03.07.2007. Foglio erschnuppert den Geruch der Priester. Der Merkur analysiert den Opfernationalismus in China. Die London Review erinnert an das Ereignis in China, dessen Name nicht genannt werden darf. Der New Yorker schreibt über die Frage, die sich Jean Sibelius einmal zu oft gestellt hat. Outlook India wirft Salman Rushdie ein übersteigertes Interesse am Küssen vor. Die Gazeta Wyborcza versucht, die Grenzen der antideutschen Phobie auszuloten. Die New York Review of Books beschreibt Putins Waffen der Wahl für die Presse. Nepszabadsag sorgt sich um die Überalterung Osteuropas. Al Ahram verzweifelt an der arabischen Welt. Die Weltwoche bescheinigt Hillary Clinton die Emotionalität einer Parkuhr.
Foglio, 30.06.2007
Benny Lai war von 1951 bis 1978 Korrespondent im Vatikan. Nur wenige kennen soviele Anekdoten und Geschichten aus dem kleinsten Staat der Welt. Stefano di Michele hat Lais
Erinnerungen an "Il 'mio' Vaticano" sehr genossen und zitiert
hier und
hier ausgiebig daraus. "Wer von außen zum Vatikan kommt, dem erscheint er groß. Wer dort lebt, spürt genau das Gegenteil. Alle wissen, was Du machst, was Du isst, ob Du spät aufgestanden bist... Der
Geruch der Priester ist unergründlich: es ist ein süßlicher, schläfriger Duft, ein wenig nach altem Fleisch und
Körpersäften. Die Kleidung ist damit getränkt und wird so konserviert. Manchen Frauen gefällt das, es ist schließlich auch ein männlicher Duft. Wenn er nicht sein langes schwarzes Gewand trägt, bleibt dem Priester nur der Geruch seiner Kaste."
Spectator, 30.06.2007

Der nigerianische
Schriftsteller Chinua Achebe, der vor einigen Tagen den Man Booker International Prize
erhalten hat,
erzählt Clemency Burton-Hill von seiner besonderen Verbindung mit dem
Spectator. "Ich arbeitete beim nigerianischen Rundfunk und hatte das Magazin abonniert. Eines Tages sah ich dort eine Anzeige für eine Firma, die Manuskripte abtippte. Ich hatte diesen Roman geschrieben, also schickte ich ihnen das
einzige Exemplar auf der ganzen Welt. Ich hörte nichts von ihnen. Ich schrieb und schrieb und schrieb. Sie nahmen ihre Anzeige aus dem
Spectator, was mir wirklich Angst machte. Glücklicherweise erzählte ich es meiner Chefin, einer
tatkräftigen Engländerin. Sie fuhr im Urlaub zurück nach England, ausgerüstet mit Name und Adresse der Firma. Kurz darauf schickten sie mir mein Manuskript zurück. Der Roman hieß '
Things Fall Apart'."
ResetDoc, 03.07.2007
Die neue Ausgabe von
Reset.doc versammelt Beiträge einer Konferenz zu
al-Dschasira und den neuen arabischen Medien vom Mai in Santa Barbara. Patricia Kubala
widmet sich der Rolle der Religion in den ägyptischen Medien, die bei den staatlich-säkularen Sendern überhaupt nicht vorkommt, bei den privaten umso mehr.
Fatwa-TV nennt sie die Sender, "in denen eine religiöse islamische Persönlichkeit, ob sie nun eine institutionelle Autorität genießt oder nicht, ihre
rechtliche Meinung zu rituellen Praktiken oder alltäglichem Verhalten verbreitet. Diese Programme sehen meist so aus, dass eine religiöse Persönlichkeit Telefonanrufe oder E-Mails beantwortet, in denen Zuschauer Lösungen für individuelle Probleme suchen. Doch da diese Fragen in einem öffentlichen Raum gestellt werden, erwecken sie den Eindruck, als wären die Fragen nicht nur für den individuellen Frager von Bedeutung, sondern für die gesamte muslimischen Gemeinschaft."
Weitere Artikel: Courtney C. Radsch
beschreibt die Vorreiterrolle von
al-Dschasira bei der Etablierung
staatsferner Medien. Schließlich gibt es auch einige
Anmerkungen zum Thema von
Yigal Carmon, einstiger Oberst bei der israelischen Armee und spätere Gründer des verdienstvollen
Middle East Media Research Institute (
Memri).
Point, 29.06.2007

In einem Interview
spricht der kanadische Politologe und Philosoph
Charles Taylor, dessen Theorien unter anderem auch Tony Blair und Bill Clinton inspiriert haben, über sein Kernthema, den
Kommunitarismus. Auf die Frage, ob seine Formel von der
"Suche nach sich selbst" nicht reiner Narzissmus sei, antwortet er: "Wie der deutsche Philosoph
Herder schon im 18. Jahrhundert schrieb, will jedes menschliche Individuum entsprechend seinem eigenen Maßstab leben. Das ist, was ich 'Suche nach Authentizität' nenne. Das Problem dabei besteht nicht darin, zu bewerten, sondern realistisch zu sein. Meine These ist, dass wenn man unsere Gesellschaften verstehen will, man diesem Bedürfnis nach Authentizität Rechnung tragen muss. Nehmen wir noch einmal den
Fall der Homosexuellen: Das Problem besteht nicht darin zu bewerten, ob es gut oder schlecht ist, dass ein Mann bis ans Ende zu seinem Verlangen nach einem anderen Mann steht. Das Wichtige ist, dass er das Recht einfordert, als solcher anerkannt zu werden. Er will nicht, dass die Gesellschaft ihn an seiner
Identitätssuche hindert, und er ist bereit, dafür in seiner Gemeinschaft zu kämpfen."
New York Review of Books, 19.07.2007
Jamey Gambrell
beschreibt in einem Feature, wie
Putin immer stärker versucht, die
Medien in seinem Land mundtot zu machen: "Die Ermordung von Journalisten ist nur die sichtbarste Manifestation einer stetigen Kampagne gegen die Presse. Viel effektiver sind die wirtschaftlichen, rechtlichen und administrativen Maßnahmen, mit denen systematisch die Menschenrechte, die Arbeit von Informationen sammelnden Organisationen und anderen unabhängigen Mitgliedern der Zivilgesellschaft unterdrückt werden. Häufige Rechnungsprüfungen, teure und zeitaufwändige Registrierungen gehören zu den
Waffen der Wahl. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Razzien bei Nachrichtenorganisationen gegen 'illegale Software'; das obere Management wurde zwischen staatlich kontrollierten und 'privaten' Fernsehsendern ausgetauscht, Direktiven gaben vor, 50 Prozent positive Nachrichten zu präsentieren; es gab '
Stop-Listen' von Politikern und Aktivisten, die nicht öffentlich genannt werden dürfen, beendet wurden Live-Übertragungen und Talkshows."
Weiteres: In einem Essay zur Zukunft der
Biotechnologie setzt Freeman Dyson große Hoffnungen auf diese Industrie, solange sie nicht auf große und zentralisierte Konzerne setzt. Außerdem schreiben in dieser literarischen Sonderausgabe etliche Schriftsteller über ihre lieben Kollegen: Anita Desai
über Primo Levi, Al Alvarez
über Ian McEwan, Tim Parks
über Elfriede Jelinek, Hilary Mantel
über Mischa Berlinski, Claire Messud
über Andrew O'Hagan, Francisco Goldman
über Roberto Bolano und Joyce Carol Oates schließlich
über Amnesie-Romane.
Economist, 29.06.2007

In seiner Titelgeschichte
warnt der
Economist davor, die
Supermacht USA zu unterschätzen, auch und gerade im Vergleich mit dem aufstrebenden
China: "Amerika wird es wahrscheinlich immer stärker mit China zu tun bekommen, ob es nun amerikanische Firmen aufkauft, olympische Goldmedaillen gewinnt oder Raketen ins All schießt. Einfach durch sein Wachstum stellt China ein Problem für die Pazifik-Politik dar. Das heißt aber alles nicht, dass es nun automatisch die USA überholen wird. Politisch ist es in
fragilem Zustand und der Vorsprung der USA ist enorm. Darüber hinaus ist die Ökonomie kein Nullsummenspiel - bisher hat China eher zur Steigerung des amerikanischen Reichtums beigetragen."
Weitere Artikel: Ein neues Gebühren-Gesetz,
erfahren wir, droht den
Internet-Radiosendern der USA den Garaus zu machen. Außerdem geht es um die
Zeitungspläne des französischen Tycoons
Bernard Arnault, die
Museen in Sarajewo und den traurigen
Zustand des
Dixieland-Jazz in New Orleans Besprochen werden unter anderem die englische
Ausgabe von Papst Benedikts XVI. bzw.
Josef Ratzingers Jesus-Buch und eine
Biografie des großen Konservativen
Sir Robert Peel. Angela Merkel bekommt für ihre Europa-Politik das Prädikat: "Meisterin in der Kunst des Möglichen."
Nepszabadsag, 28.06.2007

Die
osteuropäischen Länder dürften in zwanzig Jahren den
höchsten Altersdurchschnitt der Welt haben, stellt eine
Studie der Weltbank fest. Die Geburtenrate sinke so stark, dass die Wirtschaftsentwicklung der Region gefährdet sei. Der dramatische demografische Wandel Osteuropas stelle eine ähnlich große gesellschaftliche Umwälzung dar, wie die
Wende von 1989, meinen die Autoren der Studie,
Arup Banerji und
Gordon Betcherman: "In den ehemaligen sozialistischen Ländern leben heute 400 Millionen Menschen. 2025 wird der Anteil der über 65-Jährigen unter ihnen viel höher sein, als heute. In den kommenden zwei Jahrzehnten wird die Bevölkerung fast um 24 Millionen Menschen schrumpfen... Die Situation ist weltweit einmalig, weil diese Länder eine viel schlechtere Ausgangsposition im Kampf gegen die Probleme ihrer alternden Gesellschaften haben als Westeuropa. Andere, ähnlich schnell alternde Länder der Welt müssen sich nicht gleichzeitig mit der Entwicklung moderner wirtschaftlicher und politischer Institutionen befassen."
Balazs Pocs
spottet über die
Filme, mit denen die
EU-Kommission auf
YouTube ein junges Publikum erreichen will: "Wer möchte ganze zehn Minuten lang über die Vorteile des Navigationssystems
Galileo informiert werden, das später und teurer als geplant realisiert werden soll? Das
Stück zum Klimawandel weckt ebenfalls wenig Begeisterung: In einer nachgestellten Reportage, die wohl lebensnah wirken soll, empfiehlt uns ein freundlicher Herr, nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Büro zu fahren... Die Filme der EU erinnern an die Filme in der
Propaganda-Nachrichtenschau, die während des Sozialismus alle Kinobesucher über sich ergehen lassen mussten. Die Jugendlichen von heute können sich das kaum noch vorstellen. Schön, dass die EU ihnen unfreiwillig eine
Reise in die Vergangenheit anbietet."
Al Ahram Weekly, 28.06.2007

Nach den
Tagen der Gewalt in Palästina, Irak und Libanon
legt der
Politologe Amr Hamzawy, Fellow am
Carnegie Endowment for International Peace in Washington, einen recht deprimierten Essay über die Chancen der Demokratie in den arabischen Ländern vor: "Unsere Gesellschaften sind wirklich in einer Krise. Sie schwanken zwischen Zögern und radikaler Entschlossenheit ohne jede Legitimität (Unterstützung durch die Bevölkerung) in Fragen, die für uns
absolut wesentlich sind, wie die Beziehung zwischen Individuum, Gruppe und Staat, die Rolle der Religion in der Politik, die Definition einer bürgerlichen Orientierung für die Politik und - ganz grundlegend - ein System, um Mehrheiten und Minderheiten auszubalancieren. Hier ist die Dominanz einer extremen Kultur der Gewalt zugleich Folge und Ursache für die Unfähigkeit, Mechanismen einer friedlichen Konstruktion von Harmonie zu schaffen." Am beeindruckendsten der Schluss des Artikel: "Heute verweigert mein Geist die Suche nach analytischen Perspektiven oder Formulierungen, die auch nur die
leiseste Hoffnung zurückbringen können."
Prospect, 01.07.2007

Auf dem Titel des Magazins der neue
Premier Gordon Brown, der als erster
Intellektueller in diesem Amt seit, na ja, sehr langer Zeit, unter die Lupe genommen wird. John Lloyd
zeigt sich durchaus beeindruckt von Browns Belesenheit - wenn sie auch nicht alle Gebiete umfasst. "Bei einer der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich ihn getroffen habe, empfahl ich ihm 'Der Leopard', den großen sizilianischen Nachkriegsroman von Giuseppe di Lampedusa, den ich gerade wiederlas. Brown grunzte und ging nicht darauf ein. Mir schien, dass
Romane nicht zu den Dingen gehören, die ihn vordringlich interessieren."
In weiteren Artikeln
zeichnet Daniel Johnson unter anderem ein sehr viel
skeptischeres Bild der intellektuellen Fähigkeiten Browns und Iain McLean
skizziert die britische Vorgeschichte
Intellektueller an der Macht.
Weiteres: Ben Lewis
denkt angesichts von
Damien Hirsts diamantenbesetztem Schädel, den er sehr kritisch sieht, darüber nach, wie man heute "auf oberflächliche Weise oberflächliche von auf tiefe Weise oberflächlicher" Kunst unterscheiden kann und ob das überhaupt lohnt.
Besprochen wird
Ramachandra Guhas Buch zur Geschichte der jüngeren indischen Vergangenheit mit dem Titel "
India after Gandhi". Ausschließlich online gibt es einen
Nachruf auf den Philosophen
Richard Rorty. Außerdem hat
Prospect jetzt ein
Blog mit dem Titel "First Drafts" (also: erste Entwüfe), in dem im ersten Monat seiner Existenz schon sehr viel los war.
Weltwoche, 28.06.2007

Ein wenig vorteilhaftes Bild
zeichnet Beatrice Schlag von der "Auster"
Hillary Clinton, die in ihrem
Kampf um die amerikanische Präsidentschaft die "
Emotionalität einer Parkuhr" verbreite. Von der Hingabe, mit der sie noch während der Lewinsky-Affäre für die Ehre ihres Mannes stritt, sei nichts mehr übrig: "Der Öffentlichkeit vom eigenen Mann als gutgläubige Idiotin vorgeführt zu werden, ist mehr, als die meisten Frauen aushalten. Nicht alle verstanden, warum sie bei ihm blieb. Aber es berührte jeden. Neun Jahre später ist Hillary Clinton eine erfahrene Senatorin und als erste Frau in den USA Favoritin für die demokratische Präsidentschaftskandidatur. Vor diesem nach dem Lewinsky-Skandal unvorstellbaren Comeback will man auch heute noch den Hut ziehen. Schwieriger geworden ist das Bewundern. In eigener Sache ist Hillary Clinton - elende und verbreitete Frauenkrankheit - so
reserviert und spröde, wie sie im Einsatz für ihren Gatten rückhaltlos und leidenschaftlich war. Man hört und sieht ihr zu und spürt - nichts."
Das Autorenduo Sami Yousafzai und Urs Gehriger hat den neuen Militärchef der Taliban,
Mansur Dadullah,
aufgestöbert:, der sich im Interview nicht die Chance entgehen lässt, kräftig dem Westen zu drohen: "Auf einem steinigen Hausboden sitzend, hinter sich eine AK-47 an die Wand gelehnt, gelobt Mansur Dadullah, der sein Alter mit 35 Jahren angibt, das Werk seines Bruders weiterzuführen. Sein Bruder Mullah Dadullah war der legendäre '
Schlächter von Urusgan', der mit gefilmten Enthauptungen und Selbstmord-Attacken die Taliban wieder in die Schlagzeilen brachte. Nach monatelanger Jagd wurde er im Mai von Koalitionstruppen erschossen. Er werde eine neue 'Front von Selbstmordattentätern anführen', verkündet Mansur, an Freiwilligen mangle es nicht."
New York Times, 01.07.2007
Die Autorin
Martha Southgate überlegt in der
Book Review, warum es so wenig erfolgreiche junge
schwarze Schriftsteller in den USA gibt. Toni Morrison etwa habe ihren ersten Roman erst mit fast vierzig veröffentlicht. "Bis dahin hatte sie viele Jahre lang als Lehrerin und Lektorin bei Random House gearbeitet... Was hält uns also auf? Manchmal ist es einfach die ganz normale Schwierigkeit, Familie, Schreiben und Geldverdienen unter einen Hut zu bringen. Doch afroamerikanische Schriftsteller zeugen auch von einem größeren Problem, das man als interne oder
kulturelle Sanktionierung bezeichnen könnte. Es ist einfach schwerer, sich für ein Leben als Schriftsteller zu entscheiden, wenn man kein finanzielles Polster oder keine lange Tradition besitzt, sich in die Boheme zu stürzen."
Weitere Artikel: Andrew Meier hat
Anna Politkowskajas nun auch auf Englisch erschienenes "Russisches Tagebuch"
gelesen, muss aber festellen, dass sie von ihrem
Übersetzer und ihrem Lektor kaum besser behandelt wurde als von
Putin. Besprochen werden unter anderem auch
Mildred Armstrong Kalishs Erinnerungen an ihre Methodisten-Kindheit im Iowa der Großen Depression und
Paul Colliers Vorschläge zur Bekämpfung der Armut "The Bottom Billion".

Im
Magazin berichtet Jack Hitt, wie die
Nasa mit Hilfe von Garagen-Bastlern versucht, ihrer
Mondmission neues Leben einzuhauchen. In einem Wettbewerb hat sie fast alles ausgeschrieben, was man so braucht - vom fliegenden Auto bis zur Mond-Sonde. Als einen der Tüftler stellt Hitt den arbeitslosen Peter Homer aus Maine vor, der es mit seiner Erfindung auf ein Preisgeld von 200.000 Dollar gebracht hat: "Ein
Raumschiff zu erfinden hatte Homer schnell ausschließen müssen, er entschied jedoch, dass die Erfindung eines neues
Weltraum-Handschuhs im Bereich seiner Möglichkeiten lag... Das klingt zwar nicht nach der glamourösesten aller Aufgaben beim Entdecken unbekannter Welten, nicht einmal nach einem großen Problem. Doch ein solcher Handschuh geht mit vielen Widrigkeiten einher, die - wie ein Kieselstein im Schuh - ein Team im Weltraum
halb wahnsinnig machen kann. Weil die Luft im Weltraum-Anzug unter hohem Druck steht, muss ein Astronaut jedes Mal, wenn er einen Muskel bewegt, den Widerstand des Anzugs überwinden. Und wenn es wie bei einer Hand um höchst präzise Bewegungen geht, sind die feinen Sehnen schnell erschöpft und die Finger wundgescheuert."
Merkur, 01.07.2007

Siegfried Kohlhammer
beschreibt, wie Chinas KP den
Nationalismus als ideologisches Mittel zur Unterdrückung der Opposition oder Abwehr der "
geistigen Verschmutzung" durch westliche Ideen nutzt. Dabei werde aber nicht mehr - wie noch unter Mao - der siegreiche Kampf des chinesischen Volkes gegen den Imperialismus beschworen. "Der neue chinesische Nationalismus ist ein '
Opfernationalismus', um eine treffende Formulierung des südkoreanischen Historikers Jie-hyun Lim zu benutzen. Ein solcher Opfernationalismus sollte jedoch nicht mit einer pazifistischen oder passiv-nachgiebigen Politik verwechselt werden; er kann Ressentiments und Hass und den Wunsch nach Rache wecken und schüren sowie als aggressive Rechtfertigung der eigenen Politik, auch der eigenen aggressiven Politik, dienen: Können denn
Opfer Unrecht tun?"
Weiteres: Der in Hongkong lehrende
Soziologe Carsten A. Holz legt offen, wie sich seine Zunft der Chinawissenschaftler ideologisch und finanziell von den Pekinger Machthabern
korrumpieren lässt.
Karl Heinz Bohrer stellt klar, dass ein unabhängiger Geist nicht notwendig subversiv sein muss. Und in einer Ökologiekolumne
prangert der
Zoologe Josef Reichholf die
Fremdenfeindlichkeit deutscher Biologen an, die durch die Einwanderung fremder Arten die
heimische Artenvielfalt bedroht sehen: "Wo kann eine aktuelle Überfremdung drohen, wenn längst über 90 Prozent des Landes von Arten bedeckt sind, die von Natur aus dort gar nicht vorkommen würden?"
London Review of Books, 05.07.2007

Chaohua Wang
erinnert an das Ereignis, an das in China niemand erinnern darf: den Mord an den
Tienanmen-Demonstranten. Wang erzählt eine bezeichnende Anekdote: "Am 4. Juni diesen Jahres trug sich etwas Seltsames zu. In Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sezuan, einer Stadt mit elf Millionen Einwohnern, konnte man in einer Abendzeitung die folgende
Kleinanzeige lesen: 'Ein Salut auf die tapferen Mütter der Opfer des 4. Juni'. Einige Leser entdeckten die Anzeige, scannten sie und stellten sie ins Internet, wo sie sich rasch verbreitete. Die Behörden stellten sofort Nachforschungen an. Innerhalb weniger Tage waren drei Redakteure der Zeitung gefeuert. Wie war es gelungen, die
Mauer des Schweigens zu durchbrechen? Die in den achtziger Jahren geborene junge Frau, die für die Kleinanzeigen zuständig war, hatte denjenigen, der die Anzeige in Auftrag gegeben hatte, angerufen und gefragt, worauf sie sich beziehe. Als man ihr sagte, es gehe um ein Minenunglück, hatte sie sie freigegeben. Sie hatte nie etwas von den
Ereignissen des Jahres 1989 gehört. So frisst die Zensur ihre eigenen Kinder."
Weitere Artikel: Alastair Crooke
sichtet neue Literatur zum
Thema Palästina. Der selbst eminente und bald neunzigjährige Literaturwissenschaftler
Frank Kermode hat sich durch einen Band mit Briefen des eminenten Forschers und Dichters
A.E. Houseman gelesen, die offenkundig nicht zum Spannendsten der Briefliteratur gehören. Außerdem
schlägt das Buch, wie Kermode klagt, von alleine zu, wenn man es loslässt. In den "Short Cuts"
bespricht der Filmkritiker J. Hoberman
Daniel Leabs Geschichte der Entstehung des Films "
Animal Farm" nach dem Buch von George Orwell. In der Kunst-Kolumne
informiert Peter Campbell über die Ausstellung "How We Are: Photographing Britain" in der
Tate Britain.
Magyar Narancs, 28.06.2007

Der Kölner Künstler
Gunter Demnig hat seit 1996
9.000 Stolpersteine in deutschen Ortschaften verlegt, die an die Menschen erinnern, die während des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Nun verlegt er die Steine auch in Ungarn. Szabolcs Molnar hat ihn auf seiner Reise
begleitet: "In
Szolnok blieb ein Greis neben uns stehen.
Barna Szabo, für den wir gerade einen Stein legen, sei der interessanteste Publizist der Stadt gewesen, eine legendäre Figur der literarischen Kaffeehäuser und der beste Freund seines Vaters gewesen, sagte der Herr. In
Szeged wurden wir von einer älteren Dame überrascht, die das Kunstwerk ergänzte, in dem sie plötzlich einen
Kieselstein auf unseren gerade verlegten Stolperstein legte. Für sie, die Tochter des ermordeten
Laszlo Müller, sei es ein ganz besonderes Geschenk, dass sie jetzt in der Stadt ein Stück Erinnerung hat." Nach den ersten 50 Stolpersteinen des deutschen Künstlers wollen Ungarn das Projekt übernehmen: "Die Stolpersteine müssen von der Baubehörde des jeweiligen Ortes genehmigt werden, was bis jetzt problemlos verlaufen ist. Aber die Bürokratie könnte das Engagement bremsen, befürchtet Laszlo Böröcz von der
Galerie 2B, der ungarischen Partnerorganisation des Projektes.?
New Yorker, 09.07.2007

In einem lesenswerten Essay
porträtiert Alex Ross den finnischen Komponisten
Jean Sibelius und seine Musik. "Komponieren ist vermutlich die einsamste aller künstlerischen Beschäftigungen. (...) Namenlose Schrecken schleichen sich in den Schwebezustand zwischen Komposition und Aufführung, solange eine Partitur stumm auf dem Tisch liegt. Hans Pfitzner hat diesen
Moment der Panik und des Zweifels 1917 in seiner 'musikalischen Legende' über den italienischen Renaissancemeister 'Palestrina' dramatisiert. Die Figur des Palestrina spricht für Kollegen quer durch alle Jahrhunderte, wenn er seine Arbeit unterbricht, um zu schreien: 'Was soll das alles?
Ach, wozu nur?' Jean Sibelius hat sich diese Frage womöglich
einmal zu oft gestellt.?
Weiteres: In einer ausführlichen Reportage
berichtet Jon Lee Anderson über den
Opiumkrieg der Taliban in Afghanistan. David Sedaris
räsoniert über ein Leben in einer Welt voller
Antiquitäten. Zu lesen sind außerdem die
Erzählung "If I Vanished" von Stuart Dybek und
Lyrik von
Clive James und
Jean Sprackland. Louis Menand
rezensiert eine Studie über das
Wahlverhalten "The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Politics" (Princeton). Tim Parks
bespricht die Biografie "Garibaldi: The Invention of a Hero" von Lucy Riall (Yale). Anthony Lane
sah im Kino den Science-Fiction-Film
"Transformers" von Michael Bay und
Werner Herzogs "Rescue Dawn", eine fiktionale Fortsetzung seines Dokumentarfilms "Little Dieter Needs to Fly" über den deutsch-amerikanischen Kampfpiloten
Dieter Dengler.
Nur im
Print: ein Text von
Orhan Pamuk über die Ankunft des
Hot Dog in der Türkei und ein Bericht über einen rätselhaften
Meteoriten in New Jersey.
Outlook India, 09.07.2007
Priyamvada Gopal, Professorin für "postcolonial studies" in Cambridge,
wirft Salman Rushdie vor, nur noch den Islamismus, aber nicht mehr den
Westen zu kritisieren: "Als gäbe es nicht auch jüdische Fundamentalisten, die die gleichen Dinge hassen - und außerdem noch die Existenz der Palästinenser! Ist Amerika wirklich ein leuchtendes Beispiel für ein politisches Vielparteiensystem und eine verantwortliche Regierung? Rushdie erwähnt auf seiner Liste der '
wichtigen Dinge' eine 'gerechtere Verteilung der Ressourcen', aber er betont doch das '
Küssen an öffentlichen Plätzen, Schinkenbrötchen und topaktuelle Mode' - Dinge, die vor allem den Glitterati der Metropolen am Herzen liegen." (Diese Dinge liegen auch den
Höhlenbewohner der Metropolen sehr am Herzen, wie eine spontane Umfrage in der
Perlentaucherredaktion ergab.)
Gazeta Wyborcza, 02.07.2007

"Wo sind die Grenzen für die
antideutsche Phobie der polnischen Regierung und ihrer irren Politik gegenüber dem bisher wichtigsten internationalen Partner?",
fragt der
Politologe Piotr Buras. "Während sich in Deutschland die Überzeugung durchsetzt, dass es eine antideutschere polnische Regierung in absehbarer Zeit nicht geben wird, können wir sicher sein, dass in den kommenden Jahren mit einer
pro-polnischeren Regierung in Deutschland nicht zu rechnen sei. (...) Man kann nur hoffen, dass entweder unsere Regierung vernünftig wird oder dass bald jemand anderes regiert. Und dann werden die Deutschen sehen, dass man mit Polen doch vernünftig reden kann - über gemeinsame und gegensätzliche Interessen."
Philip Zimbardo, Autor des berühmten
Gefängnisexperiments, hat ein neues
Buch zum Skandal von
Abu Ghraib geschrieben, das Artur Domoslawski
bespricht. "In Abu Ghraib hatten die Befehlshaber und auf höherer Ebene die US-Regierung eine Situation herbeigeführt, in der nicht nur die Inhaftierten, sondern auch die Wärter zu Gefangenen wurden. Wer die Regeln macht, ist mitverantwortlich. Nur wurde keiner der Schöpfer des Systems je angeklagt." Das System, konkreter: der Druck von seiten der Vorgesetzten, die
Verhörtechniken 'effizienter' einzusetzen, führte dazu, dass ganz normale Menschen zu Monstern wurden - das nennt Zimbardo den "
Luzifer-Effekt".
Bauten der
Moderne galten im post-1989 Polen als hässliches Erbe der kommunistischen Zeit. Erst langsam macht sich ein Bewusstsein für ihre kulturhistorische Bedeutung breit. Davon zeugt eine
Ausstellung, die letzte Woche im Warschauer
Zentrum für Zeitgenössische Kunst eröffnet wurde. Auf PR-Berater macht die Platte aber noch keinen Eindruck, erkennt Anna Zymer: "Die Ausstellung zeigt, wie das in
Plattenbausiedlungen organisierte Leben die polnische Kultur beeinflusst hat. (...) Sie zeigt die 'Betonwüsten' als einen Schmelztiegel, in dem künstlerische Ideen entstanden und entstehen. Der fehlende Wille von Sponsoren, im Kontext der Ausstellung ihr Logo zu platzieren zeigt, dass das
negative Stereotyp der Platte immer noch wirkt."
Al Hayat, 01.07.2007
Mit Verbitterung
schreibt die libanesische Kolumnistin
Dalal al-Bizri über die Ereignisse in
Gaza: "Die 'Sieges'-Feierlichkeiten gehen in unseren Ländern weiter. Jetzt ist Gaza an der Reihe. So sprach (der politische Führer der Hamas)
Khaled al-Mashal aus Damaskus von einem '
Sieg des Islam' in Gaza. Einem Sieg durch Niedermachen, Zerstören, durch Gemetzel, durch das
Runterstoßen der Menschen von Gebäuden, durch Angriffe auf die verbliebenen Christen und deren Kirchen." Im Unterschied zu vergangenen Erfolgen der Islamisten, die sich, wie die Nazis in Deutschland, durch Wahlen etablieren konnten, handle es sich bei der Machtübernahme der Hamas in Gaza nun um einen
Putsch bewaffneter Milizen. "Was aber will die Hamas wirklich?", fragt Bizri und verweist auf ein
Interview, welches
Mahmoud Zahar, ein Führungsmitglied der Hamas, kürzlich
Spiegel Online gab: "In dem Interview bestätigte er, das die Hamas 'natürlich einen islamischen Staat gründen' wolle, 'aber mit der Unterstützung des ganzen Volkes.' Dass heißt, nachdem man die Kontrolle über den Verstand und den Geist der Bevölkerung gewonnen hat."
Von der wachsende Bedeutung des Islam in den lokalen Kämpfen
berichtet auch Muhammed al-Haddad: "In der
Zeit des Kolonialismus war die Religion ein Faktor, der die Identität bewahren half, aber niemand strebte danach, nach dem Kolonialismus ein religiöses Emirat einzurichten. Die ausgegebene, vereinende Parole war 'Unabhängigkeit', ohne religiöse Programmatik. Es gibt nicht eine arabische Gesellschaft, deren Befreiung vom Kolonialismus von einer religiösen Bewegung verwirklicht worden wäre. Alle arabischen Gesellschaften wurden von
politischen Bewegungen befreit, die unter der Parole der Einheit und der Zusammengehörigkeit der Nation angetreten waren."