Magazinrundschau

Seyla Benhabib: Anatolien hat gesprochen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
17.07.2007. Die ungarische Demokratie ist in Gefahr, warnt Peter Nadas in Elet es Irodalom. In Nepszabadsag betrachtet Eszter Babarczy verwirrt die Symbolpolitik des Westens. Im New Yorker beschreibt William Dalrymple das Dilemma der bürgerlichen Opposition in Pakistan. In Reset.doc erklärt Seyla Benhabib den Kampf zwischen alten und neuen Eliten in der Türkei. Der Nouvel Obs staunt über die neue französische Justizministerin Rachida Dati. Der Economist beschreibt die Wende zur digitalen Projektion im Kino.

Elet es Irodalom (Ungarn), 13.07.2007

Die ungarische Demokratie ist ernsthaft in Gefahr, warnt der Schriftsteller Peter Nadas in einem langen Essay. Die korrupte Einstellung von Spitzenpolitikern und hohen öffentlichen Amtsträgern schwächten das Vertrauen der Bürger in die Demokratie. Die Anhänger der Demokratie unter den Politikern "hinterziehen Steuern, stellen falsche Rechnungen aus, zahlen ihre Ärzte schwarz, verfälschen offizielle Berichte, stecken Schmiergelder in die Tasche und illegales Geld in die Parteikasse. (...) Die Feinde der Demokratie handeln nach einer ähnlichen Logik: Sie berufen sich auf Gesetze, um die Demokratie zu unterhöhlen und diese Gesetze letztendlich außer Kraft zu setzen. Auch sie fressen die Staatskasse aus persönlichen oder Parteiinteressen an. (...) In der Demokratie sind Anhänger und Feinde der Demokratie kaum auseinander zu halten, was die Sache der Letzteren erleichtert. Die Demokratie gerät in eine Spirale des Scheiterns, woran vor allem die Ersteren schuld sind. Weder finanzielle Transaktionen noch Moralprediger können ein Land aus dieser Spirale befreien. Es würde nur helfen, wenn man dem Gesetz folgen würde, aber das hängt nicht von einer Entscheidung, sondern von der Mentalität ab. Je tiefer die Demokratie in die Spirale gerät, desto weniger fühlen sich Einzelne und Familien in Sicherheit, desto weniger folgen sie dem Gesetz."
Stichwörter: Geld, Nadas, Peter

Nepszabadsag (Ungarn), 11.07.2007

Die ungarische Linke hat sich spurlos aufgelöst, stellt die Soziologin Eszter Babarczy fest. "In Ungarn gibt es keine linke Politik mehr, nur linke Parolen - im konservativen Lager. Das ist sehr verwirrend." Und es ist nicht nur in Ungarn so, glaubt Babarczy. "In der westlichen Welt unterscheiden sich die Parteiprogramme der Linken oder Rechten nur noch durch die 'Werte' und durch einige symbolische Fragen, wie die Einstellung zur Abtreibung, zum Irakkrieg, zur Verwendung religiöser Symbole im öffentlichen Raum. Seit der Wende wird auch bei uns gerne Politik mit Symbolen gemacht, aber sie sind eher dazu da, das eigentliche politische Geschehen zu verbergen. Durch Symbole wird die emotionale Spannung aufrechterhalten, in Debatten über den Standort der Heiligen Krone, über Gedenktage oder durch gegenseitige Anschuldigungen, der sei ein Kommunist, jener ein Antisemit. Nur: In was für einem Land wir leben wollen, davon ist nie die Rede." (Klingt das nicht wie bei uns?)
Archiv: Nepszabadsag

New Yorker (USA), 23.07.2007

In einem Brief aus Pakistan beschreibt William Dalrymple die drei Kräfte, die General Musharraf in die Zange nehmen: die bürgerliche Opposition, die ihrem Ärger über die Militärregierung im März bei einer Demonstration von mit Regenschirmen bewaffneten Anwälten Luft machte. Dann die Religiösen, die Pakistan auf politischem Weg in ein "System des Propheten" verwandeln wollen. Und drittens die Islamisten, die bis vor ein paar Tagen die Rote Moschee besetzt hielten. Spielen die Bürgerlichen, zu denen auch die Anwältin Asma Jahangir gehört, den Islamisten in die Hände? Dazu meint ein Redakteur der Post in Lahore: "Jahangir ist tapfer und furchtlos. Sie ist immer für die richtige Sache aufgestanden... Aber ihr politisches Urteil ist eine andere Sache. Sie ist ein Verfechter der Demokratie, im guten wie im bösen, und die Situation in Pakistan ist im Augenblick extrem komplex. Wird es eine islamische Revolution geben? Ich persönlich glaube nicht, dass die Islamisten kurz vor der Machtergreifung stehen, aber wir können die wachsende Macht der Militanten nicht ignorieren. Asma ist eine Idealistin und manchmal ist es in diesem Teil der Welt besser, ein Realist zu sein." Am Ende des Artikels erinnert die Herausgeberin der Friday Times allerdings an einige berühmte Idealisten, die die Realisten ihrer Zeit glatt widerlegten.

David Denby untersucht die Entwicklung der romantischen Komödie seit Capras "It happened one night". Anlass für diesen Essay ist Judd Apatows Film "Knocked Up", den Denby als "Schlüsselfilm" unserer Zeit, "ein rohes, misstönendes Äquivalent zu 'Die Reifeprüfung'" bezeichnet: "Gab es jemals zuvor einen Filmhelden, der absolut keine Sehnsucht hatte, die Welt zu beeindrucken und trotzdem das Mädchen kriegte? Und die Frauen in den früheren romantischen Komödien - sie waren vielleicht verrückt oder hart oder übermütig, aber sie waren nie ausdruckslos."

Weitere Artikel: Atul Gawande kommentiert die gegenwärtige Debatte über das amerikanische Gesundheitssystem uind kommt dabei noch einmal auf Michael Moores Film "Sicko" zurück. David Denby sah im Kino die Verfilmung des Broadway-Musicals "Hairspray" mit Nikki Blonsky, Christopher Walken und John Travolta sowie den Pixar-Zeichentrickfilm "Ratatouille". Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Shauntrelle" von Antonya Nelson und Lyrik von Rachel Hadas und David Ferry. Nur im Print: Oliver Sacks über die Mysterien der musicophilia und ein Porträt des amerikanischen Zeitschriftenmilliardärs Mortimer Benjamin "Mort" Zuckerman.
Archiv: New Yorker

ResetDoc (Italien), 16.07.2007

Die neue Ausgabe von Reset.doc ist der Türkei gewidmet. Dort finden nach missglückter Präsidentschaftwahl und E-Putsch am Sonntag Wahlen statt. Die in Yale lehrende Philosophin Seyla Benhabib sieht im Land nicht nur einen Kampf zwischen Laizität und Islam toben, sondern auch einen zwischen alter und neuer Elite: "Die CHP, die republikanische Volkspartei, ist Atatürks alte Partei und repräsentiert das Militär, den Öffentlichen Dienst, die Judikative und die Lehrer. Das sind alles die säkularen Elemente, auf denen die Republik gründet, und ihre Politik birgt viel Jakobinertum in sich - nicht, weil sie revolutionär sind, sondern weil sie den Staat über alles stellen, die Republik ist für sie alles, das Individuum nichts. Und sie fühlen sich extrem bedroht... Die Basis der AKP ist das Kleinbürgertum, nicht das Bürgertum, sondern die Händlerschicht, die sich sehr an Mittelklasse-Werten orientiert. Es sind Menschen, die an das Privateigentum glauben und vielleicht ein kleines Stück Land, ein Haus und ein Auto besitzen. Diese neue anatolische Bourgeoisie hatte nie eine Rolle in der türkischen Politik gespielt. Aber jetzt hat Anatolien gesprochen."

Die Istanbuler Soziologin Nilüfer Göle weist auf die negativen Effekte hin, die Europas "exklusive Politik" gegenüber der Türkei auf das Land hat, besonders Nicolas Sarkozys eindeutige Äußerungen: "Es war, als wäre der türkischen Gesellschaft der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, ein Teppich, von dem die Menschen glaubten, er gehörte ihnen seit Jahrhunderten. Der Nationalismus wächst und beschränkt sich nicht mehr auf die untere Mittelklasse oder marginalisierte, ungebildete Bereiche der Gesellschaft. Selbst die größten Pro-Europäer wenden sich dem Nationalismus zu. Die Fähigkeit, die Spannungen zwischen Säkularismus und Islam zu lösen, ist geschwächt wie auch das europäische Projekt keinen Rahmen mehr für demokratische Politik und Konsens in der türkischen Politik bildet."
Archiv: ResetDoc

Nouvel Observateur (Frankreich), 12.07.2007

Unter der Titelzeile "Ikone und eiserne Lady" porträtiert der Obs den unaufhaltsamen Aufstieg der französischen Justizministerin maghrebinischen Ursprungs Rachida Dati, die zu einem Alter ego von Nicolas Sarkozy wurde und vielen als zweiter Rastignac gilt. "Aufrichtig oder fürchterliche Karrieristin? Authentisch oder Blenderin? Selten lief die Gerüchteküche derart auf Hochtouren. Gerüchte, die klassischerweise Frauen vorbehalten sind, vor allem, wenn sie zu hübsch sind." Auch der linksbürgerliche Obs ist wirklich erstaunt, dass man mit dieser Herkunft eine solche Karriere machen kann: "Rachida Dati, 41 Jahre, Tochter eines algerischen Maurers und einer marokkanischen Hausfrau, elf Brüder und Schwestern, aufgezogen in der katholischen Schule von Chalon-sur-Saone, Studium der Jura- und Wirtschaftswissenschaften, finanziert duch Stipendien und Jobs, dann Richterin, entdeckte man sie als Sprecherin von Sarkozy, schlagfertig und hart."

Außerdem beginnt heute eine Sommerserie, in der Intellektuelle aller Gewerke Auskunft über ihre Zunft und ihre Arbeit geben. Den Anfang macht der Komponist Pascal Dusapin, der in diesem Jahr den "chaire de creation artistique" am College de France innehat. Es folgen unter anderem der italienische Regisseur Francesco Rosi, der amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins und der Schweizer Kritiker Jean Starobinski.

Economist (UK), 13.07.2007

Lange schon wird die Wende zur digitalen Projektion im Kino prophezeit - nun scheint sie wirklich zu kommen, wie der Economist berichtet: "Eine rasant wachsende Zahl von Kinos rüstet um aufs Digitale. Auf mehr als 3000 Leinwänden in Nordamerika werden bereits digitale Kopien gezeigt, etwa zwei Drittel davon sind im vergangenen Jahr dazugekommen. Manche arbeiten mit Satellitendownloads von Filmen und Werbung, andere lassen sich die Filme auf Festplatten liefern (die sehr viel kleiner, leichter und billiger sind als herkömmliche Filmspulen). Die größten Kinoketten der USA, die der Entwicklung bisher hinterherhinkten, werden im nächsten Jahr mit der Umrüstung beginnen. Und Europa, das noch weiter zurück lag, dürfte dank eines in diesem Monat verkündeten Deals mit zwei Hollywood-Studios jetzt auch aufholen."

Noch mehr Zukunft des Kinos: Es sieht so aus, behauptet der Economist, als könnte 3-D dank deutlich verbesserter Technologien jetzt doch noch den großen Durchbruch erleben.Berichtet wird über den russischen Kunstmarkt, auf dem vor allem russische Kunst bestens geht. Außerdem stellt der Economist junge Internet-Suchmaschinen - wie GlobalSpec oder MedStory - vor, die durch Spezialisierung gegen Google punkten wollen. Besprechungen gibt es zu zwei Büchern über die Heroen der Quantenphysik und einer Biografie der im 18. Jahrhundert lebenden britischen Reisenden Elizabeth Marsh.

Die Titelgeschichte widmet sich den derzeitigen Wirtschaftserfolgen in Europa - und insbesondere in Deutschland, dessen wirtschaftlichem Glanz und Elend gleich zwei Artikel gewidmet sind.
Archiv: Economist

Foglio (Italien), 14.07.2007

Nach fünfzig Jahren wird Alberto Arbasinos Roman "Le piccole vacanze? wieder aufgelegt, ein Grund für Camillo Langone, tief zum Sommer wie er einmal war hinabzutauchen. "Schon lange vorbei sind die Fünfziger, in denen die Ferien zwar klein, aber eben noch Ferien waren, viel Platz und eine Zeit, die gleichsam aufgehoben war wie in den Gedichten von Cradarelli (nicht umsonst heißt seine erste Erzählung 'Weiter Sommer') Höchstens ein kurzes Teleonat ab und zu, am Fersnprecher, um zu erfahren ob zu Hause alle noch lebendig waren. Man trank Tamarinde oder auch Negroni, man fuhr im Spider herum oder im Kombi (giardinetta), ein schönes Wort für die gstreckte Version des neuen Fiat 500."

Weiteres: Fabiana Giacomotti stellt die derzeit begehrteste Konsumentenklasse vor: Erwachsene im Jugendwahn, sogenannte Kidults. Und Roberta Tatafiore würdigt Harry
Benjamin und Hans Magnus Hirschfeld und ihre Forschungen zu Transvestiten.
Archiv: Foglio
Stichwörter: Hirschfeld, Magnus, Fiat

New Statesman (UK), 16.07.2007

Alice O'Keeffe berichtet von der aufgeheizten Stimmung im Venezuela von el Presidente Hugo Chavez: "Die Menschen in Caracas sagen einem ihre Meinung, noch bevor sie sich vorgestellt haben. Auf meinem ersten Ausflug in die Straßen der Stadt, fragt ich einen Buchhändler, wo ich eine Karte kaufen könnte. Er fasste mich heftig am Arm und erwiderte: 'Es gibt nur eine Sache, die Sie über Caracas wissen müssen, nämlich dass wir Revolutionäre sind!' Die ganze Bevölkerung ist politisiert; gespalten in zwei Lager, die sich feindlich gegenüberstehen: Chavistas und die abschätzig 'Esqualidos' genannten Oppositionellen - die 'Schwächlinge'. Die Debatte wird so wütend geführt, dass die Situation oft als Kalter Bürgerkrieg beschrieben wird. Mit einem machtverrückten Chavez am Ruder, ist die Gefahr groß, dass er nicht kalt bleibt."

Übernommen wurde außerdem die Rede, die Wim Wenders letzten November in Berlin auf der Konferenz "Europa eine Seele geben" hielt.
Archiv: New Statesman

Magyar Narancs (Ungarn), 13.07.2007

Der ungarische Staatssekretär Gabor Szetey hat als erstes Regierungsmitglied Ungarns seine Homosexualität öffentlich gemacht - in seiner Eröffnungsrede des Schwulen- und Lesben-Festivals in Budapest. Das Festival endete gewaltsam: Rechtsextreme attackierten Teilnehmer des Festivals. Im Interview mit Szilvia Szilagyi sagt Szetey: "Die Gesichter und Symbole der Homosexuellen-Gegner bei der Parade 2007 waren die gleichen wie bei den Unruhen von 2006. Es handelt sich um eine kleine, aber laute rechtsradikale Gruppe, die alle brüskieren will... Laut einer Umfrage von Szonda-Ipsos fanden 51 Prozent der Befragten meine Rede mutig und meinten, sie trage zur Verbesserung der Situation der Schwulen bei. Es ist doch merkwürdig, wie wichtig es den Konservativen ist, dass unsere Nachbarstaaten mit den ungarischen Minderheiten korrekt umgehen, während ihnen die Gleichberechtigung im eigenen Land egal ist. Trotzdem: in den siebzehn Jahren seit der Wende hat die ungarische Gesellschaft so große Fortschritte gemacht, dass sie keine Angst mehr von den Drohungen einiger Rechtsradikalen haben sollte."
Archiv: Magyar Narancs

Espresso (Italien), 13.07.2007

Nachdem die Atheisten in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg verstummten und sogar die Kommunisten um katholische Wähler buhlten, ist nun wieder ein offener Krieg ausgebrochen, notiert Umberto Eco. "Wir befinden uns am Anfang eines Prozesses von Aktion und Reaktion, wobei nicht klar ist, ob die Sanfedisti (die sich um 1800 herum gegenrevolutionär für die Allianz von Thron und Altar einsetzten) die Antiklerikalen herausgelockt haben oder umgekehrt. Deutlich wird dieses Phänomen jedenfalls im politischen Gebrauch der Religion durch Fundamentalisten diverser Coleur, von Washington bis Teheran, in der unglaublichen Rückkehr der antidarwinistischen Polemik und dem frontalen Angriff gegen den angenommenen Relativismus der modernen Wissenschaft. Bei uns sieht man es etwa am Family Day."

"Man verurteilt keinen Schriftsteller zum Tode", diktiert der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in seinem Unterstützungsartikel für Salman Rushdie allen fanatischen Hetzpredigern ins Stammbuch.
Archiv: Espresso

Spectator (UK), 14.07.2007

Ross Clark hegt imperiale Träume. Diesmal ist es nicht Rom, sondern der Stadtstaat Venedig, der als Referenz zur boomenden Metropole London herhalten muss, deren Einwohner im Durchschnitt die Hälfte mehr verdienen als der provinzielle Engländer. "Londons Ruf ähnelt dem von Venedig in seiner Blütezeit, nicht als mächtigste Stadt der Welt, aber als ihre beste Adresse. In den vergangenen zwölf Monaten sind die Hauspreise in Londons besten Straßen um 30 Prozent gestiegen, angetrieben von der Nachfrage de Reichen aus der ganzen Welt. Hinter den Fassaden werden 15 Millionen Pfund teure Wohnungen zu 30 Millionen-Palazzi umgebaut - und das alles während der Hausmarkt in New York langsam aber sicher fällt. Die Reichen dieser Welt wollen aus dem gleichen Grund nach London kommen wie in das Venedig des 14. Jahrhunderts. Es ist ganz einfach der beste Ort, um Geschäfte zu machen."
Archiv: Spectator
Stichwörter: Venedig

Weltwoche (Schweiz), 12.07.2007

Pierre Heumann hat in der Türkei Stimmen gesammelt, die vor einer wachsenden Islamisierung des Staates warnen. "Die AKP besetzt die Verwaltung gezielt mit konservativen islamischen Beamten. Die Islamisten beeinflussen die Kinder, wie der Besuch einer Istanbuler Schule zeigt. Im Unterrichtsbereich, sagt ein Lehrer, seien 98 Prozent aller neuen Stellen mit Angehörigen der muslimischen Lehrergewerkschaft besetzt worden. 'Zwei Drittel der frisch ernannten Schulleiter sind bei der islamistischen Lehrergewerkschaft eingeschrieben.' Ihr Vordringen hat Konsequenzen: Die Zahl der Gebetsstätten an den Schulen steigt. Fromme Rektoren stellen ihr Zimmer für ein Gebet zur Verfügung oder dispensieren Berufsschüler fürs Freitagsgebet. Während der Ferien besuchen Schüler Koranschulen, die von Moscheen finanziert werden. Hinter diesen privaten Initiativen stecken oft türkische Islamisten, die vom Ausland aus operieren. Zum Beispiel Fethullah Gülen, einer der prominentesten türkischen Religionsführer. Er investiert in ein Netzwerk von Schulen, Gymnasien und Universitäten. Gülen hat ein klares Ziel: eine 'goldene Generation' von Muslimen heranzuziehen, um die 'moralischen Werte' des Islam voranzubringen und die Politik auf einen religiösen Kurs zu trimmen."
Archiv: Weltwoche

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 11.07.2007

Anisa Mukhaldi berichtet über die zunehmende Nutzung arabischsprachiger Satellitensender unter Immigranten in Frankreich - "eine natürliche Folge der kulturellen und sozialen Isolation, in der sie leben", wie es ein befragter Soziologe formuliert. "Sie wurden in den Vororten der Städte und in ärmlichen Gegenden angesiedelt, in denen alles fehlt, was das Erreichen von Wohlstand erst ermöglichen könnte. Kinos, Museen, Bibliotheken und Opern gibt es in der Regel nur in den Stadtzentren. Diese räumliche Isolation hält sie auf Distanz zum intellektuellen und kulturellen Leben. Wenn sich die Immigranten zu den arabischen Satellitensendern flüchten, dann fliehen sie auch vor den negativen Bildern, die die französischen Medien von ihnen vermitteln. Hier spricht man von ihnen nur in Stereotypen und abgenutzten Klischees: Terror, Revolten, Gewalt, Gesetzesbrüche." (Für Deutschland kam eine WDR-Studie jüngst zu einem optimistischeren Befund. Von einem "Medienghetto" kann danach keine Rede sein.)

Begeistert bespricht Muhammad al-Mazdiwi das Buch "Walter Benjamin. Le chiffonnier, l'ange et le petit bossu" von Jean-Michel Palmier. Das Buch ist für ihn Grund genug, an den großen Einfluss Benjamins unter progressiven arabischen Intellektuellen während der 70er und 80er Jahre zu erinnern. Er schließt mit der Hoffnung, es möge einst jemand ein Buch über einen "arabischen Walter Benjamin" verfassen.

New York Times (USA), 15.07.2007

Steven Erlanger, Chef des New York Times-Büros in Jerusalem, porträtiert für das Magazine einen Hamas-Funktionär, der eine wichtige Rolle bei der Einnahme des Gaza-Streifens spielte: "Khaled Abu Hilal, ein dünner grauhaariger Kettenraucher, der den Rauch einsaugt wie ein Lungenkranker den Sauerstoff, steht im Zentrum der Revolution. Unter den weltlichen, nationalistischen Fatah-Anhängern ist er eine verhasste Figur. Sie sehen ihn als einen Abweichler, der die Implosion in Gaza mit inszenierte. Aber sein Weg vom Fatah-Kämpfer über den Gefangenen der Israeli zum angeekelten Fatah-Abtrünnigen, der sich mit der Hamas verbündete, ist der Weg von Gaza. Sein Zorn über Mahmud Abbas - Arafats Nachfolger als PLO-Chef und heutiger Chef der Palästinenser-Regierung - und über das, was er als die endlosen, vergeblichen und erniedrigenden Mühen einer korrupten Fatah zur Anerkennung durch Israel sieht, wird von einer wachsenden Zahl von Palästineners geteilt."

Sehr interessant auch Mark Oppenheimers Porträt des Schauspiellehrergurus Milton Katselas aus Hollywood, der auf diskrete Weise eine Menge bekannter Schauspieler zur Scientology-Sekte bekehrte.

In der New York Times Book Review zitiert Rachel Donadio, Redakteurin der ehrwürdigen Beilage, einige kritische Stimmen über Rushdie aus dem Jahr der Fatwa - etwa John Le Carre, der Rushdie aufforderte, die "Satanischen Verse" zurückzuziehen - um zum Ergebnis zu kommen, dass sie angesichts des jüngsten Ritterschlags des Autors durch das britische Establishments womöglich recht hatten. Besprochen werden neue Bücher über Hillary Clinton, eine Reisereportage Colin Thubrons über die Seidenstraße und Tom Segevs Buch über den Siebentagekrieg von 1967.
Archiv: New York Times