Magazinrundschau

Kirche aller Ketzer

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
26.05.2009. Wired erklärt, was Google ist: ein Auktionshaus. Die New York Review of Books sieht Pakistan am Rande der Anarchie. Elet es Irodalom stellt eine neue Zeitschrift zur Kultur der Peripherie vor. The Nation greift die Kundera-Affäre auf. In Literaturen liest Barbara Vinken Sexgeschichten von Kindern. Die LRB lobt das hervorragende Beispiel eines Wikis. In El Espectador schildert Hector Abad die fatalen Folgen des Lesens. Der Espresso porträtiert die Faschisten des dritten Jahrtausends.

Wired (USA), 01.06.2009

Wired bringt eine faszinierende Nummer über die Frage, wie das Internet die Wirtschaft verändert. Steven Levy hat Hal Varian, den "Adam Smith der neuen Disziplin Googlenomics" auf einer Konferenz gehört, und fasst das Prinzip dieses neuen Wirtschaftszweiges zusammen: "Varian ist ein Experte für die wahrscheinlich erfolgreichste Geschäftsidee der Geschichte: AdWords, Googles einzigartige Methode, online-Anzeigen zu verkaufen. AdWords analysiert jede Googlesuche, um herauszufinden, welcher Anzeigenkunde jeweils bis zu 11 'sponsored links' auf den Ergebnisseiten bekommt. Es ist die größte und schnellste Auktion der Welt, eine nie endende, automatische Selbstbedienungsversion von Tokios wildem Tsukiji Fischmarkt, und sie findet, sagt Varian, 'bei jeder einzelnen Suche' statt. Er erwähnt nie, wie hoch die Einnahmen aus den Anzeigen sind. Aber Google ist ein börsennotiertes Unternehmen, so dass sich jeder darüber informieren kann: Im letzten Jahr waren es 21 Milliarden Dollar. Sein Vortrag wird schnell technisch. Da gibt es den Unterschied zwischen dem Generalized-Second-Price-Auktionsmodell und der Vickrey-Clark-Groves-Alternative. Spieltheorie macht eine Wendung, ebenso das Nash Equilibrium. Begriffe, die das C-Wort enthalten - wie in 'clicks' - werden in die Luft geworfen wie Wasserbälle bei einem Sommer-Rockfestival. Clickthrough rate. Cost per click. Supply curve of clicks. Das Publikum ist verzaubert. Beim Frage-Antwort-Teil hebt ein Mann in einem kamelfarbenen Kordblazer die Hand. 'Verstehe ich das richtig', sagt er halb skeptisch, halb unsicher. 'Sie sagen, jedesmal wenn eine Suchabfrage gestartet wird, findet gleichzeitig eine Auktion statt? Das würde bedeuten, millionen mal am Tag!' Varian lächelt. 'Millionen mal', sagt er, 'ist eine ziemliche Untertreibung.'" Die Kehrseite dieses Geschäftsmodells wird nur kurz angetippt: Die Datenströme über die Nutzer, die Google sammelt.

Außerdem in der Juninummer: Der Internetvisionär Kevin Kelly schreibt über den neuen digitalen Sozialismus, der sich in Websites wie Digg.com und Wikipedia manifestiert.
Archiv: Wired

Literaturen (Deutschland), 01.06.2009

Im Rahmen des Titelthemas "Was Sie schon immer über Sex lesen wollten" denkt die Romanistin Barbara Vinken über die jüngere Frauenliteratur von Charlotte Roche bis Tracey Emin nach: "Die, die da die lange Reihe ihrer Sexgeschichten vor uns ausbreiten, sind weniger junge Mädchen als Kinder. Das unterscheidet die aktuelle Welle krass von den explizit erotischen französischen Romanen, die vor einigen Jahren für Aufmerksamkeit sorgten: Von Catherine Millet bis Catherine Breillat schrieben jene Autorinnen von den Triebschicksalen erwachsener Frauen. Bei all ihrer unglaublichen sexuellen Aktivität wollen die neuen kindlichen englischen und deutschen Heldinnen dagegen aus tiefstem Herzen nur eines: dass ihre Eltern, geschieden oder nicht verheiratet, wieder zusammenkommen. Männer spielen deswegen in diesen Szenarios eigentlich kaum eine Rolle."

Weitere Artikel: Die Autorinnen Katja Lange-Müller und Judith Hermann unterhalten sich übers Schreiben und über Hermanns neues Buch "Alice". In seinen "Typologien der Literatur" schreibt Peter Licht diesmal über den "Leser". In "Mitten aus Athen" berichtet der Schriftsteller Petros Markaris, dass die griechische Realität die Fiktion der dort sehr beliebten US-Fernsehserie "Prison Break" längst eingeholt hat. Kathrin Schmidt liest Kurban Saids Roman "Ali und Nino". Aram Lintzel hat für die "Netzkarte" preisgegebene Geheimnisse auf Twitter entdeckt.

Besprochen werden Paul Veynes nun bei Reclam erschienene Studie über Michel Foucault (hier eine Leseprobe), Ben Katchors Comics "Der Jude von New York", Natascha Wodins Roman "Nachtgeschwister", Hans Magnus Enzensbergers neuer Gedichtband "Rebus", Richard David Prechts Buch über "Liebe", Arne Dahls jüngster Kriminalroman "Totenmesse", Hörbücher mit Texten von Wolfgang Koeppen, Thomas Mann und Heino Jaeger, und die Verfilmung von Jonathan Trigells Roman "Boy A".
Archiv: Literaturen

New York Review of Books (USA), 11.06.2009

Angesichts des Vormarsches der Taliban in Pakistan macht Ahmed Rashid einen beängstigenden "Unrealitätssinn" bei der Regierung in Islamabad aus, die nicht erkenne, in welch kritischem Zustand sich das Land befindet: "Pakistan droht vielleicht nicht unbedingt der Zusammenbruch der Regierung, aber doch ein permanenter Zustand der Anarchie, da die von den Taliban geführten islamistischen Revolutionäre und ihre vielen Alliierten mehr und mehr Gebiete einnehmen und die staatliche Macht schrumpft. Es wird keinen revolutionären Massenaufstand wie 1979 im Iran geben, keinen Sturm auf die Zitadellen der Macht wie in Vietnam und Kambodscha; womit wir es zu tun haben haben, gleicht eher einer langsamen, heimtückischen und langsam brennenden Lunte der Angst, des Terrors und der Lähmung, die die Taliban gelegt haben und die der Staat unfähig und teilweise unwillig ist zu löschen."

Weiteres: Gary Wills empfiehlt Henry Louis Gates' Dokumentensammlung "Lincoln on Race and Slavery", die klarstelle, dass Lincoln nicht frei war von rassistischen Ressentiments: "Wenn Lincoln die Sklaverei auch immer ablehnte, tat er dies aus eher kalten ökonomischen Gründen. Über ihre Grausamkeit empörte er sich nie." Hussein Agha und Robert Malley überlegen, wie eine Zwei-Staaten-Lösung den Nahost-Konflikt wirklich beenden und nicht nur auf eine neue Stufe heben würde. Julian Barnes trauert weiterhin um John Updike.

Besprochen werden Stanley Plumlys "meisterhaftes" Buch über John Keats' letzte Monate in Rom "Posthumous Keats", Susan E. Gunters Biografie über Henry James' Schwester Alice "Alice in Jamesland" und Sunny Schwartz' bitterer Blick auf amerikanische Gefängnisse "Dreams from the Monster Factory".

Elet es Irodalom (Ungarn), 25.05.2009

Der Literaturwissenschaftler Laszlo Szilasi rezensiert die neue ungarische Vierteljahreszeitschrift Pluralica (demnächst hier) für Literatur, Kunst und Kultur, deren erste Ausgabe den Titel "Zeitgenössisch estnisch" trägt und stellt überrascht fest, dass die estnische Kultur mindestens so reich ist wie die ungarische. Szilasi würdigt die Zeitschrift dafür, scheinbar marginale Kulturen und Themen zu vermitteln und fragt sich zugleich, ob es wirklich das ist, was wir jetzt brauchen: "Bekanntermaßen schaut die ungarische Kultur nach Paris, New York, London, Rom, horribile dictu nach Wien und vor allem nach Berlin - weil wir, so sagt man, im Vergleich mit den zentralen Kulturen und Themen so rückständig sind; wenn wir uns erst die Erfolge der Zentren angeeignet haben - dann können wir uns der Peripherie zuwenden. Pluralica aber (das ist schon anhand der ersten Nummer klar zu erkennen) hat hier einen ganz anderen Ansatz. Sie schert sich nicht um das Projekt 'Schließt auf! Schließt auf!', das ja am ehesten an den vor lauter Anstrengung nach Furz riechenden Sportunterricht der Grundschule erinnert. Vielmehr beschäftigt sie sich damit, dass letztendlich auch die ungarische eine Kultur der Peripherie ist, weshalb sie vielleicht nicht ausschließlich durch den frustrierten Vergleich mit den Kulturgütern des Zentrums zur Selbsterkenntnis gelangen sollte, sondern durch die geduldige Erschließung jener Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die sie, ob es uns gefällt oder nicht, mit den anderen, ärmeren Kulturen der Peripherie verbindet, von denen in der Tat nur selten Initiativen ausgehen."
Stichwörter: Kulturgüter, Wien

London Review of Books (UK), 28.05.2009

David Runciman bespricht eigentlich nur Andrew Lihs Buch "The Wikipedia Revolution", erzählt bei der Gelegenheit aber die Geschichte der Online-Enzyklopädie nach und denkt über die Gründe für ihren Erfolg nach. Im kleinen finden sie sich offenbar in der Form des Buchs selbst, dessen Nachwort durch die Beiträge vieler in einem Wiki zustande kam: "Es ist erfreulich, dass Lih das Nachwort mit ins Buch aufgenommen hat, denn es ist besser geschrieben als der Rest, präziser im Stil und mit einem genaueren Fokus. Die von ihm selbst allein geschriebenen Kapitel sind voller interessanter Informationen, enthalten aber zu viele unwichtige Einzelheiten über Leute, denen Lih einen Gefallen erweisen möchte. Nichts davon im Nachwort - es kommt auf den Punkt, ohne Rücksicht auf Verluste. Allerdings hilft es auch, dass der Platz, weil dies ein Buch ist, begrenzt bleibt, so dass der häufigste Wikipedia-Fehler automatisch vermieden wird: Nicht zu wissen, wann man aufhören soll."

Weitere Artikel: Die Autorin Anne Enright kennt, will ihr scheinen, alle Hotels der Welt und staunt vor allem über den Mangel an Eigenarten. John Lanchester schildert die Absurditäten und Ironien des Finanzmarkts am Beispiel der in jeder Hinsicht unterschätzten Royal Bank of Scotland. Daniel Soar geht der Geschichte des @-Zeichens nach. Peter Campbell schreibt über die Ausstellung "Sickert in Venice", zu sehen in der Dulwich Picture Gallery.

Tygodnik Powszechny (Polen), 24.05.2009

Wer Dorota Maslowskas "Schneeweiß und Russenrot" gelesen hat, weiß, wie schwierig eine Verfilmung des Buches sein muss. Xawery Zulawski, Sohn des Filmemachers Andrzej Zulawski, hat es trotzdem gewagt. Der Film "Wojna polsko-ruska" lief letzte Woche in den polnischen Kinos an, und der Regisseur erzählt: "Wenn ich einen Film machen soll, nehme ich mich zuerst der Kostüme, Dekoration an, denke lange über die Personen nach, erfinde ihre Geschichte. Im Fall des Starken [eine Person im Roman] hat diese Arbeit bereits Dorota Maslowska gemacht, und das auf wunderbare Weise. Ich habe ihr Buch nur fürs Kino adaptiert."

Sehr lesenswert die 24-seitige Beilage zur Warschauer Buchmesse. Darin u.a.: Georges Didi-Hubermans "Bilder trotz allem" berührt, wie schon Jonathan Littell und Giorgio Agamben, deren Bücher letztens auch ins Polnische übersetzt wurden, die Frage, ob sich etwas Originelles über den Holocaust sagen lässt, schreibt Tomasz Szerszen. "Die Malerei ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies", ist eine Quintessenz der Gespräche zwischen dem Literaturhistoriker Zbigniew Podgorzec und dem Maler Jerzy Nowosielski, die nun in Buchform erscheinen. "In kaum einem Buch wird heutzutage so offen und gleichzeitig ohne Beschönigung über Religion gesprochen, wie hier", lobt Jacek Maj. Sehr beeindruckt zeigt man sich auch von Wassili Grossmans "Leben und Schicksal": "Einer der größten Romane des letzten Jahrhunderts. In philosophischer Hinsicht vergleichbar mit den Werken Arendts und Poppers, in künstlerischer verbindet er die epische Methode Tolstois, die existenzielle Vorstellungskraft Dostojewskis und die heroische Knappheit Tschechows" (hier eine Leseprobe).

El Espectador (Kolumbien), 23.05.2009

Hector Abad denkt in der Wochenendausgabe des Espectador über das Verhältnis von Lesen und Leben nach: "Jemand hat einmal gesagt, es gebe drei Arten von Menschen: Leute, die das Leben leben, Leute, die darüber schreiben, und Leute, die am liebsten vom Leben lesen. Flaubert scheint mir der idealtypische Vertreter der zweiten, Borges der idealtypische Vertreter der dritten Gruppe. Was mich betrifft, kann ich sagen, dass ich gerne lebe, was ich in Büchern lese: Schenkt sich der Protagonist eines Romans einen Gin ein, folge ich unweigerlich seinem Beispiel. Ist er eifersüchtig, mache ich nach der Lektüre meiner Frau eine Szene. Neulich las ich von einem alten Schriftsteller mit Prostatakrebs - noch in derselben Woche ließ ich mich auf Antikörper untersuchen und bat meinen Urologen um einen schnellstmöglichen Termin."
Archiv: El Espectador
Stichwörter: Abad, Hector, Borgen

The Nation (USA), 08.06.2009

Jana Prikryl greift in einem epischen Artikel noch einmal die Kundera-Affäre auf, die im Oktober letzten Jahres durch einen Artikel der Zeitschrift Respekt losbrach. Wir erinnern uns: Laut einem Polizei-Dokument hat Kundera im Jahr 1950 den bei einem Freund logierenden Kurier des amerikanischen Geheimdienstes Miroslav Dvoracek bei der Polizei angeschwärzt. Dvoracek verbrachte daraufhin 14 Jahre in einem Uran-Bergwerk. Am Ende eines in seinen Standpunkten mäandernden Artikels findet die Autorin ein paar klare Sätze. Bei allen seinen Vorbehalten gegen die Medien sei es "unleugbar, dass Kundera Miroslav Dvoracek und Iva Militka die Wahrheit schuldet, so genau er sich an sie erinnert." Es fällt auf, dass die Autorin nicht zu wissen scheint, wer Martin Simecka ist, seinerzeit Herausgeber von Respekt, dessen Name sie konsequent falsch schreibt und dass sie nicht erwähnt, dass der Artikel aus Respekt, den sie scharf kritisiert, auch auf Englisch nachzulesen ist.

Weiteres: Elisabeth Sifton, Verlegerin im Holtzbrinck-Haus Farrar, Straus & Giroux legt eine ziemlich verzagte Bilanz des Buchmarkts in den USA in Zeiten von Amazon und Google vor. Besprochen werden eine Reihe von Bücher, darunter Jose Manuel Prietos Roman "Rex", dessen Hauptschauplatz eine "spektakulär geschmacklos eingerichtete Villa in Marbella" ist.
Archiv: The Nation
Stichwörter: Amazon, Buchmarkt

Express (Frankreich), 22.05.2009

In einem Interview schwärmen die Modemacher Dolce & Gabbana von Scarlett Johansson, Starmodel der Kampagne für ihre neue Make-up-Linie, und lassen sich ausführlich über die kleidende Kraft des Lippenstifts aus. Domenico Dolce: "Letztendlich bekleidet ein Lippenstift eine Frau wie ein Gewand. Er ist entscheidend für die Verstärkung ihrer Persönlichkeit. (...) Woran ich mich beim Lippenstift meiner Mutter Sara erinnere, ist seine intensive, flammende Farbe. Meine Mutter trug oft Schwarz mit kleinen Leopardenmusterakzenten, aber ihr Gesicht erstrahlte immer durch das leuchtende Rot ihrer Lippen. Das ist es übrigens, was ich an Make-up liebe: Es kleidet einen durch einen Hauch von Nichts."
Archiv: Express
Stichwörter: Johansson, Scarlett, Mutter

Espresso (Italien), 21.05.2009

Casa Pound, das Haus Pound, so nennt sich eine intellektuell verbrämte rechtsradikale italienische Bewegung, die sich als die Faschisten des dritten Jahrtausends sehen. Ihr Hauptquartier ist in Rom, von dort aus missionieren sie Italien. Jetzt gibt es mit "OltreNero" eine große Bildreportage (einige Fotos hier) über die Gruppierung, die sich unter anderem auf Ezra Pound beruft. Gianluca Di Feo schreibt dazu: "Alles ist ihnen Faschismus. Einige leben ihn nach nostalgischen Werten. 'Für uns ist Mussolini immer noch eine Referenz, ein Beispiel. Wir sind heute der Beweis für die Aktualität dieser historischen und politischen Periode. Wir zeigen, dass es den Faschismus heute immer noch gibt.' Andere versuchen ihn derweil in moderneren und angepassten Tönen zu beschreiben. 'Die Sprache muss sich ändern, vom keltischen Kreuz sind wir beim Schildkrötensymbol der Casa Pound angekommen, aber es besteht nach wie vor die Dringlichkeit, den Neofaschismus zu verjüngen, und da ist die Sprache das Manifest, die Aktion, sie ist alles. Marinetti hat uns das gelehrt.' Sie fühlen sich als Sieger, überzeugt dass sie rechts von sich keine Rivalen mehr haben. 'Casa Pound ist die Kirche aller Ketzer, denn wir wollen, dass der Faschismus als große kulturelle Bewegung wahrgenommen wird.'"
Archiv: Espresso
Stichwörter: Faschismus, Pound, Ezra

Polityka (Polen), 22.05.2009

Adam Krzeminski liest auf der deutschen Seite von Polityka Neuerscheinungen zu Karl Dedecius und Marcel Reich-Ranicki und erklärt, warum die Polen zu letzterem ein höchst zwiespältiges Verhältnis haben: "Reich-Ranicki irritiert in Polen: mit seiner Liebe zur deutschen Literatur und seiner Kühle gegenüber der polnischen. Er verärgert dadurch, dass er die sechzehn Monate, in denen er sich bei einer polnischen Familie versteckt hielt, als die schlimmste Zeit seines Lebens betrachtet, und nicht das Ghetto, wo seine Eltern ermordet wurden. Man kann verstehen, welche psychische Folter es für Menschen bedeutet haben muss, in einem Kellerversteck der Gnade und Ungnade ihrer ebenfalls von der Todesstrafe bedrohten Beschützer ausgeliefert zu sein. Dennoch schmerzt diese Bewertung..."
Archiv: Polityka

New Republic (USA), 03.06.2009

Sehr beschwingt schreibt Michael Lewis über eine monumentale Warren-Buffett-Biografie von Alice Schroeder, die er sich gern noch dicker als die fast tausend Seiten wünscht, die sie hat. Es liegt daran, schreibt er, dass Buffett so ehrlich ist. Nun hat jemand zugehört und all die Zitate treu notiert, was Buffett offensichtlich durchaus Schmerzen bereitet hat. "Schlimmer noch, sie ist eine Frau! Buffett hat immer schon mit viel Glück attraktive und intelligente Frauen in sein Leben integriert. Schroeder beschreibt sie, ohne zu erwähnen, wie perfekt sie in dieses Muster passt. Diese Frauen hatten immer das Bedürfnis, ihre Mann zu schützen und die eigenen Bedürfnisse unterzuordnen - bis jetzt. Buffett hätte es besser wissen sollen: Traue nie einem Autor. Vor allem nicht, wenn sie so gut ist..."
Archiv: New Republic
Stichwörter: Lewis, Michael

Nouvel Observateur (Frankreich), 20.05.2009

In einem Interview spricht Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison über Barack Obama, seine Symbolkraft für ein neues Amerika und seine ersten hundert Tage im Amt. Sie bekennt: "Ich wurde fast ein bisschen wehmütig wegen Bush, weil man nie wusste, was ihm noch alles einfällt! [lacht] Er war der König des Neologismus, des unpassenden Ausdrucks. Er hat zur englischen Sprache ein sagen wir ... ziemlich distanziertes Verhältnis. Aber im Rückblick ist es einfacher, darüber zu lachen. Obama dagegen kann beides, einfach reden und sich wie ein Jurist ausdrücken. Am Anfang hatte sogar die Presse Angst, sich von ihm verführen zu lassen, und fand seine Sprache viel zu schön. Ich, die ich alt genug bin, um Roosevelt gekannt zu haben, finde es tröstlich zu wissen, dass er zu komplexem Denken imstande ist. Er kann nicht nur gut zuhören, sondern versteht tatsächlich auch, was man sagt."

New York Times (USA), 24.05.2009

Eric Pfanner berichtet vom konzertierten Widerstand liberaler und konservativer Gruppen in den USA gegen die restriktiven Verleumdungsgesetze Großbritanniens, die über das Internet auch immer häufiger amerikanische Autoren treffen: "London hat sich den Ruf der Welthauptstadt der Verleumdungsklagen erworben - saudische Geschäftsleute klagen gegen amerikanische Berichte über ihre Beteiligung an der Terrorfinanzierung; russische und ukrainische Oligarchen klagen, wenn ihnen anstößige Geschäftspraktiken vorgeworfen werden; Hollywood-Celebrities gehen nach London, wenn sie nichts über ihre Affären lesen wollen." Die britischen Gesetze, schreibt Pfanner, machten es ihnen leicht: "Die Beklagten müssen beweisen, dass ihre Anschuldigungen wahr sind, im Gegensatz zu den USA, wo der Kläger zeigen muss, dass ein Autor oder Verleger falsche Informationen verbreitet hat - und in Fällen von Prominenten, dass er dies trotz gravierender Zweifel an der Wahrheit seiner Berichte getan hat."

Außerdem besprochen werden in der Sunday Book Review Simon Schamas "The American Future. A History" (für das David Brooks vor allem Spott übrig hat), Amos Oz' nun auch auf Englisch erschienener Roman "Verse auf Leben und Tod", Anne Michaels neuer Roman "The Winter Vault", eine Naturgeschichte Manhattans "Mannahatta" und der Essay "One State, Two States" des israelischen Historikers Benny Morris, der weder in die eine noch die andere Lösung große Hoffnung setzt.

Für das Sunday Magazine schickt Sara Corbett eine Reportage über Montgomery County, wo - wie in vielen anderen Städten Georgias und Mississippis - die Abschlussbälle der High Schools getrennt für Weiße und Schwarze stattfinden. Oft auf Betreiben der weißen Eltern und gegen den Willen der Schüler.
Archiv: New York Times