von Folterszenen] in den
oberen Führungsebenen zirkulierte. Es war Standardvorgehen vorauszusetzen, dass es nach oben weitergereicht werden würde. Der Präsident musste das wissen. (...) Meine Armeekollegen werden sauer sein, dass ich es ausspreche, aber es ist eine Tatsache, dass wir in Abu Ghraib die Gesetze zur
Landeskriegsführung gebrochen haben. Wir haben die Genfer Konvention verletzt."
Ansonsten Besprechungen: John Lanchester
rezensiert das Buch über
Lady Di von Tina Brown, die unter anderem auch mal Chefredakteurin des
New Yorker war ("The Diana Chronicles", Doubleday; deutsch: "Diana - Die Biografie", Droemer). Alex Ross hat sich Konzerte der Symphonischen "
Provinz"-
Orchester von Indianapolis, Alabama und Nashville
angehört und kommt zum Schluss, dass der Begriff der "stratosphärischen Elite" für die nobleren und bekannteren amerikanischen Großorchester "illusionär" ist. Peter Schjeldahl
berichtet von der
Biennale in Venedig. Anthony Lane
sah im Kino Angelina Jolie als Mariane Pearl in
Michael Winterbottoms "A Mighty Heart" und die Verfilmung einer Teeniekrimiserie aus den 30er Jahren
"Nancy Drew" von
Andrew Fleming.
Zu lesen sind außerdem die
Erzählung "Homework" von Helen Simpson und Lyrik von
Robert Mazzocco,
Louise Glück und
Lawrence Raab. Nur im
Print: ein Porträt der
"Anti-Schwerkraft-Ingenieure" des Architekturbüros
Arup.
Gazeta Wyborcza, 16.06.2007

"Das ist keine persönliche Hommage",
erklärt der Künstler Piotr Uklanski, der in der Danziger Werft
dreitausend Soldaten das "
Solidarnosc"-Logo
formen ließ. "Ich suche nach Symbolen, denen jede Bedeutung abhanden gekommen ist, als ob sie in der Schwebe wären. (...) Ich glaube nicht an gute Absichten in der Kunst. Man kann mit schlechten Intentionen, zum Beispiel für Geld, Kunst machen, die genau so gut oder besser ist als die, die jemand in guter Absicht macht."
Außerdem nachzulesen: ein schöner
Essay von
Claudio Magris über Toleranz und Dialog.
Elet es Irodalom, 15.06.2007

Das Geschichtsbild der Ungarn ist von
Selbstmitleid, Opfermythos und fehlenden historischen Kenntnissen geprägt,
schreibt die Soziologin
Maria Vasarhelyi. Nach dem Ersten Weltkrieg waren
zwei Drittel des ungarischen Staatsgebietes an Nachbarländer gefallen - das ist heute noch einer der wichtigsten Bezugspunkte der rechtskonservativen Politik in der ganzen Region und belastet die Beziehungen zwischen Ungarn und seinen Nachbarländern schwer. Eine repräsentative Studie der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften zeigt, dass die Bevölkerung nur Legenden über die Ursache dieser enormen Gebietsverluste kennt. "Viele
absurde Erklärungsmodelle sind in Ungarn weit verbreitet: Ungarn sei zum größten Verlierer des Ersten Weltkriegs geworden, weil die
Franzosen traditionell wohlwollend gegenüber Rumänien und böswillig gegenüber Ungarn seien, weil der damalige französische Präsident Clemenceau seine
ungarische Schwiegertochter angeblich hasste, weil die ungarischen Kommunisten ihr Heimatland verraten haben sollen. Bis heute lebt die Legende weiter, dass rumänische Spitzenpolitiker den Vertretern der Siegermächte
Prostituierte zur Verfügung stellten, damit sie gegen ungarische Interessen entscheiden würden."
Guardian, 16.06.2007

Voller Bewunderung ist
Christopher Hitchens für den Journalisten
Karl Marx. In seiner
Besprechung eines Bandes mit frühen Texten von Marx betont er, dass John F. Kennedy, der meinte, der Welt wäre viel erspart worden, wäre Marx
Journalist geblieben, die eigentliche Ironie der Geschichte verpasst hat: "Die Pointe, die JFK nicht verstand - und die fast alle anderen auch nicht verstanden -, liegt gerade darin, dass ein großer Teil von Marx' Journalismus nicht der Verteidigung und Unterstützung der kommenden russischen oder chinesischen oder kubanischen ... Revolution gewidmet war, sondern der der vorangegangenen amerikanischen. Wer hier eine
Ironie der Geschichte sucht, wird sie nicht in der Tatsache finden, dass Marx von einer amerikanischen Zeitung unterbezahlt wurde, sondern darin, dass er und Engels Russland als große
Bastion der Reaktion betrachteten und Amerika als die potenzielle Amme von Freiheit und Gleichheit."
Weitere Artikel: Barbara Ehrenreich
bespricht gleich zwei
Hillary-Clinton-Biografien als Bücher der Woche. James Campbell
rezensiert den neuesten Geschichtenband von
Irvine Welsh. Anlässlich einer Londoner Retrospektive
feiert Marina Warner den tschechischen
Filmemacher Jan Svankmajer.
Point, 14.06.2007

Beharrlich
thematisiert Bernard-Henri Levy in seinen Bloc-notes das Thema
Darfur und schaut dem französischen Außenminister
Bernard Kouchner ebenso beharrlich auf die Finger. "Da gibt es diesen ehemaligen Arzt ohne Grenzen, der sich in einen
Couch-Geostrategen verwandelt hat und der im
Journal du Dimanche vergangener Woche alle Mühe hatte, den Anhängern einer politischen Druckausübung auf die Herren von Khartum und damit auf ihre chinesischen Beschützer zu erklären, dass es sich in Darfur um Sudanesen handele, die andere Sudanesen töteten, und dass
Peking mit diesen innersudanesischen Massakern '
nichts zu tun' habe: Das heißt, alle im Sicherheitsrat durch Stimmenthaltung oder Veto Chinas abgeblockten Resolutionen als unwichtig abzutun; das heißt, eine
Tragödie zu reethnisieren, deren im Gegenteil zutiefst politische Dimension man sehen muss; das heißt, erneut die schmutzige kleine Melodie von Stammes- und Regional-, ganz zu schweigen von Rassenkriegen anzustimmen, diesem Alibi
für alle Untätigkeiten, die dem Westen angeblich keine andere Pflicht aufbürden, als seine
Hände in Unschuld zu waschen..."
Economist, 15.06.2007

Der
Economist berichtet in einem kurzen, interessanten Artikel von einem gewaltigen
Museumsbauboom in China - während zugleich historische Zeugnisse niedergerissen werden: "Große und kleine Städte in ganz China haben derzeit kaum Eiligeres zu tun, als Museen zu bauen. Mit den freudlosen Bauten der Mao-Ära, die bis vor kurzem noch die traurigen Sammelstätten der historischen Nationalschätze waren, haben sie kaum noch etwas zu tun. Die Politik, manchmal sogar auch Privatleute, verwenden
erstaunliche Summen auf riesige und exotische neue Museumsgebäude... 1977, ein Jahr nach Maos Tod, gab es nur ungefähr 300 Museen. Die meisten waren kaum mehr als Präsentationsorte für kommunistische Parteipropaganda... Zur Jahrhundertwende gab es schon
mehr als 2000. Und im Jahr 2015 werden es, offiziellen Schätzungen zufolge, ungefähr 3000 sein."
Weitere Artikel: Noch mehr und sehr interessante Zahlen
finden sich in einem Artikel über den Anstieg
weiblicher Millionäre in Großbritannien. Besprochen wird
Michael Ondaatjes neuer Roman "Divisadero", der Rezensent
lobt ihn als ein Werk, das "nicht so sehr durch eine disziplinierte literarische Struktur überzeugt als durch den
lyrischen Gebrauch der Sprache und scharfsichtige Beobachtungen".
Empfohlen wird auch eine Produktion von Shakespeares "Lear" mit
Ian McKellen in der Titelrolle. Als sehr gelehrt, aber ein bisschen überambitioniert wird William Rosens
Studie zum Übergang von der
Spätantike zum Mittelalter kritisiert. Die Titelgeschichte - "
Biology'
s Big Bang" -
ruft das Jahrhundert der Biologie aus.
Weltwoche, 14.06.2007

Interessante Frauen in dieser
Weltwoche - die auf dem Cover nicht mitgezählt. Peer Teuwsen
porträtiert die Verhaltensökonomin
Iris Bohnet, die an der Kennedy School in Harvard unterrichtet: "Es kommt vor, dass die Frau, die schon als Mädchen die Welt verändern wollte, in einem Hörsaal in Harvard steht. Ihr gegenüber, in Plastiksitze gequetscht,
zehn Minister aus den Vereinigten
Arabischen Emiraten. Sie redet mit ihnen über die Rolle des 'Vertrauens' im gesellschaftlichen Leben, erzählt von Feldforschungen, Theorie und Praxis. (...) Iris Bohnet, eine blonde Frau mit sehr offenem Gesicht, versucht, die Scharia, das islamische Gesetz, zu verstehen, weiß durch Aufenthalte in der Golfregion um die gesellschaftlichen Strukturen, die auf dem Clan-Gedanken und einem '
Beziehungsvertrauen' beruhen - und dass man dort Fremden nur sehr schwer vertraut. Die mächtigen Minister wiederum wissen, dass sie ein Problem haben. Weil Außenstehende fast nicht in die islamischen Gesellschaftsstrukturen eindringen können, bleiben deren
Investitionen gering. Und wer der Region, die derzeit vor allem dank dem immensen Vermögen der Scheichs wächst, langfristige Perspektiven geben will, der muss zum Beispiel mit der Verhaltensökonomin Bohnet reden."
Und Thomas Widmer
porträtiert die 1982 verstorbene
Philosophin und Romanschriftstellerin
Ayn Rand als liberale Anarchistin, Gegenwartskritikerin und Polemikerin.
New Criterion, 01.06.2007
Das passende Denkstück zur Documenta? Roger Kimball
besuchte die Ausstellung "Wrestle" im
Bard College mit neuester Kunst aus der Sammlung von
Marieluise Hessel und war so abgestoßen, dass er seinen Artikel mit der Frage überschrieb: "Why the art world is a
disaster" Seiner Meinung nach ist
Marcel Duchamp schuld, dessen Dada-Gesten bis zum Überdruss wiederholt würden: "Sex, Gewalt, Ennui, Alltagsdinge als Kunstwerke. Der Unterschied ist, dass Duchamp es ernst meinte. 'Ich habe ihnen das Flaschenregal und das Urinal ins Gesicht geworfen um sie herauszufordern', schrieb Duchamp voller Verachtung, 'und nun bewundern sie sie für ihre
ästhetische Schönheit.' Kein Wunder, dass er die Kunst aufgab und lieber Schach spielte. Duchamp lancierte eine Kampagne gegen Kunst und ästhetische Erbauung. Und in gewissem Sinne hatte er einen brillanten Erfolg damit. Aber er fiel auf ihn selbst zurück. Die spröde und abstrakte Ironie Duchamps institutionalisierte sich und wurde zum Standard - und aus der Ironie wurde eine neue Art der
Sentimentalität."
The Nation, 02.07.2007

Lakshmi Chaudhry
fragt sich, ob
Hillary Clinton als amerikanische Präsidentschaftskandidatin ein Problem mit ihrer weiblichen Wählerschaft bekommen könnte. Chaudhry staunt, dass die Linken als konservativ geltende Clinton selbst von Frauenverbänden und Feministinnen abgelehnt wird, die doch lieber einen progressiveren Mann an der Spitze der Macht sähen. "Inzwischen bemerken die meisten Feministinnen, dass die Möglichkeit, einer durch und durch Linken als erste weibliche Präsidentin so wahrscheinlich ist, wie das sprichwörtliche Kamel, das durchs Nadelöhr geht. So sehr wir auch die Rückständigkeit unseres Landes in Sachen weiblicher Führungskräfte bedauern mögen, die Sorte Frauen, die es in anderen Teilen der Welt bis zur Spitze schafft, wenn man einmal von Chiles
Michelle Bachelet absieht, sind aus demselben Holz geschnitzt wie ihre männlichen Gegenspieler. Susan Douglas mag ihr vorwerfen, sie verkörpere 'das Dschingis-Khan-Prinzip der amerikanischen Politik', aber Hillary Clinton ist kein Abziehbild der alten Maggie Thatcher oder Indira Gandhi, und sie steht in jedem Fall
links von Angela Merkel."
New Statesman, 14.06.2007
Der Wahnsinn hat begonnen,
bemerkt Andrew Stephen angesichts all der geplanten Enthüllungsbücher über
Hillary Clinton. "Warum bricht diese riesige Hysterie aus über eine Wahl, die erst im November nächstes Jahr stattfindet? Ich bin überzeugt, dass die Antwort in der Tatsache begründet ist, das eine Frau sich anschickt, die 218-jährige männliche Vorherrschaft im machtvollsten Job der Welt zu brechen. Das hat riesige Wellen von
unbewusstem Sexismus bei Amerikas politischen Kommentatoren ausgelöst, von denen die allermeisten Männer sind. Eine Frau will die Macht und die männliche Herrlichkeit des US-Präsidentenamtes? Was erlaubt sich diese lächerliche kleine
Machiavellibraut denn eigentlich?"
Tygodnik Powszechny, 17.06.2007

In
Minsk steht die Wirklichkeit Kopf - Alexander Lukaschenko entlässt politische Häftlinge und organisiert Konzerte "Für ein unabhängiges Weißrussland", der Kreml wiederum finanziert die Opposition - damit den russischen wirtschaftlichen Interessen nichts in die Quere kommt, im Falle eines Falles. "Der Westen hat sich von der
pro-russischen Opposition etwas vorspielen lassen. Ihr einziges Ziel war es, die neue Bewegung um den früheren Präsidentschaftskandidaten
Milinkewitsch zu marginalisieren. Die Regimegegner, deren Erkennbarkeit in der Gesellschaft ohnehin stark begrenzt ist. haben sich faktisch in zwei Lager geteilt: ein pro-russisches und ein pro-europäisches. Diese werden jetzt um die Vorherrschaft rivalisieren - genauer gesagt darum, wer zu Gesprächen zugelassen wird, sollte es in Zukunft endlich zu einem politischen Umbruch kommen",
schreiben aus Minsk Malgorzata Nocun und Andrzej Brzeziecki.
Der Filmregisseur
Andrzej Wajda hat ein neues Projekt: In Krakau sollen
Stanislaw Wyspianskis nicht mehr realisierte
Glasfenster auf Grund von Skizzen rekonstruiert und in einem Pavillon im Stadtzentrum ausgestellt werden. "Als ich vor 67 Jahren die
Originalfenster in der Franziskanerkirche gesehen habe, schrieb ich
das einzige Gedicht in meinem Leben. Zum Glück ist es nicht erhalten. Die rekonstruierten Glasfenster und die existierenden vereinigen sich in eine theologische Einheit, die von Tod und Wiedergeburt in künstlerischer Kreation erzählen",
sagt der Regisseur dem Magazin.
Das Projekt eines neuen
Museums für Zeitgenössische Kunst im Herzen Warschaus startete mit großer Fortune - überparteiliche Unterstützung, eine anerkannte Fachjury - bevor innerhalb weniger Wochen alles zusammenbrach. Der
Siegerentwurf von
Christian Kerez wurde als "Baracke" beschimpft, die Experten überwarfen sich. "Jetzt müssen die Politiker Probleme lösen, die eigentlich im Zuständigkeitsbereich der Fachleute bleiben sollten. Die neue Zusammensetzung des Beirats wird über den Rang des Projekts entscheiden. Anfangs wird die Institution weder über gute Sammlungen, noch über viel Geld verfügen. Was bleibt sind interessante Ideen und... Glaubwürdigkeit. Das erfordert allerdings, dass der Konsens wiederhergestellt wird",
schreibt Piotr Kosiewski.
Foglio, 16.06.2007
Auf der
Biennale in Venedig wird Sandro Fusinas Herz
hier und
hier von den Zwangsminimalisten aus
Rumänien erobert. "Mit ein paar Tausend Euro haben sie ihr Problem der Teilnahme an der 52. Internationalen Kunstausstellung in Venedig gelöst. Den Pavillon hatten sie schon, er ist ziemlich groß, direkt bei den Gärten. Um ihn einzurichten, haben sie an der Wand ein paar Zementsäcke hingestellt, die wahrscheinlich schon beim Kauf durchlöchert waren, ein wackliges Tischchen mit einem Buffetaufsatz, vielleicht noch aus
Ceaucescu-Zeiten, einen Porzellanhund mit einem kaputten Ohr, einen Puppenkopf ebenfalls aus Porzellan und noch mehr Krempel, den kein Trödler mehr annehmen würde. Ein Monitor aus anderen Zeiten zeigt ein unscharfes Video. Auf dem Linoleumboden des Pavillons sind noch die Spuren des Weißens zu sehen, ein Hinweis darauf, das entweder die Folien vor oder die Reinigungsmittel nach dem Aufbau eingespart wurden. Sogar die Hostess ist die
unansehnlichste der ganzen Biennale."
Angeregt von
Elena Kostioukovitchs Buch "Perche agli Italiani piace parlare del cibo",
spürt Fabiana Giacomotti der Verbindung von Sprache und Essen nach. "Die
italienische Sprache duftet nach Herd und Speisekammer. Das Italienische schiebt sich Brot zwischen die Zähne, kaut, verschlingt und zerkleinert, während das Englische sich darauf beschränkt, eine bestimmte fade Tasse Tee nicht zu mögen. 'It's not my cup of tea.' Das Italienische ist eine
Maccheroni-Variante des Lateinischen, wie der Kavalier und Großmeister der barocken Schule Marino feststellte."
London Review of Books, 21.06.2007

Mit Interesse hat Neal Ascherson
Frederick Taylors Geschichte der Berliner Mauer gelesen. Zwar vermisst er an vielen Stellen den Mut des Autors zum eigenen Urteil, viele der Schilderungen findet er jedoch
sehr interessant. "Taylor ist am besten als Geschichtenerzähler. Faszinierende Lektüre ist zum Beispiel seine Schilderung des Prozesses, in dem sich die 1961 zunächst spontan und aus Idealismus entstandenen
Fluchthelfergruppen nach und nach in alle möglichen moralischen und praktischen Dilemmata verwickelten. Sollten sie Waffen tragen und zurückschießen, wenn auf sie gefeuert wurde? Das war es, was sie zunächst taten, allerdings verloren sie viele westliche Sympathien, als die ersten DDR-Grenzsoldaten dabei umkamen. Sollten sie die teuren Fluchttunnel durch Deals mit
amerikanischen Fernsehsendern oder dem rechten Presseimperium Axel Springers finanzieren? Auch das taten sie schließlich, aber diese Bündnisse gefährdeten mehr als einmal nicht nur ihre Sicherheit, sondern beschädigten auch ihr Bild in der Öffentlichkeit."
Weitere Artikel: Etwas seltsam
findet Thomas Jones die Konstruktion, die
Dave Eggers zum Autor der
Autobiografie Valentino Achak Dengs macht, der aus dem Sudan floh und lange Jahre in Flüchtlingslagern zubrachte - sehr lesenswert scheint ihm das Buch dennoch. Fasziniert
zeigt sich Hilary Mantel von Linda Colleys
Biografie von
Elizabeth Marsh, einer großen Weltreisenden des 18. Jahrunderts. Nach Ansicht von Hugh Miles
ist eine Wiederaufnahme des Prozesses gegen den angeblichen
Lockerbie-Attentäter Abdelbaset Ali al-Megrahi möglich - nötig wäre sie, wie er findet, angesichts des sehr mageren Beweismaterials in jedem Fall. Daniel Soar
glaubt, dass man aus dem von Wladimir Putin mitverfassten Buch über "
Judo: Geschichte, Theorie, Praxis" viel über die
Mentalität des russischen Präsidenten lernen kann. In "At the Movies"
schreibt Michael Wood diesmal über eine DVD, nämlich die Criterion-Ausgabe von
Jean-Pierre Melvilles "Army in Shadows".
al-Sharq al-Awsat, 13.06.2007
Ein
Gespräch mit
al-Sayed Yassin, einem ägyptischen Journalisten und langjährigen Mitarbeiter des Ahram Center for Political and Strategic Studies in Kairo, gibt einen spannenden Einblick in die Biografien der
Nachkriegsgeneration der ägyptischen Intellektuellen. Wie viele andere renommierte Persönlichkeiten stand auch Yassin, der sich heute als unabhängiger Denker beschreibt, einst den islamistischen
Muslimbrüdern nahe. 1950, Yassin war Student in Alexandria, trat er der Bewegung bei und blieb vier Jahre lang Mitglied: "Die Lösung des sozialen Problems schien mir damals besonders schwierig, die Kluft zwischen Reichen und Armen wurde von Tag zu Tag größer und die Klassenunterschiede verschärften sich in einer Weise, dass die Gesellschaft in zwei von einander getrennte Welten geschieden war, als ob der eine Teil mit dem anderen unverbunden sei. Ich interessierte mich daher für das
Geheimnis dieser Klassenunterschiede, für das Geheimnis des schamlosen Reichtums der einen und der Armut der anderen. Dieser Einstieg in die Suche nach dem Geheimnis oder dem Grund der sozialen Ungerechtigkeit war es, was mich dazu bewog, den Muslimbrüdern beizutreten. Gleichzeitig war diese Suche (nach einer Lösung) auch der Grund dafür, warum ich mich schließlich wieder von ihnen trennte." Die religiöse Verpflichtung zur
Zahlung von Almosen an Bedürftige, wie sie von den Muslimbrüdern als Lösung ausgegeben wurde, erschien Yassin immer weniger überzeugend: "Almosen und wohltätige Aktivitäten können die Leistungen des Staates ergänzen, sind aber kein Ersatz."