Magazinrundschau

Timothy Garton Ash: Die Zeit wird Günter Grass verzeihen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.07.2007. Im Spiegel verteidigt Alexander Solschenizyn den KGB-Mann Wladimir Putin. In der New York Times porträtiert Bernhard-Henri Levy Nicolas Sarkozy als Freibeuter nationaler Identitäten. Magyar Hirlap versteht die Wut der Kaczynskis auf Europa. Nepszabadsag spürt es in Ungarns Tiefe gären. In Edge bereitet uns Kevin Kelly darauf vor, ein halberwachsenes Technium gehen zu lassen. Der New Yorker porträtiert Abraham Burg, den Herold des Zionismus und seines Endes. Der Spectator feuert Boris Johnson an, der jetzt Bürgermeister von London werden will. Für die New York Review of Books gibt Timothy Garton Ash Günter Grass einen halben Punkt. Und der Economist vermisst Reiche in Berlin.

New York Review of Books (USA), 16.08.2007

Timothy Garton Ash liefert eine einerseits positive Besprechung von Günter Grass' "Peeling the Onion", kommt aber auch nochmal auf die Affäre um die Enthüllung seiner SS-Mitgliedschaft zurück. Zwar gibt er Grass einen "halben Punkt" in seiner Kritik an der FAZ, aber eben nur einen halben, weil Grass seinem eigenen moralischen Anspruch durch Verschweigen des biografischen Details nicht gerecht wurde. Garton Ash schließt: "Die Zeit wird Günter Grass verzeihen. Denn die deutsche Sprache lebt durch ihn wie auch, anders, durch Christa Wolf, und den Lyriker, mit dem er sich in Paris anfreundete, während er die "Blechtrommel" schrieb, Paul Celan. Seine unerschrockensten Verteidiger sagen, dass auch seine politische und moralische Autorität unangetastet bleibt. Das scheint mir, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Aber auch von seinem Engagement bleibt etwas. Seinen besten politischen Beitrag leistete er für die deutsch-polnische Versöhnung."

Russell Baker unternimmt eine tour d'horizon durch die amerikanische Zeitungskrise, kommt auf das Versagen der Zeitungen im Vorfeld des Irak-Kriegs zurück, auf den Verkauf von Familienunternehmen an anonyme Investoren und auf das Verhältnis der Zeitungen zum Internet, das sie schwächt, ohne sie ersetzen zu können. Neben zwei Büchern erwähnt er dabei auch eine Rede (hier als pdf) des ehemaligen LA-Times-Redakteurs John Carroll, die die veränderte Ökonomie der Information reflektiert: "Wie das Internet die Zeitung als Informationsquelle ersetzen soll, wird von jenen, die das behaupten, nie erklärt. Achtzig Prozent aller Nachrichten im Internet gehen auf Zeitungsquellen zurück, schätzt John Carroll. Keine einzige Internetfirma hat die Ressourcen, die eine mittlere Tageszeitung braucht, um Nachrichten zu bündeln und herauszubringen. Und Firmen wie Google oder Yahoo haben kein Interesse, seriösen Journalismus zu betreiben."

Magyar Hirlap (Ungarn), 17.07.2007

Die Westeuropäer haben kein Verständnis für die Wut der Kaczynski-Brüder auf Europa, weil sie die polnische Geschichte nicht kennen, schreibt der Historiker Miklos Kun. "Die Welt weiß nur, dass die Nazis während des Zweiten Weltkriegs ein Blutbad in Polen verübt hatten. Dass die Henker des sowjetischen Geheimdienstes beim Massaker von Katyn mehrere tausend polnische Offiziere und Zivilisten - mit deutschen Waffen - ermordet haben, ist weniger bekannt. Der niederträchtige Verrat der Sowjetunion am Warschauer Aufstand 1944 ist genauso wenig bekannt. Nach den neuesten Veröffentlichungen wurden von 1939 bis 1945 knapp 1,5 Millionen Staatsbürger Polens in sowjetische Todeslager, Gefängnisse, Arbeitslager deportiert... Kann man die Vergangenheit einfach auslöschen? Kann man von der konservativen Regierung Polens heute erwarten, dass sie widerstandslos zusieht, wie Polen den Status einer mittelgroßen Macht in der EU - und damit das Gefühl der Sicherheit - allmählich verliert? Sind die tagtäglichen polenfeindlichen Ausfälle Moskaus von Gewissensbissen oder eher Rachsucht getragen?"
Archiv: Magyar Hirlap

Gazeta Wyborcza (Polen), 23.07.2007

Über das Wesen des Menschen und Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit spricht der liberale Philosoph Ronald Dworkin im Interview mit der polnischen Tageszeitung. Ein wichtiges Gesprächsthema ist auch das Verhältnis von Demokratie und Religion: "Der Staat sollte niemanden zu etwas zwingen, was seine Religion abehnt. Natürlich gibt es auch da Grenzen... Wir sollten uns bemühen, unsere Rechtsordnung so zu gestalten, dass sie Religionen und anderen Moralvorstellungen nicht widerspricht... Die Religion gehört zur ethischen Intimsphäre, und ich finde, dass sie besondere Rechte in der Gesellschaft verdient. Der Staat sollte keine Gewissensnormen vorschreiben, aber ich finde es auch nicht diskriminierend, wenn auf unseren Banknoten steht 'In God we trust'."

Weiteres: Cristian Mungiu hat auf dem Filmfestival "Era New Horizons" in Wroclaw (Breslau) seinen Cannes-Gewinner "Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage" dem polnischen Publikum vorgestellt. Im Gespräch mit Pawel T. Felis erklärt der Regisseur, warum jetzt in Rumänien - im Gegensatz zu Polen - so viele Filme über die jüngere Vergangenheit entstehen: "Das sind keine historischen Filme, sondern sehr persönliche Geschichten der Regisseure. Es sind 30- bis 40-Jährige, die ihre Themen nicht in Büchern oder Zeitungen suchen, sondern davon erzählen, was sie selbst erlebt haben. Es kommt eine Zeit, da will man mit der Vergangenheit abrechnen - vor allem mit der privaten. Ich hätte meinen Film nicht vor fünf oder zehn Jahren gedreht, und ich plane auch keinen weiteren über diese Zeit."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Edge.org (USA), 18.07.2007

Kevin Kelly, einer der Künder der "Dritten Kultur", erklärt in der neuen Nummer von edge den von ihm geprägten Begriff des "Techniums" (mehr auf Kellys Homepage). Darunter versteht er das Ensemble aller sich anbahnenden und vernetzten technologischen und wissenschaftlichen Revolutionen, besonders auch in Genetik und Biowissenschaft, die alle möglichen unheimlichen Konsequenzen haben können und beherrscht werden müssen. "Ich versuche, das Technium als ein Kind der Menschheit zu denken. Unser Job wird es sein, das Technium zu erziehen, ihm Prinzipien mitzugeben, denn ab einem gewissen Niveau und Alter wird es sehr viel selbständiger werden als es jetzt ist. Es wird uns verlassen, wie ein Teenager, der seine eigenen Wege geht: Und auch wenn es nach wie vor mit uns interagieren und ein Teil von uns sein wird, werden wir es gehen lassen müssen."
Archiv: Edge.org

Spiegel (Deutschland), 23.07.2007

In einem epischen Interview, das auszugsweise online zu lesen ist, spricht der große Alexander Solschenizyn über die schleppende Aufarbeitung der sowjetischen Vergangenheit, seine von Trotzki inspirierte Ablehnung der Parteien sowie die "verantwortungslosen" Reformer Gorbatschow und Jelzin. Und er erklärt, warum er kein Problem damit hat, von KGB-Mann Wladimir Putin den russischen Staatspreis zu erhalten: "Putin übernahm ein Land, das ausgeplündert und völlig aus dem Gleichgewicht gebracht worden war, mit einer großenteils entmutigten und verarmten Bevölkerung. Er schickte sich an, das zu tun, was möglich war - und möglich war eben ein langsamer, schrittweiser Wiederaufbau. Diese Bemühungen wurden nicht gleich bemerkt und erst recht nicht gewürdigt. Können Sie überhaupt Beispiele aus der Geschichte nenen, wo Bemühungen um die Wiederherstellung einer starken Staatsführung von außen wohlwollend registriert wurden?"
Archiv: Spiegel

New Yorker (USA), 30.07.2007

David Remnick porträtiert den ehemaligen Knesset-Präsidenten und Chef der Jewish Agency, Avraham Burg, der mit seinem jüngsten Buch "Hitler besiegen" und einem Interview in der Haaretz gewaltiges Entsetzen ausgelöst hat. Ausführlich zitiert Remnick, wie Burg das Ende des Zionismus konstatiert: "'Die Menschen wollen es noch nicht zugeben, aber Israel hat die Grenze erreicht. Fragen Sie Ihre Freunde, ob sie sicher sind, dass ihre Kinder hier noch leben werden. Wie viele werden ja sagen? Höchstens 50 Prozent. Die israelische Elite hat doch längst mit diesem Ort abgeschlossen. Und ohne Elite gibt es keine Nation... Wir sind schon tot. Wir haben es nur noch nicht in den Nachrichten gehört, aber wir sind tot. Es funktioniert nicht mehr.'"

Weiteres: Ian Parker geht der Frage nach, ob die Bonobos wirklich so friedliebend sind, wie alle denken. Zu lesen sind außerdem eine Erzählung von A.L. Kennedy und Lyrik von Vera Pavlova und Glyn Maxwell.

Angenehm "entzaubert" findet Schjeldahl die kunsthistorische Studie über Gustave Courbet "The Most Arrogant Man in France". Jeffrey Frank stellt den Roman "The Exception" des dänischen Autors Christian Jungersen vor, in dem Behördenpolitik mörderisch wird. "Drahtseilakt" überschreibt Sasha Frere-Jones seinen Bericht über den Genrewechsel von Damon Albarn, Sänger der Band Blur, der die Musik für die in Manchester uraufgeführte Oper "Monkey: Journey to the West" geschrieben hat. Alex Ross berichtet von den Münchner Opernfestspielen und Aufführungen von Unsuk Chins Oper "Alice im Wunderland" und Wolfgang Riehms Einakter "Das Gehege". Anthony Lane sah im Kino den Science-Fiction-Thriller "Sunshine" von Danny Boyle und "Moliere" von Laurent Tirard.

Nur im Print: ein Artikel über eine neue Generation bionischer Prothesen und das Porträt eines Beamten im Todestrakt von San Quentin.
Archiv: New Yorker

Spectator (UK), 21.07.2007

Einen Heidenspaß hat der Spectator mit der Kandidatur seines Redakteurs Boris Johnson für den Posten des Londoner Bürgermeisters. Toby Young analysiert die Chancen des Kollegen. "Boris ist fast eine Karikatur eines altmodischen 'Jagd- und Schieß'-Tory-Abgeordneten. Sein wirres Haar und die verknitterten Anzüge, nicht zu vergtessen der Upper-Class-Akzent, machen einen großen Teil seines Auftretens aus. Er ist eine Art feiner Pinkel als Pantomimefigur, das politische Äquivalent von Stephen Fry. Das läuft vielleicht auf Have I Got News for You, aber falls Boris tatsächlich der offizielle Kandidat der Konservativen wird, könnte es die allgemeine Sicht der Konservativen als Partei der Privilegierten verstärken."

Vergesst "Sex and the City", meint Sarah Churchwell. Die Screwball-Komödien der Dreißiger waren witziger, raffinierter und fortschrittlicher: "Screwball schuf eine im Großen und Ganzen stabilere Welt, in der Liebende sich gegenseitig nicht verzweifelt brauchten, in der sie nicht so ungenügend waren. Der Mann konnte nicht darauf hoffen, die Frau zu erobern, alles was er erreichen konnte, war eine Entspannung der Lage. Bei Screwball schenkten sich Männer und Frauen nichts, jeder versuchte noch einen draufzusetzen, jeder war Meister der tödlichen Finte. Niemand gab sich geschlagen, und keiner war ewig schuldig. Das Spiel war immer offen, bis auf die Tatsache, dass die Liebe immer gewann. Screwball schenkte jedem seiner Helden die gleiche Aufmerksamkeit, der Standpunkt war neutral und das Geschlecht meist egal (bis auf das gelegentliche Versohlen)."
Archiv: Spectator

Espresso (Italien), 20.07.2007

In seiner Bustina di Minerva widmet sich Umberto Eco der wichtigen Kunst des Nichtlesens. "In 'Wie man über ein Buch spricht, das man nie gelesen hat' von Pierre Bayard geht es nicht darum, wie man sich informieren kann, ohne ein Buch zu lesen, sondern wie man ohne schlechtes Gewissen über ein nicht gelesenes Buch reden kann, vom Professor zum Studenten, auch wenn es sich um ein Buch von außerordentlicher Wichtigkeit handelt. Das alles hat seinen Grund, denn in den besseren Bibliotheken stapeln sich bereits Millionen von Büchern. Selbst wenn man an jedem Tag eines liest, schafft man nur 365 im Jahr, 3600 in zehn Jahren und in der Zeit von zehn bis achtzig schafft man kaum 25.200. Das ist läppisch. Andererseits weiß jeder, der eine treffliche gymnasiale Ausbildung hatte, wie man eine Diskussion etwa über Bandello, Guicciardini, Boiardo, zahllose Tragödien von Alfieri und schließlich die 'Bekennntisse eines Italieners' verfolgt, von der man nur den Titel und die kritische Zusammenfassung kennt, aber nie eine Zeile gelesen hat."
Archiv: Espresso
Stichwörter: Bibliotheken, Eco, Umberto

Economist (UK), 20.07.2007

So sieht Berlin aus, wenn man es mit den Augen des Economist betrachtet: "Berlin als Weltstadt zu verkaufen, ist nicht einfach. Es gibt eine Menge renovierter Museen, Theater und Clubs, dazu 400 Galerien für zeitgenössische Kunst. Künstler, Filmemacher und manche Politiker tragen zur Wiederbelebung des Großstadtgefühls bei. Während aber in London und Paris jede Menge reicher Leute leben, kann man das von Berlin nicht behaupten. Einer von zweien lebt von der Rente oder Arbeitslosenhilfe; sogar die, die Arbeit haben, verdienen im Schnitt nicht mehr als 32 600 Euro im Jahr. Wohlhabende Deutsche kommen gelegentlich vorbei, leben aber lieber in opulenteren Orten wie München oder Hamburg. (...) Ein lange verzögertes 2-Milliarden-Projekt zur Erweiterung des Flughafens Schönefeld wird 2011 fertiggestellt sein. Dann wird Berlin wenigstens einen Weltklasseflughafen besitzen."

Weitere Artikel: Der Economist erzählt die Geschichte des dreiundzwanzigjährigen Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, der schon als der neue Steve Jobs gefeiert wird. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hätte, wie der Economist (drei Tage vor der Wahl) befindet, einen neuerlichen Sieg bei den Wahlen in der Türkei aufgrund seiner höchst erfolgreichen Politik verdient. Die Titelgeschichte ist dem "Rätsel Iran" gewidmet.

Besprochen werden Michael Chabons neuer Roman "The Yiddish Policemen's Union" ("ein Vergnügen"), Ryszard Kapuscinskis zuletzt auf Englisch erschienenes Buch "Travels with Herodotus", eine Geschichte der Teilung Indiens, ein Buch über die Zeit der Depression und neue Bücher zum Israel-Palästina-Konflikt, die für eine Einstaatenlösung optieren.
Archiv: Economist

Nepszabadsag (Ungarn), 20.07.2007

Durch eine Reihe von Referenden will die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz die Reformen der Regierung rückgängig machen, die Regierung stürzen und die parlamentarische Demokratie in eine direkte Demokratie umwandeln. Spätestens im Frühjahr soll die Bevölkerung über das Sparpaket der Regierung abstimmen. "Die Meinung des Volkes wissen zu wollen, ist an sich eine edle demokratische Idee, die praktischen Details sind aber nicht gerade erhebend", schreibt Eszter Babarczy. "Die Fallen, die uns Fragen von Referenden stellen - verborgene Prämissen, nicht zu Ende gedachte Konklusionen, verschwiegene Konsequenzen, in einen einzigen Satz gepresste, doppelte Behauptungen - lassen einen mit guter Analysefähigkeit schnell verzweifeln. Die Kritik an den Referenden bedeutet nicht, dass man die direkte Demokratie als solche ablehnen und die Versäumnisse der Regierung nicht anprangern soll. Das Problem mit den Referenden ist nicht, dass die Bevölkerung unmittelbar entscheiden kann, sondern dass sie über den Tisch gezogen wird."

Der ungarische Politologe Viktor Kiss denkt über die Jugendbewegungen Osteuropas nach: "Ist die kitschige Welt der Medien und ihre 'Berichterstattung' an der Realität vorbei nicht unerträglich deprimierend? Kann man mit dem Widerspruch zwischen dem ewigen Wunsch nach Teilhabe an der glänzenden Konsumwelt und dem Verfall, der Armut, der Rückständigkeit leben? ... Es gärt in der Tiefe. Trotzdem befassen sich die Soziologen noch immer ausschließlich mit dem Lebensgefühl von Kindern aus der Oberschicht. Das Sendungsbewusstsein der Neonazis, die Gewalt der Fußballhooligans, die Neobarbarei durchschnittlicher Jugendlicher aus der Provinz, die Selbstzerstörung und der Nihilismus von drogenabhängigen Studenten in Hochschulen mit niedrigem Prestige - diese jungen Menschen setzen zum zum Sprung an."
Archiv: Nepszabadsag

Nouvel Observateur (Frankreich), 19.07.2007

Der Nouvel Obs erinnert an den im März verstorbenen französischen Philosophen und "coolen Propheten" Jean Baudrillard. Zu lesen ist eine 23-seitige amerikanische Hommage im PDF-Format, in der sich amerikanische und kanadische Denker zu Baudrillard äußern. Der Kritiker und Philosoph Sylvere Lotringer, der die "French Theory" mit seinem gleichnamigen Buch in den USA bekannt machte, schreibt: "Starkult war nicht seine Sache. Tatsächlich mangelte es Baudrillard an Präsenz und Charisma - allerdings auf spektakuläre Weise. Genau wie der visionäre Schriftsteller William Burroughs, mit dem man ihn vergleichen könnte, war er 'El hombre invisible', und deshalb umso sichtbarer. Allerdings hat Baudrillard nicht gezögert, sich selbst das coole Image zu verleihen, das seiner harmlosen Erscheinung widersprach. Es war er selbst, der seinen intimen Tagebüchern ironischerweise den Titel 'Cool Memories' gegeben hat." Weitere Wortmeldungen kommen unter anderem von dem Schriftsteller und Kritiker Gary Indiana, dem Philosophen Douglas Kellner, dem Maler Peter Halley und der Regisseurin Kathryn Bigelow.

Außerdem überprüft in der Sommerserie mit Beiträgen von Intellektuellen aller Gewerke der italienische Regisseur Francesco Rosi den Standort und die politische Rolle des heutigen Kinos.

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 18.07.2007

Ein langer Artikel widmet sich einem neuen Trend unter libanesischen Sängerinnen: In ihren Videoclips zeigen sie sich immer öfter an der Seite von Kindern mit dunkler Hautfarbe. Angesichts der Diskriminierungen von Schwarzen in vielen arabischen Ländern ist dies eine Überraschung: "Handelt es sich hierbei um ein plötzliches arabisches Erwachen, was die Rechte der schwarzen Minderheiten angeht, die seit Jahrhunderten in den arabischen Gesellschaften leben, und die in unseren Medien außer in wenigen Ausnahmen nicht auftauchen? Oder handelt es sich dabei nur um eine blinde Nachahmung einer Mode aus der westlichen - oder genauer: der amerikanischen Kunstproduktion, in denen mit Schwarzen nicht gegeizt wird und die manchmal sogar die Rolle des Stars bekommen?" Eine Antwort bleibt der Artikel schuldig. Sollten aber tatsächlich nach schwarzen Kindern in Zukunft auch schwarze Erwachsene in arabischen Medien ihren Platz finden, " wäre dies eine gute Frucht des westlichen Satellitenfernsehens und der Globalisierung."

Weiteres: Erneut widmet sich ein Beitrag der Geschichte der irakischen Juden. In einer ausführlichen Besprechung behandelt Kathim al-Wasati den Roman "Farida" des kanadisch-irakisch-jüdischen Autors Naim Kattan. Der Roman, der jüngst auch auf Deutsch erschien, spielt in den 30er und 40er Jahren und beschreibt unter anderem die sich verschärfende nationalistische Agitation gegen die Juden.

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 23.07.2007

"Good Morning USA." Der kubanische Schriftsteller Jose Kozer, 1940 als Sohn polnisch-tschechisch-jüdischer Emigranten in Havanna geboren und 1960 in die USA übergesiedelt, beschreibt das ihm dort zu eigen gewordene Lebensgefühl, zumindest seit 2001: "Zusammengefasst kann ich sagen, dass die USA seit Jahren Tag für Tag mit dem gleichen Ekel erwachen. Ekel begleitet von brutaler Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die der Normalbürger überspielt, verbirgt, vor sich selbst und vor den anderen. Eine einzige große Selbsttäuschung, die sich damit entschuldigt, stets beschäftigt zu sein, mit der Arbeit nicht nachzukommen, in der Flut unaufschiebbarer Verpflichtungen unterzugehen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, muss man heute viel mehr Zeit aufwenden als vor 20 Jahren (eigentlich den ganzen Tag): Mußestunden? Fehlanzeige. Und im einzigen 'Intellektuellen-Sender' des Landes, im 'National Public Radio', geht es schon seit Jahren tagaus, tagein um nichts anderes als Irak, Irak, Irak, oder, zur Abwechslung, Iraq, Iraq, Iraq."
Archiv: Letras Libres
Stichwörter: Einsamkeit, Havanna, Irak

Weltwoche (Schweiz), 19.07.2007

Mit einer gewissen Gottergebenheit beobachtet Eugen Sorg die Rückkehr der Religion nach Europa: "Um die wöchentlichen Papstaudienzen bemühen sich so viele Gläubige, unter ihnen viel Jungvolk, wie lange nicht mehr. Besucherrekorde verzeichnen auch das Grab des polnischen Vorgängers und Wunderwallfahrtsorte wie Lourdes, das Budget des Heiligen Stuhls verbucht Rekordüberschüsse, die Einnahmen aus den kirchlichen Kollekten haben sich verdoppelt... Vielleicht wird das postmoderne Europa als kurze, einmalige Episode der sorglosen Freigeisterei und der frivolen Gottabgewandtheit in die Geschichte eingehen. Zum einen aus demografischen Gründen: Religiöse Milieus produzieren reichlich Nachwuchs, während reiche, agnostische Gesellschaftsgruppen wie die Europäer zu Überalterung neigen. Zum anderen weil Skepsis und Ironie die vorzüglichen Sezierbestecke des Intellekts sind, aber das Herz der meisten nicht erwärmen können. Genauso wenig, wie die Theorie des Urknalls oder die Entdeckung der Eiweissmoleküle das Bedürfnis nach Sinn befriedigen, eine kollektive Identität stiften und die Angst vor dem Tod nehmen kann."

Hans-Ulrich Wehler lobt die "hervorragende" Geschichte der Wirtschaft im Dritten Reich von Adam Tooze.
Archiv: Weltwoche

Odra (Polen), 01.07.2007

"Eine zentrale Frage der polnischen Politik ist, wie man den zwei großen Gespenstern der Gegenwart, dem der Geschichte und dem der kapitalistischen Modernisierung, Herr wird. Es ist gleichzeitig die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis von Liberalen und Linken und ihrer möglichen Zusammenarbeit", schreibt Adam Chmielewski in der Breslauer Kulturzeitschrift. Das größte Problem für eine neue Linke, die Alternativen zum neoliberalen Modell formulieren und um Rechte sexueller Minderheiten kämpfen wolle, sei jedoch der Kompromiss, den Teile der liberalen Linken (vor allem Adam Michnik) mit der katholischen Kirche geschlossen hätten, um die Transformation zu fördern. "Dieses Vorgehen ist ein Beispiel dafür, wie die Verbindung von Doktrin und Realpolitik dazu führt, die politische Kraft neuer Ideen zu schwächen. Es ist auch ein Symptom für die bewusste Selbstbeschränkung des Liberalismus bei der Umsetzung emanzipatorischer Aufgaben."

Der Regisseur Krzysztof Zanussi spricht im Interview über die Demokratisierung der Kunst, seine Inspirationsquellen und Ängste. Eine hübsche Geschichte dazu erzählt er von seinem Auftritt bei einem Filmfestival in Argentinien vor 36 Jahren. "Nach stundenlangem Flug wurde ich auf die Bühne geschoben, wo ich mit meinem eingerosteten Spanisch Fragen beantworten sollte. Ich wurde gefragt, bei welchen Filmkünstlern ich gerne lernen würde. Ich wollte 'Bresson' sagen, aber vor Müdigkeit ist mir sein Name entfallen. Nach einem langen Moment der Stille sagte ich, für mich selbst überraschend: Marcel Proust. Und ich begründete es verzweifelt damit, dass er die Filmkunst lange antizipiert hätte. Bis heute muss ich in Interviews erklären, warum Proust den Film antizipiert hat und habe mich mittlerweile selbst davon überzeugt."

Archiv: Odra

Figyelö (Ungarn), 19.07.2007

Im Mai wurde in Budapest eine junge Frau von zwei Polizisten vergewaltigt, im Juni die Enthüllungsjournalistin Iren Karman brutal zusammengeschlagen, letztes Jahr die Studentin Hedvig Malina in der Slowakei verprügelt, weil sie auf der Straße auf Ungarisch telefonierte. In allen drei Fällen behaupteten die Medien prompt, die Frauen hätten den Anschlag selbst inszeniert, um in die Schlagzeilen zu kommen. Hajnalka Cseke befragte mehrere Experten dazu: "Die Medien missachteten die ethischen Grundsätze ihrer Branche - Opferschutz, Schutz der Unschuldigen -, als sie die Opfer in aller Öffentlichkeit bloßstellten, obwohl diesem Übel nachträglich kaum abgeholfen werden kann, sagt der Medienforscher Peter Zsolt. Die Presse sprach das Verdikt aus, bevor die dazu nötigen Informationen vorhanden waren. Dadurch brachte sie sich selbst um alles Ansehen... Die Kontrolle der Presse wäre in Fällen besonders wünschenswert, wenn Polizisten selbst die Täter sind, weil zu befürchten steht, dass die Polizei die Ermittlungen gegen sich selbst nicht objektiv führt, meint der Soziologe Zoltan Fleck. Mehrere Opfer solcher Zwischenfälle sagten, dass die Ermittler den Fall zu vertuschen versuchten, um die Ehre ihrer Kollegen zu retten."
Archiv: Figyelö
Stichwörter: Slowakei

New York Times (USA), 22.07.2007

Bernhard-Henri Levy gibt zu, dass Nicolas Sarkozy vieles richtig macht, selbst die nun in den USA veröffentlichten privat-politischen Bekenntnisse "Testimony". Und doch hätte er Sarkozy niemals wählen können, schreibt er, und zwar wegen seines pragmatischen, vielleicht auch zynischen Verhältnisses zur Vergangenheit (Vichy, Algerien, 68). "Die Leute haben normalerweise Erinnerungen. Sie können komplex, widersprüchlich, paradox und verwirrt sein. Aber es sind ihre. Sie bestimmen zu einem großen Teil ihre Persönlichkeit und die Identitäten, die sie für sich auswählen. Sarkozy ist ein Freibeuter von Identitäten, ein Söldner der Erinnerungen anderer. Er beansprucht alle Erinnerungen für sich, was am Ende heißen könnte, dass er keine hat. Er ist unser erster Präsident ohne Gedächtnis, der erste Präsident, der bereit ist, sich alle Ideen anzuhören, weil sie für ihn tatsächlich nicht zu unterscheiden sind. Wenn es im heutigen Frankreich einen Mann gibt, der das berühmte Ende aller Ideologien verkörpert (oder beansprucht, es zu verkörpern), an das ich nicht so recht glauben kann, dann ist es Monsieur Sarkozy, der sechste Präsident der Fünften Republik."

Weiteres: Wilfrid Sheeds Hommage an das goldene Zeitalter der amerikanischen Musik ""The House That George Built? lässt Garrison Keilor (mehr) verzückt die alten Platten von George Gershwin, Irving Berlin, Cole Porter und Harold Arlen wieder rauskramen. Für das bisher wohl "verstörendste Gemälde der Unfähigkeit der CIA" hält Evan Thomas Tim Weiners kritische Geschichte "Legacy of Ashes". Der ehemalige amerikanische Tennischampion Toure liest zwei Bücher über Schwarze im Tennis.

Im Magazin denkt der einst orthodoxe Jude Noah Feldman über die Widersprüche im orthodoxen Judentum nach. Anlass war das Klassentreffen in seiner Schule in Massachusetts. "Am Ende versammelten wir uns für ein Gruppenbild vom Schulfotografen, der uns von der ersten Klasse bis zum Abschluss begleitet hatte. Als der Alumni-Newsletter ein paar Monate später eintraf, stieß ich auf das Foto. Ich sah hin, und sah nochmal hin. Meine Freundin und ich waren nirgends zu finden."

Im Aufmacher fragt sich Maggie Jones, wie man heranwachsende Sexualstraftäter von Teenagern im vorübergehenden Identitätsstress unterscheiden kann.
Archiv: New York Times