Magazinrundschau

Fast werde ich ohnmächtig

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.09.2009. Die New York Times liest das "Rote Buch" Carl Jungs, schaudernd. Wired weiß, warum Craig Newmark so erfolgreich ist: Er beantwortet Emails. In La vie des idees überlegt Eric Hobsbawm, wie man heute eine Revolution auslösen könnte. Mehr Helden!, fordert der Merkur. Walrus erzählt von einem ganz gewöhnlichen Tag bei Al Dschasira. In Nepszabadsag hat der Politologe Csaba Gombar die Nase voll von "post"-irgendwas. Polityka feiert den Dichter Juliusz Slowacki. Al Ahram überlegt, warum so viele arabische Staaten scheitern.

Polityka (Polen), 18.09.2009

Alina Kowalczyk erklärt im Interview, warum der romantische Dichter Juliusz Slowacki (1808-1849) in Polen nie so geliebt wurde wie sein Zeitgenosse Adam Mickiewicz, es aber Zeit für eine Neuentdeckung sein könnte. Denn dass die Polen sich gerade von der Romantik abwenden, hat mit dem (heute vielleicht etwas nervigen) Patriotismus Mickiewiczs zu tun. "Wir wenden uns wahrscheinlich nur von dem Stereotyp ab, der die romantische Tradition mit einem nach Unabhängigkeit strebenden Patriotismus gleichsetzt. Es hat unserem Vaterland das Überleben und die Wiedergeburt ermöglicht, muss aber heute aktualisiert werden. Die Tradition der Romantik bleibt lebendig, wenn wir auch andere Werte wahrnehmen, die gerade in Slowackis Schaffen am besten zur Geltung kommen: Die Kühnheit der Gedanken, das Innovative künstlerischer Entwürfe, die großartige dichterische Fantasie, die ironische Kritik, das ungeduldige Streben nach dem Aufdecken der Wahrheit, nach dem Herunterreißen der Masken, dem Entblößen der Gesichter, so wie es in 'Fantazy' der Protagonist tut, indem er das Antlitz des Fürsten Respekt enthüllt. Und letztendlich seine Sicht auf die Welt und die Geschichte als ein Geflecht unerwarteter Ereignisse und grotesken Chaos', mit der er seiner Epoche weit voraus war." (Überprüfen kann man das an Slowackis auf Deutsch erschienenem Versgedicht "Beniowski")
Archiv: Polityka

Wired (USA), 01.09.2009

Gary Wolf zeichnet ein faszinierendes Porträt von Craig Newmark, Begründer des Kleinanzeigenmarkts Craigslist im Internet und Nemesis der Zeitungen, die ihm gern die Schuld an ihrem Niedergang geben. Craigslist startete 1995 als Newsletter für Kleinanzeigen. Heute ist es eine Webseite mit dem ästhetischen Charme eines Telefonbuchs und 30 Angestellten. Craigslist erreicht allein in den USA 47 Millionen Besucher (unique users!) im Monat, mehr als Amazon.com (mit über 20.000 Angestellten). 2009 soll Craigslist geschätzt gut 100 Millionen Dollar einnehmen, bei einem Verkauf wäre die Seite jedoch Milliarden wert, so Wolf. Denn sie ist zum größten Teil kostenlos. Nur für Job- und Immobilienanzeigen in einigen großen Städten wird Geld verlangt. Das macht Craigslist praktisch unschlagbar. Aber es liegt auch an dem Mann dahinter, der seinen Laden nur deshalb nicht in ein Nonprofit verwandelte, weil er dann zu viele Regeln befolgen müsste. "Im letzten Jahr bekam Newmark etwa 195.000 Emails. Rund 60 Prozent, schätzt er, waren Spam. Den ganzen Rest hat er gelesen und viele davon beantwortet. Er hat jetzt einen Boss, einen Manager für Kundenservice, Clint Powell, der vor sechs Jahren angeheuert wurde. Aber Newmark bleibt bei seinen Gewohnheiten, die wenig mit normaler Arbeitslogik zu tun haben. Sie sind Teil seiner Identität, eine unkonventionelle Methode der Selbstvergewisserung, mit der er die Barriere in den Griff bekam, die ihn immer von der Welt zu trennen schien, und sie in eine Art Performance verwandelte. Athleten konkurrieren, Künstler kreieren. Newmark beantwortet Emails."
Archiv: Wired
Stichwörter: Geld, Newsletter

Merkur (Deutschland), 15.09.2009

Das Doppelheft des Merkurs hat sich - ganz undekonstruktivistisch - der Heldenverehrung verschrieben, ohne freilich die jüngsten Ereignisse (Ansbach und München) in Rechnung stellen zu können.

Jörg Lau ärgert sich über meist mit der Forderung nach Zivilcourage verbundene Appelle, "bloß nicht den Helden zu spielen". Er kennt nämlich einige sehr bewunderungswürdige Menschen, die sich dafür eben nicht zu schade waren. Die polnische Kranführerin Anna Walentynowicz etwa, den Bürgerrechtler John Lewis oder den ägyptischen Studenten Karim Nabil Suleiman, der in seinem Blog - als Karim Amer - mehr Rechtsstatlichkeit forderte: "Suleiman wurde vor Gericht gestellt wegen 'Schürens gesellschaftlicher Unruhe und Diffamierung des Islam' sowie 'Gefährdung der öffentlichen Sicherheit' und 'Beleidigung des Präsidenten'. Der Staatsanwalt im Gericht von Alexandria fragt Suleiman, was er damit meine, dass 'Hosni Mubarak der Kalif sei, Gottes Stellvertreter im Lande Ägypten, Unterdrücker der Menschen und Symbol der Tyrannei'. Der Angeklagte antwortet: 'Das ist meine Überzeugung. Ich habe das sarkastisch gemeint. Ich sehe ihn als Tyrannen.' Das Urteil am 22. Januar 2007 lautete auf vier Jahre Haft: drei für die 'Missachtung der Religion', ein Jahr für die 'Diffamierung des Präsidenten'. Sein Vater ließ die Medien wissen, er hätte die Todesstrafe für angemessen gehalten."

Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz untersucht den seiner Ansicht nach vorherrschenden "antiheroischen Affekt": "Die moderne, bürgerliche, demokratische Welt belässt es nicht bei einem Abbau des Heroischen. Sie will es entlarven, zerstören, lächerlich machen. Die Heldenzerstörung endet dann in Oberseminaren mit dem Tod des Subjekts."

Ute Frevert konstatiert, dass im postheroischen Zeitalter höchstens noch die "Helden des Alltags" gerühmt werden. In weiteren Artikeln geht es um Soldaten und Söldner, gefallene Wirtschaftsheroen, die Helden des Films und die der Popkultur.
Archiv: Merkur

New York Review of Books (USA), 08.10.2009

Malise Ruthven beleuchtet die Affäre um den verurteilten libyschen Lockerbie-Attentäter Ali al-Megrahi, der aus dem Gefängnis entlassen wurde, nachdem ihm drei von Libyen bezahlte Ärzte attestiert hatten, nur noch drei Monate zu leben zu haben. Doch auch wenn Premier Gordon Brown alle wirtschaftlichen Hintergedanken bestritten hat: "Auf dem Spiel standen für die Briten die 2007 geschlossenen Verträge der British Petroleum (BP) über Öl- und Gasgeschäfte im Wert von 15 Milliarden Pfund sowie die Pläne, in London ein Büro der Libyschen Investment Behörde zu eröffnen, einem eigenständigen Fonds mit 83 Milliarden Pfund Basiskapital. Libyen weigerte sich solange, die Verträge zu unterzeichnen, wie Justizminister Jack Straw darauf beharrte, Magrahi von einem Gefangenen-Transfer auszuschließen. Kurz nach Browns Äußerung, gab Straw - in offensichtlichem Widerspruch zu seinem Premier - zu, dass Öl 'eine sehr große Rolle' in den Verhandlungen gespielt hat."

(Hinweis: In der London Review of Books beschreibt die Anwältin Gareth Peirce bis zu einem Platinen-Splitter die wissenschaftlichen Untersuchungen von Beweismaterial im Lockerbie-Fall, die auf britischer wie auf amerikanischer Seite von Personen ausgeführt wurden, die inzwischen wegen mangelnder Qualifikation und erwiesener Fehlbeurteilungen nicht mehr als Experten vor Gericht zugelassen sind.)

Andrew O'Hagan mag kaum glauben, dass ausgerechnet die Briten, die alles "nice" finden, einen Mann wie Samuel Johnson hervorgebracht haben: "Er ließ jede Delikatesse ebenso sträflich vermissen wie gute Manieren, ein einnehmendes Wesen, freundliches Aussehen, hilfreiche Art, einen offenen Geist, ein selbstloses Gen, einen gefälligen Gang oder eine generelle Bereitschaft, sich von seiner besten Seite zu zeigen."

Weiteres: Garry Wills beobachtet befremdet, wie schnell sich Barack Obamas Leute in Washington an die Heimlichkeit und Unberechenbarkeit gewöhnt haben, mit der ihre Vorgänger unter George W. Bush agierten: "Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses sagte zu Jane Mayer vom New Yorker: 'Es war wie bei der Invasion der Body Snatcher.'" Ahmed Rashid beschreibt gewohnt hintergründig, wie sich die Situation in Afghanistan - angesichts der wiedererstarkenden Taliban, des Drogenanbaus und der unsauberen Wahlen - zunehmend verschlechtert.

Al Ahram Weekly (Ägypten), 10.09.2009

Warum sind arabische Staaten nicht erfolgreich, fragt sich Khalil El-Anani mit Blick auf den Jemen (mehr dazu im Standard), Sudan, Palästina und sogar Ägypten. Drei Faktoren macht er dafür verantwortlich: "Der erste ist die sinkende Glaubwürdigkeit, geschuldet der politischen Inkompetenz, der ökonomischen Korruption und der sozialen Ungerechtigkeit sowie dem Versagen, einen heimischen Zusammenhalt zu erreichen und religiöse und sektiererischen Minderheiten einzuschließen. Der Unfähigkeit, den steigenden Anforderungen und Hoffnungen bestimmter Gruppen zu genügen, vor allem der Jugend. Der zweite ist die wachsende Tendenz in einem Teil der arabischen Staaten zur Exklusivität und einem immer undurchlässigeren Monopol der Macht, das sich täglich in Form von polizeilichen Repressionen und dichterer sozialer Überwachung ausdrückt und die natürliche Reaktion darauf in Form von sozialer und sektiererischer Unzufriedenheit und Rebellion... Der dritte Faktor sind Kräfte von außen, die interne Spannungen verstärken, um ihren Einfluss in der arabischen Gesellschaft zu stärken und deren Erfolg von der ersten beiden Faktoren abhängt."

Hamid Dabashi, Professor an der New Yorker Columbia University, verurteilt die Gewalttaten des iranischen Regimes gegen Demonstranten ohne wenn und aber. Etwas überraschend kommt seine Warnung am Schluss, die Grüne Bewegung möge sich nicht von Exiliranern (Namen nennt er nicht) zur Gegengewalt antreiben lassen: "Die Verwandlung eines legitimen Widerstands gegen die Tyrannei in eine tyrannische Bewegung unter umgekehrten Vorzeichen ist bereits in der quixotischen Exilopposition zu bemerken, die bereits genauso vulgär spricht, schreibt und handelt wie ihr Gegenpart in der Islamischen Repubklik. Die Grüne Bewegung muss Abstand halten zu den Kreisen der Islamischen Republik wie der gewalttätigen Exilopposition. Sie muss sich auf unseren literarischen Humanismus besinnen, um ihre moralische Rechtschaffenheit zu bewahren. Bei allem Terror, den die Islamische Republik gegen den Islam und die Muslime verübt hat, schlägt das Herz des Islams freudig und hörbar, gesund und kräftig, dort, wo es immer lag: in den besten unserer Gedichte, in unserer Literatur, in der Einsamkeit unseres Glaubens oder Zweifels."

In der aktuellen Ausgabe von Al Ahram schreibt Giuseppe Acconcia über ein Oud-Konzert während des Ramadan. Und Samir Farid resümiert das Filmfestival von Venedig.
Archiv: Al Ahram Weekly

Walrus Magazine (Kanada), 01.10.2009

Für die arabische Welt ist der englische Kanal von Al Dschasira das, was die 95 Thesen Martin Luthers für Europa waren, meint Deborah Campbell. "Die Geburt Al Dschasiras markiert den ersten Zeitpunkt in der modernen Geschichte, an dem eine Vielzahl von Standpunkten in den öffentlichen arabischen Diskurs einflossen - und fast jeder fand etwas, worüber er sich aufregen konnte." An einem konkreten Nachmittag, den Campbell im Hauptquartier des Senders in Qatar verbringt, sieht das so aus: "Wadah Khanfar, der vierzigjährige Generaldirektor des Netzwerks hat an diesem Nachmittag zweierlei Ärger: Ägypten behauptet, 'der Staat Al Dschasira' plane, seine Regierung zu stürzen; und im Sudan hat ein Berater des Präsidenten, der vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesucht wird, behauptet, Al Dschasira sei zu 'dumm' das Konzept 'nationales Interesse' zu verstehen. Für Khanfar, eine imposante Person im marineblauen Nadelstreifenanzug und roter Krawatte, der Standardformeln wie 'der Macht die Wahrheit sagen' verbreitet und es ganz klar genießt, Staub aufzuwirbeln, ist es nur ein weiterer normaler Tag."

Außerdem: Dan Falk besucht einen Astronom des Vatikan, den Jesuiten Guy Consolmagno, auf dem Mount Graham. Marianne Ackermann nähert sich mühevoll dem Werk der französisch-kanadischen Autorin Marie-Claire Blais.
Archiv: Walrus Magazine

La vie des idees (Frankreich), 21.09.2009

Trotz seines gesegneten Alters von 92 Jahren interessiert sich Eric Hobsbawm im Gespräch mit der Internetzeitschrift La vie des idees immer noch für die Möglichkeit einer Revolte. Die Krux damit: Die Probleme sind international, der Rahmen der Politik ist aber immer noch national. Also braucht es für die Revolte internationale Akteure. "Hier ist der Aufstieg der NGOs wesentlich, denn sie sind so ausgelegt, dass sie weltweit agieren können. " Als erstes Beispiel einer internationalen Revolte sieht Hobsbawm das ganz und gar nicht organisierte Jahr 1968, als die modernen Kommunikationsmittel zum ersten mal eine Rolle spielten. "In den letzten Jahrzehnten sind diese Techniken genutzt worden, um weltweite Kampagnen zu lancieren, vor allem den Kampf gegen die Globalisierung, der selbst erst durch die Globalisierung entsteht. Wie erfolgreich diese Kämpfe sein werden - wir wissen es nicht."

Zu lesen ist außerdem die Besprechung einer Kulturgeschichte der modernen Privatheit in Gestalt des (eigenen) Zimmers: "Histoire de chambres" von Michelle Perrot (Seuil).

Elet es Irodalom (Ungarn), 11.09.2009

Es ist erschreckend, wie wenig die Ungarn über ihre Geschichte wissen, meint die Soziologin Maria Vasarhelyi, die der Frage nachgeht, inwieweit Ungarn gut sechs Jahrzehnte nach Kriegsende und fünf Jahre nach dem EU-Beitritt dieses "Eintrittsbillett in die moralische und politische Gemeinschaft der Europäer" (Tony Judt) gelöst hat. Zwei Drittel der Ungarn sind überzeugt, dass Ungarn von Nazi-Deutschland zum Kriegseintritt und zum Judenmord "gezwungen" wurde. "Von dieser Selbsttäuschung und dem Wunsch, sich freizusprechen, sind die Erinnerungen an die Geschichte des ganzen 20. Jahrhunderts geprägt. Dazu passt auch die Verklärung des Kadar-Systems und die vollkommene Abkehr von der Wende. Es ist kaum möglich, dieses tiefe ideologische Chaos, das die Beziehung der erwachsenen Bevölkerung zu den vergangenen Jahrzehnten kennzeichnet, rational wiederzugeben. Im Denken der Mehrheit findet die Idealisierung und die nostalgische Aufwertung des Kadar-Systems genauso ihren Platz, wie der unkontrollierte Hass gegen die Kommunisten und der Wunsch nach Abrechnung. [...] Die von Lügen und Verzerrungen belastete Erinnerung schließt das öffentliche Denken in eine eigenartige Zeitkapsel. Eine kohärente und ausgeglichene Erzählung über die Vergangenheit fehlt ebenso wie eine Zukunftsvision. Und so werden die Menschen zu Gefangenen der Gegenwart. Da wir weder hinsichtlich unserer Vergangenheit, noch hinsichtlich unserer Zukunft über ein realistisches Bild verfügen, wird ein rationales Nachdenken über die Probleme der Gegenwart immer hoffnungsloser."

Tygodnik Powszechny (Polen), 20.09.2009

Kurz nachdem die sowjetische Armee am 17. September 1939 Polen überfiel, beging der Schriftsteller und Maler Stanislaw Ignacy Witkiewcz, genannt "Witkacy", Selbstmord. "Für ihn erfüllten sich im September 1939 seine düsteren Prophezeiungen - über das unabwendbare Ende der europäischen Zivilisation und eine neue Welt, in der für ihn kein Platz war", meint der "Witkacologe" Janusz Dengler. Paradoxerweise sind wir heute erst (wieder?) bereit, sein Schaffen neu zu interpretieren, sagt Dengler im Interview. Witkiewiczs Vision einer uniformierten Gesellschaft, scheint sich in der Gleichmacherei durch Konsum zu erfüllen. "Wenn Witkacy erführe, dass die Menschen heute den ganzen Sonntag im Einkaufszentrum verbringen und sich dabei Schaufenster anschauen, würde er schreiend rausstürmen und sich in den Kopf schießen".

Außerdem: Einer neu erschienen Biografie des Künstlers von eben jenem Janusz Dengler ist eine separate Rezension gewidmet. Anita Piotrowska hat Paolo Sorrentinos Film über Giulio Andreotti mit Begeisterung gesehen, und fragt: "Selbst wenn wir einen Politiker wie Andreotti nicht hatten, könnten wir nicht wenigstens solche Filme haben?" Dem Jahrestag des sowjetischen Einmarsches in Polen und dem damit einher gehenden Ende einer polnischen Präsenz in den heutigen Westgebieten der Ukraine und Weissrusslands sind zahlreiche Artikel gewidmet. Kinga Halacinska und Tomasz Potkaj erinnern daran, dass sich die Polen mit der Geschichte der "Kresy" immer noch schwer tun, trotz aller Nostalgiereisen und vielfältiger Kontakte in den früheren Ostgebieten. Nicht zufällig entstand ein virtuelles "Kresy"-Museum auf Initiative der Auslandspolen, berichtet Michal Kuzminski.

Spectator (UK), 19.09.2009

Philip Hensher freut sich über Italo Calvinos gesammelte Erzählungen "Cosmicomics", die jetzt endlich auf Englisch erschienen sind, und applaudiert dem Autor: "Einige Schriftsteller verbringen ihre Karrieren zufrieden damit, das immer gleiche Buch zu variieren. Andere scheinen mit jedem neuen Werk ihre Idealvorstellung von einem Buch noch einmal zu überdenken. Nur einige wenige jedoch haben eine Karriere, die wie eine geplante Flugbahn in völlig unbekanntes Gebiet anmutet. Man würde Tolstois späte Fabeln nicht von seinen ersten autobiografischen Sketchen ableiten oder die opaque Magie von James Joyces 'Finnegans Wake' im robusten Realismus der 'Dubliners' vermuten. Und doch sind alle Zwischenschritte ganz genau geplant, und die Karriere ist vollkommen schlüssig."
Archiv: Spectator
Stichwörter: Joyce, James

Nepszabadsag (Ungarn), 19.09.2009

Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Kapitalismus sei zerstört worden, schrieb der slowenische Philosoph Slavoj Zizek in einem Artikel der London Review of Books im Sommer. Eine "postdemokratische" Ära komme auf uns zu – dabei schienen Demokratie und Kapitalismus immer untrennbar zu sein. Der Politologe Csaba Gombar hat die mit "post-" beginnende Wortflut satt: "Waren 'postindustriell', 'postmodern', 'postamerikanisch' etc. noch nicht genug? Natürlich können wir, wenn eine Veränderung ansteht, wenn wir das Gefühl haben, dass etwas zu Ende ist, diesen Zustand oft nicht beschreiben. (...) Die heute praktizierte Demokratie wird vielleicht nicht mehr von den Massen unterstützt. Doch die Demokratie selbst ist seit der Antike ein – wenngleich lange Zeit unterdrückter – doch sehr alter Menschheitswunsch, der stets neue Formen annehmen kann."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Zizek, Slavoj

New York Times (USA), 20.09.2009

Nächsten Monat wird erstmals das "Rote Buch" von Carl Jung veröffentlicht - auf Deutsch und auf Englisch. 1913, mit 38 Jahren, erlebte Jung eine Art Zusammenbruch: Visionen verfolgten ihnen, er hörte Stimmen, er "verlor sich in der Suppe seiner eigenen Psyche", wie Sara Corbett schreibt, die das Buch für das New York Times Magazine gelesen hat. Und alles, was er in dieser Zeit durchlebte, schrieb er auf, 16 Jahre lang. "Was er schrieb, gehörte nicht zum Kanon der leidenschaftslosen akademischen Essays über Psychiatrie. Es war auch kein gewöhnliches Tagebuch. Er erwähnt seine Frau oder seine Kinder nicht, auch nicht seine Kollegen. Er benutzt auch keine psychiatrische Fachsprache. Stattdessen ist das Buch eine Art phantasmagorisches Moralstück, vorangetrieben von Jungs eigenem Wunsch, nicht nur einen Fall aus dem Mangrovensumpf seiner inneren Welt aufzuzeichnen, sondern auch etwas von dem Reichtum darin zu retten. (...) Das Buch erzählt, wie Jung seinen eigenen Dämonen begegnete, die aus dem Schatten traten. Das Ergebnis ist beschämend, manchmal widerlich. Jung reist durch das Land der Toten, verliebt sich in eine Frau, die er später als seine Schwester erkennt, wird von einer riesigen Schlange zerquetscht und isst, in einem entsetzlichen Moment, die Leber eines kleinen Kindes. ('Ich schlucke mit verzweifelter Anstrengung - es ist unmöglich - wieder und wieder - fast werde ich ohnmächtig - es ist vollbracht.') An einer Stelle bezeichnet ihn sogar der Teufel als abscheulich."

Außerdem: Chip Brown porträtiert den derzeit "coolsten Opernsopran": Danielle de Niese.
Archiv: New York Times