Magazinrundschau

Volker Gerhardt: Die Romantik beginnt 1750

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.10.2007. Der New Yorker rekapituliert die Geschichte der Universalbibliothek und entdeckt viele viele Perlentaucher. Outlook India porträtiert den ersten indisch-amerikanischen Gouverneur in der Geschichte der USA. Der Merkur erklärt, wer die Zeche für die Franc-Zone bezahlt. Die Gazeta Wyborcza erinnert an den Untergrundverlag Nowa. In Nepszabadsag denkt der Dichter Akos Szilagyi über asymmetrische Kriege nach. Der Economist erklärt den Begriff "bewaffnete Sozialarbeit". In Le Point hält Peter Sloterdijk seinen Geigerzähler an den Reaktor französischen Irrsinns. Im New Statesman fragt der Dramatiker Kwame Kwei-Armah, warum schwarze britische Schauspieler in die USA gehen müssen, wenn sie eine Karriere wollen.

New Yorker (USA), 05.11.2007

Anthony Grafton denkt intensiv und weit ausholend über die Vor- und Nachteile einer digitalen Universalbibliothek nach. Dabei macht er uns mit ein paar frühen Perlentauchern bekannt: "Die Renaissance, in der die Menge an neuen Texten überwältigend zu werden drohte, war das große Zeitalter der systematischen Notizen. Handbücher wie Jeremias Drexels 'Goldmine' - das Frontispiz zeigte einen Gelehrten, der Notizen schrieb, vis-a-vis einem Bergarbeiter, der nach echtem Gold grub - lehrten die Studenten, wie man den Inhalt von Literatur durch Überschriften komprimierte und arrangierte. Forscher, die auf diesem Gebiet geübt waren, wie Isaac Casaubon, entwarfen grobe, effiziente Netze aus Notizen über die Texte ihrer Bücher in ihren Notizbüchern - hunderte von Casaubons Büchern überlebten - und benutzten sie, um Informationen über praktisch alles wiederzufinden - von der Religion der griechischen Tragödie bis zu jüdischen Begräbnispraktiken. Jacques Cujas, ein Rechtsgelehrter aus dem sechzehnten Jahrhundert, verblüffte Besucher seines Studierzimmers, wenn er ihnen einen rotierenden Barbierstuhl und seinen beweglichen Bücherstand zeigte. Beide erlaubten es ihm viele Bücher gleichzeitig im Blick zu haben. Thomas Harrison, ein englischer Erfinder des 17. Jahrhunderts, erfand ein Kabinett, das er die Arche des Studierens nannte: Leser konnten Bücher zusammenfassen oder Auszüge erstellen und ihre Notizen auf einer Reihe beschrifteter Metallhaken nach Themen sortieren, wie eine Art Kartenindex. Der deutsche Philosoph Leibniz erwarb so ein Kabinett und benutzte es für seine Forschung."

Weiteres: Raffi Khatchadourian informiert über die umstrittenen Aktivitäten der Sea Shepherd Conservation Society, die sich den Schutz der Meere vor menschlichen Begehrlichkeiten und Zerstörung zur Aufgabe gemacht hat. Elizabeth Kolbert bespricht ein Buch über das Auto der Zukunft und die Zukunft des Autos: "Zoom: The Global Race to Fuel the Car of the Future" (Twelfe). Peter Schjeldahl führt durch eine Frieda-Kahlo-Retrospektive im Walker Art Center in Minneapolis. Joan Acocella schreibt über das Debüt der neuen Ballettkompanie Morphoses von Christopher Wheeldon im New Yorker City Center. David Denby sah im Kino Ridley Scotts Thriller "American Gangster" mit Denzel Washington und Russel Crowe. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "The Dog" von Roddy Doyle und Lyrik von Rosanna Warren, Michael Ryan und Robert Bly.

Nur im Print: ein Porträt des englischen Schauspielers und Komikers Steve Coogan.
Archiv: New Yorker

Outlook India (Indien), 05.11.2007

Nach der gewonnenen Wahl in Louisiana wird Bobby Jindal im Januar der erste indisch-amerikanische Gouverneur in der Geschichte der USA. In Indien ist man stolz auf ihn. Ashish Kumar Sen fragt sich allerdings, ob dafür wirklich so viel Grund besteht: "'Bobby ist ein konservativer Republikaner, anders als die große Mehrheit der indischstämmigen Amerikaner. Deshalb wird er hier mit sehr gemischten Gefühlen betrachtet, meint Toby Chaudhuri, Sprecher der IALI (der Indian American Leadership Initiative). 'Wenn man mal genauer hinschaut, wird es schwierig, ihn zu akzeptieren. Er hat gezeigt, dass indischstämmige Amerikaner viel erreichen können, aber er repräsentiert nicht unsere Gemeinschaft." Und diverse Konversionen nähren nicht gerade das Vertrauen: "Sein eigentlicher Vorname ist Piyush, den Namen Bobby hat er nach einer Figur in der Fernsehserie 'The Brady Bunch' angenommen. Sein Übertritt zum Katholizismus ist ein weiteres Beispiel für das, was Kritiker als cleveren Schachzug halten, der in erster Linie seinen politischen Ambitionen geschuldet war."
Archiv: Outlook India

Merkur (Deutschland), 01.11.2007

Thomas Speckmann untersucht, wie es eigentlich um die französische Außenpolitik bestellt ist, die sich so gern in den Gegensatz zur amerikanischen Interessenpolitik stellt, wobei sich Machtrhetorik und Machtrealität nicht immer decken. "Was der Welt immer noch der Dollar ist, ist für Afrika der CFA-Franc. Nicht zuletzt auf ihm beruht Frankreichs Vormachtstellung in den frankophonen Ländern südlich der Sahara. Um ihr Schicksal auch nach ihrer Unabhängigkeit von Paris aus bestimmen zu können, wurde die Franc-Zone beibehalten. Mit der Folge, dass einige der ärmsten Länder der Welt Teile des französischen Haushaltsdefizits mitfinanzieren. Die Bilanz dieser 'Partnerschaft' fällt entsprechend einseitig aus: Frankreich sichert sich einen großen Markt für seine Produkte und eine permanente Versorgung mit preiswerten Rohstoffen. Die Afrikaner hingegen haben mit einem schwachen Handel, Geldknappheit, hohen Zinssätzen, massiver Kapitalflucht und Schuldenbergen zu kämpfen, deren Rückzahlung größere Investitionen in Bildung, Ausbildung, im Gesundheitswesen, in der Nahrungsmittelproduktion, im Wohnungsbau und in der Industrie verhindert."

Nur begrüßen kann Philosoph Volker Gerhardt, dass Rüdiger Safranski die Romantik auf die Agenda gesetzt hat, fragt sich aber, warum er sie mit Herders geplanter Reise nach Frankreich 1769 beginnen lässt: "Knapp zwanzig Jahre vor Herders Tagebuch über seine Seereise revoltiert Jean-Jacques Rousseau gegen den Glauben an die Überlegenheit der menschlichen Zivilisation... Alle Elemente des später so genannten romantischen Geistes sind in Rousseaus Schriften präsent: die Aufwertung des Sentiments, das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, die religiöse Inbrunst, die Neigung zur romanhaften Übersteigerung des Erlebens, die Begeisterung für die Musik, der literarische Gestus und die bekenntnisselige Versenkung ins eigene Ich. Den Beginn der Romantik müsste man also von 1769 auf 1750 vordatieren."

Weitere Artikel: Übernommen wird ein Artikel des Autors Robert Kagan aus der Policy Review, in dem Kagan den Glauben an eine neue liberale, demokratische Weltordnung beerdigt und die Rückkehr des internationalen Ringens um Ehre, Prestige und Einfluss prophezeit.
Archiv: Merkur

Prospect (UK), 01.11.2007

William Sidelsky hat die beiden jüngsten Romane von Philip Roth ("Exit Ghost") und JM Coetzee ("Diary of a Bad Year") gelesen - und findet die Parallelen zwischen beiden fast schon unheimlich: "Die beiden Romane enden an fast identischen Punkten. Obwohl in Wahrheit wenig geschehen ist, setzen sie eine Welt, in der dies der Fall ist - in der eine Beziehung zwischen dem älteren Mann und der jüngeren Frau entsteht oder wenigstens begehrt wird. Das kann man auf zwei Weisen betrachten. Die erste ist deprimierend: Es handelte sich dabei einfach um die Fantasie eines traurigen alten Mannes, dem als Trost nur eine imaginäre Affäre bleibt. Die andere ist positiver: Die fiktionalen Affären, die die zwei (fiktiven) Schriftsteller erschaffen, wären Beleg für die tröstenden Kräfte der Literatur. Welche man auch vorzieht, es bleibt doch das Gefühl, dass Roth und Coetzee mit diesen Romanen eine Art Endpunkt erreicht haben."

Weitere Artikel: In der Titelgeschichte prangert Dick Taverne den "wahren Skandal um genmanipulierte Lebensmittel" an, dass nämlich trotz aller Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Widerstand dagegen in Politik und Bevölkerung vor allem Europas immer noch so heftig ist. Walter Russell Mead denkt über die Gegenwart der anglo-amerikanischen Beziehungen nach.
Archiv: Prospect

London Review of Books (UK), 01.11.2007

Arnold Rampersad hat eine in langjähriger Arbeit entstandende, autoritative Biografie des Schriftstellers Ralph Ellison veröffentlicht. Mark Greif setzt sich ausführlich damit auseinander und zeigt sich immer wieder unzufrieden: "Ein Grund dafür, dass diese Biografie auf so exquisite Weise schmerzlich zu lesen ist, liegt darin, dass sie nicht einfach sagt: Ellison war wirklich besser als die anderen, und sein Roman war wirklich ganz einzigartig, und dennoch war es nicht einfach verwerflich, dass er eine öffentliche Person wurde, eine Figur des Establishment, und zuletzt vielleicht etwas anderes als ein Romanautor. Rampersads Biografie ist ganz ausgesprochen 'ausgewogen' - das kühle Porträt eines Mannes, dem vieles bewundernswert gut gelungen, und nichts völlig misslungen ist... Rampersad gibt ausgesprochen detailliert Auskunft über etwas, das er als Makel in Ellisons Psyche begreift: sein zwanghaftes Drängen in Institutionen, sein Eindringen in die Räume der weißen Mächtigen als Ablenkung vom eigenen Schreiben. Dies ist das Porträt eines Romanautors, der zu sehr darum bemüht war dazuzugehören."

Weitere Artikel: Sanjay Subrahmanyam schreibt über V.S. Naipauls neues Buch "The Writer's People". Geoffrey Hawthorn liest Bücher über Venezuela, Hugo Chavez und die mit ihm verbundenen Hoffnungen. Hal Foster besucht die Ausstellung "The Painting of Modern Life" in der Londoner Hayward Gallery, und Thomas Jones berichtet vom Slow-Food-Festival im umbrischen Orvieto (mehr über slow food hier).

Plus - Minus (Polen), 29.10.2007

"Literatur sollte nicht die Politik spiegeln. Sie sollte von Tod, Gott und privaten Problemen handeln", urteilt im Gespräch mit dem Magazin der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew. Der promovierte Literaturhistoriker geht mit der russischen Literatur im allgemeinen und mit bekannten Autoren hart ins Gericht, erklärt aber: "Ich glaube an die Literatur und bin mir ihrer bewusst. Ich weiß, dass sie groß und wahr sein kann - nur an zeitgenössische Schriftsteller glaube ich nicht."

Dariusz Rosiak geht dem Phänomen von The Onion nach, einer der zehn populärsten Zeitschriften der USA, die vor allem aus erdachten Nachrichten besteht. "In Zeiten, in denen die Medien den Lesern jeden Blödsinn, mit etwas Pseudoweisheit unterlegt, zu verkaufen versuchen, scheint die Formel des Magazins ein sicheres Untergangsrezept zu sein. Trotzdem ist The Onion wohl die einzige Zeitschrift, die in den letzten drei Jahren sechzig Prozent neue Leser gewonnen hat, und in diesem Jahr 170 neue Mitarbeiter eingestellt hat". Für Rosiak besteht das Erfolgsgeheimnis darin, dass das Satiremagazin der Selbstzufriedenheit der amerikanischen Gesellschaft und der politischen Korrektheit entgegen wirkt. Die Lektüre "lässt uns über mediale Faszinationen, das Wesen der Öffentlichkeit und Autoritäten nachdenken. Das sind wichtige Fragen, mit denen sich viele Medien gar nicht befassen wollen."
Archiv: Plus - Minus

Literaturen (Deutschland), 01.11.2007

Der Schwerpunkt des aktuellen Hefts ist "Denkern von Welt" gewidmet, die, wie es im Editorial formuliert wird, um "Entwürfe einer ganz anderen Globalisierung" bemüht sind. Damit gemeint sind Naomi Klein, Saskia Sassen, Kwame Anthony Appiah und Ulrich Beck. In Rene Aguigahs Porträt erfahren wir, was für Appiah - Autor der Studie "Der Kosmopolit" - gegen den Kulturrelativismus spricht und warum man den Umgang mit Geistern trotzdem vernünftig finden kann: "Er bringt Positionen miteinander ins Gespräch, die auf den ersten Blick strikt unvereinbar scheinen. Nach und nach ermisst er, wo Differenzen sich abmildern lassen, wo sie bestehen bleiben und wo hartnäckige Differenzen nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Appiah - ganz Angelsachse, wenn man so will - plädiert für den Vorrang der Praxis: 'Nicht Prinzipien, sondern praktische Handlungen befähigen uns, in Frieden zusammenzuleben.' Deshalb muss das Gespräch nicht unbedingt zum Konsens führen: Möglicherweise arrangiert man sich."

Weiteres: Kurt Darsow stellt Naomi Kleins neuen Anti-Globalisierungsbestseller "Die Schock-Strategie" vor. Gustav Seibt schreibt über Thomas Karlaufs Stefan-George-Biografie. Besprochen werden außerdem Ulrich Peltzers Roman "Teil der Lösung", zwei Stalin-Biografien und die Buchversion eines Podiumsgesprächs der poststrukturalistischen Theoretikerinnen Judith Butler und Gayatri Chakravorty Spivak. Im Kriminal preist Franz Schuh den im kleinen Pulp-Master-Verlag erschienenen Kriminalroman "Kaputt in El Paso" als "Meisterwerk".
Archiv: Literaturen

Gazeta Wyborcza (Polen), 29.10.2007

Der Nahostexperte Dawid Warszawski erklärt, welchen Zusammenhang es zwischen den türkischen Angriffen auf Nordirak und der Armenienresolution des US-Senats gibt. "Es geht hier nicht in erster Linie um die PKK. Es geht darum, ein unabhängiges Kurdistan im Irak zu verhindern. Washington möchte aber um jeden Preis eine neue Front in diesem vom Bürgerkrieg erschütterten Land unterbinden. Deshalb geht auch die Unterstützung für die Resolution zurück, um die Türkei nicht zu provozieren. Die Anerkennung des Leids vor fast 100 Jahren tritt in den Hintergrund, wenn ein neuer Krieg droht." Da die Amerikaner in diesem Fall ihren Verbündeten im Irak unterstützen müssten, wäre ein Kampf zwischen türkischen und US-Einheiten nicht zu vermeiden. Was weder die EU, noch die USA, noch Ankara wollen. Und, ja, es geht auch um Öl...

Außerdem: Pawel Smolenski erinnert an die Geschichte des polnischen Untegrundverlags NOWA, der vor 30 Jahren entstanden ist. "Davor gab es den russischen Samizdat, aber nach anfänglichen technischen Probleme erreichte die NOWA einzigartige Auflagen von über zehntausend Exemplaren hochwertigen Drucks. Als Untergrundverlag war sie von Natur aus politisch, aber sie publizierte auch Literatur, Poesie und Dramen. Außerdem veröffentlichte sie Autoren aus anderen sozialistischen Ländern und sägte so am Grenzzaun." Die NOWA war der einzige polnische Verlag, der 1980 die Bücher des Nobelpreisträgers Czeslaw Milosz publizierte. Josef Brodsky erklärte einmal, dass seine Bücher nirgends in so hohen Auflagen veröffentlicht wurden. Nur bei den unabhängigen polnischen Verlagen war er sicher, "dass die Leser seine Bücher auch lesen, und nicht nur die Regale damit schmücken".
Archiv: Gazeta Wyborcza

Foglio (Italien), 27.10.2007

Ugo Bertone stellt den amerikanischen Philanthropen Phil Harvey vor, der mit seiner Organisation DKT nicht nur kostenlos Kondome in Entwicklungsländern verteilt, sondern auch als einer der wenigen gegen Reagans Obszönitäts-Task-Force bestanden hat. Denn Harvey ist auch Gründer von Adam&Eve, "'Tim und ich', erinnert er sich, 'haben alles Mögliche versucht zu verkaufen: Pullover, T-Shirts, Freizeittaschen, Flugzeugmodelle bis hin zu Souvenirs und Armbanduhren.' Nichts. Dann eine Entdeckung. Jedesmal, wenn wir in den Katalog irgendetwas auch nur vage Erotisches aufnahmen, schoss die Nachfrage in die Höhe.' So wurde Adam&Eve geboren, der multinationale Porno-Koloss, der seit 1995 Filme produziert, Marktführer sowohl im Internet als auch in den Läden, die in den USA überall aus dem Boden wachsen, um sage und schreibe 15.000 Apparaturen für sexuelle Zwecke zu vertreiben, vom 'Muschi-Vergrößerer' bis zum 'Skorpion mit dem Doppelstachel' (Probieren Sie es aus, heißt es in der Werbung für Homosexuelle und Heteros)." Spätestens mit seinem nach beinahe zehn Jahren vor dem Supreme Court gewonnenen Prozess gegen die US-Regierung dürfte Harvey der legitime Nachfolger von Larry Flynt sein.
Archiv: Foglio

Nepszabadsag (Ungarn), 27.10.2007

Der Dichter und Kritiker Akos Szilagyi stellt fest, dass asymmetrische Kriege für unsere Zeit immer typischer werden und auch den politischen Alltag zunehmend charakterisieren: "Der asymmetrische Krieg ist der Krieg der hoffnungslos Schwachen gegen die unheimlich Starken. Der Angriff geht von den Schwachen aus und schwächt den Gegner (ob Staat, Supermacht oder Militärbündnis), indem er ihn zu Sicherheitsmaßnahmen zwingt, die die Freiheitsrechte einschränken. Asymmetrisch ist solch ein Krieg, weil der Angreifer nicht auf reguläre Weise bekämpft werden kann. Andererseits ist die Verletzung der Regeln seitens der regulären, legitimen Macht ein Regelverstoß und eine Sünde, für die sich verantworten muss - im Gegensatz zu ihrem Feind, der sich regelwidrig verhält." Wenn sich nun der asymmetrische Krieg auch noch "auf die Straße verlagert, wenn, von kriegerischen politischen Parteien initiiert und von fanatischen Intellektuellen gutgeheißen, nacheinander paramilitärische Truppen entstehen - dann wird der Krieg nicht mehr gegen ein Regierungsprogramm, sondern gegen die Demokratie und gegen die Republik geführt."

Der tschechische Schriftsteller Ivan Klima, der in der kommunistischen Ära nur im Ausland publizieren konnte, antwortet im Interview mit Gyula Varsanyi auf die Frage, inwiefern sich die Rolle des Schriftstellers verändert hat: "Unter dem kommunistischen Regime erwarteten die Leser von den Autoren, dass sie sich frei verhalten und in ihren Werken die Literatur nicht mit Propaganda und ideologischen Klischees verwechseln. Heute bestehen solche Forderungen gegenüber der Literatur nicht, das bedeutet aber noch lange nicht, dass sich der Schriftsteller immer als freie Persönlichkeit verhält. Bedienen kann man nämlich auch Modeerscheinungen, Markterfordernisse oder Unterhaltung. Zwar hat der Verlust dieser zusätzlichen Rollen und die Entwicklung anderer Medien viele Leser von der Literatur entfernt, die neue Situation hat es den Autoren aber auch ermöglicht, in ihren Werken nicht mehr als politische Kämpfer zu erscheinen."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Klima, Ivan, Freiheitsrechte

Economist (UK), 26.10.2007

Die Titelgeschichte konstatiert, dass die amerikanische Armee vor einer dringend notwendigen Kulturrevolution steht: "Gerade weil Amerika konventionellen Armeen so überlegen ist, erwartet Verteidigungsminister Robert Gates, dass die Gegner der USA sich immer stärker auf asymmetrische Kriegsführung konzentrieren werden. Amerika muss, mit anderen Worten, damit rechnen, endlose und enervierende Kriege gegen Aufständische zu führen, gegen die es keine klaren Siege und das stete Risiko der Demütigung gibt. Ein neues Handbuch zur Bekämpfung von Aufständen, dessen Ko-Autor General David Petraeus ist, also der im Moment für den Irak-Krieg verantwortliche Mann, widerspricht der Ansicht, dass Amerika kein 'nation building' betreibe. Der Kampf gegen Aufständische, ist da zu lesen, ist 'bewaffnete Sozialarbeit'. Es braucht dabei mehr Hirn als Muskelkraft, mehr Geduld als Aggressivität. Der ideale Soldat sollte weniger ein Terminator aus der Science Fiction als ein Intellektueller für die 'Doktoranden-Version des Krieges' sein, vorzugsweise ein Linguist mit Kenntnissen in Geschichte und Ethnologie."

Besprochen werden eine Londoner Ausstellung mit Fotografien aus dem China des Jahres 1979 von Eve Arnold im Asia House in London, Lucien X. Polastrons "etwas enttäuschende" Geschichte zerstörter Bibliotheken von der Antike bis in die Gegenwart, Robert Drapers distanziertes Buch "Dead Certain" über die Präsidentschaft von George W. Bush (der Rezensent lobt, dass Draper Bush wirklich "kapiert" habe). Einen Nachruf gibt es auf das südafrikanische Reggae-Idol Lucky Dube.
Archiv: Economist

Al Ahram Weekly (Ägypten), 25.10.2007

Hala Sakr berichtet sehr ausführlich über eine Fernsehserie, die die vor mehr als fünfzig Jahren abgeschaffte Monarchie und vor allem den letzten König Farouk in sehr viel positiverem als dem offiziell erwünschten Licht dastehen lässt: "Die Lawine der Monarchie-Begeisterung hat das Land überrascht und ein Wochenmagazin, das oft dafür kritisiert wird, der Regierung allzu nahezustehen, dazu veranlasst, diese Woche eine Beilage mit dem Titel 'Lang lebe die Republik' zu veröffentlichen. Darin unternehmen es ältere Kommentatoren, die die Monarchie noch erlebt haben, das republikanische System gegen die Monarchie zu verteidigen. Sie wenden sich an eine Generation, die die Geschichtsschreibung der letzten 55 Jahre mit großer Skepsis betrachtet, und versuchen damit, die öffentliche Meinung zu korrigieren. Die nämlich sieht 'die Wahrheit über Ägyptens verleumdeten König', der abdankte, um Blutvergießen zu verhindern, in der Fernsehserie bestätigt."

Weitere Artikel: Es gibt zwar keine wirklich verlässlichen Zahlen - viel spricht aber dafür, meint Sahar El-Bahr, dass die Selbstmordrate in Ägypten derzeit stark zunimmt. Amira Howeidy informiert über Diskussionen der ägyptischen Muslimbrüderschaft, ob sie in ihrem Wahlprogramm auch einen nicht-muslimischen Präsidenten für akzeptabel erklären sollen.
Archiv: Al Ahram Weekly

Weltwoche (Schweiz), 25.10.2007

"Als die Bomben hochgingen, saß ich zusammen mit zwei Bhutto-Leibwächtern auf der Führerkabine eines Lastwagens, 50 Meter hinter Benazirs Caravan." Urs Gehriger war auch in dem Krankenhaus, in das die Verletzten und Toten gebracht wurden, und er war bei der Pressekonferenz, die Benazir Bhutto 17 Stunden nach dem Attentat hielt: "'War es nicht leichtsinnig, den Prozessionszug entgegen allen Warnungen durchzuführen?', will ein Journalist wissen. 'Tragen Sie nicht sogar Mitschuld für den Tod von über hundert Menschen?' Bhutto ist sich weder eines Fehlers noch einer Schuld bewusst. 'Warum waren die Lichter aus?', fragt sie stattdessen. 'Wir hätten die Attentäter gefasst, aber wir konnten nichts sehen.' Sie selbst und jeder, der im Umzug vorne dabei war, weiß, dass diese Behauptung absurd ist. Bhutto brauchte den Umzug, um ihren Machtanspruch zu markieren. (...) Je länger Bhutto spricht, desto deutlicher wird, wie stark sie die destruktive Realität in diesem zerrissenen Land bereits eingeholt hat. Ihre Ideale kommen westlicher Gesinnung am nächsten, doch in paradoxer Weise gleicht ihr Jargon dem ihrer Erzfeinde, den Islamisten: Die Verehrung ihres Vaters als 'Märtyrer', ihre morbide Todesbereitschaft, die Bereitschaft auch, ihr Fußvolk als Kanonenfutter gegen die Feinde einzusetzen."

Beatrice Schlag berichtet von einer Fehde zwischen dem Verlag und der Witwe Raymond Carvers. Letztere "will die 17 Geschichten aus 'Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden' unter dem Titel 'Beginners' nochmals veröffentlichen - diesmal auf der Grundlage von Carvers Originalmanuskripten. Der Verlag läuft Sturm gegen das Projekt. 'Lieber würde ich Ray wieder aus der Erde buddeln', sagt Knopf-Vizechef Gary Fisketjon, der Carvers letzter Lektor war. 'Ich verstehe nicht, was Tess daran für ein Interesse hat, außer sie wolle die Literaturgeschichte neu schreiben. Ich bin entsetzt.' Tess Gallagher antwortet, die neue Version des Carver-Buches solle lediglich das Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes wiederherstellen: 'Ich freu mich auf die Zeit, wenn ein begeisterter Leser nicht mehr auf mich zukommt und fragt: Hat Gordon Lish wirklich alle Carver-Storys geschrieben?'"

Weitere Artikel: Alix Sharkey porträtiert Roberto Cavalli, den Designer für weiße Rockstars. Marek A. Cichocki, Direktor des EuropäischenZentrums Natolin, eines konservativen polnischen Think-Tanks, und Berater des polnischen Präsidenten Lech Kaczinski, kommentiert den Wahlausgang in Polen: "Die polnische Demokratie ist gesünder und stabiler geworden." Und Güzin Kar weiß, warum immer ältere Männer sind, die über den Feminismus jammern: "Weil sie das neue Gebiss testen müssen, und es geht am besten mit Wörtern, in denen F und S vorkommen. Darum schimpfen sie über den Feminiffmuff..."
Archiv: Weltwoche

Point (Frankreich), 25.10.2007

Anlässlich des Erscheinens seines Essays "Zorn und Zeit" in Frankreich ("Colere et temps", Maren Sell/Libella), erläutert der Philosoph Peter Sloterdijk im Interview seine Thesen. Ausgehend von der Beobachtung, die Rezeption des Maoismus in Europa sei der ideologische Skandal der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen, skizziert er die Rolle Frankreichs dabei folgendermaßen: "Man kann sagen, dass Frankreich der ideologische Reaktor gewesen ist, dem einige große Verirrungen des zeitgenössischen Denkens entsprungen sind, aber, man muss gerecht sein, auch Bewegungen der Selbstkorrektur dieser Verirrungen. Schließlich ist Frankreich kein Land, in dem der Irrsinn an der Macht ist, doch es produziert bemerkenswerte Mengen davon, für den Export ebenso wie für den Eigenkonsum."

Und in seinen Bloc-notes findet es Bernard-Henri Levy durchaus erlaubt, über seinen Präsidenten Sarkozy, der sich selbst so gern in Szene setzt und durch seine Scheidungsgeschichte nun einen herben Kontrollverlust erlitten hat, "erschüttert" zu sein.
Archiv: Point

Magyar Narancs (Ungarn), 25.10.2007

Der Publizist Endre B. Bojtar überlegt, wodurch sich die neue Regierung in Polen auszeichnen wird: "Während die PO (Bürgerplattform) in den ersten Wochen des Wahlkampfs kaum etwas von ihren Plänen verlauten ließ, und in erster Linie die Rückkehr zur Normalität und eine dezente Politik anstelle der permanenten Revolution der Kaczynskis in Aussicht stellte, versprach PO-Chef Donald Tusk den Wählern eine Woche vor der Wahl plötzlich zehn Dinge. Der Zeitpunkt war meisterhaft gewählt, denn nun blieb weder der PiS, noch der Presse genügend Zeit, um nachzurechnen. Dabei wird die neue Regierung - trotz des Wirtschaftswachstums von sieben Prozent und der EU-Gelder - kaum die Möglichkeit haben, die Löhne im staatlichen Sektor und die Renten radikal anzuheben und zur selben Zeit Autobahnen und Stadien zu bauen. Allerdings heißt es in der Überschrift dieser zehn Versprechungen, Polen habe ein Wirtschaftswunder verdient. Vielleicht klappt's ja."
Archiv: Magyar Narancs

New Statesman (UK), 24.10.2007

Der schwarze britische Schauspieler und Dramatiker Kwame Kwei-Armah ist froh, dass endlich über den Exodus schwarzer britischer Darstellerinnen und Darsteller diskutiert wird. Es ist, wie er feststellt, ein großes Problem: "Die überwältigende Mehrheit schwarzer Schauspieler meiner Generation musste feststellen, dass ihre einzige Hoffnung auf eine Karriere in Amerika liegt... Meine Altersgenossen tauschen Tipps nicht übers Vorsprechen, sondern über das '01 Visum', jenes Dokument, das 'jenen den Zugang zu den Vereinigten Staaten erlaubt, die in der Film- und Fernsehproduktion Außerordentliches geleistet haben'. Ich habe einmal einen sehr interessanten Kommentar zur Karriere des US-Generals und späteren Außenministers Colin Powell gelesen. 'Er hatte Glück, dass seine [in Jamaica geborenen] Eltern das Schiff nach New York und nicht nach Southampton genommen haben. Im anderen Fall hätte er es vielleicht zum Sergeant gebracht."

Weitere Artikel: Alex Brummer warnt davor, die Bedeutung der Musikindustrie zu unterschätzen: Neue Künstler hätten nach wie vor kaum Chancen auf den Durchbruch ohne die Beziehungen und Marketing-Instrumente der großen vier Konzerne, in deren Händen nach wie vor 95 Prozent der Verkäufe liegen. Becky Hogge stellt fest: Blogs könnten eines Tages den Niedergang des Qualitätsjournalismus ausgleichen. Über die Bedeutung von Jean Sibelius für Finnland denkt Rick Jones nach.
Archiv: New Statesman