Magazinrundschau
Economist: Samizdat oder saudische chick-lit?
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.08.2007. In der New York Times bereut Michael Ignatieff, den Irakkrieg befürwortet zu haben. Der New Yorker untersucht das exklusive Verhörprogramm der CIA. Al Hayat empfiehlt den arabischen Ländern, mehr auf den Menschen und weniger auf Gott, Blut und Boden zu setzen. Nach dem Überfall auf den Islamkritiker Ehsan Jami fragt sich Afshin Ellian in Elsevier, was Amsterdam von Teheran unterscheidet. In Europa fragt Adam Zagajewski, was es heute bedeutet, polnisch zu sein. In der Gazeta Wyborcza fürchtet Mykola Rjabtschuk eine Ostverschiebung der Ukraine. Magyar Hirlap beklagt den Untertanengeist in Ungarn. Der Spectator identifiziert digital versierte Senioren als wahre Trendsetter. Und Il Foglio liest Kontaktanzeigen.
Elsevier | New Yorker | Al Hayat | Economist | Gazeta Wyborcza | Europa | Spectator | Magyar Hirlap | Foglio | New Republic | Al Ahram Weekly | Outlook India | Elet es Irodalom | Espresso | New York Times
Elsevier (Niederlande), 06.08.2007

New Yorker (USA), 13.08.2007

Steve Coll fragt nach der Übernahme des Wall Street Journal durch Rupert Murdoch nach dem Schicksal des Journalismus' der alten Schule. Sasha Frere-Jones porträtiert Lil Wayne aus New Orleans, nach Eigenaussage - und offenbar nicht ganz zu Unrecht - "the best rapper alive". Ausgesprochen erheiternd liest sich Oliver Sacks Beschreibung eines Ausflugs mit der amerikanischen Farngesellschaft, deren Mitglieder selbst mitten in New York mit Lupen in Pflasterritzen nach Farnen Ausschau halten. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Magda Mandela" von Hari Kunzru und Lyrik von Adam Zagajewski und Louise Glück.
Pankaj Mishra bespricht die Studie "Indian Summer" des jungen britischen Historikers Alex von Tunzelmann, in dem er die letzten Tage der britischen Herrschaft in Indien nachzeichnet. Stephen Shapin stellt eine umfassende Biografie des englischen Philosophen und Soziologen Herbert Spencer vor ("Herbert Spencer and the Invention of Modern Life"). Nancy Franklin widmet sich Serien, die auf dem Frauensender Lifetime laufen. Und Anthony Lane sah im Kino das biografische Porträt von Jane Austen "Becoming Jane" von Julian Jarrold und die Komödie "2 Tage in Paris" von und mit Julie Delpy.
Nur im Print: Artikel über ein Syndrom, das Fragen über die Freiheit des Willens aufwirft, Fallschirmspringen und den italienischen Olivenölschwindel.
Al Hayat (Libanon), 05.08.2007
Yasin al-Hajj Salih konstatiert eine Dominanz der Politik und der Religion in den arabischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts. Die Kultur als Produkt des Menschen trat dabei gegenüber den naturalistischen Vorstellungen des Nationalismus und des Islamismus zurück. Länder, denen die kulturellen Grundlagen abhanden kommen, drohen aber, in kleinere Teile zu zerfallen, die ebenfalls für sich beanspruchen könnten, 'natürlich' zu sein. Der Rückgriff auf solche naturgegebenen Formen der Gemeinschaft "macht es auf der einen Seite unmöglich, den Aufbau der Nation als einen bewussten, menschengemachten Prozess zu begreifen. Auf der anderen öffnet es Tür und Tor für wirklich 'natürliche' Formen der Politik, für eine Politik der Identität und des Blutes, der Politik in Gestalt von Familien, Clans und Konfessionen. Vielleicht liegt in dieser Annahme, dass sich die Staaten bereits von der Natur ableiten, der Ursprung für die Spannungen der modernen arabischen Staaten und der Kultur."
Den Erfolg der AKP bei den Wahlen in der Türkei wertet Sami Shurash vor allem als eine Niederlage der Kemalismus: "Die letzten Wahlen brachten der Partei einen großen Teil der Parlamentssitze ein. Es ist aber wahrscheinlich, dass dies nicht an den islamischen Positionen (der AKP) lag, sondern daran, dass ihre politische Vision näher an der Realität ist, dass diese Vision offener, ruhiger und vernunftgeleiteter ist als jene der säkularen, vom Chauvinismus und Militarismus befallenen Parteien, die dem Säkularismus mit ihrer extremen Politik Schaden zufügten und diese zu einem leeren Modell werden ließen. Es war also ganz natürlich, dass die Demokraten, die Kurden, die Armenier und die Alawiten sich vom türkischen Säkularismus abwendeten und sich um den moderaten türkischen Islam sammelten."
Den Erfolg der AKP bei den Wahlen in der Türkei wertet Sami Shurash vor allem als eine Niederlage der Kemalismus: "Die letzten Wahlen brachten der Partei einen großen Teil der Parlamentssitze ein. Es ist aber wahrscheinlich, dass dies nicht an den islamischen Positionen (der AKP) lag, sondern daran, dass ihre politische Vision näher an der Realität ist, dass diese Vision offener, ruhiger und vernunftgeleiteter ist als jene der säkularen, vom Chauvinismus und Militarismus befallenen Parteien, die dem Säkularismus mit ihrer extremen Politik Schaden zufügten und diese zu einem leeren Modell werden ließen. Es war also ganz natürlich, dass die Demokraten, die Kurden, die Armenier und die Alawiten sich vom türkischen Säkularismus abwendeten und sich um den moderaten türkischen Islam sammelten."
Economist (UK), 04.08.2007

Weitere Artikel: Der Economist referiert die Stauffenberg-Cruise-Debatte, informiert über Kunst in Myanmar und über Bollywood-Stars mit Dreck am Stecken, bewundert das Verhandlungsgeschick von Rupert Murdoch und bespricht eine Studie von William Naphy über die protestantische Revolution. Einen Nachruf gibt es auf Ingmar Bergman, aber nicht auf Michelangelo Antonioni.
Gazeta Wyborcza (Polen), 04.08.2007

Das niederschlesische Wroclaw boomt, und will sich unweit des historischen Zentrums eine City bauen - den Entwurf für das 400-Millionen-Euro-Projekt hat das spanische Konsortium "Grupo Pasa" vorgestellt, und auch weitere Investoren kündigen Hochhausbauten an. Agata Saraczynska erinnert dies an die 1920er Jahre, als in dem damals deutschen Breslau Architekten wie Max Berg, Hans Poelzig, Erich Mendelsohn oder Hans Scharoun der Stadt ein modernes Antlitz verliehen: "Auch wenn viele Banken, Hotels und Bürogebäude bisher entstanden sind, lassen sie sich nicht mit den damals realisierten Pionierbauten vergleichen. Nach 1989 entstand in der Stadt kein Objekt, das auf den Entwurf eines weltweit oder auch nur europäisch bekannten Architekten zurückgeht. Kein Gebäude ist stilprägend." Mit dem Bau des "Hilton" soll auch das erreicht werden.
Pawel Smolenski ist begeistert von der Reportagensammlung aus Oberschlesien, die seine Kollegin Aleksandra Klich veröffentlicht hat: "Bez mitow. Portrety ze Slaska" ("Ohne Mythen. Porträts aus Schlesien"). "Dieses Buch ist eine große Herausforderung und ein Abenteuer. Es erfordert viel Sensibilität und Mut. So wie alle Polen glauben, Experten in Politik und Medizin zu sein, wissen auch alle, was im Grenzland passiert ist, was jetzt vorgeht, und was passiert ist; was jemand gemeint hat, mit welchen Absichten. Alle glauben dabei, die einzig wahre Meinung zu vertreten, die dann aufständische Fahnen oder Besatzerplakate schmückt."
Europa (Polen), 04.08.2007

Abgedruckt wird auch die Berliner Rede Imre Kertesz', die im Rahmen des Konferenz "Perspektive Europa" gehalten wurde. Darin geht es um das totalitäre Erbe Europas (hier die englische Übersetzung).
Spectator (UK), 03.08.2007

Magyar Hirlap (Ungarn), 31.07.2007

In den osteuropäischen Ländern gibt es zwar keine Zensur mehr, aber die Mentalität lebe in den Köpfen weiter, schreibt die Zeitung im Leitartikel. "Die Zensurbehörde wurde zwar längst aufgelöst, aber Zensur existiert immer noch: Sie hat die Seelen der Menschen infiziert und spukt in den Köpfen weiter. Die Strukturen, durch die die Zensur damals funktionierte, wirken nun wirtschaftlich oder politisch motiviert jenseits der Institutionen weiter... Vor einigen Wochen wurde 400 Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen ungarischen Rundfunks zum Teil aus 'politischen, ideellen' Gründen gekündigt: auch eine Form von Zensur. Das Phänomen ist leider nicht nur in unserem Land, sondern in der ganzen Region zu beobachten. Die Zensur kann in allen Ländern des ehemaligen Ostblocks in verborgener Form weiterleben, weil es immer noch genug Menschen mit Untertanengeist gibt, die sich ihr unterwerfen."
Foglio (Italien), 04.08.2007
Edoardo Camurri amüsiert sich bei den von David Rose herausgegebenen Kontaktanzeigen der London Review of Books so sehr, dass er hier gleich ein neues Genre das Licht der Welt erblicken sieht. Sein Favorit ist ein Engländer. "Allele, anatta, arrear, arrere, bedded, bettee, breere, caccap, ceesse, cobbob, desse, dolool, doodad, effere, emmele, emmene, ennean, essede, feyffe, gaggee, giggit, googol, gregge, hammam, hummum, hubbub, jettee, kokoon, lessee, lesses, mammal, mammee, mossoo, mutuum, nerrer, ossous, pazazz, pepper, perree, pippin, powwow, reeder, reefer, reeffe, refeff, retree, seasse, secess, seesen, sensse, sessle, settee, sissoo, tattee, tattoo, tedded, teerer, teeter, testee, tethee, tetter, tittee, treete, unnung, veerer, weeded, zaarra. Wörter mit sechs Buchstaben, in denen ein Buchstabe jeweils einmal, ein anderer zweimal und ein dritter dreimal vorkommt. Oh Gott, ich brauche eine Frau. Einundvierzig Jahre, Postfach 4290."
Weiteres: Adriano Sofri verabschiedet erstaunlicherweise Ingmar Bergman und nicht Michelangelo Antonioni. Ugo Bertone porträtiert hier und hier große Zeitungsdynastien. Rolla Scolari erlebt eine Beduinenhochzeit in der israelischen Negev-Wüste.
Weiteres: Adriano Sofri verabschiedet erstaunlicherweise Ingmar Bergman und nicht Michelangelo Antonioni. Ugo Bertone porträtiert hier und hier große Zeitungsdynastien. Rolla Scolari erlebt eine Beduinenhochzeit in der israelischen Negev-Wüste.
New Republic (USA), 02.08.2007

Al Ahram Weekly (Ägypten), 02.08.2007
Der an der Columbia University in New York als Professor für Iranische Studien lehrende Hamid Dabashi sieht Zack Snyders Comicverfilmung "300" nicht als Ode auf den Westen, sondern als subversives Porträt einer verwahrlosten Kultur. "So funktioniert ein illusionäres Empire. Diese Soldaten, die zu Killermaschinen trainiert und um den halben Globus geschickt werden, um Menschen im Irak oder in Afghanistan zu verstümmeln und zu ermorden, tun das nicht aus ideologischer Überzeugung, politischer Haltung, moralischem Prinzip oder einem zivilisatorischen Gefühl der Überlegenheit heraus, sondern weil sie mit diesen verspielten Comicheften, Videospielen und Filmen gefüttert wurden. Das reicht so weit, dass sie in Afghanistan und dem Irak nicht mehr menschliche Wesen sehen, die sie abschießen, sondern Comicstrips, Videobilder, Sonntagsmatinee-Doublefeatures - die wahnhafte Vorstellung einer sonst tödlich realen Welt." (Immerhin erhebt diese Kultur Kritiker in Professorenrang, die im Iran wahrscheinlich im Gefängnis landen würden.)
Outlook India (Indien), 13.08.2007

Elet es Irodalom (Ungarn), 03.08.2007

Espresso (Italien), 03.08.2007

New York Times (USA), 05.08.2007

Außerdem im Sonntagsmagazin: Emily Bazelon berichtet ausführlich von neuen Forschungen über Autistinnen, deren Symptomatik sich gravierend von der männlicher Autisten unterscheidet. Für die Sunday Book Review liest Walter Kirn einen Band mit literarischen Essays J.M. Coetzees (die sich unter anderem mit Sebald und Benjamin befassen). Außerdem empfiehlt Claire Messud den Roman "The Septembers of Shiraz" (erstes Kapitel) von Dalia Sofer, die Geschichte einer jüdischen Familie in Teheran kurz nach der Revolution von 1979.
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