Magazinrundschau

Metaphysische Fürze

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
06.01.2009. Im Merkur erwischt Mark Lilla die Linke bei der Suche nach neuen Aposteln. Im Guardian bedauert der norwegische Autor Per Petterson den Tod seiner schärfsten Kritikerin. In der Gazeta Wyborcza schüttelt sich der slowenische Schriftsteller Drago Jancar vor dem Gift provinzieller Intoleranz. In Rue89 langweilt sich Roland Barthes in China. Für das TLS hat Adam Hochschild ein Buch über Amerikaner im Gulag gelesen. NZZ Folio erzählt alles über Nina-Kredite. Und Christopher Hitchens verteidigt in Vanity Fair muslimische Intellektuelle gegen herablassende Multikulturalisten.

Guardian (UK), 03.01.2009

James Campbell porträtiert den norwegischen Autor Per Petterson, der bei einem Fährunglück auf einen Schlag fast seine ganze Familie verloren hat: seine Eltern, seinen Bruder und dessen Sohn. Über diesen Verlust schrieb er in seinem Roman "Im Kielwasser", in seinem neuen, bisher nur auf Norwegisch erschienenes Buch "Jeg forbanner tidens elv" geht es um das komplizierte Verhältnis eines Schriftstellers zu seiner Mutter: "Per Petterson erinnert sich genau an das, was seine Mutter zuletzt zu ihm gesagt hat. Es war im April 1990. Sie hatte gerade seinen ersten Roman 'Echoland' zu Ende gelesen, der in Norwegen im Jahr zuvor herausgekommen war. 'Sie sagte: "Nun, ich hoffe, der nächste wird nicht so kindisch." Was mich umhaute. Am nächsten Wochenende war sie tot.'"

Der irische Autor Colm Toibin erzählt, wie er sich als Teenager in Ingrid Bergman verliebte. Er war zwölf Jahre alt, sein Vater kurz zuvor gestorben, und er durfte zum ersten Mal länger aufbleiben, um "Gaslight" zu sehen: "Weder mein Bruder noch ich hatten jemals einem solchen Film gesehen, in dem die Motive so unklar waren und die Handlung so langsam, dramatisch und so grausam. Es war furchterregend. Unvergesslich war die Nacht aber auch wegen Ingrid Bergman. Sie schien so allein in der Welt, ohne lebende Verwandte, die kommen und sie retten könnten. Ihr Haus war groß und schön. Sie schien zum Glück bereit, so wunderbar zart, dabei so nervös und beunruhigt. Jedes Mal wenn die Kamera auf sie fokussierte, fing sie etwas Fremdes in ihr ein, einen nervösen Blick, ein besorgtes Lächeln, einen Hauch von ihrem starken Innenleben."
Archiv: Guardian

Gazeta Wyborcza (Polen), 03.01.2009

"Vor zwanzig Jahren haben wir davon geträumt, dass Slowenien, befreit von der ideologischen Starre Jugoslawiens, zu einem europäischen, weltoffenen Land wird. Heute interessieren sich die Leute nur für sich selbst", bedauert der Schriftsteller Drago Jancar. Nach dem Fall der Berliner Mauer hatten viele Slowenen auf einen freien Fluss von Menschen, Idee und Waren gehofft. "Aber je weiter die Zeit kühner Veränderungen und Hoffnungen zurückliegt, desto deutlicher wird, dass im ganzen früheren Osteuropa wir uns nur für uns selbst interessieren. Unsere kollektiven Frustrationen und kulturelle Selbstgenügsamkeit wurden zum Inhalt des öffentlichen Lebens. Unsere Realität ist immer mehr vom Gift provinzieller Intoleranz erfüllt."

Trotz des Kaukasus-Krieges gibt es zwischen Georgien und Russland mehr als nur Konflikte, freut sich Marcin Wojciechowski. Im Dezember präsentierte die Moskauer Gallerie "Prone" Werke des Künstlers Niko Pirosmani (dazu eine schöne Webseite mit Bildern). Er wurde zusammen mit Werken russischer Futuristen ausgestellt, die ihn Anfang des 20. Jahrhunderts erst entdeckt und berühmt gemacht hatten. "In seiner Malerei und Biografie sieht man, wie georgische und russische Kunst verwoben waren. Gut, dass es trotz des Krieges und des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu einer solchen Ausstellung in Russland kommen konnte." Außer den Ähnlichkeiten mit dem Primitivisten Nikifor Krynicki faszinierte Wojciechowski an den Bildern Pirosmanis die Atmosphäre von Tiflis jener Zeit - die gleiche, in die Josif Dschugaschwili nach seinem Rauswurf aus dem Priesterseminar abtauchte.
Archiv: Gazeta Wyborcza

Rue89 (Frankreich), 04.01.2009

Sonderlich prickelnd hat Roland Barthes ihn offenbar nicht gefunden, diesen Betriebsausflug, den er gemeinsam mit den Betreibern der Zeitschrift Tel Quel 1974 ins maoistische China unternahm. Das ist jedenfalls seinem Reisetagebuch zu entnehmen, das jetzt versehen mit einem Vorwort des Tel Quel-Begründers und seinerzeit hochmodischen Maoisten Philippe Sollers erscheint ("Carnets du Voyage en Chine", Christian Bourgois). Demnach hat er sich auf dieser "extravagantesten Reise der französischen Intelligenzija" - neben ihrem Initiator Sollers waren unter anderem dessen Frau Julia Kristeva, der Lyriker Marcelin Pleynet und der Philosoph Francois Wahl mit von der Partie, Jacques Lacan dagegen trat kurz zuvor davon zurück - vor allem eines: gelangweilt. Vier Tage nach der Ankunft jedenfalls notierte Barthes während der stereotypen Ansprache eines maoistischen Offiziellen: "Todlangweilige Rede, Vergleich Vergangenheit/Gegenwart. Ich betrachte mein Teeglas: Die grünen Blätter haben sich entfaltet und bilden am Glasboden eine Schicht. Aber der Tee ist sehr dünn, fade, kaum Tee, sondern eher heißes Wasser." Nach seiner Rückkehr schrieb Barthes für Le Monde einen Artikel, der nichts von seinen eigentlichen Gefühlen verlauten ließ. Simon Leys, einer der frühesten Kritiker des Maoismus in Europa, nannte ihn in einer berühmten Polemik einen "winzigen Hahn für Lauwarm".

Die Januarausgabe des Magazine Litteraire druckt Auszüge aus dem Tagebuch, online ist ein kreuzbraves Interview mit Philippe Sollers über Barthes und diese Reise zu lesen.
Archiv: Rue89

Times Literary Supplement (UK), 02.01.2009

Mit Erschütterung hat Adam Hochschild das Buch "The Forsaken" von Tim Tzouliadis gelesen, das die Geschichte der Amerikaner erzählt, die während der Großen Depression in die Sowjetunion ausgewandert waren - und dort, als sie nicht mehr für Propagandazwecke nützlich waren, zu Zehntausenden im Gulag endeten: "Tzouliadis' überraschendster Beitrag zu dieser traurigen Geschichte ist, wie die verzweifelten Hilferufe der gefangenen Amerikaner, von denen einige aus den Gefängnissen geschmuggelt wurden, andere von den Familienmitgliedern unter Lebensgefahr direkt an die scharf überwachte amerikanische Botschaft gerichtet wurden, von den Diplomaten in Moskau und den Beamten in Washington ignoriert wurden. Tzouliadis hat sich für diesen Nachweis durch Hunderte von State-Department-Akten gegraben und ist dabei sogar auf ein aus einem Lager geschmuggeltes Holzschild gestoßen, auf dem in Englisch die Wörter standen: 'Retten Sie mich und alle die anderen.' Während selbst der konservative Botschafter des kleinen Österreichs das Leben von mehr als zwanzig österreichischen Linken retten konnte, indem er sie in seinem Keller versteckte, taten die amerikanischen Behörden buchstäblich nichts für die von ihnen verachteten Amerikaner, die aus naivem Idealismus nach Russland gekommen waren."

Merkur (Deutschland), 01.01.2009

Die Linke entdeckt für sich den Apostel Paulus wieder, stellt der New Yorker Ideenhistoriker Mark Lilla fest, der Bücher zum Thema von Giorgio Agamben, Alain Badiou, Slavoj Zizek und Gary Wills gelesen hat. Im wesentlichen ist sein Text eine fundierte Polemik gegen Badiou, eine Art Dieudonne des Diskurses, der Paulus nutzt, um den Antisemitsmus für den linken Mainstream genießbar zu machen. Eingeleitet habe den "Aufstieg der paulinischen Bewegung in der europäischen Linken" aber der in den Achtzigern wie ein Guru verehrte Jacob Taubes: "Paulus' Erklärung, 'dass ihr ja nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade' (Römerbrief 6,14) kündigt einen zweifachen Coup d'etat an: gegen Moses und und gegen Caesar, eine souveräne Entscheidung, die eine neue Weltordnung errichtet. Jesus spielt so gut wie keine Rolle in dieser Deutung des frühen Christentums: Er war nur ein Märtyrer in den ersten Jahren des Aufstandes. Der eigentliche Revolutionär war Paulus, der eine utopische Ordnung entwarf und sie durch ein theologisch-politisches Fiat errichtete. Denn wenn morgen 'der ganze Schwindel vorbei ist', erklärt Taubes, 'da lohnt sich doch keine Revolution!' Mit anderen Worten: Wer ein großer Revolutionär werden will, nehme sich Paulus zum Vorbild." Der Artikel stand ursprünglich in der New York Review of Books ist aber leider weder hier noch dort online.

Weitere Artikel: Hans-Peter Müller erklärt, dass von einer neuen Bürgerlichkeit keine Rede sein kann, allenfalls von einer "Pathologie gesellschaftlicher Dekadenz". Ute Frevert analysiert die um Vertrauen werbende politische Semantik. Clifford Owen erklärt, warum Mitleid ein Gefühl und keine Tugend ist.
Archiv: Merkur

La vie des idees (Frankreich), 02.01.2009

"Höllische Paradise" heißt eine Studie, die der amerikanische Soziologe Mike Davis gemeinsam mit dem Politologen Daniel Bertrand Monk herausgegeben hat. Gemeint sind damit die urbanen und architektonischen Phantasmen, die der Neokapitalismus hervorgebracht hat ("Paradis infernaux. Les villes hallucinees du neo-capitalisme"; die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Evil Paradises. Dreamworlds of Neoliberalism"). Am Beispiel von elf Städten untersuchen 15 Autoren städtische Ausgeburten in Form gewaltiger Einkaufszentren oder Privatsiedlungen mitten in der Wüste und im Meer. Ein spannendes Thema, findet Rezensentin Cynthia Ghorra-Gobin, allerdings lasse das wissenschaftliche Niveau des Sammelbands mehr als zu wünschen übrig und komme als eine "simple Parodie sozialwissenschaftlicher Arbeiten daher. Die Texte beruhen auf Informationen, die sich jeder Internetbenutzer leicht selbst beschaffen kann. Die Autoren bedienen sich einiger gelehrter Quellen und zitieren häufig Adam Smith, Karl Marx oder auch Pierre Bourdieu ('der einzige Forscher, der den Neokapitalismus eloquent kritisiert hat') und führen Filmklassiker wie Fritz Langs 'Metropolis' oder 'Blade Runner' an, doch das nur, um den Kapiteln einen Hauch marxistischen Glanzes zu verleihen. Den Leser befällt deshalb der seltsame Eindruck, sich einmal mehr im Universum des Scheins und des Konsums wiederzufinden, das man andererseits anprangern will. Welch ein Unterschied zu den auf marxistischer Analyse beruhenden sozialwissenschaftlichen Arbeiten, welche die sechziger und siebziger Jahre kennzeichneten!"

Economist (UK), 02.01.2009

In einem sehr interessanten Artikel geht es um die "Generation Net" und nicht zuletzt darum, welche Schwierigkeiten die älteren Chefs mit der nachdrängenden Netz-Generation haben: "Die Netz-Generation ist mit Computern aufgewachsen; die 'Generation Net'ler sind voller Selbstvertrauen; und sie finden nichts dabei, hergebrachtes Wissen in Frage zu stellen und eigene Lösungen zu suchen; sie begreifen Arbeit eher als einen Weg zu persönlicher Erfüllung denn nur zum Broterwerb. Das macht den Umgang mit ihnen nicht immer einfach. Chefs beschweren sich, dass die Angehörigen dieser Generation als Kinder immerzu umhegt und gelobt worden sind und jetzt viel öfter Feedback verlangen und die ganz genauen Bedingungen zum beruflichen Aufstieg kennen wollen (ungefähr so wie beim Vorankommen in Computerspielen)."

Besprochen werden unter anderem die Erinnerungen von Azar Nafisi (Autorin von "Lolita lesen in Teheran", Verlag), George Magnus' nüchtern-analytischer Blick (Verlag) auf die demografische Entwicklung der Weltgesellschaft, ein Buch (Verlag) ,das dem Kopf von Oliver Cromwell nachforscht und Hugh Warwicks Liebeserklärung ans charmanteste Tier der Welt: den Igel (Verlagsseite). Außerdem ein Nachruf auf Harold Pinter.
Archiv: Economist

Espresso (Italien), 02.01.2009

Eine Herzensangelegenheit hat Silvio Berlusconi in seiner aktuellen Amtszeit schon erledigt, notiert Marco Damilano: Telefonüberwachungen sind nun stark eingeschränkt, Journalisten drohen drei Jahre Haft, wenn sie heimlich Mitgeschnittenes veröffentlichen. Aber wie ein Maßanzug sitzt dem Cavaliere das Land erst, wenn sein größtes Projekt abgeschlossen ist: die Direktwahl des Präsidenten. Es könnte klappen, meint Damilano. "Manche glauben, dass der Weg zum Präsidentialismus schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres beschritten werden könnte. (...) Falls man also in der zweiten Jahreshälfte 2009 beginnt, darüber zu diskutieren, könnte bis Ende 2010 die Zustimmung der Legislative erfolgt sein. Gerade rechtzeitig, so hat es der Cavaliere schon angekündigt, um dann die Bürger über den Präsidentialismus abstimmen zu lassen, wie es der Artikel 138 der Verfassung vorsieht." Dies wäre "etwas Ähnliches wie das Referendum von 1946, bei dem die Italiener zwischen Monarchie und Republik entschieden haben. Aber dieses Mal wäre es ein Referendum für oder gegen den Cavaliere, der davon träumt, als Gründer der Dritten Italienischen Republik in die Geschichtsbücher einzugehen. Zum Quirinal emporgehoben, vom Willen des Volkes."

Archiv: Espresso

Spectator (UK), 02.01.2009

In Indien könnten die Anschläge in Bombay einen schlafenden politischen Riesen geweckt haben, hofft Elliot Wilson. Der Gigant entsteht nicht auf dem vernachlässigten Land oder in den Ghettos der Großstädte, sondern im Internet. "Der Terroranschlag auf Bombay hat städtische Angestellte - üblicherweise der am wenigsten inspirierte Teil der indischen Wähler - vereint und gezwungen, Farbe zu bekennen, gerade rechtzeitig für die richtungsweisenden Parlamentswahlen im Frühling. Millionen von Stadtbewohnern gehen ins Netz, und besonders in die sozialen Netzwerke wie Facebook, MySpace oder Flickr. Dort stellen sie sich selbst und den Politikern, die vorgeben, sie zu repräsentieren, einige unangenehme Fragen (...). Zum Beispiel Anand Sivakumaran, ein in Bombay geborener Bollywood-Drehbuchautor, der gerade seinen ersten Spielfilm produziert und filmt. Seine Facebook-Gruppe, 'Ich bin rein', die er in den Tagen nach der Attacke einrichtete, greift er seine apathische Generation an: immer die Ersten, wenn es darum geht, Steuern zu hinterziehen oder Polizisten zu bestechen, sich dann aber über die mangelnde soziale Infrastruktur oder die institutionelle Korruption beschweren! Mit einem Touch Gandhi werden die Gruppenteilnehmer dazu aufgerufen - in den ersten 48 Stunden haben sich 400 Menschen dort eingetragen - sich nicht so egoistisch zu verhalten und 'aufzustehen und ein Vorbild für das ganze Land zu sein'."

Der bisweilen grimmig erscheinende Harold Pinter, der am Weihnachtsabend gestorben ist, war eigentlich ein ganz zugänglicher Kerl, verrät Michael Henderson, wenn man ihm mit Kricket kam. "Für Pinter war es weit mehr als ein Spiel mit Schläger und Ball. Er war nicht der erste bekannte Theaterautor, der das Spiel liebte: J.M. Barrie, Samuel Beckett und Terence Rattigan gehörten dazu, und auch das Aufgebot an modernen Dramatikern mit einem Faible für das Spiel ist beeindruckend: Alan Ayckbourn, Tom Stoppard, David Hare, Simon Gray, Ronald Harwood. Aber Pinters Liebe, als Spieler und als Zuschauer, kam einer Besessenheit nahe. Seine Stücke sind voller Anspielungen und Metaphern, manchmal mit ungewollten Folgen: Der Satz: 'Who watered the wicket at Melbourne?' wurde in einer deutschen Fassung der 'Birthday Party' als 'Wer pinkelte ans Stadttor?' übersetzt."
Archiv: Spectator

Folio (Schweiz), 05.01.2009

Folio hat eine grandiose Radioreportage der Chicagoer Journalisten Alex Blumberg, Adam Davidson und Ira Glass über die Finanzkrise übersetzt und fürs Heft bearbeitet. Eine ihrer Ursachen sind die sogenannten "Nina-Kredite", die auf dem Höhepunkt der Blase massenhaft vergeben wurden - Kredite an Kunden ohne Einkommen (Income) oder Vermögen (Asset). Einer davon war Clarence Nathan, der nur ein unsicheres Einkommen hatte und sich selber keinen Kredit gegeben hätte: "'Niemand, den ich kenne, hätte mir das Geld geliehen. Selbst die Kriminellen, die ich kenne, würden mir nicht so viel leihen, und die wissen, wie man die Daumenschrauben anzieht. Keine Ahnung, warum die Bank mir das Geld gab.' Wie sich herausstellte, hätten Clarence Nathans Freunde und seine zwielichtigen Bekannten aus dem Milieu ihm zu Recht kein Geld geliehen. Als wir mit ihm sprachen, hatte er seit fast einem Jahr keine Raten mehr gezahlt, und sein Haus war in der Zwangsvollstreckung." Die Reportage erklärt, warum die Banken solche Kredite vergaben und warum die Produkte, die auf ihnen basierten, zwangsläufig zusammenkrachen mussten. Hier kann man die Reportage auch hören.

In der Duftnote beschreibt Luca Turin die magische Wirkung von Duftsprays bei der Vertreibung von Geistern, "die man als eine Art metaphysische Fürze betrachten kann".
Archiv: Folio
Stichwörter: Geld, Chicago

Vanity Fair (USA), 01.02.2009

Zwanzig Jahre nach der Fatwa gegen Salman Rushdie hat sich die Selbstzensur im Westen - Stichwort LittleBigPlanet von Sony PlayStation oder der Roman "Das Juwel von Medina" - erschreckend verstärkt, schreibt Christopher Hitchens. "Manchmal verkleidet sich diese Angst - und diese Erpressung - als Takt und Multikulturalismus... Darauf würde ich mit dem Verweis auf ein Buch antworten, das 1994 veröffentlicht wurde. Es heißt 'For Rushdie: Essays by Arab and Muslim Writers in Defense of Free Speech'. Unter den Beiträgern finden sich fast alle Schriftsteller in der arabischen und muslimischen Welt, die diese Bezeichnung verdienen... - vom syrischen Dichter Adonis bis zum syrisch-kurdischen Autor Salim Barakat, vom inzwischen verstorbenen palästinensischen Barden Mahmud Darwisch bis zu den gefeierten türkischen Autoren Murat Belge und Orhan Pamuk. Besonders eindrucksvoll und mutig war die Liste der 127 iranischen Autoren, Künstler und Intellektuellen, die aus dem Gefängnis heraus, das die Islamische Republik ist, einen Brief unterzeichneten, in dem stand: 'Wir unterstreichen den unerträglichen Charakter des Todesurteils, das die Fatwa ist, und wir beharren darauf, dass ästhetische Kriterien die einzig angemessenen sind, um ein Kunstwerk zu beurteilen...' Mit anderen Worten, die Situation ist genau andersherum, als herablassende Multikulturalisten behaupten. Wer religiöse Zensur durch die Androhung von Gewalt nachsichtig behandelt, beleidigt und untergräbt genau diejenigen in der muslimischen Welt, die ihre intellektuelle Creme sind, die für ihre eigene Freiheit einstehen - und für unsere."
Archiv: Vanity Fair

Europa (Polen), 03.01.2009

Der Schriftsteller Eustachy Rylski (mehr hier) skizziert im Interview den Unterschied zwischen einem Autor und einem Schriftsteller: "Ein gutes Buch ist nur ein gutes Buch. Literatur dagegen braucht ein Buch und einen Schriftsteller. Ein Schriftsteller muss ein Paradiesvogel sein - immer einen Schritt vor seinen Büchern, und mit den Jahren soll er an Würde gewinnen, sich in eine Institution verwandeln und nach dem Tod zum Denkmal werden. Darum steht es schlecht bei mir: ich bekomme keine Leserbriefe, die Leseabende sind schlecht besucht, ich bekomme keine Preise, werde nicht zitiert und inspiriere niemanden. Deshalb halte ich mich für einen ausgezeichneten Autor, aber nicht für einen Schriftsteller. Das ist ein Unterschied."
Archiv: Europa

New York Times (USA), 04.01.2009

In einem großen Artikel beleuchten Michael Lewis (auf dessen wunderbaren Portfolio-Artikel zur Krise wir bereits mehrfach hingewiesen haben) und David Einhorn auf den Op-Ed-Seiten noch einmal das "Ende der Finanzwelt, wie wir sie kennen". Auch der Madoff-Skandal gibt ihnen zu denken: "Der Skandal offenbart eine klaffende Lücke in unserem Finanzsystem, das nicht einfach durch schlechtes Benehmen unterminiert wurde, sondern durch das Fehlen von Kontrollmechanismen, die es im Zaum halten. 'Gier' ist keine keine befriedigende Erklärung für unsere gegenwäritige Finanzkrise. Gier war eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, Gier können wir aus unserem Nationalcharakter genauso wenig tilgen wie Lust oder Neid. Das eigentliche Problem ist nicht die Gier der wenigen sondern die schlecht gebündelten Interessen der vielen."
Archiv: New York Times