27.01.2009. Elet es Irodalom beklagt die Feigheit des ungarischen Theaters. Wired zeichnet nach, warum Googles Deal mit Yahoo scheiterte. In Spiked beschreibt der Soziologe Frank Furedi den wachsenden Antisemitismus in Europa. In Salon.eu.sk rühmt der Soziologe Zygmunt Bauman Europas Fähigkeit, den Fremden als einen Gleichen zu behandeln. Im Hungarian Quarterly besingen die Ungarn Daisy Bell. Im Nouvel Obs wollen Bahgat Elnadi und Adel Rifaat den Koran denken, nicht ihn psalmodieren. Die New York Review of Books fürchtet sich vor Google, dem bald größten Buchunternehmen der Welt.
Elet es Irodalom, 16.01.2009

Das ungarische Theater ist in der Krise. Die Theaterelite behauptet, die Knappheit Subventionen sei Schuld daran. Aber das stimmt nur zum Teil,
findet der Theaterkritiker
Tamas Koltai - das eigentliche Problem sei die
Feigheit des ungarischen Theaters von heute. "Das ungarische Theater fürchtet drei Dinge am meisten: Existenzfragen, Realität und Gedanken. Folglich reagiert man darauf auch besonders empfindlich, im negativen Sinne: Nichts auf der Welt ruft so viel Abneigung hervor - die schlechte Qualität nicht, die Bluffs nicht, das Primitive nicht -, wie jenes Theater, das von uns handelt, das die Ruhe unseres Alltags stört, und das einen Intelligenzquotienten verlangt, der über dem Minimum liegt. Nicht die Niveaulosigkeit wird zum Kulturskandal, ... sondern das, was Qualität schafft, Gedanken inspiriert und Fragen stellt. Warum aber wundern wir uns darüber? Warum sind wir von der Feigheit unseres Theaters überrascht, wenn die
gesamte Gesellschaft feige ist?"
Hungarian Quarterly, 25.01.2009

Auf Englisch
lesen dürfen wir John Pinfolds Geschichte des
Jockeys George Williamson, der - nicht nur, aber auch - in Ungarn eine fabelhafte Karriere machte. Die Ungarn waren damals überhaupt sehr anglophil. Als Williamson einmal mit einer neuen
eleganten Freundin bei einem Pferderennen in Budapest erschien, "fing die Menge sofort an, den bekannten Music Hall Song
'Daisy Bell' zu singen (
'Daisy, Daisy, give me your answer do...'). Die Dame war Daisy,
Gräfin von Warwick, die Frau, für die der Song geschrieben worden war, und ehemalige Geliebte König Edwards VII. Wie auch immer, Daisy Warwick gefiel auch dem Grafen
Elemer Batthyany, dem Präsidenten des hungarischen Jockey Clubs, und nicht lange, nachdem sie Williamson verlassen hatte, wurde sie Batthyanys Geliebte. Batthyany, damals noch Williamson zugeneigt, sorgte dafür, dass er in dieser Saison kein Rennen mehr reiten konnte, und so musste er Ungarn verlassen und nach England zurückkehren."
Guardian, 24.01.2009

Emma Brockes
unterhält sich mit dem amerikanischen
Schriftsteller Dennis Lehane, einem Mann, der zwischen 1994 und 2003 jedes Jahr einen Roman geschrieben hat, von denen einige verfilmt wurden (
Mystic River). "Lehane hat den Vorteil auf ein durch und durch
dramatisches Milieu zurückgreifen zu können, in dem er in
Boston aufwuchs. In den 70ern war Boston eine Stadt am Rande des Bürgerkriegs. Er war das jüngste von fünf Kindern, der Sohn eines Gewerkschafters, eines Vorabeiters bei
Sears, Roebuck, und einer Hausfrau, beide irische Immigranten der ersten Generation. Seine Nachbarschaft war auf der Grenze zwischen
zwei sich bekriegenden Fraktionen. 'Direkt im Norden angrenzend war South Boston, damals hundert Prozent weiß, sehr arm, sehr wütend, sehr rassistisch. Im Osten lag Roxbury, das hauptsächlich schwarz war. Und dann gab es uns. Wenn die beiden in den Krieg zogen,
raten Sie,
wer Polen war? Wir wurden ständig überrannt.'"
Gazeta Wyborcza, 24.01.2009

In der polnischen Tageszeitung werden zwei kontrovers
diskutierte historische Filmen aus den USA vorgestellt. Während Adam Krzeminski die deutschen Debatten über "
Operation Walküre" mit Tom Cruise
reflektiert, und schon auf die polnischen gespannt ist (Kinostart am 13. Februar),
nimmt Piotr Gluchowski die hierzulande unbekannte Diskussion über
"Defiance" auf. Der Film stieß schon im Vorfeld auf kontroverse Reaktionen in Polen. Es geht um eine jüdische Partisanengruppe im Zweiten Weltkrieg, die von
Tewje Bielski (Daniel Craig) angeführt wird. In der Öffentlichkeit wurde der Vorwurf laut, die Geschichte dieser Gruppe sei von ihren "dunklen Kapiteln", vor allem einem Massaker an der
Zivilbevölkerung 1943, weißgewaschen worden. Das werfe ein falsches Licht auf die Ereignisse im besetzten Ostpolen in den Kriegsjahren. "Ein vor einem Monat noch völlig unbekannter ostpolnischer Partisan jüdischer Herkunft wird zum Mittelpunkt eines alten Streits über das
polnisch-jüdische Verhältnis im Zweiten Weltkrieg", schreibt Gluchowski. In einem anderen, englischsprachiger
Artikel beschreibt er seine Recherchen, die die Beteiligung der jüdischen Partisanen an dem Massaker widerlegen.
Nouvel Observateur, 22.01.2009

Von Bahgat Elnadi und Adel Rifaat, die unter dem Pseudonym
Mahmoud Hussein bereits mehrere Bücher zum Islam geschrieben haben, erscheint bei Grasset nun ihr jüngstes Buch: "Penser le Coran". In dem Essay plädieren die beiden französischen Intellektuellen ägyptischer Herkunft für eine
Lektüre des Koran
gegen den Islamismus. Im Gespräch
erläutern sie ihre Kernthese, wonach das Dilemma der Muslime in einer allzu wörtlichen Lektüre und Auslegung besteht, die die beiden Autoren "rasend macht". Einen Ausweg aus diesem Dilemma sehen sie darin, den Koran zu "denken" statt ihn lediglich zu "
psalmodieren". "Man muss ihn ohne Voreingenommenheit lesen. Dann zeigt er sich als eine 'mit der Zeit gehenden Transzendenz'. Seine
zeitliche Komponente und sein göttlicher Ursprung sind nicht zu trennen. Gott hat sein Wort in einer ganz bestimmten Welt und zu einer ganz bestimmten Zeit geschrieben. Der Gläubige, der dieses Wort in anderen Gegenden, in anderen Jahrhunderten lebt, kann es deshalb
nicht wortwörtlich nehmen. Im Gegenteil, er ist verpflichtet, sich um eine Interpretation zu bemühen. Den Koran 'lesen' bedeutet, ihn zu verstehen, und dies muss die erste Pflicht eines Moslems sein."
Außerdem: In einem weiteren Interview
spricht der französische Historiker für zeitgenössische arabische Geschichte
Henry Laurens über die
Aktualität des Anti-Imperialismus; dabei geht er unter anderem auf die Vergleichbarkeit des römischen und zeitgenössischen amerikanischen Imperialismus ein und erklärt, weshalb der
Dschihad keine antiimperialistische Bewegung sein kann.
Besprochen wird das Buch "Une histoire des haines d'ecrivains" von Anne Boquel et Etienne Kern, worin es um die
Gemeinheiten geht, mit denen sich
Schriftsteller des 19. Jahrhunderts von Chateaubriand bis Proust gegenseitig überzogen
(Flammarion). Sie sind empörend. Ein Beispiel:
Barbey d'Aurevilly sagte über
Prosper Merimee: "Er hat zwar die Beine eines Pfaus, aber nicht den Schwanz."
Outlook India, 02.02.2009

Sheela Reddy
stellt den pakistanisch-amerikanischen
Schriftsteller Daniyal Mueenuddin vor. Mueenuddin - teils in Pakistan, teils in Amerika aufgewachsen - lebt heute als Farmer in einem kleinen Dorf am Rande der
Wüste Thar im südlichen Punjab von Pakistan. Hier hat er Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, von denen einige bereits im
New Yorker veröffentlicht wurden (
hier,
hier und
hier). "Besonders auffällig an seinem Debütband mit 'zusammenhängenden Geschichten', die verschiedentlich mit Tschechow, Turgenjew, Faulkner und sogar, unverständlicherweise, R.K. Narayan verglichen wurden, ist, dass wir vielleicht zum ersten Mal einen Schriftsteller auf dem Subkontinent haben, der nicht nur ein erstklassiger Sprachkünstler ist, sondern sich gleichermaßenüber eine schwindende feudale Aristokratie schreiben kann wie über eine
Klasse von Charakteren, die in der englischsprachigen Literatur des Subkontinents kaum vorkam: Köche, Diener, Elektriker, Rumhänger und Diebe."
La vie des idees, 20.01.2009
In einem sehr differenzierten Gespräch
stellt der französische Historiker und Amerikanist
Pap Ndiaye sein Buch "La Condition noire - Essai sur une minorite francaise" (Calmann-Levy) vor. Darin geht es um
Schwarzsein als soziale Erfahrung im Allgemeinen und in der französischen Gesellschaft im Besonderen. Ndiayes Kernanliegen: "Es erschiene mir nicht unbedingt vernünftig zu erwarten, dass die schwarze Hautfarbe
völlig verschwindet (obwohl man natürlich auch von einer reinen Mischlingsgesellschaft träumen kann) oder dass die Hautfarbe eine Art Rudiment einer Vergangenheit ist, das unbedingt unterdrückt werden sollte. Vernünftig erscheint mir, nicht die Tatsache der schwarzen Hautfarbe abzuschaffen, sondern
die Sorge, die sich damit verbindet, den Kampf gegen die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Das Ziel ist das Verschwinden des Rassenbegriffs: Schwarz zu sein soll nicht mehr zählen als die Farbe der
Haare oder Augen. Die Last, die auf den Leuten liegt, soll leicht werden."
ResetDoc, 13.01.2009
Seyla Benhabib wünscht sich eine
Konföderation aus Israel und Palästina. "Angenommen, die Neutralisierung von Gruppen wie Hamas und Hizbollah, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen, wäre erklärtes Ziel der Palästinenser wie anderer arabischer Nationen, die
Hamas aber, sobald sie das Existenzrecht Israels anerkennen würde, dürfte mit an den Tisch; angenommen, es gäbe eine Kontrolle von Wasser, Luft und Meer, die von israelischen und palästinensischen Behörden
gemeinsam ausgeübt würde; angenommen, es gäbe eine gemeinsame Währung und eine regulierte Siedlungsrechte für alle ethnischen Gruppen in bestimmten Teilen des gemeinsamen Gebiets. Israel müsste keinen Bürgerkrieg gegen die fanatischen Siedler in Hebron und auf der Westbank befürchten, die entweder unter einer örtlichen palästinensischen Kommunalbehörde leben oder nach Israel zurückkehren müssten. Israel müsste seinen Landraub nicht mehr durch Einfälle in palästinensisches Gebiet verteidigen; die Palästinenser müssten nicht mehr vorgeben, das
Bantustan in Gaza könne in irgendeiner Form Teil eines palästinensischen Staates sein; statt dessen wäre Gaza eine autonome Region, die einer israelisch-palästinensischen Konföderation angeschlossen wäre."
Außerdem: Daniele Castellani Perelli gibt einen
Überblick über die Reaktionen in der
internationalen Presse auf den Krieg in Gaza. Marta Federica Ottaviani
beschreibt die Betretenheit der
türkischen Regierung, dass der Konflikt trotz ihrer Vermittlungsbemühungen eskaliert ist.
New York Review of Books, 12.02.2009

Roger Darnton macht sich
große Sorgen um die
Zukunft des Buchs - und des Lesers. Die Digitalisierung von Büchern durch
Google könnte eine wunderbare Sache sein, aber die Vereinbarung, die Google im Herbst 2005 mit einer Gruppe von
Autoren und
Verlegern getroffen hat, sichere Google praktisch ein
gigantisches Monopol auf Bücher. "Nachdem ich die
Vereinbarung gelesen und die Bedingungen habe sinken lassen - keine einfache Aufgabe, denn sie umfasst 134 Seiten und 15 Anhänge Juristenlatein - war ich sprachlos: hier ist ein Vorschlag, der zur größten Bibliothek der Welt führen könnte. Es wäre eine digitale Bibliothek, aber sie könnte die Library of Congress und alle nationalen Bibliotheken Europas
in den Schatten stellen. Mehr noch, wenn die Bedingungen der Vereinbarungen auf weitere Autoren und Verleger ausgedehnt werden, könnte Google das größte Buchunternehmen der Welt werden - keine Kette von Länden, sondern ein elektronischer Bereitstellungsservice der Amazon
aus-amazonen könnte." Was aber, wenn Google seinen Service eines Tages nicht nur kostenpflichtig, sondern richtig teuer macht? Soll ein Unternehmen
so viel Macht haben dürfen?
Außerdem: Roger Cohen
verzweifelt über
Israel. William Luers, Thomas R. Pickering und Jim Walsh haben
eine Idee, wie man mit dem
Iran umgehen sollte. William Dalrymple
beschreibt die politische Krise in
Pakistan. Besprochen werden
Edward Lucas'
Buch "The New Cold War: Putin's Russia and the Threat to the West",
mehrere Bücher über
F.
D.
Roosevelt und
Bücher zur
Finanzkrise.
Wired, 17.02.2009

Ah, endlich! Nicholas Thompson and Fred Vogelstein
erzählen die Geschichte über
Googles fehlgeschlagener
Werbe-Kooperation mit Yahoo. Microsoft hat es, unterstützt von Anzeigenkunden und mächtigen Firmen wie AT&T, geschafft, dass Google das Geschäft abblasen musste, weil das Justizministerium deutlich signalisiert hatte, dass es Google sogar ohne Yahoo als
potentiellen Monopolisten sieht. Vorausgegangen war eine Kampagne von Microsofts Strategen
John Kelly und dem einflussreichen Verbeberater
Michael Kassan. "Kelly bat Kassan, mit seinen Kontakten zu sprechen und eine Opposition gegen Google aufzubauen. Kassan versicherte ihm, er wisse genau, wie das zu machen sei. Google erwecke große
Angst und Misstrauen unter den Anzeigenkunden. 'Google hat eine falsche Vorstellung davon, wie es wahrgenommen wird' versicherte er Kelly. 'Wir können eine einfache und klare Geschichte erzählen.' Und die lautete so: Google beherrscht 70 Prozent des Anzeigenmarktes in der Internetsuche und Yahoo 20 Prozent. Jetzt wollen diese beiden Firmen ein Geschäft zusammen machen. Das würde Anzeigenkunden weniger Einfluss auf die
Anzeigenpreise geben, und sie würden am Ende mehr bezahlen müssen." Die Kampagne hatte Erfolg: Google zog sich notgedrungen von dem Deal mit Yahoo zurück. Sagt Kassan: "Vor neun Monaten wünschte sich jeder, Google zu sein. Jetzt steht ihnen
Monopolist übers Gesicht geschrieben."
Die Geschichte hat noch einen zweiten Strang, den Thompson und Vogelstein am Rande erwähnen: An der Kampagne gegen Google hatte sich auch der Telekommunikationskonzern
AT&T beteiligt. Er klagt Google außerdem an, mit seiner
Datenschnüffelei die Privatspäre zu verletzen, die dem Konzern so sehr am Herzen liegt, dass er sie gerne
vor gefährlichen Informationen bewahrt.
AT&T ist ein
mächtiger Gegner der
Netzneutralität (gleich schneller Internetzugang für alle) und ein großer Verfechter des
Zweiklassen-Internets (schnelle Datenübertragung für extra zahlende Kunden, langsame Datenübertragung für die nichtzahlenden, d.h. Privathaushalte und kleine Firmen, mehr dazu auf EU-Ebene
hier). Google war lange - schon aus purem Eigennutz - ein
gleichmächtiger Befürworter der Netzneutralität, scheint inzwischen aber dem Druck nachzugeben, wie das
Wall Street Journal kürzlich berichtete.
Weitere Artikel: Brendan I. Koerner
erzählt vom Versuch eines Vaters, den
genetischen Code seiner Tochter zu entschlüsseln, die an einer seltenen, bislang nicht heilbaren Krankheit leidet. Daniel Roth
beschreibt, welche Gefühle das
Foltern von Elmo bei ihm auslöst.
London Review of Books, 29.01.2009

Der US-Nahost-
Experte Henry Siegman (
hier ein kritischer Artikel zu Siegman)
sieht die Schuld am
Gaza-Krieg fast ausschließlich auf der israelischen Seite und erläutert in seinem Artikel, warum Verhandlungen mit der Hamas nicht nur möglich, sondern unbedingt notwendig sind. Und er warnt Barack Obama: "Wenn
Barack Obama einen erfahrenen Nahost-Vermittler wählt, der an der Idee festhält, dass Außenstehende auf eigene Vorschläge für ein gerechtes und dauerhaftes Friedensabkommen verzichten sollten; wenn er darauf verzichtet, Druck auszuüben und es beiden Parteien überlässt, ihre Differenzen untereinander auszutragen - dann wird er sich einen palästinensischen Widerstand einhandeln, der noch viel extremer ist als die Hamas. Dieser Widerstand wird sich dann wirklich mit
Al-Quaida verbünden... Vielleicht glauben ein paar Israelis, darunter die Anführer der Siedlerbewegung, dass ihnen das nützt, da die Regierung dann einen Vorwand hätte, am Anspruch auf ganz Palästina festzuhalten. Diese Illusion würde freilich das
Ende Israels als jüdischer und demokratischer Staat bedeuten."
Außerdem gibt es ein
Online-Only-Spezial zum
Gaza-Krieg. Es schreiben unter anderem
Tariq Ali,
Michael Wood und
Alastaire Crooke. Durchweg wird die israelische Seite
scharf verurteilt.
Weitere Artikel: Colm Toibin
bespricht Sheila Rowbothams Biografie des schwulen sozialistischen Autors
Edward Carpenters, Peter Campbell hat die
Ausstellung "
Darwin Big Idea" im Londoner
Natural History Museum besucht. Paul Myerscough
liefert einen Erfahrungsbericht vom
Pokern. John Lanchester
schreibt zur
Woolworths-Pleite.
spiked, 26.01.2009
Wir haben schon in der Feuilletonrundschau darauf hingewiesen: Der
Soziologe Frank Furedi beschreibt in
Spiked in einem ausführlichen Artikel den
wachsenden Antisemitismus in Europa. Er zählt schockierende Beispiele auf - aus Frankreich, Deutschland, England, Italien, den Niederlanden, Spanien und Dänemark. In den
Niederlanden forderte der Abgeordnete der Sozialistischen Partei Harry Van Bommel auf einer Demonstration "eine neue Intifada gegen Israel", während "Demonstranten 'Hamas, Hamas,
all Jews to the gas' und ähnliche antijüdische Slogans skandierten. Viele Leute, die es besser wissen sollten, schweigen, wenn sie Slogans wie 'Kill the Jews' oder 'Jews to the oven' bei Anti-Israel-Demonstrationen hören. Bei jüngsten Protesten in
London provozierten solche Slogans kaum Reaktionen bei Leuten, die sich sonst als progressive Antirassisten bezeichnen - sie schienen auch nicht entsetzt zu sein vom Anblick eines Mannes, der sich mit einer 'jüdischen Maske' samt krummer Nase wie die rassistische Karikatur eines Juden verkleidet hatte, während er so tat, als würde er
blutige Babys verspeisen." (Axel Feuerherd
beschrieb kürzlich in der Jungle World ähnliche Demos in Deutschland.) In
Dänemark forderten Lehrer, dass in ihren Schulen keine jüdischen Kinder eingeschrieben werden sollten. "Es begann letzte Woche, als Olav Nielsen, Direktor der Humlehave Schule in Odense, öffentlich erklärte, dass er "sich weigere, dem Wunsch jüdischer Eltern nachzukommen, die ihre Kinder in seiner Schule anmelden wollen, weil das Spannungen unter den
muslimischen Kindern hervorrufen würde. Andere Direktoren schlossen sich an mit der Begründung, die Sicherheit der Kinder gehe vor. Was auch immer ihre Intention war, diese Pädagogen senden die kraftvolle Botschaft aus, dass im Interesse der 'Gesundheit und Sicherheit' die
Ghettoisierung jüdischer Kinder eine akzeptable und sogar vernünftige Idee sei."
Salon.eu.sk, 21.01.2009
Europa ist weder militärisch noch wirtschaftlich, wissenschaftlich oder kulturell sonderlich gut aufgestellt, meint der
Soziologe Zygmunt Bauman, kann den Kontinent aber trotzdem nicht genug preisen, und zwar für seine sprachliche und kulturelle Vielfalt (hier auf
Englisch und hier auf
Polnisch): "Der Philosoph Hans-Georg Gadamer hält diese
überbordende Vielfalt für den größten Schatz, den Europa angesammelt und nun der Welt anzubieten hat. Mit und für den Fremden zu leben, ist eine grundlegende menschliche Aufgabe. Vielleicht ist dies die Grundlage für die einzigartige Stärke Europas, eines Kontinents, der zu diesem Miteinander gezwungen war. In Europa gab es immer Fremde ganz in der Nähe, in Sicht- oder Reichweite, im übertragenen und buchstäblichen Sinne. Unsere Landschaft ist von der Vielfalt gekennzeichnet, von der
großen Nähe des Fremden, aber mehr noch von der Tatsache, dass wir auf engem Raum den Fremden als einen Gleichen behandeln. Europa könnte ein Laboratorium werden, in dem eine bestimmte Kunst zu leben von Menschen unterschiedlicher Religionen, Sprachen und
Glücksvorstellungen entworfen und gepflegt werden könnte."
Economist, 26.01.2009

In zwei
neuen Büchern geht es um "
Afrikas Weltkrieg" im Kongo. Der
Artikel im
Economist macht im Vergleich mit dem Kosovo-Krieg deutlich, wie herzlich wenig sich die Welt für Zentralafrika interessiert: "Keiner bezweifelt das Ausmaß des Kriegs im Kongo. Zehn afrikanische Nationen haben 1998 ihre Truppen gesandt. Zwei, Uganda und Ruanda, versuchten, ihre frühere Marionette Laurent Kabila zu stürzen, die anderen gaben vor, ihn zu stützen. Obwohl die damalige US-Außenministerin Madelaine Albright von Afrikas 'erstem Weltkrieg' sprach, kämpften die Armeen wenig. Die entsetzlich
hohe Zahl von Opfern - bis zu fünf Millionen - erklärt sich, wie so oft in Afrika, durch die vom Krieg verursachte Vertreibung, durch Hunger und Krankheit. Und die Reaktion im Rest der Welt? Der Kosovo-Krieg, der gleichzeitig stattfand, betraf drei Millionen Menschen, von denen 10000 starben... Im Kongo waren 86 Millionen Menschen betroffen... Der Kosovo ist im Frieden, aber der Krieg im Ost-Kongo, der 1993 begann, ist
noch immer nicht beendet."
Besprochen wird daneben unter anderem eine
Biografie (
Website) des Nicht-Physikern auch von
Dietmar Dath her bekannten Physikers
Paul Dirac. In einem weiteren Artikel geht es um neue
Öko-Filme beim Sundance-Festival. Und
hier der aktuelle Stand im
Big-Mac-Index, der den Wert von Währungen am Burger misst.