Magazinrundschau

Software in chinesischen Köpfen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
27.11.2007. In der Boston Review zeichnet Abbas Milani das ultimative Porträt Mahmud Achmadinedschads. Outlook India untersucht eine neue Männerbewegung gegen Ex-Ehefrauen. In Literaturen feiert Daniel Kehlmann die federnde Grammatik des Heinrich von Kleist. Nepszabadsag und Elet es Irodalom grübeln intensiv über die ungarische Krise. Der New Yorker trotzt einer Sauerei. Al Ahram staunt über islamisches Leben in New York. Im Nouvel Obs erklärt Anthony Giddens das europäische Sozialmodell für gescheitert. Der Spectator findet: ein Kretin gehört nicht ins Gefängnis, auch wenn er Bin Laden feiert. Die New York Times sucht Selbstmordattentäter in Marokkos Tetouan.

Boston Review (USA), 01.11.2007

Abbas Milani, Professor für iranische Studien in Stanford, schreibt das ultimative Porträt Mahmud Achmadinedschads. Zu Beginn seines monumentalen Essays erklärt er, warum der iranische Präsident ein so gründliches Studium verdient: "Er muss ernstgenommen werden, nicht nur wegen seiner Drohungen, verbalen Ausfälle und politischen Provokationen. Wo immer er spricht und wen immer er anspricht - Achmadinedschad steht zuhause und in der übrigen muslimischen Welt stets einem Millionenpublikum gegenüber. Er kennt sein Publikum sehr gut, und auch wenn er plump und willkürlich erscheinen mag, überbringen seine Reden und sein Verhalten eine gründlich einstudierte Botschaft frommen Populismus. Er ist ein Produkt der jüngsten iranischen Geschichte und ein Verständnis seiner frühen Jahre und seines Aufstiegs zur Macht geben Einblick in die aktuellen Verhältnisse im Iran."
Archiv: Boston Review
Stichwörter: Populismus, Boston

Outlook India (Indien), 03.12.2007

In Indien hat sich unter der Federführung der Save Indian Family Foundation (SIFF) eine Männerbewegung formiert, die sich gegen die Ausbeutung und Verfolgung durch Ex-Frauen und deren gierige Anwälten zur Wehr setzen will. Raghu Karnad glaubt durchaus, dass Männer in einzelnen Fällen durch die neuen Gesetze zur häuslichen Gewalt ungerecht behandelt wurden. Trotzdem ist Karnad die Bewegung nicht geheuer: "Mit pauschalen Äußerungen und chauvinistischen Reaktionen hat sich die SIFF von dem gemeinsamen Boden entfernt, den sie mit den Frauen-Aktivistinnen hätte teilen können. Ihre Bedenken sind nicht so verschieden: Zum Beispiel kommt es nur in zwei Prozent aller unter Paragraf 498A angezeigten Fällen zu einer Verurteilung. Das kann bedeuten, dass die meisten der angezeigten Personen unschuldig sind, aber es bedeutet auch, das die meisten Schuldigen gar nicht erst angezeigt werden. Was eine Bewegung zur Kooperation hätte sein können, um faire Gesetze zu entwerfen, hat zu einer fürchterlichen Rivalität geführt: Du bist entweder pro-Mann oder pro-Frau."

Weiteres: Shruti Ravindran besucht die Schauspielerin und Kochbuch-Kultautorin Madhur Jaffrey, von der zuletzt "The Ultimate Curry Bible" erschien (hier einige ihrer Rezepte). Der Autor C.P. Surendran legt sich mit dem Nationalheiligen Shah Rukh Khan an, dessen "Universum allein um sich selbst" kreise.
Archiv: Outlook India

Literaturen (Deutschland), 01.12.2007

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann bespricht zwei neue Kleist-Biografien, von denen er die von Jens Bisky für die anregendere, die von Gerhard Schulz für die solidere hält. Vor allem aber geht es Kehlmann um Kleist, über den er unter anderem schreibt: "Aber da ist doch ein Punkt, an dem bei Kleist das Geheimste offen und die Wahrheit klar zutage liegt: seine Grammatik. Nabokovs Satz, dass die wahre Biografie eines Schriftstellers die Geschichte seines Stils ist, lässt sich nirgendwo besser anwenden als bei diesem Dichter. So viel ist gesagt worden über diese Prosa, über die festen Klammern ihrer Form und die quasi-juristische Umständlichkeit der Sätze, deren eigentliches Wunder darin liegt, dass sie dennoch so kraftvoll, federnd und lesbar sind: jeder einzelne eine Illustration des Widerstreits von Gesetz und Freiheit. ... Man würde erwarten, dass die Leser stöhnen, aber es geschieht eben nicht; das ist ihr eigentliches und nicht imitierbares Wunder. Nicht zufällig gibt es im Deutschen keinen Kleist-Epigonen, keinen einzigen künstlerisch ernstzunehmenden Nachahmer."

Weitere Artikel: Christoph Bartmann bespricht Dietmar Daths neuen Roman "Waffenwetter", vielmehr: feiert "die Dath-Welt als eine der inspirierendsten Romanwelten, in denen man heute leben kann". Helmut Frielinghaus hat Philip Roths Roman "Exit Ghost" gelesen, Annette Zerpner Hörbücher mit autobiografischen Texten von Daniel Hope und Saul Friedländer gehört. Manuela Reichart bespricht Anna Ditges Film "Ich will dich" über die Dichterin Hilde Domin.

Nur im Print schreiben Brigitte Kronauer über Joseph Conrad und Ulrike Draesner über Gottfried Benn.
Archiv: Literaturen

Rue89 (Frankreich), 25.11.2007

Der ehemalige Chefredakteur des Figaro, Nicolas Beytout, ist seit heute Leiter des Medienpools des französischen Konzerns LVMH. Und damit wechselt er von Oligarch zu Oligarch - von Rüstungsfabrikant Serge Dassault zu Luxusunternehmer Bernard Arnault. Augustin Scalbert schildert aus Beytouts Zeit beim Figaro, wie es in einer Redaktion zugeht, wenn die Zeitung einem dilettierenden Großunternehmer mit Staatsnähe gehört: "Die Chefredaktion der ehrwürdigen, 1826 gegründeten Zeitung fürchtet Dassault vor allem, wenn er in Urlaub ist. 'Er ruft alle zehn Minuten an, sobald er eine Seite durch hat', sagt ein Autor der Zeitung. Nicolas Beytout musste ihn etwa überzeugen, dass zwei Seiten Berichterstattung am Tag über das Parlament zu viel sind - Serge sitzt hier als Senator und sein Sohn Olivier als Abgeordneter."
Archiv: Rue89

Prospect (UK), 01.12.2007

In der zentralchinesischen Großstadt Hefei (mit immerhin 4,7 Millionen Einwohnern) soll das Silicon Valley Chinas entstehen. Rob Gifford war dort und hat die von staatlicher und kommunaler Seite unternommenen Anstrengungen begutachtet: "Ich durchquerte dieses Bürogebäude in einer Stadt in Zentralchina, von der niemand im Westen je etwas gehört hat, und hatte dieses unangenehme Gefühl, das einen in China manchmal überkommt. Einen Moment lang schien es mir, als könnte ich die Zukunft sehen. Da waren also 300 Software-Ingenieure, alle wahrscheinlich genau so gut wie ihre Kollegen in den USA, nur dass sie vielleicht ein zwanzigstel oder dreißigstel von ihnen verdienen." Die Frage ist für Gifford nun die: "Wird es hier wirklich mehr geben als die neueste Hardware? Was ist mit der Software in den Köpfen der Menschen? Kann man ein Akteur in der Wissensökonomie werden, wenn man gleichzeitig die Verbreitung und den Fluss von Informationen behindert?"

Weitere Artikel: Richard Jenkyns, in Oxford lehrender Professor für die klassische Tradition, fragt: "Brauchen wir einen literarischen Kanon?" Gewiss schade es nicht, sich in der Tradition auszukennen, meint er, warnt aber auch: "Ohne persönliche Vorlieben gibt es keine wirkliche Kultiviertheit." In der Titelgeschichte plädiert David Goldblatt - ohne auf die aktuelle Misere des britischen Fußballs einzugehen - dafür, den Sport ernst zu nehmen.
Archiv: Prospect
Stichwörter: Behinderte, Kanon, Silicon Valley

New Statesman (UK), 26.11.2007

Auch wenn Pekings boomende Kunstszene viele aufregende Künstler und das Ullens Centre for Contemporary Art (Ucca) hervorgebracht hat, mag Alice O'Keeffe nicht einstimmen in den großen Jubel. Die neue "Kulturrevolution" lässt noch auf sich warten: "Die rapide Kommerzialisierung der Kunstszene hat aber auch zur Suche nach ihrer Seele geführt. 'Ein Künstler zu sein, ist nicht mehr das gleich wie früher', sagt Dong Qiang, Kunstprofessor an der Pekinger Universität. 'Jetzt geht es nur noch darum, Geld zu verdienen.' Chinas Gegenwartskunst fehlt ein intellektuelles Fundament, das solide genug wäre, um dem warmen Regen standzuhalten, meint er. 'Für China ist das etwas ganz Neues. Die Leute wissen nicht zwischen guter und schlecher Kunst zu unterscheiden. Sammler sehen in ihr Dekoration, und die Künstler machen, was man ihnen sagt.' Ein Blick durch die Galerien in Dashanzi und anderswo in Peking bestätigt Professor Dongs Befürchtungen."

Weiteres: Flora Bagenal stellt die chinesische Rockband Snapline vor. Robert Turnfull besucht das neue, von Paul Andreu gebaute Nationaltheater in Peking und fragt sich, für wen hier gespielt werden soll.
Archiv: New Statesman

Foglio (Italien), 24.11.2007

Bruno Giurato stellt Gaetano "James" Senese vor, den italienischen "Maradona des Saxofons", der einen Afro, eine Website mit Musikbeispielen und eine Biografie von Carmine Aymone vorweisen kann. "Gaetano Senese borgte sich den Namen vom Vater, und in gewisser Weise kommt auch das Saxofon von ihm. Senese ist der Sohn des Soldaten James Smith aus North Carolina, der in Neapel mit der Fünften Armee ankam, und der nach achtzehn Monaten nach Amerika zurückkehrte und auf keinen Brief mehr antwortete. 'Ich wusste, dass mein Vater, wenn er nicht zurückgekommen war, um mich zu holen, es einfach nicht konnte. Alles klar? Mein Vater hat mich nach eineinhalb Jahren verlassen, nicht sofort. Dass er nicht wieder kam, rührt daher, dass es ihm unmöglich war. Alles klar?' Als James acht Jahre alt war, kam seine Mutter Anna mit einer leeren Schallplattenhülle von John Coltrane in die Wohnung. 'Schau Dir diesen Mann an, er ist wie Dein Vater.' Ab jetzt wollte James Saxofon spielen."

Weitere Artikel: Ugo Bertone porträtiert Arkadi Nowikow, Russlands Promikoch. Gabriella Mecucci untersucht, warum Pablo Picassos Meisterwerk "Guernica" nach sechzig Jahren unterschiedlichster politischer Inanspruchnahme immer noch so frisch ist. Paola Peduzzi beäugt den wachsenden Einfluss der Alumni von Goldman-Sachs in Wirtschaft und Politik.
Archiv: Foglio

Dissent (USA), 01.10.2007

Susie Linfield (mehr hier) leistet eine traurige und ausführliche Bestandsaufnahme der Lage in Zimbabwe und stellt zugleich einige Bücher über das afrikanische Desaster vor. Sie erinnert an hoffnungsvolle Anfänge des Mugabe-Regimes und sieht Mugabe selbst als den Hauptverantworlichen der Katastrophe des Landes, das heute auf Platz 4 im "Failed States Index" der Zeitschrift Foreign Policy steht: "Mugabes Abstieg in hemmungslose Tyrannei, der bizarre Schiffbruch seines Landes, waren nicht unvermeidlich: Ganz leicht könnte man sich unterschiedliche Szanarien vorstellen die weder Fantasie noch Wunschdenken sind. Die Zerstörung des Landes erscheint dadurch noch bestürzender, empörender, tragischer."

Die Herbstnummer von Dissent bringt übrigens auch ein schönes Dossier über Frankreich.
Archiv: Dissent
Stichwörter: Failed States

Nepszabadsag (Ungarn), 24.11.2007

In der heutigen ungarischen Öffentlichkeit gibt es angesichts der allgemeinen Krise eine Zauberformel, eine sprachliche Wendung, mit der man jeden Gesetzverstoß, jede Willkür und Korruption resigniert zu erklären versucht: "Man erlaubt sich hier ja alles." Der Kritiker und Dichter Akos Szilagyi (mehr hier) sucht nach einer Erklärung für diese Formel und stellt fest, dass die Haltung, die sich dahinter verbirgt, mitverantwortlich ist für die Krise: "Einerseits bedeutet sie, dass sich der Sprecher nicht mit seinem Land identifiziert. Er ist hier eigentlich fehl am Platz. Feixend schiebt er sein Land vor sich weg, als wäre er nicht gerade durch diese resignierte Haltung ein Abbild dieses Landes. Die Formel bedeutet aber auch, dass die Gesellschaft - aus historischen und strukturellen Gründen - der Expansion der mit den wirtschaftlichen Mächten verwobenen politischen Macht auch im Rahmen der parlamentarischen Demokratie nicht Einhalt gebieten kann... So gesehen steht die Formel 'Man erlaubt sich hier ja alles' für die Ohnmacht der Zivilgesellschaft im derzeitigen politischen Machtkampf, der, egal welche Seite gewinnen wird, für die Zivilgesellschaft die totale Niederlage bedeutet."
Archiv: Nepszabadsag

Elet es Irodalom (Ungarn), 23.11.2007

Warum floriert die Wirtschaft in den anderen Ländern der Region (während die ungarische stagniert) - obwohl deren politische Elite um keinen Deut besser ist als die ungarische, fragt der Journalist Janos Szeky und sieht die Erklärung für die Krise im System selbst: "Das derzeitige System hat niemand beabsichtigt. Vielmehr kam es, als Provisorium gedacht, unkontrollierbar und durch Kompromisse, wie sie die augenblicklichen Kräfteverhältnisse diktierten, durch Notlösungen, Improvisationen und eben auch Fehler zustande. Unter den Akteuren befanden sich gleichermaßen hervorragende Demokraten, weniger hervorragende Streber, Bürokraten, Dichter, Juristen und Staatssicherheitsleute. Im Gegensatz zu allen anderen Staaten unserer Region begann die Ausarbeitung des neuen Systems bereits vor der Wende - und wurde zunächst als Leitfaden verstanden, bis dereinst das demokratische Parlament die neue Verfassung absegnen würde. Das Festhalten an diesem überholten Leitfaden ist lebensgefährlich. Denn das System kann nicht repariert werden, seine eigenen Regeln ermöglichen diese Reparatur nicht. Es geht von alleine kaputt, wie durch einen Konstruktionsfehler."

Einen weiteren Grund für die Krise in Ungarn sieht der Dichter Szilard Borbely im Fehlen einer starken Mittelschicht: "In der Mitte befinden sich die Angestellten, die jene alten Reflexe weiter vor sich herwälzen, die während der seit Generationen andauernden Abhängigkeit vom Staat entstanden sind. Diese Schicht ist grundsätzlich servil, ihr fehlt traditionell die Freiheit der bürgerlichen Mentalität. Seit sozialistischen Zeiten schon will die Politik diese Schicht nicht gewinnen, sondern disziplinieren. Dies geschieht mal durch gesetzliche, mal durch wirtschaftliche Maßnahmen. Ohne eine existenzielle Sicherheit kann es auch keine Rechtssicherheit geben - das hat der Sozialismus tief eingeprägt. Das Proletariat, die potenziellen Revolutionäre erkennt man angeblich daran, dass sie nichts zu verlieren haben. Das Proletariat der heutigen ungarischen Gesellschaft kann aber entweder seine Kredite oder seine finanziellen Beihilfen verlieren. Das Bürgertum im klassischen Sinne verschwand bereits während des Sozialismus. Und mit ihm das Rechtsbewusstsein und die bürgerliche Mentalität."

New Yorker (USA), 03.12.2007

Bill Buford, Literaturkritiker, der bei einem Dante zitierenden toskanischen Metzger in die Lehre ging (hier sein Buch darüber), stellt drei "Kochbücher für Fleischfresser" vor: "The River Cottage Meat Book" des Briten Hugh Fearnley-Whittingstall, "Au Pied de Cochon" des frankokanadischen Kochs Martin Picard und "Pork & Sons" des französischen Kochs Stephane Reynaud (Villa 9trois). Alle drei Bücher enttäuschten ihn in einem einzigen Punkt: "Was alle drei ignorieren und vermutlich erst kurz vor der Veröffentlichung ihrer Bücher entdeckten: Es gibt keine allgemein gültige Zerlegepraxis, vielmehr ist sie immer national und manchmal regional festgelegt, deshalb gibt es auch kein allgemein gültiges Metzgervokabular, das sich von einer Sprache in die andere übersetzen ließe. Insofern sind Fearnley-Whittingstalls Anleitungen zum Zerteilen eines Lamms am Ende die sinnvollsten: Die einzige Methode es zu lernen, besteht darin, unerschrocken hineinzuhacken und der Sauerei zu trotzen."

Weiteres: Michael Specter berichtet über eine evolutionäre Entdeckung bezüglich Viren, und geht der Frage nach, warum Forscher deaktivierte Retroviren wieder zum Leben erwecken. John Updike rezensiert den Roman "A free Life" des aus China stammenden Amerikaners Ha Jin (Pantheon). Alex Ross resümiert den Auftritt der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle beim New Yorker Festival "Lights in Berlin" in der Carnegie Hall. Und David Denby sah im Kino "The Diving Bell and the Butterfly" von Julian Schnabel und die Komödie "The Savages" von Tamara Jenkins. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Visitor" von Marisa Silver und Lyrik von Gerald Stern, James Richardson und Richard Kenney.
Archiv: New Yorker

Gazeta Wyborcza (Polen), 24.11.2007

Immer nur wegen der Politik rumjammern ist sinnlos, konstatiert der spanische Schriftsteller Fernando Savater, und hat dehalb eine eigene Partei, die Union Progreso y Democracia, gegründet. "Mein ganzes Leben lang habe ich mich mit Philosophie, Vorlesungen, Bücher schreiben befasst. Dann sagte ich mir: ich möchte nicht nur Zuschauer sein, der schlechte Schauspieler beklatscht. In der Demokratie sind wir, die Zuschauer, gleichzeitig die Schauspieler", erklärt Savater im Interview. Auf die Frage aber, ob er sich selbst, den Philosophen, in der Rolle des aufgeklärten Herrschers sieht, wehrt er ab: "Nein, nein, niemals! Vielleicht kenne ich Platon zu gut. Ich habe eine Partei mit aufgebaut, ich bleibe als Beobachter am Rand."

Besprochen wird die Ausstellung "Seduced: Art and Sex from Antiquity to Now" im Londoner Kunstzentrum Barbican. "Wenn man mehrere hundert Kunstwerke gesichtet hat - von antiken Skulpturen bis zu zeitgenössischen Fotografien, auf denen Pornostars zu sehen sind - muss man feststellen, dass das Set an Emotionen, die mit Sex verbunden sind, immer gleich bleibt: Verlangen, Scham, Abscheu, Freude." Ob etwas Pornografie oder Kunst ist, hängt dabei allein vom Kontext ab: "Würde man die antike Statue eines nackten Titanen in einem Sex-Shop aufstellen, gälte sie als Pornografie, nicht als Kunst", sagt der Kurator Martin Kemp im Gespräch.
Archiv: Gazeta Wyborcza

Guardian (UK), 25.11.2007

In einem schon sieben Jahre alten, aber immer noch sehr schönen Text beschreibt Nobelpreisträger Seamus Heaney, dass nicht nur die japanischen Dichter "Meister der Präzision und Suggestion" gewesen seien, sondern auch die alt-irischen Eremiten-Dichter: "Die Ökonomie der Mittel, der Sinn für eine große, alles umfassende Stille, Schnelligkeit und Vergänglichkeit zugleich, diese Qualitäten erinnern zugleich an das traditionelle Haiku und das imagistische Gedicht des 20. Jahrhundert. Ein anderes Merkmal, das der alt-irische Dichter mit seinem japanischen Gegenpart teilt, könnte man als Weltlichkeit bezeichnen - beide sind wachsam wie Jäger gegenüber ihrer physischen Umgebung - und dennoch gibt es einen starken Sinn für eine andere Welt in dieser 'Weltlichkeit', eine Welt, zu der poetischer Ausdruck Zugang verspricht."
Archiv: Guardian
Stichwörter: Heaney, Seamus

Al Ahram Weekly (Ägypten), 22.11.2007

Rania Khallaf schwärmt von Moving Walls, einer Ausstellung amerikanischer Fotografen, die ihre Reisen in den arabischen Raum dokumentieren. Faszinierender noch findet Khallaf aber ein anderes Projekt, das islamisches Leben in New York zeigt. Es handelt sich um das Werk "mit dem Titel 'NY Masjid: Die Moscheen von New York City' von Edward Gradzda. Eine inspirierende Vision des muslimischen New York: die Gebäude, die Gesichter, man kann gar nicht glauben, dass sich all das in der Welt-Hauptstadt der Nicht-Muslime abspielt. Eine allgemeine Langsamkeit konterkariert das stereotype Bild des Big Apple, während wir auf Schrifttafeln erfahren, dass in dieser Stadt, deren Bewohner zu 75 Prozent Immigranten sind, 100 Moscheen existieren und 800.000 Muslime leben, darunter Afroamerikaner, aber auch, in wachsender Zahl, Latinos."

Weitere Artikel: Ibraham Nawar beobachtet den Aufstieg des Iran zur Nahost-Supermacht, erklärt die Gründe und warnt vor der destabilisierenden Wirkung, die sich für die Region daraus ergeben könnte. Mona El-Nahhas informiert über Proteste ägyptischer Universitätsprofessoren gegen staatliche Eingriffe in ihre Arbeit. Scharfe Kritik übt Nehad Selaiha an der miserablen Behandlung der Künstler beim 2. Frauen-Theaterfestival in Kairo. Und Mohammed Baraka beschreibt die Fallen, die auf einen arabischen Schriftsteller warten.
Archiv: Al Ahram Weekly

Economist (UK), 23.11.2007

In einem umfassenden Artikel beschreibt der Economist den gegenwärtigen Zustand des Iran - innen- wie außenpolitisch. Auch um drohende militärische Auseinandersetzungen mit den USA geht es - und um die bei allen Unterschieden unübersehbaren Ähnlichkeiten zwischen den Führern der beiden Nationen: "In mancher Hinsicht gleichen sich die beiden auf seltsame Weise. George Bush und Mahmoud Ahmadinedschad sind beide tief religiös, berufen sich immer wieder auf die Hand Gottes, die sie leite. Beide sind Idealistenn und nicht Pragmatiker und verstehen sich auf volksnahen Populismus. Beide haben Dutzende kompetenter Beamter durch ihrer eigenen Gesinnung näher stehende Konservative ersetzt. Und beide gelten inzwischen einem großen Teil ihrer Bevölkerung als unfähig und gefährlich. Der Unterschied liegt darin, dass Ahmadinedschad schon nach zwei Jahren so unbeliebt ist wie Bush nach sechs."

Weiteres: Ein Schwerpunkt des Heftes ist Österreich gewidmet, das wie kein anderes EU-Land von der Öffnung nach Osten profitiert. Artikel gibt es zu Gründen für diesen Erfolg, aber auch zu österreichischen Schwierigkeiten mit der Vergangenheitsbewältigung. Nigerianische Autorinnen wie Chimamanda Adichie (mehr) mögen im Ausland Bücher verkaufen, nicht aber zuhause: Die nigerianische Buchindustrie ist, wie wir erfahren, in einem desaströsen Zustand. Porträtiert wird der Baptist und republikanische Präsidentschaftskandidatenanwärter Mike Huckabee aus Arkansas. Besprochen werden unter anderem die Briefe des Dichters Ted Hughes und eine Pariser Ausstellung mit Gemälden von Helene Schjerbeck.

Auf dem Titel: Georg W. Bush, die Hand auf dem Herzen, als "Mr. Palästina", der einzige, der einen Palästinenser-Staat auf den Weg bringen kann.
Archiv: Economist

Nouvel Observateur (Frankreich), 22.11.2007

Vom bedeutendsten britischen Soziologe, Anthony Giddens, Autor unter anderem von "Die dritte Moderne", wird in Großbritannien "Over to You Mr Brown" (Polity Press) und in Frankreich in Kürze das Buch "Le Nouveau Modele europeen" (Hachette Litteratures/Telos) erscheinen. In einem Interview spricht er über die gespaltene Linke, Frankreichs Versäumnisse, den Blair-Nachfolger Gordon Brown und erläutert sein Plädoyer für ein neues europäisches Sozialmodell. "Das gegenwärtige europäische Sozialmodell, das laut Definition von Jürgen Habermas und Jacques Derrida davon geprägt ist, staatlichen 'Garantien der sozialen Sicherheit' und der Zuversicht der Europäer in die 'zivilisatorische Macht des Staates' einen hohen Stellenwert einzuräumen, ist in der Krise. Es lässt 20 Millionen Menschen in der Arbeitslosigkeit hängen. Diese Krise ist für die Ablehnung der europäischen Verfassung verantwortlich: Die französischen Wähler haben gegen ein Europa votiert, das sie nicht mehr beschützt. Bestimmten Ländern - den nordeuropäischen - ist es trotzdem gelungen, Wachstum mit sozialer und dem Gleichheitsgrundsatz folgender Sicherung auf hohem Niveau zu verbinden. Wir werden sehen, was Europa von ihnen lernen kann."

Spectator (UK), 23.11.2007

Die 23-jährige Samina Malik, die im Londoner Stadtteil Southall lebt, hat läppische Gedichte geschrieben, in denen sie Bin Laden feiert. Dafür soll sie nun ins Gefängnis. Völlig absurd findet das Rod Liddle: "Sie schreibt über das Abschlagen von Köpfen und den Krieg gegen Ungläubige etc. Sie verwendet gerne und häufig Wörter wie 'cool', am liebsten in Verbindung mit Wörtern wie 'Dschihad'. Osama bin Laden, zum Beispiel, ist cool. Sie ist eine Idiotin. Alles, was ich über sie gelesen habe, überzeugt mich davon, dass sie ein leichtgläubiger und übler Kretin ist, mit einer heftigen Abneigung gegen das Land, in dem sie lebt, verbunden mit teeniehaft-fanatischer Verehrung für die Terroristen, die sie aus ihren Videobotschaften kennt." Schlimm findet Liddle, dass die Liberalen im Lande nicht zu Maliks Unterstützung herbeieilen: "Weil sie glauben, sie müssten den 'islamischen Mainstream' unterstützen ..., beteiligen sich der Guardian und die meisten weißen Liberalen an der koordinierten staatlichen Verfolgung von allem und jedem, das den Islam 'in Verruf' bringen könnnte. Und dann kann man auch jemanden dafür ins Gefängnis stecken, dass er oder sie dumme Gedichte schreibt."

Weitere Artikel: Die demokratisierende Kraft des Internet feiert aus keinem bestimmten Anlass Matthew d'Ancona. James Forsyth glaubt nicht, dass der Nahost-Gipfel in Annapolis Fortschritte bringt. Besprochen werden unter anderem Robert Zemeckis' Beowulf-Verfilmung und das trotz der Beteiligung von Harold Pinter, Michael Caine, Kenneth Brannagh und Jude Law katastrophal missglückte Remake des Films "Sleuth" von 1972.
Archiv: Spectator

Przekroj (Polen), 22.11.2007

"Regisseur Jan Klata wird wohl der einzige polnische Künstler gewesen sein, der sich über die Wahlniederlage Jaroslaw Kaczynskis nicht gefreut hat", glaubt Lukasz Drewniak. Der Theaterrebell arbeitet nämlich seit einiger Zeit an einer Neuinszenierung des Stückes "Szewcy" ("Die Schuster") des modernistischen Schriftstellers Witkacy. "In den letzten zwei Jahren hat man keine Gelegenheit ausgelassen, von der Bühne aus die Wirklichkeit zu kommentieren. (...) Statt Grauen erzeugt Klatas Stück jetzt Gelächter. Aber mit der PiS-Regierung verschwindet nur ein leichter Gegner fürs Theater, viel schwieriger wird es, gegen Tusk zu punkten. Versuchen aber muss man es, denn das Theater ist doch sowieso immer dagegen."

Ein großes Dossier ist dem "wankenden Imperium" Amerika gewidmet: vom schwachen Dollar, der das Land auch für polnische Touristen immer attraktiver macht, über die Stärke der (Pop)Kultur, und die unbegreifliche Waffenkultur, bis hin zu den Problemen in den bilateralen Beziehungen (Irak, Afghanistan, Raketenschirm - woher kennen wir das? - und Visapflicht für Polen). Im Aufmacher erinnert Lukasz Wojcik daran, dass sich jede Analyse vom Niedergang eines Imperiums an Edward Gibbons Klassiker "Verfall und Untergang des römischen Imperiums" messen lassen muss. "Nach Gibbon waren vier Gründe die wichtigsten beim Fall des Römischen Imperiums: eine zu große militärische Anstrengung (in Mesopotamien, dem heutigen Irak!), soziale Dekadenz, religiöse Konversionen und Einfälle der Barbaren. Mindestens zwei dieser Phänomene rauben heute dem amerikanischen Imperium den Schlaf." Wojcik erinnert auch daran: "Bisher wurde das Vakuum nach einem gefallenen Imperium immer durch ein neues Imperium gefüllt. Heute scheint das kommunistische China der einzige Kandidat dafür zu sein. Vielleicht sollte uns also das Wohlergehen unserer amerikanischen Imperialisten am Herzen liegen?"
Archiv: Przekroj

San Francisco Chronicle (USA), 25.11.2007

William Langewiesche ist einer der besten und berühmtesten Reporter der USA, Autor einer umwerfenden Reportage über den Weinpapst Robert Parker, aber auch wichtiger Artikel und Bücher über die Aufräumarbeiten am Ground Zero oder den Irakkrieg. Heute ist er Chefreporter bei der richtigen Vanity Fair und erklärt in einem ausführlichen Porträt, das Dorsey Kindler für den San Francisco Chronicle verfasst hat, warum er seinen vorherigen Arbeitgeber Atlantic Monthly verließ: die Zeitschrift war von Boston nach Washington umgezogen "'Ich kann Washington nicht ausstehen' sagt Langewiesche, 'Die Weltsicht dieser Stadt scheint mir zweifelhaft. Ich glaube, Washington ist eine sehr kranke Stadt, die Hauptstadt eines Imperiums, das an zuviel macht krankt.'"

New York Times (USA), 25.11.2007

Jamaa Mezuak, ein kleines Viertel in der marokkanischen Küstenstadt Tetouan, produziert überdurchschnittlich viele Selbstmordattentäter. Andrea Elliott schaut sich für eine große Reportage im New York Times Magazine dort um. "Falls es ein Ventil für den Überfluss an männlicher Energie des Viertels gibt, ist das der Fußball. Im Sommer versammeln sich Hunderte von Jungs, um den Spielern zuzuschauen, wie sie in einem alten Betonbecken herumrutschen, manche von ihnen barfuß. Als ich eines Nachmittags im Juli dort am Rand saß, kam ich mit einer Gruppe von Teenagern ins Gespräch. Es ging um ihre Helden. Sie sagten, dass sie Zinedine Zidane verehrten, den Muslim algerischer Abstammung, der die Fußballwelt von Frankreich aus erobert hatte. Sie liebten den Propheten Mohammed. Die bloße Erwähnung von Osama bin Laden verursachte ein Meer an hochgereckten Daumen."

Es gibt viele autobiografische Berichte von Gegnern Stalins. Aber keinen, der die Erfahrungen der Menschen beschreibt, die sich mit dem Regime arrangiert haben. Orlando Figes' "außerordentliches" Buch "The Whisperers. Private Life in Stalin's Russia" erzählt nun davon und ist der ultimative Rüffel für Putins Anstrengungen, Russland eine moralische Amnesie zu verordnen, freut sich Joshua Rubenstein in der Book Review. "Figes liefert entmutigende öffentliche Denunziationsbriefe, 'formelhafte Notizen, die zu Tausenden in der sowjetischen Presse abgedruckt wurden'. Einer schrieb: 'Ich, Nikolai Iwanow, verstoße meinen Vater, einen ehemaligen Priester, weil er viele Jahre lang Menschen in die Irre geführt hat, indem er ihnen erzählte, dass Gott existiert, und das ist der Grund, warum ich alle Verbindungen mit ihm löse.'"

Mit Simon Sebag Montefiores Stalin-Biografie kann Richard Lourie nichts anfangen: "Wie wurden sie so", die Monster der Geschichte? "Hier erfahren Sie es nicht. Simon Sebag Montefiore ... ist nicht ein Historiker, sondern zwei. Der erste ist fähig zu seriösen Recherchen und Einblicken, doch er wird von dem zweiten in den Schatten gedrängt, der Geschichte als Skandal begreift und Geschichtsschreibung als Klatsch. Vanity Fair goes to Lubjanka."
Archiv: New York Times