Magazinrundschau

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Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
20.05.2008. In der London Review of Books erzählt Kevin Kopelson, wie er mit Plagiaten Professor wurde. Elet es Irodalom beneidet die polnische Presse um ihre Unabhängigkeit. Unter Nasser und Saddam Hussein ging es den Christen im Nahen Osten besser als heute, behauptet der Priester Giuseppe Scattolin in Resetdoc. Im Spectator erzählt Greta Scacchi, wie Bill Murray nutzlos auf ihrer Couch rumhing. In Le Point findet Bernard-Henri Levi farbige Adjektive für das Regime in Burma. Im Espresso analysiert Umberto Eco die neuen Mordmethoden der Mafia nach.

London Review of Books (UK), 22.05.2008

Ist das ein Fake? Kann man das glauben? In einer leicht verrückt wirkenden Beichte gesteht Kevin Kopelson, Englisch-Professor an der University of Iowa, wie er seine kleine wissenschaftliche Karriere aufgebaut hat: mit Plagiaten. Es begann im Herbst 1968, als Kopelson in der vierten Klasse einen Aufsatz über einen Konquistador schreiben sollte. "Ich wählte Hernando Cortez - vielleicht weil ich, wie Keats, den Namen mag. (Natürlich meinte Keats Balboa.) Aber wohl wissend, dass, was immer ich abgab, nicht wirklich zählte und auch dass Mr. X sich um diese lächerliche Situation noch weniger kümmerte als ich, schrieb ich einfach einen Lexikoneintrag ab. Die Sache ist nur, es war weder ein normales Lexikon noch ein normaler Eintrag. Das Lexikon war etwa hundert Jahre alt und der Eintrag zu 'Cortez' ungefähr 20 Seiten lang. Es war klar, dass mein Beitrag nicht der eines Achtjährigen sein konnte. Nicht mal der eines frühreifen, nicht mal der eines altklugen. Stellen Sie sich meine - Erleichterung? Überraschung? Indifferenz? Verachtung? - vor, als dieser früheste Diebstahl zurück kam mit der Note 'A'. ('Nette Arbeit!' schrieb Mr. X. Aber natürlich, wenn der Mann nicht ironisch war, hatte er den Aufsatz schlicht nicht gelesen - der faule Bastard.)"

Adam Shatz kommentiert die Privatisierung von Aufenthaltslagern für Immigranten nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien. Und er schildert Fälle wie diesen: "Da ist etwa Manuel Bravo, der als Frau verkleidet aus Angola floh, nachdem seine Eltern als Regierungsgegner ermordet worden waren. Als Bravos Anwalt bei der Anhörung vor dem Asyltribunal im Oktober 2002 einfach nicht auftauchte, musste er sich selbst verteidigen. Man versprach ihm, er würde über die Entscheidung des Tribunals innerhalb eines Monats verständigt. Er wartete drei Jahre, dann wurden er und sein dreizehn Jahre alter Sohn Antonio eines Morgens um sechs Uhr ohne jede Vorwarnung festgenommen und ins Abschiebelager Yarl's Wood verbracht. Am nächsten Morgen erhängte sich Bravo, es war sein 35. Geburtstag, im Treppenhaus."

Weitere Artikel: Terry Eagleton bespricht John Mullans Buch "Anonymity", eine Geschichte anonym veröffentlichter Werke der englischen Literatur seit dem 16. Jahrhundert. James Meek hat James Kelmans Roman "Kieron Smith, Boy" gelesen und Hal Foster hat die große Richard-Serra-Ausstellung im Paris Grand Palais besucht.

Elet es Irodalom (Ungarn), 16.05.2008

"Der Zustand der polnischen Presse ist aus ungarischer Sicht paradiesisch", stellt Janos Szeky nach einem Besuch ungarischer Journalisten in polnischen Redaktionshäusern fest und kann seinen Neid kaum verbergen: "Die polnischen Medien und insbesondere die Printpresse hatte genügend Kräfte, um die beiden mageren Jahre des Rechtspopulismus (und zuvor die Interventionsversuche der Linken) zu überstehen. Die Widerstandskraft (im biologischen Sinne) der ungarischen Presse hingegen ist zweifelhaft. Die Gründe dafür sind wirtschaftlich, kulturell und lassen sich aus dem politischen System ableiten. [...] Nach 1956 galt in Ungarn die Wirtschaft, in Polen die Kultur als 'Ventil'. Vielleicht haben sie ein besseres Geschäft gemacht. Die Polityka hatte auch während der Diktatur in der Person von Ryszard Kapuscinski mindestens einen weltberühmten Autor, und nach 1980 fand im Land eine regelrechte kulturelle Revolution statt. Und während bei uns die Underground-Presse die Basis für oppositionelle Auffassungen war, war dies in Polen die oberirdische - wenngleich zensierte - katholische Presse. Es gab also keine Trennung zwischen Opposition und Professionalismus."

Die Ermordung zigtausender polnischer Offiziere durch die russische Armee 1940 in Katyn war nicht nur durch den Krieg bedingt, erklärt die Historikerin Ewa Rosowska im Interview mit Andras Palyi: "Im Winter 1939-40 kämpften in der Sowjetunion hinter den Kulissen zwei Auffassungen gegeneinander, was das Schicksal der polnischen Offiziere betraf. Für die sowjetische Militärführung war die polnische Armee eine gut organisierte und ausgerüstete traditionelle Armee, die von den Deutschen nur dank deren außergewöhnlicher technischer Überlegenheit und Blitzkriegstrategie besiegt werden konnte. Für die politische Führung dagegen war die polnische Armee eine typische Bourgeoisie-Armee, deren Offiziere Polen, die gemeinen Soldaten aber ausgebeutete Nationalitäten - Ukrainer, Weißrussen, Juden und andere - waren, und der dieser Klassenkonflikt zum Verhängnis wurde. Im April 1940 gewannen letztere - nicht zufällig, schließlich war auch Stalin ihrer Meinung. (...) Polen verschwand von der europäischen Landkarte und es gibt mehrere Anzeichen dafür, dass Stalin es nur ungern dort wiedergesehen hätte. Er wusste auch, dass eine wichtige Voraussetzung dafür die Liquidierung der polnischen Intelligenz war.?

ResetDoc (Italien), 14.05.2008

Resetdoc widmet sich Christen im Nahen Osten. Der koptische Priester Giuseppe Scattolin stellt im Gespräch mit Khalid Chaouki fest, dass die alten Diktatoren aus christlicher Sicht so schlecht nicht waren. "Zur Zeit von Nassers Revolution haben sich die ägyptischen Kopten interessanterweise weitaus mehr eingebunden gefühlt in die Geschicke ihres Landes, dank der arabischen nationalistischen Bewegung , die zwar von arabischer Kultur inspiriert, aber völlig säkular angelegt war. Auch Saddam Husseins Baath-Partei hat die Rolle, die arabisch-christliche Gemeinden spielten, vor einem säkularen Hintergrund anerkannt."

Vom Libanon bis nach Griechenland ist Frederic Pichon gereist, um alte christliche Gemeinden und Konvente in der Region zu besuchen. Elisabetta Ambrosi spricht mit Pichon über die prekäre Lage der Christen in muslimischen Ländern und ihre nützliche Rolle in islamischen Mehrheitsgesellschaften. "In Wirklichkeit ist der Extremismus, der die muslimische Welt aufwühlt, eine interne Angelegenheit des Islam. Die wahre Kluft öffnet sich zwischen Sunniten und Schiiten. Die Christen haben immer als Kitt zwischen diesen Gemeinschaften fungiert, und deshalb ist ihre Präsenz derzeit noch wichtiger als in der Vergangenheit, als sie die Moderne in die arabische Welt brachten." Pichon hat seine Reise auch in einem Buch festgehalten.

Außerdem betont der Schriftsteller Massimo Carlotto im Gespräch mit Amara Lakhous die gemeinsamen mediterranen Wurzeln von Christen und Muslimen. Und Andrea Riccardi ruft die Muslime in einem ursprünglich in La Stampa erschienenen Artikel auf, gemeinsam mit den Christen die Zukunft der arabischen Welt zu gestalten.
Archiv: ResetDoc

New York Review of Books (USA), 29.05.2008

Thomas Powers hat einen ganzen Stapel neuer Bücher zur verfahrenen Lage im Irak gelesen, an der auch ein neuer Präsident nichts wird ändern können: "Nicht nur Leben, Theorien über die nationale Sicherheit und der amerikanische Stolz stehen auf dem Spiel. Sondern auch Geld. Die beiden Kriege in Afghanistan und Irak haben bisher schon 700 Milliarden Dollar gekostet, und die Ökonomen Joseph Stiglitz und Linda Bilmes schätzen, dass noch einmal Kosten wie etwa für die medizinische Versorgung von zwei Billionen belaufen werden, selbst wenn der Irakkrieg sofort beendet würde. Aber die wahren Kosten sollten auch noch etwas anderen beinhalten - einen Teil des gestiegenen Ölpreises, den wir den Irakkriegszuschlag nennen können. selbst wenn wir den Krieg nur für zehn Dollar des insgesamt um 80 bis 90 Dollar gestiegenen Barrel-Preises verantwortlich machten, würde das 200 Millionen Dollar ausmachen - pro Tag."

Robert Barnett fand in Pico Iyers Porträt "The Open Road", den Dalai Lama offenbar recht überzeugend als Charismatiker gezeichnet, der durchaus in seiner politischen und spirituellen Substanz mit Nelson Mandela oder Vaclav Havel zu vergleichen sei. Allerdings haben die Ereignisse in Lhasa vom März die Lage verändert, bei der achtzig Tibert getötet und mehr als tausend verhaftet wurden. Sie drohen nun Opfer der Pekinger Maxime "kuai pi, kuai zhua, kuai shen, kuai sha" - "schnell erkennen, schnell verhaften, schnell verurteilen, schnell hinrichten" - zu werden.

Besprochen werden außerdem eine Reihe neuer Studien zum Islamischen Terrorismus, Patrick Hamiltons nun auch auf Englisch wieder aufgelegten Romane und John Lukacs' Churchill-Biografie "Blood, Toil, Tears and Sweat".

Espresso (Italien), 16.05.2008

Umberto Eco beobachtet in seiner Bustina di Minerva, wie die Mafia sich ans neue Jahrtausend anpasst. In Rom wurde ein Marokkaner von der Polizei aufgefunden, der gezwungen worden war, sein Handy zu verschlucken. "Der Stein im Mund ist eine Strafe der Mafia und wird im Rachen von Toten gefunden, die zu Lebzeiten Geheimnisse an Außenstehende verraten haben (von Giuseppe Ferrara gibt es einen Film mit dem gleichen Titel), und es ist nicht verwunderlich, dass diese Sitte sich auch auf andere ethnische Gruppen ausbreitet. Außerdem ist die Mafia ein durch und durch internationales Phänomen. Meine russische Übersetzerin wurde vor Jahren in Moskau einmal gefragt, was Mafia denn auf Italienisch heiße. Aber diesmal handelt es sich nicht um einen Stein, sondern um ein Handy, und das ist hochsymbolisch. Die neue Kriminalität ist nicht mehr ländlich, sondern urban und technisch, es ist ganz klar, dass das Opfer nicht mehr garottiert wird, sondern, na ja, cyborgiziert. Jemanden ein Handy schlucken zu lassen, ist so ähnlich, wie jemanden seine Genitalien schlucken zu lassen. Das Handy ist der persönlichste Gegenstand, den man besitzt, die natürliche Ergänzung des Körpers, die Verlängerung des Ohrs."
Archiv: Espresso

New Yorker (USA), 26.05.2008

Joan Acocella beschäftigt sich unter der schönen Rubrizierung "Annals of Drinking" ausführlich mit dessen Folgen: dem Kater. Wir erfahren unter anderem: "Manche Begriffe dafür beziehen sich prosaisch auf seine Ursache: Demnach sind die Ägypter 'noch', die Japaner 'den zweiten Tag', die Chinesen 'vom Vorabend' betrunken. Die Schweden sind 'von hinten erwischt'. Doch erst in Sprachen, die eher die Folgen statt der Ursache beschreiben, entfaltet sich wirklich poetische Kraft. Menschen in El Salvador erwachen als 'Radiergummi', Franzosen mit 'hölzernem Mund' oder 'Haarschmerzen'. Deutsche und Holländer haben einen 'Kater', vermutlich kreischend. Die Polen erleben 'schreiende Kätzchen'. Mein Favorit sind die Dänen, die 'Schreiner in der Stirn' haben. Entsprechend den Eskimos, die neun Wörter für Schnee kennen, haben die Ukrainer mehrere für den Kater. Und gemäß des jüdischen Trinkverbots, hatten die Israelis bis vor kurzem keinen eigenen Begriff. Dann beschlossen Experten der Akademie für Hebräische Sprache in Tel Aviv, dass man einen Begriff brauche und kreierten einen: hamarmore, abgeleitet von dem Wort für Vergärung."

Weitere Artikel: Anlässlich einer Neuauflage seines ersten Buchs "Things Fall Apart" (Anchor) porträtiert Ruth Franklin den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe. James Wood rezensiert den Roman "Netherland" von Joseph O'Neill (Pantheon). Peter Schjeldahl führt durch eine Ausstellung mittelalterlicher Kunst im Jewish Museum. Und Anthony Lane sah im Kino Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" ("The Edge of Heaven"). Zu lesen sind außerdem die Erzählung "The Full Glass" von John Updike und Lyrik von Arthur Sze, Sarah Arvio und Don Paterson.

Nur im Print: ein Text von Woody Allen, das Porträt eines Videokünstlers, der sich mit Hurrikan Katrina auseinandersetzt und eine Reportage aus einer Suppenküche in Chelsea.
Archiv: New Yorker

Al Ahram Weekly (Ägypten), 15.05.2008

Die Übersetzerin Marilyn Booth schäumt heute noch, wenn sie daran denkt, wie sie bei "Girls of Riyadh" behandelt wurde. Die Autorin Rajaa Alsanea antwortete erst nicht auf ihre Mails und verschlimmbesserte schließlich alles noch mal im Alleingang. Der Penguin-Verlag ließ sie gewähren. Ein Symptom für eine fatale und grassierende Geringschätzung des Übersetzerhandwerks, meint Booth. "Die Änderungen von Alsanea entsprechen der flapsigen Hybridität, von der Verleger glauben, dass die Leser sie bevorzugen. Sonst müssten sie sich ja mit dem Text und der Kultur wirklich auseinandersetzen, sie wären gezwungen, ihre komfortablen Annahmen über den Rest der Welt in Frage zu stellen. sie müssten etwas Neues lernen. Das ist ein Teufelskreis. Wenn englischsprechenden Lesern vorgegaukelt wird, sie müssten sich mit anderen Kulturen nicht nach deren eigenen Regeln auseinandersetzen (in 'Girls of Riyadh' etwa umschreiben Jugendliche globale Konsumkultur mit ihren lokalen Ausdrücken), werden sie in ihren angenehm isolierten kulturellen Lehnstühlen sitzen bleiben und nichts mitbekommen von den reichhaltigen kulturellen Eigenheiten oder politischen Nuancen. Aufrüttelnde Leserlebnisse bleiben so aus."

Im Nationatheater in Kairo wird "Les Miserables" als reines Drama aufgeführt, und Nehad Selaiha hat auch ohne Musik eine ganze Packung Taschentücher vollgeheult, wie sie fröhlich berichtet. Und einen neuen Star entdeckt: Tamer El-Kashif,der noch auf der Schauspielschule ist.
Archiv: Al Ahram Weekly

Boston Globe (USA), 18.05.2008

Elaine McArdle zitiert in der "Ideas"-Sektion zwei neue aufsehenerregende Studien zum "Gender Gap" in den Naturwissenschaften - warum gibt es so viel weniger Frauen in diesen Bereichen? Ist es allein Sexismus? Sie befragten mathematisch begabte Frauen, und "ein wichtiger Teil der Erklärung, die sie fanden, sind die Vorlieben der Frauen selbst. Wenn es um bestimmte Jobs mit mathematischem oder wissenschaftlichem Charakter geht, dann bleibt ein großer Teil der Frauen - obwohl höchst qualifiziert für diese Jobs - fern, und zwar ganz schlicht, weil sie lieber etwas anderes tun wollen."
Archiv: Boston Globe

Point (Frankreich), 15.05.2008

In seinen Bloc-notes legt Bernard-Henri Levy die Diktatur in Burma unters Mikroskop und analysiert ihre Erscheinungsformen und Eigenschaften, von taub und autistisch über rassistisch bis mafiotisch und "ubuesk": "Die Diktatur ist nicht nur grausam, sie ist verrückt, pathologisch verrückt und derzeit paranoid, und das ist der andere Schlüssel zu diesem wahnwitzigen Regime, das sein Volk lieber sterben lässt, statt Ärzte ohne Grenzen seine Pforten zu öffnen: die humanitären Helfer wären Spione, wollten nur ins Land, um es zu destabilisieren und ruinieren, und die Pakete der Lebensmittelhilfe enthielten tödlichere Gifte als die verwesenden Leichen, die im Flussdelta des Irrawaddy herumschwimmen - diese kranken Irren, diese Kretins sind wirklich und wahrhaftig davon überzeugt. (...) Seltene Laborbedingungen. Es geschieht nicht häufig, dass man eine Diktatur auf so chemisch reine Weise funktionieren sehen kann."
Archiv: Point

Spectator (UK), 17.05.2008

Tim Walker unterhält sich mit der Schauspielerin Greta Scacchi über das schöne Alter und die prekäre Jugend. Wer jung, attraktiv und weiblich ist, ist in Hollywood recht verwundbar, wie Scacchi anschaulich erklärt. "Ich erinnere mich an Castings in Hotelzimmern und immer waren da lauter Männer, die mich anguckten. Bei einem war dieser Typ dabei, der bei Ghostbuster mitgespielt hat. Ah ja, Bill Murray. Er fragte mich vor allen anderen nach meiner Telefonnummer und ich gab sie ihm. Es war wichtig, dem Team zu zeigen dass es funkte zwischen den zwei mutmaßlichen Stars. 'Ja klar, komm heute abend vorbei', sagte ich und tat damit, was von mir erwartet wurde. Und natürlich kam Murray vorbei. Ich hatte eine recht eklektische Mischung an Freunden in meiner Wohnung versammelt und wir kochten, spielten Musik und tanzten, alle völlig zugedröhnt. Er saß einfach auf einem Sofa, völlig von den Socken. Er trug seine dämlichen Farmerstiefel und ein Holzfällerhemd und sah aus wie das Landei aus dem Mittleren Westen das er ja tatsächlich immer gewesen ist. Er ging schließlich, kopfschüttelnd, und ich sah ihn nie wieder."
Archiv: Spectator

Nouvel Observateur (Frankreich), 15.05.2008

Anlässlich des Erscheinens seines jüngsten Buchs "House of Meetings" ("La maison des rencontres", Gallimard) spricht der englische Schriftsteller Martin Amis in einem langen Interview unter anderem über den 11. September, Frauen und seine zunehmend apokalyptisch-politischen Buchstoffe. Über den Islamismus und insbesondere den Märtyrertod sagt er: "Ich weiß nicht, wie es in Frankreich ist, aber in Großbritannien herrscht eine große rationalistische Naivität in Bezug auf diese Frage. Die Leute neigen immer dazu, sich einzureden, dass die Selbstmordattentäter, die sich mit ihrer Bombe in die Luft jagen, damit die einzige Waffe einsetzen, die den Armen und Unterdrückten zur Verfügung steht. Sie schaffen es nicht zu sehen, dass der radikale Islamismus in Wirklichkeit eine Sekte ist, ein pathologisches Phänomen."

Times Literary Supplement (UK), 16.05.2008

Ritchie Robertson erkennt mit einem Blick auf die österreichische Literaturgeschichte eine "kulturelle Matrix" hinter dem Fall Josef Fritzl. Von Adalbert Stifter in "Tumalin" bis Elias Canetti in "Die Blendung" wurde er schon beschrieben, der Vater, der sein Kind einsperrt, "züchtigt", missbraucht: "Josef Fritzl existierte in der Literatur, lange bevor es ihn im Leben gab. Wir sollten solch kritischen Schriftstellern wie Nestroy, Anzengruber, Nabl, Canetti und vielen anderen mehr Aufmerksamkeit schenken, deren Arbeiten voreilig als Überzeichnungen abgetan wurden. Es zeigt sich, dass ihre monströsen und grotesken Charaktere, Gundlhuber und Benedikt Pfaff, die perversen Energien verkörpern, die in der österreichischen Gesellschaft wirken. In seinen Schriften über den Realismus pries Georg Lukacs Autoren wie Balzac oder Dickens, deren Figuren keinen statistischen Durchschnitt repräsentieren, sondern einzigartig, außergewöhnlich, überlebensgroß seien wie Balzacs Polizeichef Jacques Collin. Es seien genau solch weither geholte Charaktere, meinte Lukacs, in denen der Realismus triumphiert, denn in ihnen finden die Konflikte und Widersprüche einer Gesellschaft ihren Ausdruck."

New York Times (USA), 18.05.2008

David E. Sanger, der Chef des Washingtoner Hauptstadtbüros der Times, empfiehlt Robert Kagans Essay "The Return of History and the End of Dreams" (sehr langer Auszug), nicht nur weil Kagan einer der wenigen Neocons sei, die sich nicht in der Bush-Administration die Finger schmutzig gemacht haben - sondern weil er auch das Ohr des möglichen nächsten Präsidenten John McCain hat. Die Weltlage beschreibt Kagan nach Sanger so: "Die Welt nach Kagan ist 20 Jahre nach dem Mauerfall von einer neuen Spaltung durchzogen, die allerdings nicht ganz so scharf ist wie zur Zeit des kalten Krieges. Europäische und asiatische Demokratien gehören zu einem fließenden Verband eher proamerikanischer, wenn auch durch Eigeninteressen geprägter Nationen. Ihnen gegenüber stehen die autoritären Regimes in Russland und China, die Verbindungen mit dem Iran aufrechterhalten, Nordkorea aus der Patsche helfen und Diktaturen in Afrika bezirzen, die glücklich sind, ihr Öl an Länder zu verkaufen, die sie nicht mit endlosen Lektionen über Menschenrechte nerven (während wir die Saudis bezirzen und Bush immer den Stummschalter drückt, falls Saudis bei seinen Freiheitsreden zugegen sind)."

Außerdem: David Shaftel schickt eine hübsche Reportage aus Trinidad, wo man nicht recht warm wird mit dem größten Sohn des Landes, V.S. Naipaul. Im Magazin schreibt Matt Bai ausführlich über John McCain und seine Position zum Irak-Krieg. Und John Wray benennt einen neuen Trend im Indie-Pop: Solo bleiben, aber wie eine ganze Band klingen.
Archiv: New York Times