Magazinrundschau

Beeindruckend waren vor allem die Schreibtisch-Blogger

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.06.2009. Der Economist zeigt, wie umfassend amerikanische Medien und Blogger im Netz über den Iran berichteten. Outlook India sucht die Rassisten im eigenen Land. In Le Point ruft BHL zur Unterstützung der iranischen Opposition auf. In Salon.eu.sk untersucht Zygmunt Bauman weiter die Nachwirkung der Totalitarismen in Polen. Im Guardian erklärt Wallace Shawn, warum Sex immer noch schockiert. Al Ahram singt ein Loblied auf die Pakistani, die die Taliban aus ihren Dörfern vertrieben haben. In Nepszabadsag erklärt Lajos Parti Nagy, warum er kein Ungar sein will. Das TLS hält sich die Nase zu in Versailles.

Economist (UK), 19.06.2009

Unter der Überschrift "Twitter: 1, CNN: 0" kommt der Economist zum Ergebnis, dass es gerade eine Mischform von neuen und alten Medien war, die bisher in der Iran-Berichterstattung am meisten überzeugen konnte: "Beeindruckend waren vor allem die Schreibtisch-Blogger. Nico Pitney von der Huffington Post, Andrew Sullivan von The Atlantic und Robert Mackey von der New York Times wateten durch einen Morast von Informationen und zogen die brauchbarsten Stücke heraus. Ihre Websites wurden zu einem Misch-Masch aus Tweets, Wahlforschung, Videos und Links zu Zeitungen und Fernsehberichten. Es war nicht schön anzusehen und manches erwies sich als inkorrekt. Es war aber die bei weitem umfassendste Berichterstattung in englischer Sprache. Der Gewinner im Rahmen der Berichterstattung zu den Protesten im Iran waren weder die alten noch die neuen Medien, sondern eine Mischung von beiden."

Der politische Kommentar sieht nur zwei Optionen für das Regime, von denen das Weitermachen wie bisher keine mehr ist: Niederwerfen oder Nachgeben.

In einem weitere Artikel ist zu erfahren, dass die schwul-lesbische Szene in China sich inzwischen einige Freiräume erarbeitet hat: "Es gibt eine große Anzahl von Schwulen- und Lesben-Bars, -Clubs, -Unterstützergruppen und Websites. Jede Menge Möglichkeiten, sich mit anderen chinesischen Schwulen - die sich spielerisch 'Kameraden' nennen - zu vernetzen. Eine überraschende Website richtet sich sogar ausdrücklich an Schwule in der chinesischen Armee und bei der Polizei." Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch noch massive Repressionen gäbe.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 29.06.2009

In Australien kam es in den letzten Jahren immer wieder zu rassistischen Angriffen auf indische Studenten. Zuletzt wurden im Mai zwei junge Inder mit Schraubenziehern schwer verletzt, ein dritter mit einer Flasche niedergeschlagen und ein vierter verprügelt. Outlook India nimmt das zum Anlass für Selbstkritik: "Sind wir nicht auch rassistisch?" fragt der Titel. Debarshi Dasgupta schreibt im Aufmacher: "Fragen Sie irgendeinen Afrikaner, wie es für ihn oder sie hier in Indien ist und Sie denken vielleicht zweimal darüber nach, bevor Sie die Australier als Rassisten beschimpfen. Es ist wirklich eine sehr dunkle Schattenseite, die Indien bei der Behandlung dunkelhäutiger Ausländer zeigt. ... Bilyaminu Ibrahim, ein nigerianischer Student an einer Ingenieursschule in Great Noida, kann Ihnen erzählen, wie es sich anfühlt, angespuckt zu werden. Abdulmalik Ali Abdulmalik, ein anderer nigerianischer Student, kann erzählen, wie weh es tut, wenn man mit einem Kricketschläger verprügelt wird. Im ganzen Land schlagen Vermieter ihre Türen zu, wenn sie einen potentiellen afrikanischen Mieter sehen und gieren nach dem Geld, wenn ein Weißer hereinspaziert. Die Behörden für Ausländer heben willkürlich Visa für Afrikaner auf und erleichtern Amerikanern und Europäern den Papierkram. Sogar in dem Film 'Fashion' glaubt Priyanka Chopra, sie sei ganz unten angekommen, weil sie mit einem Afrikaner schläft!"

Der schwarze amerikanische Student Diepiriye Kuku, der in Dehli lebt, erzählt: "Einmal stand ich im Lucknow Zoo und guckte mir die Giraffen an. Als ich mich umdrehte sah ich etwa 50 Familien, die statt der Tiere mich anstarrten. Eltern ziehen abrupt ihre Kinder zurück, die neugierig auf mich zugehen."

Sanjay Suri, Outlook-Korrespondent in Großbritannien, findet die Inder kein Stück weniger rassistisch als die Briten. "Vor allem gegenüber Schwarzen. Und besonders rassistisch sind die Inder, die aus Ostafrika nach Großbritannien kommen. Als ich in Uganda war, habe ich es keineswegs bedauert, als die Kampala Straße im Herzen der Hauptstadt von Einheimischen zurückgefordert wurde, die Kulis für die Inder geworden waren, so wie die Inder von den Briten zu Kulis gemacht worden waren. Aber anders als die Briten, die den Indern die Möglichkeit gaben, sich weiterzuentwickeln, geben die ostafrikanischen Inder den Schwarzen keinen Raum in deren eigenem Land."
Archiv: Outlook India

Point (Frankreich), 18.06.2009

"An der Seite des iranischen Volks, jetzt mehr denn je" überschreibt Bernard-Henri Levy seine Bloc-notes, in denen er sich mit den Wahlen und den Demonstrationen in Teheran beschäftigt. Zwar hat er Zweifel an Mussawi, der sich von Achmadinedschads Holocaust-Leugnung nicht distanzierte, aber er will die iranische Zivilbevölkerung unterstützen. "Kurz: die Aufsässigen gegen die Betrüger. Die Blogger und Witzbolde gegen die grau gewordenen Gralshüter des militärisch-islamistischen Apparats. (...) Wir haben eine klare Verpflichtung. Das haben wir einst auch mit der UDSSR getan. Nach Jahrzehnten der Feigheit hatten wir endlich begriffen, dass der Totalitarismus seine Stärke immer nur aus unserer Schwäche bezieht. (...) Im Iran gibt es eine Entsprechung zu den Dissidenten. Sie sind, wie wir gerade feststellen, unendlich zahlreicher und stärker als zu Sowjetzeiten. Sie sind es, derer man sich annehmen muss."
Archiv: Point

Salon.eu.sk (Slowakei), 16.06.2009

Zygmunt Bauman setzt seine Reflexion über die Nachwirkung der Totalitarismen in Polen fort (hier der Link zum ersten Teil) und beobachtet einen zentralen Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus: Die Nazi-Besetzung hinterließ viele Wunden, aber nicht die mangelnde Selbstachtung die aus jahrelanger geforderter und gelieferter Heuchelei resultiert - sie war ein Kennzeichen des Stalinismus. "Die Idee, dass das sowjetische Reich eines Tages zusammenbrechen könnte, kam weder der heimischen Intelligenz mit ihrem faktischen und nüchternen Denken, noch irgendwelchen anderen der hochrespektierten 'kremlologischen' Instituten in der ganzen Welt, die mit Hirnen höchsten Kalibers ausgestattet waren - nicht einmal Jahre später, als die tönernen Füße des Regimes zu bröckeln begannen. Unter diesen Umständen wurde es zur Überlebensbedingung, mit der Lüge zu leben, und zwar für die Untergebenen des Regimes sogar noch mehr als für das Regime selbst."
Archiv: Salon.eu.sk
Stichwörter: Bauman, Zygmunt, Stalinismus

New Yorker (USA), 29.06.2009

In einem Brief aus Teheran berichtet ein Einwohner anonym über die Proteste und Übergriffe in der iranischen Hauptstadt. Er schreibt, er habe sich auch deshalb unter die Demonstranten gemischt, um die offizielle Propaganda zu überprüfen, Moussavi sei von Konterrevolutionären mit Unterstützung "missgeleiteter" Studenten und "verwestlichter" Lakaien aus dem reichen Norden Teherans gewählt worden, während die Unterstützer Ahmadinejads "arm, rechtschaffen und patriotisch" seien. "Doch entgegen dieser Karikatur präsentierten die Demonstranten um mich herum einen beeindruckenden Querschnitt durch die iranische Bevölkerung. Die Masse in der Azadi Street wurde von jungen Leuten beherrscht, viele der Mädchen trugen die vorgeschriebene schwarze maghna'eh, ein Umhang mit Kapuze, die sie auch im Unterricht tragen. Es gab auch ältere Frauen und Männer sowie Familien, deren Kleidung und Äußeres darauf hinwiesen, dass sie aus den einfachsten Bezirken Teherans oder aus den Provinzen kamen. Ich sah auch eine Freundin, die einen Regierungsjob hat. Sie hatte ihre Arbeitsstelle vorzeitig verlassen, zusammen mit zehn Kollegen und mit Erlaubnis ihres Vorgesetzten. Wir kamen an einem Regierungsgebäude, wo sich Angestellte aus dem Fenster lehnten und winkten, Ich glaube nicht, dass an diesem 15. Juni viel gearbeitet wurde in Teheran."

Weiteres: Lauren Collins informiert über den Musikgeschmack der im Irak stationierten Soldaten. James Wood bespricht den Roman "Censoring an Iranian Love Story" von Shahriar Mandanipour, eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund moralischer Zwänge und Tyrannei. Und David Denby sah im Kino Kathryn Bigelows Thriller "The Hurt Locker" und Robert Kenners Dokumentarfilm "Food, Inc.", der in diesem Jahr das Berlinale-Spezial "Kulinarisches Kino" eröffnete. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Ziggurat" von Stephen O?Connor und Lyrik von Julie Bruck und Christian Wieman.
Archiv: New Yorker

Guardian (UK), 20.06.2009

Der Schauspieler und Dramatiker Wallace Shawn denkt darüber nach, warum er so gern und so unablässig über Sex schreibt, und zwar ungefähr seit er vierzehn wurde: "Ein Grund ist, dass Sex schockiert. Ja, er schockiert noch immer, nach all den Jahren. Ist das nicht unglaublich? Zumindest mich schockiert er. Und ich glaube, dass liegt daran, dass die meisten bürgerlichen Menschen, mich eingeschlossen, mit einem Bild von sich im Kopf herumlaufen, dass diese eine Sache nicht umfasst. Mir ist vage bewusst, dass meine tägliche Verrichtungen in vielerlei Hinsicht denen eines Säugetieres entsprechen: atmen, verdauen und auf diesen seltsamen Beinen von einem Ort zum anderen humpeln. Aber wenn ich ein Bild von mir selbst entwerfe, sehe ich mich selbst die Dinge tun, die nur Menschen tun - ein Taxi winken, ins Restaurant gehen, meinen Kandidaten wählen, Rechnungen auf verschiedene Stapel legen. Wenn ich unerwartet daran erinnert werde, das meine Seele und mein Körper von einer Aktivität hinweggerissen werden können, die auch Schweine, Fliegen, Wölfe, Löwen und Tiger betreiben, wird mein Selbstbild gewaltig erschüttert."
Archiv: Guardian
Stichwörter: Schwein, Schweine

Al Ahram Weekly (Ägypten), 18.06.2009

Hunderte pakistanische Dorfbewohner im Swat Tal haben vor drei Wochen aus ihren Dörfern schwerbewaffnete Taliban verjagt und vierzehn von ihnen getötet. Diese Dörfler sollten ein Vorbild für die Muslime in aller Welt sein, meint Aijaz Zaka Syed, Meinungsredakteur der in Dubai erscheinenden englischsprachigen Zeitung Khaleej Times. "Was wir brauchen ist eine globale Bewegung, die das wahre Gesicht des Islam in der Welt repräsentiert. (...) Was die pakistanischen Stammesangehörigen getan haben, um der Bedrohung durch die Taliban zu begegnen, ist vielleicht die beste Nachricht seit vielen Jahren aus diesem Land. Diese asiatische Nation sollte ursprünglich ein Modell für eine muslimische Gesellschaft und einen muslimischen Staat werden, aber was wurde aus Quaid-e-Azams Traum? Er verwandelte sich in ein Symbol für alles, was falsch ist in heutigen muslimischen Gesellschaften: Korruption, Machtmissbrauch, Gewalt und extremistisches Chaos aller Art. Natürlich kann man die Schuld für vieles dem Mist nebenan geben und der konstanten Einmischung und Manipulation durch Großmächte. Aber wer gibt ihnen denn die Gelegenheit im Trüben zu fischen? Am Ende ist jeder von uns verantwortlich für das, was in unserem Teil der Welt geschieht. Außerdem: Will lange noch wollen Muslime den Rest der Welt für ihre Leiden verantwortlich machen?"

Weitere Artikel: Ziemlich selbstgefällig fand Abdel-Moneim Said, Direktor des Al-Ahram Centre for Political and Strategic Studies, die arabischen Reaktionen auf Barack Obamas Kairoer Rede. Obama habe in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht nur Worte, sondern inzwischen auch einige Taten vorzweisen - im Gegensatz zu den Arabern, die offenbar nur zwei Fraktionen zu bieten haben: "diejenigen, die es vorziehen darauf zu warten, dass sich das Problem von selbst löst, und diejenigen, die das Problem am liebsten ganz Obama überlassen möchten in der Hoffnung, dass er uns die Anstrengung erspart, selbst eine Lösung zu suchen." Die reine Lehre des Postkolonialismus darf in dieser Ausgabe Hamid Dabashi vertreten, Professor an der Columbia Universität in New York, der behauptet, die iranischen Demonstrationen machten vor allem Israel und den USA Angst, die nichts mehr fürchteten als die Demokratie! Im Kulturteil sieht Hani Mustafa drei äyptische Filme, die unter den Armen spielen und stellt fest, dass heutige Filmemacher eigentlich keinen Bezug mehr zu ihnen haben.th solutions.
Archiv: Al Ahram Weekly

London Review of Books (UK), 25.06.2009

Als "bisher bestes Buch" zur Finanzkrise lobt Donald MacKenzie den Band "Fool's Gold" mit dem schönen Untertitel "Wie ungebremste Gier einen Traum zerstörte, die globalenen Märkte erschütterte und eine Katastrophe heraufbeschwor". Geschrieben hat ihn die Financial-Times-Redakteurin Gillian Tett. Sie gehörte zu den wenigen, die schon lange vor der Krise auf die Probleme mit Derivaten hingewiesen hatten. In ihrem Buch erklärt sie auch, was ihr zur Scharfsicht verholfen hat: "Das Buch beginnt in einem Konferenzzimmer in Nizza im Frühjahr 2005. Tett gesteht, dass sie zu dem Zeitpunkt vom technischen Vokabular der Teilhnehmer - 'Gauß-Kopula', 'Eigenbehalt', 'Delta Hedging' - völlig verwirrt war. Nun hatte sie jedoch, bevor sie zur Financial Times kam, für ihre Dissertation in Sozialanthropologie Feldforschung im sowjetischen Tadschikistan durchgeführt. Sofort erwachte jetzt die Ethnografin in ihr. Die Konferenz erinnerte sie an eine tadschikische Hochzeit. Die Teilnehmer schmiedeten soziale Bande und feierten eine implizit vorausgesetzte Weltsicht - in diesem Fall eine, in der 'es komplett in Ordnung war, Geld in abstrakten, mathematischen, ultra-komplexen Termini zu diskutieren, ohne dass von menschlichen Wesen mit einem Wort die Rede wäre'."

Weitere Artikel: Iain Sinclair nimmt sich Peter Ackroyds Versuch vor, die Geschichte Londons aus Perspektive der Themse zu schreiben - und diese dabei, "gegen allen Anschein" (so Sinclair) als heiligen Fluss a la Ganges oder Jordan zu begreifen. Chris Mullin, Labour-Abgeordneter im Britischen Unterhaus, schreibt ein Tagebuch des Spesenskandals. Peter Campbell macht sich Gedanken zur Futurismus-Ausstellung in der Londoner Tate Modern.

Nepszabadsag (Ungarn), 20.06.2009

Der ungarische Schriftsteller Lajos Parti Nagy emfindet angesichts der Schändung des Budapester Holocaust-Mahnmals und des Erfolgs der rechtsradikalen Partei "Jobbik" bei den Europawahlen eine bedrückende Scham: "Ich fühle mich immer weniger wohl in dem Land, das meine Heimat ist. Anderthalb Jahre nach der Gründung der Ungarischen Garde hielten 427.213 erwachsene, zeugungsfähige Bürger dieses Landes es für richtig, die Vertreter einer offen und hysterisch roma-, juden- und fremdenfeindlichen, neonazistischen politischen Formation ins Europäische Parlament zu entsenden. [...] Während ich dies schreibe, beobachte ich mich, ob ich bestürzt, ob ich empört bin. Bin ich aber nicht. Man kann sich nicht pausenlos empören, wie man auch nicht ununterbrochen Angst haben kann. Manchmal habe ich Angst, manchmal nicht, manchmal ignoriere ich es, manchmal packt mich der eiskalte Schrecken. Wenn 'Ungarn den Ungarn gehört', will ich kein Ungar sein. Freilich ist es vollkommen egal, ob ich will oder nicht. Genauso egal ist aber auch, was dieser stupider Slogan dröhnt. Ungarn gehört uns allen. Genauso, wie die Schmach."
Archiv: Nepszabadsag

Times Literary Supplement (UK), 19.06.2009

John Rogister hat zwei Bücher über Versailles gelesen - Tony Spawforth' "Biografie eines Palastes" und William Ritchey Newtons "Derriere la Facade" - und vermutet nun, dass die meisten Aristokraten froh gewesen sein dürften war, als sie 1789 aus diesem hoffnungslos rückständigen Schloss gejagt wurden: Es stank darin pestilenzartig! "Ein kurzes Waschen der Hände und des Gesichts genügte den meisten Höflingen, und die Parfums halfen selten gegen den anhaltenden Körpergeruch. Ein Bad war eher ein Mittel zum Sex als ein Akt persönlicher Hygiene. Bevor das Wasserklosett ein königliches Privileg wurde, war der chaise percee die Regel. Es gab 274 davon zur Zeit Ludwigs XIV.. Der König und seine führenden Höflinge gaben ihre Audienzen, während sie auf ihrem saßen. Der ehrgeizige Diplomat Alberoni erwies dem schwulen Herzog von Vendome seine Reverenz, indem er, als sich Letzterer von seinem chaise percee erhob, ekstatisch ausrief: 'O culo d'angelo', während sich seine Hoheit den Hintern abwischte. Die Bewohner des Hofs und ihre Diener urinierten in Ecken und auf Treppen, Abwasserleitungen waren inadäquat, Abfall und tote Tiere wurden einfach aus dem Fenster auf die Wege geworfen."

Richard Seaford, Gräzist in Exeter, erklärt, dass es die Einführung des Geldes war, wodurch das antike Griechenland zur Blüte kam: "Dieses neue und revolutionäre Phänomen des Geldes unterstrich und beförderte zwei große Erfindungen in der griechischen Polis des sechsten Jahrhunderts: Philosophie und Tragödie."

Clarin (Argentinien), 19.06.2009

Jose Manuel Lara Bosch, Chef des Grupo Planeta, der mächtigsten Verlagsgruppe der spanischsprachigen Welt, träumt vom Rentnerdasein: "Wenn es endlich soweit ist, schnappe ich mir einen der kleinsten und unangepasstesten Verlage unserer Gruppe und mache wieder auf Kleinverleger, der selbst darüber entscheidet, wie die Buchcover aussehen, der persönlich in die Druckerei geht und die Gerüche dort genießt? Das war zu meinen Anfängen die lustigste Zeit meines Verlegerlebens. So soll es dann wieder sein: kein Unternehmer mehr, sondern bloß noch einfacher Verleger, der seine Bücher selbst an den Mann bringt. Ein großes Problem ist allerdings die Internetpiraterie - ich verstehe schon, dass alle unbedingt für alles möglichst wenig bezahlen wollen, man denke bloß an die Billigfluglinien, Hotels ohne Personal, etc. - aber der völlige Nulltarif, das geht nicht. Vorgehen sollte man aber nicht gegen private Internetnutzer, sondern gegen die Besitzer der 40 Websites, über die etwa in Spanien 80 Prozent der Piraterie abgewickelt werden: diese Leute machen nämlich wirklich ein Geschäft - kurioserweise vor allem mit Werbung von Telekommunikationsfirmen?" (Und wenn sie genug Geld verdient haben, träumen sie wahrscheinlich davon, einen kleinen Verlag zu gründen und den Duft alter Druckmaschinen zu schnuppern...)
Archiv: Clarin
Stichwörter: Duft, Geld, Geruch, Internetpiraterie

Gazeta Wyborcza (Polen), 20.06.2009

Nach langwierigen Autorisierungen erschien jetzt ein Interview mit der wohl meistgehassten Person in Polen - der BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Darin gibt sie sich gelassen: "Ich verstehe die Sorgen und Ängste der Polen sehr gut. Sie sind jedoch grundlos." Sie rückt aber keinen Deut von ihrer Meinung ab: "Hitler hat Pandoras Büchse mit unmenschlicher Grausamkeit geöffnet. Doch die Verantwortung für die Vertreibungen am Kriegsende und danach tragen die jenigen, die dort die Macht hatten. Ein großer Teil davon geht auf das Konto der Alliierten, verantwortlich sind aber auch die Staaten, aus denen die Deutschen vertrieben wurden." Auf die Frage, ob sie sich von den polnischen Vorwürfen verletzt fühle, antwortet sie: "Ich ertrage es, weil ich mich nicht für mich engagiere, sondern für Menschen, die oft machtlos sind. Die Vorwürfe berühren mich nicht so sehr, denn ich weiß, welche Rolle dabei die polnischen Leiden spielen. Trotzdem - es ist absurd."
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Kriegsende, Steinbach, Erika

Commentary (USA), 01.07.2009

Nach dem Desaster von George W. Bushs Politik der "Ermunterung" zur Demokratie, etwa im Irak, die auch von der neokonservativen Zeitschrift Commentary mitgetragen wurde, fragt sich der Politologe Joshua Muravchik, warum Barack Obama und Hillary Clinton die Wörter "Menschenrechte" und "Demokratie" geradezu ängstlich zu vermeiden scheinen. Seiner Meinung nach hätten sie auch einen alternativen Zugang zum Thema suchen können: "Obama hätte die Bush-Regierung für ihre Art der Demokratieförderung geißeln und eine bessere Variante versprechen können. Statt dessen erklärte Michael McFaul, der für das Thema Demokratie in Obamas Wahlkampagne zuständig war, dass die neue Regierung 'weniger reden und mehr tun' würde als Bush. Aber als McFaul in den nationalen Sicherheitsrat berufen wurde, wurde ihm das Russland-Portfolio zugeordnet und nicht die Demokratieförderung. Dieser Posten, der unter Bush eine hohen Rang hatte, blieb leer."
Archiv: Commentary