Magazinrundschau

Kann man in einer Synekdoche sterben?

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
09.06.2009. Al Ahram fragt sich, was die Araber eigentlich Obama anbieten können. Outlook India meint, Obama hätte besser zu den nicht-arabischen Muslimen gesprochen. Charlie Kaufmans Film "Synecdoche, New York" löst in der London Review existentielle Fragen aus. Polityka entdeckt in Polen eine Republik der Solisten. Der Economist versenkt sich in das Leben eines amerikanischen Träumers, den 483.000 Dollar Schulden drücken. In Clarin fragt Beatriz Sarlo: Was will Buenos Aires sein? In Elet es Irodalom beschreibt Ignac Romsics den Unterschied zwischen west- und osteuropäischen Rechten. NZZ-Folio reist ans Schwarze Meer. Und im Guardian greift der Bildhauer Alexander Stoddart zur Pistole.

Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.06.2009

Al Ahram hat mehrere Artikel zu Obamas Rede in Kairo zusammengestellt, die offenbar alle vor der Rede verfasst wurden. Der nachdenklichste Artikel kommt von Abdel-Moneim Said, der Obamas Besuch und Rede mit dem Besuch Sadats in Jerusalem 1977 vergleicht. Und er fragt sich, was genau die Araber anzubieten haben, wenn er - zum Beispiel - die amerikanischen Truppen aus dem Irak abzieht: "Vielleicht hat die arabische Friedensinitiative die klarste Botschaft der moderaten Staaten an die Welt gesendet. Aber diese Botschaft, formuliert und verschickt vor vielen Jahren, nachdem die von Saudiarabien inspirierte Initiative beim Arabischen Gipfeltreffen in Beirut angenommen wurde, muss noch in einen Arbeitsplan oder eine Handlungsstrategie ausgearbeitet werden. So wie Obamas Botschaft braucht die Initiative Substanz, um zu überzeugen. So wichtig die Prinzipien der arabischen Friedensinitiative symbolisch sind, sie müssen in praktische Schritte und Taten verwandelt werden."
Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Beirut, Irak, Friedensinitiative

Outlook India (Indien), 15.06.2009

Es war ein Fehler, dass Obama in Kairo zu den Muslimen gesprochen hat, meint B. Raman. Und dass er sich fast nur auf die Araber bezogen hat, auch. "Die Araber sind nur eine Minderheit in der islamischen Welt. Nicht-arabische Muslime, die in Länder wie Indien, Pakistan, Afghanistan, Bangladesch, Malaysien und Indonesien leben, bilden die Mehrheit. Ihre Probleme sind ganz andere als die der arabischen Welt. Osama bin Laden versteht das besser als Obama und seine Berater. Deshalb hat bin Laden in seiner Botschaft, die Al Dschasira einen Tag vor Obamas Rede in Kairo veröffentlichte, sich auf die Probleme konzentriert, die die nicht arabischen Muslime der Af-Pak-Region beunruhigen, wie die Vertreibung der Paschtunen aus den Stammesregionen in Pakistan. Indem er sich auf diesen Fall konzentriert und die Amerikaner dafür verantwortlich gemacht hat, konnte er sicherstellen, dass die antiamerikanische Wut in der Af-Pak Region wachsen statt sinken würde."
Archiv: Outlook India

London Review of Books (UK), 11.06.2009

Michael Wood hat im Kino "Synecdoche, New York", das Regiedebüt des Drehbuchautors Charlie Kaufman ("Being John Malkovich", "Vergiss mein nicht") gesehen und kratzt sich nun eine Kritik lang den Kopf: "Kann man in einer Synekdoche sterben, und wenn ja, wäre das gut für einen? Wäre es, wie in einer Klammer zu sterben, so wie es Mrs Ramsay in Virginia Woolfs 'Der Leuchtturm' tut - oder wäre es komplett anders? Am Ende von Synecdoche, New York scheint Caden Cotard als Theater-Version seiner selbst zu sterben, und zwar in einer Replik Manhattans in einer Lagerhalle in Manhattan. Eine Stimme, die ihn über Draht und Mikrofon erreicht, hat ihm eine ganze Weile schon gesagt, was er tun soll. Nun sagt sie, ganz sanft: 'Stirb!'. Und er stirbt. Oder doch nicht?"

In weiteren Artikeln geht es um die Auto-Industrie und den Freiheits-Fetisch Auto, britische Spesen- und Korruptions-Skandale (ganz besonders einen, der mit Berlusconi zu tun hat) und um Innenansichten aus Sozial- und Pflegeberufen

Polityka (Polen), 05.06.2009

Als eine "Republik der Solisten" beschreibt Justyna Sobolewska Polens Literaturszene in der Polityka (hier auf Deutsch). Und sie tröstet über die enttäuschten Hoffnungen auf die große Freiheitserzählung, auf einen neuen Bruno Schulz oder Witold Gombrowicz hinweg: "Nach 1989 hat sich weniger die Literatur selbst verändert, als ihre Rolle und Funktionsweise: das literarische Leben, der Verlagsmarkt, die Medien. Unsere Erwartungen an sie stammen noch aus einer anderen Epoche... Aus einer Welt, in der man wusste, wer ein herausragender Schriftsteller ist und wie der literarische Kanon aussieht, sind wir in eine Welt eingetreten, in der Hierarchien nicht mehr klar definiert sind. Literaturpreise sprießen wie Pilze aus dem Boden - demnächst werden wir uns beklagen können, dass sie wie in Großbritannien die Literaturkritik schlichtweg ersetzen. Die Zeit, die nun angebrochen ist, hat Professor Marian Stala während einer Diskussion im "Salon der Polityka" als eine Zeit der Verleger bezeichnet. Da sie das Marketing und sämtliche Instrumente der Werbung in der Hand haben, sind sie es heute auch, die einem Buch ein langes Leben sichern können. Die Explosion der Kulturzeitschriften vom Beginn der neunziger Jahre endete mit der Tabloidisierung der Kultur in den Medien. Aber heute gibt es die nächste Welle eines kulturellen Aufschwungs, nur im Internet. Beinahe jede Woche entstehen neue Zeitschriften, Portale und Webseiten über Literatur (erst jüngst die interessante Seite dwutygodnik)."
Archiv: Polityka

Nouvel Observateur (Frankreich), 04.06.2009

In einem Interview spricht der britische Historiker Eric Hobsbawm anlässlich des Erscheinens seines Buchs "L'Empire, la democratie, le terrorisme", das Reflexionen über das 21. Jahrhundert versammelt, über die Pathologie des neoklassischen freien Wirtschaftssystems, den "Fundamentalismus des Markts" und prophezeit die Rückkehr von Marx und Keynes. Keynes Comeback gelte dabei dem "Techniker der Wirtschaft", denn er sei zwar ein brillanter Geist, aber im Gegensatz zu Marx kein großer Analytiker der Wirtschaftsgeschichte gewesen. Auf die Frage nach der Zukunft Amerikas meint er: "Die Geschichte des amerikanischen Imperiums ist auch so eine pathologische Aberration. Bush hat versucht, ein Weltimperium zu errichten. Der Irak-Krieg, der Teil dieses Projekts war, hatte keinerlei Berechtigung. (...) Die richtige Frage ist doch, zu wissen, ob das Projekt der Weltbeherrschung durch einen einzigen Staat - was beispiellos in der Geschichte ist - möglich ist, und ob die überwältigende militärische Überlegenheit der USA imstande ist, sie herzustellen und aufrechtzuerhalten. Die Antwort auf beide Fragen lautet: Nein."

Economist (UK), 05.06.2009

Der Economist hat die Memoiren "Das Leben eines amerikanischen Träumers" des ehemaligen US-Finanzministers Peter Peterson gelesen und daraus manche Lektion gelernt. Zum Beispiel, dass Politiker eiskalt wider besseres Wissen handeln: "Das riesige Haushaltsdefizit ist nur die Spitze des Eisbergs, warnen Peterson und der von ihm finanzierte Think Tank auf Postern und in einer erstaunlich sehenswerten Dokumentation. Der Staat hat Verpflichtungen in Höhe von 483.000 Dollar pro Haushalt, vor allem in Form nicht gedeckter Zusagen für Krankenversicherungen und Renten. Politiker haben aber zu viel Angst, vor den jeweils kommenden Wahlen, irgendetwas dagegen zu tun. Peterson schreibt in dem Buch über den Schock, den er erlebte, als er sich mit Bill Clinton zusammensetzte. Der stimmte ihm zu, dass die sozialen Sicherheitsnetze (das öffentliche Rentensystem) bankrott seien. Dann stand er auf und versicherte auf einer Kundgebung den Wählern, alles stehe zum besten."

Außerdem besprochen wird auch Matthew Glass' Thriller "Ultimatum", der die Folgen der Klimaerwärmung drastisch vor Augen führt.
Archiv: Economist

Clarin (Argentinien), 08.06.2009

Beatriz Sarlo, die grande dame des argentinischen Feuilletons, spricht in einem sehr lesenswerten Interview über ihr soeben erschienenes Buenos-Aires-Buch "La ciudad vista" ("Die geteilte Stadt"): "Die nostalgische Perspektive scheint mir denkbar ungeeignet. Ein Großteil dessen, was heute in und mit den Städten geschieht, mag schlecht sein, aber es gibt trotzdem viele Alternativen, die nicht darin bestehen, einfach nur die Vergangenheit wiederherstellen zu wollen. Wir müssen uns fragen, was für eine Stadt wir haben wollen - eine für die Mittelschicht, wie in den Stadtvierteln mit starkem Kulturleben, die ich unter anderem in dem Buch vorstelle, oder eine Stadt für alle. Es hängt auch davon ab, ob wir die Entscheidung der Immobilienbranche überlassen, oder ob es dem Staat und den Bürgervereinigungen gelingt, mit darüber zu entscheiden, wo die Leute leben sollen. Gesellschaft - das ist genau das, was mich mit denen, die anders sind als ich, verbindet."
Archiv: Clarin
Stichwörter: Buenos Aires, Mittelschicht

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.05.2009

Der Historiker Ignac Romsics hat kürzlich ein Sammelband über die unterschiedlichen Traditionen und Erscheinungsformen der ungarischen Rechten, von den Konservativen bis hin zu den Rechtsradikalen vorgelegt ("A magyar jobboldali hagyomany, 1900-1948" Budapest, Osiris 2009). Im Interview mit Eszter Radai erklärt er, warum in Osteuropa nicht der demokratische Konservatismus, sondern der Rechtsextremismus einen Aufschwung erfährt. "Nach dem Zweiten Weltkrieg geht die Geschichte in West- bzw. Osteuropa vollkommen getrennte Wege. In der Tat verhält es sich westlich der Elbe so, dass innerhalb des rechten Spektrums die christlich-demokratischen und andere konservative Richtungen entstanden und zu maßgeblichen Faktoren wurden, die die demokratischen Institutionen akzeptierten. In Osteuropa konnte es dazu nicht kommen, da hier nach einer kurzen Übergangsphase eine monolithische Diktatur entstand, in der kein Raum für den politischen Pluralismus blieb. (...) Man könnte denken, dass die alten Strukturen während des Rakosi-, bzw. Kadar-Systems völlig zerstört wurden. Dies stimmt vielleicht sogar, doch die Netzwerke, Gefühle, Attitüden und Nostalgien in der Gesellschaft sind erhalten geblieben. Die Rechte - und in gewisser Hinsicht auch die Linke - muss sich heute, nach einem vierzigjährigen Zustand des Eingefrorenseins wieder neu definieren. Dazu gab und gibt es Bestrebungen, es sind aber weitere Diskussionen nötig. Nicht nur die Grenze zwischen den Rechten und den Rechtsextremen ist undeutlich, sondern auch die Beziehung der Linken zur Räterepublik oder zum Kadar-System."

Der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg beklagt in seiner Rede (gehalten am Europa-Forum im österreichischen Wachau am 17. Mai 2009) den Schwund der Europa-Begeisterung der EU-Gründergeneration. Der Grund dafür sei, so Schwarzenberg, dass sich die EU mit Kompetenzen regelrecht zudeckt, also alles "europäisiert" und sich damit vom Bürger entfernt: "Ich habe nie verstanden, warum wir unsere Energien und unsere verbliebene europapolitische Begeisterung verschwenden, indem wir uns mit Bestimmungen befassen, wie unser Käse aussehen und welcher Frosch in welcher Lache geschützt werden soll, anstatt uns den wesentlichen Dingen, nämlich einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik zuzuwenden; und warum wir nicht überlegen, was wir tun können, um Europa wieder zum Bürger zurückbringen. Das sind die großen Fragen dieser Europa-Generation. Lösen wir sie nicht, können wir nur sagen, dass unsere Generation in der Politik versagt hat. Wir müssen die Erneuerung der Union und die Vervollständigung Europas erreichen, damit ganz Europa Teil der Europäischen Union wird. Wenn uns weder das eine noch das andere gelingt, dann müssen wir eingestehen, dass wir zwar große Vorgänger, großartige europäische Ahnen gehabt haben, als Europapolitiker aber zu jenen Erdapfelsorten gehören, von denen der beste Teil unter der Erde liegt."

Folio (Schweiz), 08.06.2009

Die Folio-Redaktion ist ans Schwarze Meer gereist. Gudrun Sachse hat sich an der bulgarischen Küste umgesehen, die als besonders schön galt. Leider ist die Gegend auch besonders korrupt, weswegen sie heillos verbaut werden konnte: "An der 380 Kilometer langen Küste Bulgariens sind Luxusresorts mit Golfplätzen, Touristenstädte und Privatvillen mit direktem Meerzugang zu Hunderten geplant oder bereits im Bau. Kräne strecken ihre Arme aus. Die Fischer, die für die 400 Appartements der Luxusanlage 'South Bay Beach Resort' in Varna mit Meerblick aus dem Whirlpool ihre Hütten aufgegeben haben, wohnen provisorisch am Strand. Für Unbehagen unter den Naturschützern sorgte der Plan einer 219 Hektaren umfassenden Überbauung des britischen Architekten Sir Norman Foster am Strand von Karadere südlich von Varna. Das sogenannt CO2-neutrale Luxusressort umfasst fünf neue Hügelstädte, künstliche Seen, ­einen Hafen und riesige Freizeitgebiete. Es wird dank ­Bioenergie selbstversorgend sein, sagen die Entwickler. Unfug, sagen die Umweltaktivisten. Wo 15.000 Menschen lebten, sei die einmalige Landschaft für ­immer verloren... Der schale Beigeschmack aber rührt daher, dass das Projekt in Bulgarien von Georgi Stanischew geleitet wird, dem Bruder des bulgarischen Premierministers Sergei Stanischew."

Amalia van Gent hat sich in das türkische Trapezunt gewagt, das als Hochburg des Verbrechens gilt. Nirgends sei es so einfach, einen Auftragskiller zu finden. "'Wir sind ein Volk der Extreme', sagt Fethi Yilmaz, Herausgeber der Kulturzeitschrift Kiyi (Ufer) in Trabzon, 'wir haben die besten Künstler und Fußballspieler, die populärsten Politiker, die ruchlosesten Killer. Unsere Musik und unsere Tänze sind schnell wie der Wellenschlag unseres Meeres.'"

Außerdem besichtigt Gudrun Sachse das rumänische Constanta, in das Augustus einst Ovid in die Verbannung schickte und das heute den größten Hafen des Schwarzen Meeres beherbergt. Und Lorenz Schröter war auf der Krim in Sewastopol - "in erster Linie ein Kriegshafen und erst dann eine Stadt". In weiteren Reportagen geht es um Odessa, Sotchi und Batumi. In seiner Duftkolumne erzählt Luca Turin, dass das große Geld in der Parfumindustrie die Produzenten billiger Haushaltdüfte machen.
Archiv: Folio

Guardian (UK), 06.06.2009

Ian Jack porträtiert den Bildhauer Alexander Stoddart, den er zu Großbritanniens "bedeutendstem Gegner der Moderne" küren würde, wenn den Titel nicht Prinz Charles eisern verteidigte. Die Hunterian Gallery in Glasgow widmet ihm nun die erste öffentliche Ausstellung: "Stoddart ist ein hingebungsvoller Neoklassizist, der glaubt, dass die Bildhauerei mit den Arbeiten des Italieners Antonio Canova und des Dänen Bertel Thorvaldsen im frühen 19. Jahrhundert zur Blüte gelangte. Kein Bildhauer hat seitdem an sie herangereicht. Rodin konnte nicht viel, und Henry Moore war 'inkompetent'. Stoddart möchte, dass seine Kunst so majestätisch und gelassen ist wie die der Neoklassizisten, die die Werke der Griechen und Römer verfeinerten. Sich selbst beschreibt er als einen natürlichen Monumentalisten, davon überzeugt, dass Denkmäler die Idee einer Nation in sich bergen und den Raum zurückfordern sollten, den die zusammengeschweißte Kakophonie moderner 'öffentlicher Kunst' für sich reklamiert - eine Phrase, bei der er am liebsten zu einem Glas Whisky und einem Revolver greifen würde."

"Warum küssen wir uns, wenn wir eine schöne Szenerie vor uns haben?", fragt Nobelpreisträger Orhan Pamuk nach einer Reise nach Venedig, wo er offenbar unzähligen küssenden Paare begegnet ist. "Es muss etwas damit zu tun haben, dass wir für einen Moment begreifen, wie schön das Leben sein kann. Tourismus-Statistiken und Ehe-Berater belegen, dass sich selbst die unglücklichsten Paare im Urlaub näher kommen. Aber nicht jede schöne Landschaft erweckt in uns das Verlangen zu küssen oder ein Gefühl des Glücks. Einige Landschaften evozieren Furcht oder sogar metaphysische Angst, einige Frieden und Behaglichkeit und andere wiederum, wie in Istanbul, Melancholie."

Weiteres: Thomas Jones huldigt Eric Ambler, dessen lange vergriffene Polit-Thriller in Großbritannien wieder herausgegeben werden: Für Jones hat Ambler noch immer Gültiges zu sagen über die unheilvolvolle Verbindung von big business und bad government. Matthew Evans erinnert sich an seine Zeit beim Verlag Faber und den ungeheuren Geschäftssinn seines Kollegen TS Eliot.
Archiv: Guardian