Magazinrundschau

Was schmerzt? Was hilft?

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.07.2009. In Micro Mega protestieren italienische Intellektuelle gegen ein Gesetz, das illegale Immigration zum Verbrechen erklärt. In Al Ahram erklärt der Literaturprofessor Hamid Dabashi zum Iran: nicht die Demonstranten, sondern die Anhänger Ahmadinedschads sind Mittelklasse. Im Observator Cultural fragt Leo Butnaru: Warum lassen sich EU-Politiker in Moldawien dekorieren? In Dawn verzweifelt Arundhati Roy an der Demokratie. Das ging Oswald Mosley auch schon so, erfahren wir in Standpoint.

MicroMega (Italien), 02.07.2009

In Italien ist ein Gesetz vom Parlament gebilligt worden, das aus illegalen Immigranten Verbrecher macht (mehr hier). Eine Reihe von italienischen Intellektuellen - darunter Andrea Camilleri, Antonio Tabucchi, Dario Fo und seine Frau Franca Rame - protestiert heftig gegen die neue Bestimmung, die hoffentlich einen europaweiten Skandal auslösen wird: "Frauen, die sich illegal im Land aufhalten, dürfen ihre Kinder nach der Geburt nicht ins Geburtsregister eintragen lassen. So werden die Kinder von 'nicht angemeldeten' ausländischen Frauen nach dem Willen einer vorübergehenden Mehrheit ihr ganzes Leben lang zu Kindern unbekannter Eltern abgestempelt. Sie können demnach bei der Geburt von ihren eigenen Müttern getrennt und unter die Aufsicht des Staates gestellt werden. Nicht einmal der Faschismus ist so weit gegangen! Die Rassengesetze, die das Regime 1938 einführte, haben Kinder nicht von ihren jüdischen Eltern getrennt, noch haben sie Mütter zur Abtreibung veranlasst, damit die ihnen die Kinder nicht vom Staat weggenommen werden können. Wir würden uns nicht an die europäische Öffentlichkeit wenden, wenn die Angelegenheit nicht die Landesgrenzen überschreiten würde. All jene, die an die Menschlichkeit glauben, müssen ihre Stimme erheben. Europa kann nicht akzeptieren, dass einer ihrer Gründerstaaten zur primitivsten Stufe sozialer Organisation zurückkehrt und damit gegen internationales Recht und die ureigenen Prinzipien der Europäischen Union verstößt." Bisher haben mehr als zehntausend Menschen die Petition im Internet unterschrieben.
Archiv: MicroMega

The Nation (USA), 20.07.2009

Robert Dreyfuss gibt in seinem Bericht über den Iran den Volksaufstand so gut wie verloren und sieht das Land nun vor zwei Alternativen stehen: "Im besten Falle wird der Iran in dem Stillstand verharren, dem es sich seit 2005 gegenüber sieht, mit einer auseinanderbrechenden Wirtschaft. Im schlimmsten Falle wird es in eine Nordkorea-artige Isolation geraten, in dem Fundamentalisten und das Sicherheitsestablishment predigen, dass eine Mangelwirtschaft auf Subsistenzniveau zum Wohl der islamischen Reinheit erduldet werden muss. In jedem Fall aber wurde der klerikale, quasi-demokratische Staat durch etwas ersetzt, was wesentlich mehr nach einer Militärdiktatur aussieht. Seit den Wahlen 2005 hat Ahmadinedschad eine Reihe von ehemaligen Kommandeuren der Revolutionsgarden in den Ministerien, als Gouverneure und lokale Vertreter installiert. Seine Spezis haben eine mächtige Clique gebildet, die zwar loyal zu Chamenei steht, aber den Religionsführer auch zugleich umzingelt."
Archiv: The Nation

Times Literary Supplement (UK), 03.07.2009

In einem umfangreichen Hintergrund-Artikel empfiehlt Rosemary Righter Amir Taheris Buch "The Persian Night", der mit zahlreichen Mythen in der Geschichte des Iran aufräume. Selbst den Putsch der CIA gegen den demokratischen gewählten Premier Mohammed Mossadeq ziehe er in Zweifel: "1953, schreibt er, hatte der ach so große Demokrat Mossadeq, heillos mit dem Schah zerstritten, das Parlament aufgelöst, die Wahlen verschoben, das Kriegsrecht verhängt und regierte nur noch per Dekret. Nur unter Schwierigkeiten erhielt der Schah von den USA die Garantie, ihn zu unterstützen, sollte er Mossadeq des Amtes entheben; dann aber floh er aus dem Land, als Mossadeq seine Entlassung ablehnte. Zu der Zeit, schreibt Taheri, war die CIA, zusammen mit britischen Agenten, tatsächlich in eine Reihe schmutziger Machenschaften involviert, um die öffentliche Stimmung gegen den Premier zu wenden und Furcht vor einer kommunistischen Machtübernahme zu schüren. Aber wie die Prawda damals freudig meldete, vermasselten die USA den Job, denn ihre Pläne hingen von Mossadeqs Rücktritt ab und zerplatzen, als er ihn ablehnte. Die CIA kabelte nach Washington: Die Operation wurde versucht und ist missglückt."

Außerdem: Besprochen werden Alain de Bottons neues Buch "The Pleasures and Sorrows of Work", dem Toby Lichtig unter anderem entnimmt, dass das internationale Prekariat zwar leichter auszubeuten, aber auch schwerer zu kontrollieren ist, sowie David Watkins Studie "The Roman Forum".

Al Ahram Weekly (Ägypten), 02.07.2009

Der New Yorker Literaturprofessor Hamid Dabashi widerspricht energisch der These, die Demonstranten im Iran kämen aus der Mittelklasse, während die Armen Ahmadinedschad gewählt hätten: "1997 haben etwa drei Millionen High-School-Absolventen an Aufnahmeprüfungen für eine Universität teilgenommen. Nur 240.000 haben bestanden, weniger als zehn Prozent. Was ist mit den restlichen 90 Prozent geschehen? Wohin sind sie gegangen? Welchen Job, welche Möglichkeit, welche Erziehung haben sie bekommen? Die Antwort ist furchterregend. Ein wesentlicher Teil dieser Gruppe wurde von den verschiedenen Ebenen des militärischen Sicherheitsapparats absorbiert, etwa den Basij und den Pasdaran. Wenn sich überhaupt jemand für den 'Mittelklasse'-Status qualifiziert hat, dann sind es genau diese 15-29-jährigen, die es nicht an die Universitäten geschafft und sich statt dessen dem Sicherheitsapparat angeschlossen haben, denn sie haben einen festen Job, können heiraten, eine Familie gründen..."
Archiv: Al Ahram Weekly

Observator Cultural (Rumänien), 05.07.2009

Was ist noch schlimmer als westlicher Kapitalismus? Ein Kapitalismus, der sich hinter Hammer und Sichel verbirgt. Der moldawische Journalist und Übersetzer Leo Butnaru schickt einen gepfefferten Brief aus Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, wo es nach den Wahlen am 7. April zu schweren Protesten gegen den Wahlsieg der Kommunisten kam. Butnaru erklärt, wie die Wahlen manipuliert wurden - einem Großteil der im Ausland arbeitenden Moldawier wurde es unmöglich gemacht zu wählen - und um welche Art von Regime es sich in Moldawien handelt: "Wir haben es hier mit einem Mutanten zu tun, der schwer zu beschreiben ist. Dieser märchenhafte Bastard, Kommuno-Kapitalismus, sieht besonders abstoßend aus im Spiegelkabinett eines mysteriöserweise weiterbestehenden, zurückgebliebenen Bolschewismus, mit dem die europäische Autokratie und Diplomatie weiterhin flirtet. Ich wüsste zum Beispiel sehr gern, warum letzten März seine Exzellenz, der frühere britische Botschafter in Chisinau, John Beyer, sich von Towarischtsch Voronin dekorieren ließ, von einem Diktator, Heuchler, Angeber und Verächter der europäischen Idee, einem eingefleischten Bolschewiken durch und durch, der vom 'multilateral entwickelten' Kapitalismus profitiert - um eine Phrase aus den alten Parteiprogrammen zu benutzen."

Beyer ist nicht der einzige, den Butnaru aufzählt: auch der Schweizer Sepp Blatter, Präsident der FIFA, Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, der österreichische EU-Politiker Erhard Busek, Bulgariens Präsident Gheorghi Pirvanov und der kroatische Präsident Stjepan Mesic ließen sich Orden an die Brust heften. (Mehr über die Wahlen in der NZZ.)

Außerdem: Der in den USA lebende rumänische Schriftsteller Norman Manea, Susan Harris von "words without borders", die amerikanische Übersetzerin Susan Bernofsky und der Verleger Chad Post unterhalten sich über den Markt für Übersetzungen von Literatur und das Übersetzen an und für sich.

Standpoint (UK), 01.07.2009

Die rechtsextreme British National Party ist bei den Europawahlen mit zwei Abgeordneten ins Europa-Parlament gewählt worden. In Standpoint unterhalten sich der Historiker Raymond Carr und Oswald Mosleys Sohn und Biograf Nicholas über den Gründer der BNP. Uneinig sind sich darüber, wie antisemitisch er war, einig aber darin, dass Mosley zwar ein Faschist, aber kein gefährlich gewesen sei. Nicholas Mosley etwa sagt: "Er war kein demokratischer Politiker, kein Zweifel. Er fragte immer 'Wozu ist ein Parlament gut? Es gibt 300 Leute auf der einen Seite, die versuchen, etwas zu bewegen, und es gibt 350 Leute auf der anderen Seite, die genau das verhindern wollen.' Als ich alt genug war, um solche Sachen zu sagen, antwortete ich ihm: 'Aber das ist doch der verdammte Punkt.' Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Das Entscheidende an der Demokratie ist, dass sie Sachen verhindert. Das konnte er nicht verstehen. Er sagte, das sei doch schrecklich, er wollte Sache durchgesetzt bekommen. Alles, was man da machen kann, ist, sich auf ein großes Fass zu stellen."
Archiv: Standpoint
Stichwörter: Europawahlen

Dawn (Pakistan), 04.07.2009

Auch Arundhati Roy hat ihre Probleme mit der Demokratie: Gibt es ein Leben nach der Demokratie, fragt sie in einem Essay, der vermutlich das Vorwort zu ihrem neuen Buch "Listening to Grashoppers" ist. Und kommen sie ihr jetzt nicht mit blöden Sprüchen wie: Dann geh doch nach Somalia. Die Frage "soll nicht nahelegen, dass wir auf ältere, diskreditierte Modelle totalitärer oder autoritärer Regierung zurückfallen sollen. Sie soll vielmehr nahelegen, dass das System der repräsentativen Demokratie - zuviel Repräsentation, zu wenig Demokratie - eine strukturelle Anpassung nötig hat. Die Frage ist, was haben wir aus der Demokratie gemacht? In was haben wir sie verwandelt? Was geschieht, wenn die Demokratie verbraucht ist? Wenn sie ausgehöhlt und von jeder Bedeutung entleert ist? Was geschieht, wenn jede ihrer Institutionen in etwas Gefährliches ausgewuchert ist? Was geschieht in dem Moment, in dem Demokratie und Freier Markt zu einem einzigen räuberischen Organismus verschmolzen sind, getragen von einer einzigen dünnen Idee, die fast auschließlich um die Idee der Gewinnmaximierung kreist? Ist es möglich, diesen Prozess umzudrehen? Kann etwas, das mutiert ist, sich wieder zurückverwandeln in das, was es einmal war?"

Ts ts ts, die Juden haben die gläubigeren unter den Muslimen mal wieder geschlagen, informiert uns Tazeen Javed. "In Israel lebende orthodoxe Juden haben eine neue 'koschere' Suchmaschine namens Koogle gestartet, die es ihnen erlaubt, im Cyberspace zu surfen, ohne jemals unbekömmlichen Bildern oder dem Glauben abträglichen Texten begegnen zu müssen, die Gefahren der Subversion und der Versuchung in die Schranken weisend. Koogle folgt den religiösen Standards, die von Rabbis aufgestellt wurden, und will orthodoxen Juden helfen, auf dem festgelegten Pfad zu bleiben. Offensichtlich eine Stichelei gegen Google, will Koogle verbotenes Material herausfiltern und seine Konsumenten mit koscheren Bits und Stückchen aus dem Netz versorgen. Dies sollte unseren religiöseren muslimischen Brüdern einen Anstoß geben, eine Halal-Suchmaschine zu erfinden, oder sogar etwas noch besseres: einen Halal-Browser. Dieser Halal-Browser könnte das Netz scannen und in Big-Brother-Manier zum Segen der gläubigen und tugendhaften Nutzer agieren."
Archiv: Dawn

Nepszabadsag (Ungarn), 04.07.2009

Die Linksliberalen sind in Ungarn gescheitert, meint die Kulturwissenschaftlerin Eszter Babarczy. Der Grund: Der Ungar sei anders gestrickt, sei subjektiver (auch in seiner Intoleranz), weshalb neoliberale Lösungsmodelle bei ihm nicht greifen. Vielmehr sollten die beiden grundlegenden Fragen - 1. Was schmerzt? 2. Was hilft? - orts- und zeitgebunden beantwortet werden: "Hinter jeder großen - politischen oder philosophischen - Idee steckt die Tatsache, dass fähige und bewanderte Leute in ihrer eigenen kleinen Gemeinschaft diese Fragen beantworten konnten und die kleinen, divergierenden Ideen auf eine gemeinsame - zur Lösung führenden - Schiene bringen. Jede Antwort ist nur zu einem Zeitpunkt an einem Ort gültig, danach nie wieder. Die ungarischen Liberalen, glaube ich, sollten weniger amerikanische Freiheitsrechte verkünden, als vielmehr die Frage beantworten, was hilft, wenn es schmerzt, dass wir immer unzivilisierter, hemmungsloser und grober miteinander umgehen, dass wir immer weniger fähig sind, gemeinsame Regeln aufzustellen und dann einzuhalten. Die ungarische Linke sollte die Frage beantworten, was hilft, wenn es schmerzt, dass man sich kaum noch als Mensch fühlen kann, weil man mit wenig Geld und bescheidenen Ambitionen zurechtkommen will, weil einem Familie und Arbeit wichtiger sind als die Karriere, und es deshalb weder für einen Jeep noch einen Urlaub in Spanien reicht. Die sozialdemokratische (und überhaupt die demokratische) Bewegung in Frankreich war vor allem deshalb erfolgreich, weil es ihr gelang, die Würde und die Selbstachtung des kleinen Mannes, der in die unteren Regionen des rasenden Kapitalismus gedrängt worden war, wiederherzustellen. Deshalb lautet mein Vorschlag [an unsere Demokraten]: sie sollten zum Beispiel Victor Hugo lesen und die Publicity einfach mal vergessen."
Archiv: Nepszabadsag

Le Monde (Frankreich), 06.07.2009

Es ist Zeit für eine radikale Umkehr, meint der ehemalige amerikanische Radsportler Greg LeMond in seiner Kolumne zur diesjährigen Tour de France. Der dreimalige Gewinner der Tour schreibt über das Ereignis, das eigens von einer Zeitung geschaffen wurde, damit sie darüber berichten konnte (mehr hier): "Ich will mir die Tour ansehen können, ohne mich zu fragen zu müssen, wer sauber ist und wer schummelt, was am Sportler liegt oder am Medikament eines berühmten italienischen oder spanischen Arztes... Wann sagt man endlich: 'Es reicht!'? Der Radsport hat in ein paar Jahren einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit verloren, für die er so lange gearbeitet hat. Es ist nicht zu spät, die Richtung zu ändern und sie sich zurückzuerobern. Aber das ist nicht Job der Medien. Es sind die Fahrer, die Sportchefs, die Organisatoren und das Publikum, die diesen Wandel fordern müssen."
Archiv: Le Monde
Stichwörter: Medikamente

London Review of Books (UK), 09.07.2009

Christopher Caldwell stellt ein Buch vor, das das politische Frankreich in Aufruhr versetzt hat. In "Die Welt, wie K. sie sieht" präsentiert der angesehene investigative Journalist Pierre Pean Rechercheergebnisse vor, die diverse auch finanzielle Verfehlungen des Menschenrechts-Vorkämpfers und französischen Außenministers Bernard Kouchner aufführen. "Das Buch schlug in Paris wie eine Bombe ein", schildert Caldwell die Reaktionen. "Kouchner bezichtigte Pean des Antisemitismus und versammelte berühmte Freunde hinter sich, von Bernard-Henri Levy in der Heimat bis Hillary Clinton und Kofi Annan in der Ferne. Linke Zeitungen - Liberation etwa - gaben Pean Raum für seine Vorwürfe, während Le Monde das Buch attackierte. Das Wochenmagazin Le Point hat eigene Recherchen angestellt und bestätigte die wesentlichen Vorwürfe Peans. 'Die Welt, wie K. sie sieht' ist ein mutiges und wichtiges Buch: gewiss leidenschaftlich, oft unfair und manchmal auch schludrig; in jedem Fall aber verlangen die Vorwürfe gegen Kouchners militarisierten Humanitarismus eine Antwort - und weder Kouchner noch seine Verteidiger haben bislang eine gegeben."

Espresso (Italien), 03.07.2009

Der Espresso und Silvio Berlusconi gehen offen auf Konfrontationskurs. Wegen der Berichterstattung der Tageszeitung Repubblica hat der italienische Premier vor kurzem öffentlich dazu aufgerufen, in den Blättern des Repubblica-Verlags, zu dem auch der Espresso gehört, keine Anzeigen mehr zu schalten. "Ein Klassiker", meint Jean-Marie Colombani, ehemaliger Chefredakteur von Le Monde und jetzt bei Slate.fr, im Interview mit Gigi Riva. "Das ist schon in Spanien und Frankreich passiert. Interessant daran ist, dass Berlusconi hier wie der Chef einer Firma und nicht wie ein Politiker reagiert hat. So machen es alle weniger gewieften Bosse, wenn sie sich einer feindlichen Presse gegenüber wähnen. Wenn ich zum Beispiel in einem Automagazin verkünde, dass es ein bestimmtes Modell aus der Kurve trägt, fragt der Chef des Herstellers nicht nach der Wahrheit, sondern droht mit dem Wegfall der Anzeigen. Die Politiker, die sich gegen die Presse wenden, kommen jedoch nie sehr weit. Das beweist die jüngste europäische Geschichte."
Archiv: Espresso

Nouvel Observateur (Frankreich), 02.07.2009

Unter der Überschrift "Netanjahus Schlamassel" kritisiert der israelische Schriftsteller David Grossman die Politik des israelischen Premiers. Er habe bei seinem Vorschlag einer Zweistaatenlösung für Israel und die Palästinenser keineswegs wie versprochen "ehrlich und mutig" gesprochen, sondern schlicht unterschlagen, was er sehr wohl wusste: dass die Landkarte der Siedlungen der Landkarte des Friedens widerspricht. Fast sehe es so aus, als habe Israel gar nicht mehr den Wunsch, Frieden zu schaffen. "Zwischen den Zeilen von Netanjahus spitzfindiger Rede, die den neuen Weltgeist hätte aufgreifen müssen, den Obama beschreibt, kann man lesen, dass es keinen Frieden geben wird, außer wenn man ihn uns vorschreibt. Es ist nicht leicht einzugestehen, aber es sieht so aus, als bliebe den Israelis und Palästinensern nur eine Wahl: zwischen einem sofortigen und zuverlässigen Frieden – der beiden Seiten durch eine Intervention der internationalen Gemeinschaft unter der Ägide der Vereinigten Staaten aufgezwungen wird – und einem Krieg, der unter Umständen härter und bitterer wird als alle vorangegangenen."

Economist (UK), 03.07.2009

In ihrem Buch "Der Geruch des Kontinents" zeichnen Richard Mullen und James Munson die Geschichte der Reisen von Großbritannien auf den Kontinent nach. Die Zahlen, die sie eruiert haben, deuten auf ein gewaltiges Wachstum während des 19. Jahrhunderts hin: von weniger als 10.000 Reisenden pro Jahr ab 1814 bis zu 250.000 Reisenden in den 1860ern. Kein Wunder: "Zu Beginn des Jahrhunderts dauerte eine Reise von London nach Paris drei oder vier höchst anstrengende Tage und Nächte; in der Mitte des Jahrhunderts konnte man es schon in elf Stunden schaffen, so dass ein Tagesausflug in die französische Hauptstadt möglich wurde... Schon deutlich vor 1914 konnte ein Londoner sein Haus am frühen Morgen verlassen, in Paris Mittagessen, dann noch ein bisschen shoppen gehen und trotzdem rechtzeitig zum Dinner zu Hause sein."

Außerdem besprochen: das Buch "Schiwagos Vermächtnis" (Website) von Vladislav Zubok über die Generation der sowjetischen Intelligentsia im "silbernen Zeitalter" zwischen Stalins Tod und der Kälteperiode ab Breschnew und ein Essay (Website des Verlags), in dem der Historiker Archie Brown der Frage nachgeht, wie der Kommunismus den Erfolg haben konnte, den er hatte. In einem weitere Artikel geht es um den nach 238 Tagen nun wohl feststehenden Sieg des Comedian Al Franken im Kampf um den Senatsposten von Minnesota (wo man mit Sinn für Humor auf das Gezerre reagierte: "Eine Kleinstadt war so gelangweilt von der Angelegenheit, dass sie schon Pläne machte, den Gewinner in einem Wettrennen zweier Schweinchen, die auf die Namen der Kontrahenten getauft wurden, zu bestimmen.") Und natürlich: Ein Nachruf auf Michael Jackson.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 13.07.2009

Im großen Bollywood-Jahres-Special geht es vor allem um das Zentrum fast eines jeden Bollywood-Films: die Liebe. Gerade da darf man sich aber nicht täuschen, stellt Prasoon Joshi fest: "Da die Romanze das Rückgrat des Filmsongs ist, könnte man glauben, dass die Inder ein höchst romantisches Volk sind. In Wahrheit ist das Gegenteil richtig. Das komplizierte soziale und moralische Geflecht der indischen Gesellschaft hat eine einfach Mann-Frau-Beziehung schon immer zu einer Art Sport mit massiver Zuschauerbeteiligung gemacht, den die Gesellschaft in einem Spiel voller Restriktionen und Sanktionen austrägt. Unausgesprochen geht es um die Angst, dass die Zweierbeziehung die Macht hat, die etablierten sozialen Codes und Strukturen zu bedrohen und aus den Angeln zu heben."

In weiteren Artikeln geht es unter anderem um das jüngsten Statistiken abzulesende Verblassen der Erinnerung an die berühmten Liebespaare vergangener Jahrzehnte, um das Aufkommen nicht-mythisch grundierter Romanzen im aktuellen Kino, um die Macho-Helden des tamilischen Kinos und um tabuisierte Liebesbeziehungen im Bollywood-Film. Außerdem: ein großes Interview mit dem Star und Herzensbrecher Saif Ali Khan (bekannt etwa aus "Kal Ho Naa Ho").
Archiv: Outlook India
Stichwörter: Bollywood, Tausch