Magazinrundschau

Der Grund? Pure Magie

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.10.2010. Wieviel Differenzierung verträgt der Islamismus, fragt Foreign Affairs. Mitterand war im Algerienkrieg für 45 Enthauptungen verantwortlich, schreibt Le Point. In Eurozine erklärt Michael Azar, warum Albert Camus trotzdem Frankreich für die bestmögliche Zukunft der Algerier hielt. Zsolt Lang bewundert in Elet es Irodalom Mario Vargas Llosas Dulcineas aus Fleisch und Blut. Atlantic Monthly sehnt sich nach der Zutiefst Unglücklichen Liebesgeschichte.

Point (Frankreich), 14.10.2010

Es ist heute nicht mehr so bekannt, dass der Kolonialismus zumindest in Frankreich gerade auch von Linken verfochten wurde. Der sozialistische Premierminister Guy Mollet war in den fünfziger Jahren für schlimmste Repressionen in Algerien berüchtigt. Unter ihm diente ein gewisser Francois Mitterrand als Justizminister - und auch Mitterrand tat sich gegenüber den algerischen Nationalisten nicht durch Milde hervor, schreibt Laurent Theis unter Hinweis auf ein Buch von François Malye und Benjamin Stora zum Thema: "Vor allem, und das ist die große Enthüllung des Buchs, schickte der Justizminister ohne Zögern viele algerische Nationalisten auf die Guillotine, ob sie nun Blut an ihren Händen haben oder nicht: 45 Enthauptungen in 500 Tagen. Staatspräsident Rene Coty verweigerte 45 mal die Begnadigung, und auch Mitterrand sprach sich nur achtmal für Gnade aus. Unter den Guillotinierten klebt ein Name wie ein Schandfleck an Mitterands Gedächtnis: der Name Fernand Ivetons, eines Algerienfranzosen und kommunistischen Parteimitglieds, der am 1. Februar 1957 hingerichtet wurde."
Archiv: Point

Eurozine (Österreich), 15.10.2010

Der Ideenhistoriker Michael Azar kommt in einem Artikel zum fünfzigsten Todestag Albert Camus' auf seine Haltung im Algerienkrieg zurück, die ihm viel Kritik eingetragen hat. Camus kritisierte zwar als einer der ersten, lange vor Sartre, das Verhalten der Franzosen in Algerien, zugleich aber weigerte er sich, den Nationalismus der FLN zu unterstützen. "Camus bricht nie ganz mit der Prämisse das französischen Kolonialismus", schreibt Azar in einem Beitrag für die schwedische Zeitschrift Glänta, den Eurozine auf Englisch präsentiert: "nämlich dass es der dringendste Wunsch der Kolonisierten sei, von der französischen Zivilisation als Gleiche anerkannt zu werden. Die Prinzipien der französischen Aufklärung - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - sind mit kolonialem Paternalismus verwoben. Trotz Folter, Rassismus und Betrug an den eingeborenen Algeriern betrachtete Camus Frankreich stets als 'beste mögliche Zukunft für das arabische Volk."

Eurozine übersetzt außerdem zwei Artikel aus der rumänischen Zeitschrift Dilema veche zur Ausweisung von Roma aus Frankreich: Für Nicolas Sarkozy sind sie ein leichtes Futter, um rechtspopulistische Impulse seiner Wählerschaft zu bedienen, schreibt Olivier Peyroux: "Sie sind leicht zu finden, denn sie leben in Gruppen. Sie bleiben bei Polizeiaktionen friedlich. Sie gehen kaum vor Gericht. Sie werden so gut wie nie von der öffentlichen Meinung unterstützt." Für Valeriu Nicolae sind die Ausweisungen klar rassistisch geprägt. Aber wenn schon, dann konsequent, meint er: "Wenn wir französischen Medienberichten über den Bettencourt-Skandal glauben, hat der französische Präsident Wahlkampfgelder jenseits des erlaubten Limits erhalten. Dann sollte man eben auch den Präsidenten nach Ungarn oder Griechenland zurückschicken!"

Und: die kanadische Schriftstellerin und Autorin Mavis Gallant plaudert über ihre Zeit im Paris des Jahres 1968 und ihre damals entstandenen "Paris Notebooks", über Sartre, de Gaulle und andere.
Archiv: Eurozine

The Atlantic (USA), 01.11.2010

B. R. Myers bricht eine Lanze für die Zutiefst Unglückliche Liebesgeschichte, die heute ganz aus der Mode gekommen ist. Beispiele dafür sind Somerset Maughams "Of Human Bondage", Wolfgang Koeppens "Eine unglückliche Liebe" und vor allem Patrick Hamiltons "The Midnight Bell". In all diesen Romanen verlieben sich Männer maßlos in eine Frau, die sie herabzieht und die sie weder intellektuell noch sexuell besonders attraktiv finden. Der Grund? Pure Magie. "Kein Wunder, dass die Zutiefst Unglückliche Liebesgeschichte mit der Popularisierung der Psychologie und der Weigerung, das Magische in menschlichen Beziehungen zu sehen, verschwand. Unser Zeitalter kann die große zerstörerische Leidenschaft nicht mehr verstehen, außer als sexuelle Obsession, eine Phrase, die der Bantam Verlag auf der Paperback-Ausgabe von Maughams Buch druckte. Obwohl Philip Mildreds Körper geradezu abstoßend findet. Auch Koeppens Held schläft nicht mit seiner Sibylle, aber das hinderte den amerikanischen Verlag nicht daran, den Titel - Eine unglückliche Liebe - als - "Eine traurige Affäre - zu sexualisieren und damit zu trivialisieren. Nichtklinische Erklärungen sind unvorstellbar geworden. Der Mann des 21. Jahrhunderts muss sich fragen, was mit ihm psychisch nicht in Ordnung ist, dass er in einer 'ungesunden' Beziehung bleibt. Was Mildred, Sibylle und Jenny angeht - die so verschieden sind - so würde ihnen jeder Pschologen Unehrlichkeit, Sucht nach Aufmerksamkeit und Feindseligkeit gegenüber der leisesten Kritik bescheinigen und sie mit dieser Diagnose auf eine Größe zurechtstutzen. Aber wie wenig verstehen Psychologen das Herz in dem Ratschlag, den sie jenen geben, die Frauen wie sie lieben: Verschwinde!"

Weitere Artikel: Nicholas Schmidle porträtiert den mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten ghanaischen investigativen Journalisten Anas Aremeyaw Anas: "Als ich ihn nach seinem Vorbild frage, nennt er nur einen Namen: Günter Wallraff, einen deutschen Undercover-Reporter mit mehr als vierzig Jahren Erfahrung im Enthüllungsjournalismus." Sarah A. Topol geht mit einigen 13-jährigen palästinensischen Mädchen am Strand von Gaza City surfen - aber nur, wenn nicht zuviele Leute da sind. Und mit 17 Jahren ist Schluss: "Ich tue nichts Falsches. Niemand hat das Recht, etwas über meine Tocher oder mich zu sagen. Aber am Ende kann ich nicht außerhalb der Traditionen meiner Gesellschaft leben. Es gibt hier Grenzen für unsere Freiheit", sagt mir Shurouks Vater Rajab. Und Michael Hirschorn schließlich ist entsetzt, dass im Internet jeder behaupten kann, was er will.
Archiv: The Atlantic

Foreign Affairs (USA), 01.10.2010

Eine leidenschaftliche und scharfe Debatte über den Islamismus - die gegenüber Debatten in deutschen Feuilletons den Vorzug der klaren Bezüge hat - findet seit einigen Monaten in Foreign Affairs statt. Es geht, mal wieder, um Paul Bermans Buch "The Flight of the Intellectualls", das vor allem um die Figur Tariq Ramadans und um historische Verbindungen zwischen Nazis und Islamismus kreist. Der Politologe Marc Lynch ließ in der Juli/August-Ausgabe kein gutes Haar an Berman, dem er vor allem vorwirft, nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Spielarten des Islamismus zu differenzieren. "Es klafft eine Riesenlücke zwischen der salafistischen Vision erzwungene sozialer Uniformität und den moderaten islamistischen Vorstellungen von einem demokratischen Staat mit frommen Muslimen." Zu den Gemäßigten zählt Lynch die Muslimbrüder und ihren späten Abkömmling Tariq Ramadan, aber letztlich sogar die Hamas, die sich im Gaza-Streifen gegen noch radikalere Salafisten wehrt (mehr dazu in der taz).

Was den Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi angeht, den Lynch ebenfalls als "Seismografen" der muslimischen öffentlichen Meinung verteidigt, so stellt Berman jetzt in einer Antwort klar, dass Qaradawi nicht einfach eine "feindliche Einstellung zu Israel" hat, wie Lynch schreibt. "Daraus würde man niemals erraten, dass Qaradawi ein genozidaler Antisemit ist. Nach Qaradawis im Fernsehen verbreiteter Meinung hat Allah den Juden Hitler auferlegt, um sie 'dorthin zu bringen, wohin sie gehören'. Und Qaradawi ruft dazu auf, Hitlers Bemühungen zu erneuern: 'Oh Allah, zähle sie und töte sie bis hin zum letzten.'"

Auch Jeffrey Herf, Autor des Buchs "Nazi Propaganda for the Arab World" antwortet Lynch. Seine Recherchen beruhen auf Tausenden von Seiten islamistischer Nazipropaganda, die vom Mufti von Jerusalem in Zusammenarbeit mit den Nazis verantwortet wurde. Es handelt sich um Rundfunkreden, die von der amerikanischen Botschaft in Kairo seinerzeit dokumentiert wurden. "Wenn etwas in Sachen Zusammenarbeit von Nazis und Islamisten 'irrsinnig' ist", so antwortet Herf (gleicher Link weiter unten) auf Lynch, "dann die Tatsache, dass Spezialisten der Nahostpolitik ein so entscheidendes Material so lange nicht berücksichtigten." Lynch hat zuletzt eine Gegenantwort (gleicher Link weiter unten) geschrieben, in der er den Vorwurf mangelnder Differenzierung wiederholt.
Archiv: Foreign Affairs

Elet es Irodalom (Ungarn), 15.10.2010

Der ungarische Schriftsteller Zsolt Lang würdigt den diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur: "Mario Vargas Llosa ist ein Rebell: Mit stabiler Weltanschauung und in geordneten materiellen Verhältnissen. Eigentlich dienen sogar seine Skandale dazu, die Glaubwürdigkeit seiner Rebellion zu unterstreichen. Jede Erlösung ist skandalös. Er verliebt sich in seine Tante und heiratet sie. Auch als sie sich scheiden lassen, ist das ein Skandal. Und als würde er daran Gefallen finden, neben seinen Schriften auch sein Leben in die Regale der Buchhandlungen zu stellen, folgt ein neuerlicher Skandal: Diesmal heiratet er seine Cousine. Er ist ein Ritter, doch keiner von der Sorte jener traurigen Gestalt, sondern einer, der eine Dulcinea aus Fleisch und Blut besitzt, und der nicht Windmühlen, sondern mit wirklicher Macht ausgestattete Riesen besiegt."

"Die staatliche Roma-Politik hat sich in den vergangenen 250 Jahren kaum verändert", meint der ungarische Roma-Bürgerrechtler Aladar Horvath, der sich kürzlich nach 22jähriger Aktivität aus der Politik zurückgezogen hat, im Interview mit Eszter Radai: "Die Zigeuner-Verordnungen der Habsburg-Herrscher Maria Theresia und Joseph II. zielten, genauso wie der Beschluss der kommunistischen Partei 1961, auf die gewaltsame Assimilation der Roma ab. Während der Wende erhielt Ungarn eine wahrhaftige historische Chance, seine bis dahin verfolgte, kurzsichtige und selbstzerstörerische Minderheitenpolitik aufzugeben, dennoch bildeten sämtliche Maßnahmen der bisherigen Regierungen - all ihren integrationsfreundlichen Lippenbekenntnissen zum Trotz - eine Bestätigung der ethnisch-sozialen Segregation. [...] Diese Strukturen zu verändern oder wenigstens zu beeinflussen vermag die Bürgerrechtsbewegung heute überhaupt nicht mehr."

Economist (UK), 14.10.2010

In gleich zwei Artikeln denkt der Economist über die mögliche friedliche Koexistenz von westlichen Rechtssystemen und der Scharia nach. Eines scheint dabei sowieso klar: Die Scharia ist in der Praxis längst Teil "unserer" Kultur; eine besondere Rolle kommt dabei innermuslimischen Schiedsgerichten zu, deren Verhältnis zum staatlich gesetzten säkularen Recht, wie der eine der beiden Artikel erläutert, recht unterschiedlich sein kann. Der andere Artikel geht mehr ins Detail: "Eine heikle Angelegenheit ist die Polygamie. Das französische Recht verbietet sie ausdrücklich und untersagt Zweitfrauen das Recht des Zuzugs zu ihrem in Frankreich lebenden Mann (allerdings dürfen, wenn eine Zweitfrau stirbt, die gemeinsamen Kinder manchmal zum Vater ziehen). Eine andere ist jene Form der Scheidung namens talaq, in der ein Mann seine Frau einfach verstößt. Auch das hat keinen Rückhalt im deutschen oder französischen Recht, aber wenn beide Seiten einer gescheiterten Ehe frei bezeugen, dass in einem islamischen Land eine talaq stattgefunden hat, dann sahen sich europäische Gerichte gezwungen, das anzuerkennen."
Archiv: Economist
Stichwörter: Der die Mann, Polygamie, Scharia

Magyar Narancs (Ungarn), 07.10.2010

Nach der Giftschlamm-Katastrophe haben Manager des betroffenen Aluminiumherstellers MAL versucht, die Größe der Schäden herunterzuspielen und Mutter Natur für das Geschehene verantwortlich zu machen - ein Skandal, findet die liberale Wochenzeitung Magyar Narancs: "Bevor man ob dieser höllischen Frechheit über die grundsätzlich missratene Natur des ungarischen Kapitalismus zu dozieren beginnt, müsste man bedenken, welch irrsinnige Summen allein die zerstörten Immobilien und Existenzen sowie die gerade mal ausreichende Rehabilitation der schwer verschmutzten Umwelt verschlingen werden. Dies wird irgendjemand irgendwann bezahlen müssen. Allerdings müssen wir uns, sofern wir den haarsträubenden, wenngleich aus Sicht eines Rechtsanwalts durchaus als logisch erscheinenden Text [der MAL-Pressemitteilung] richtig verstehen, auf einen langen Prozess einstellen - und bis dahin müssen, wie immer bei einer Havarie, die Steuerzahler in die Tasche greifen."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Mutter

London Review of Books (UK), 21.10.2010

In der Tate Modern gibt es eine große Gauguin-Retrospektive. Peter Campbell hat sie besucht und stellt einerseits fest, dass das Klischee von der friedlichen Unschuld der Südsee sich darin sicher nicht findet. Andererseits jedoch gelte: "Der Untertitel der Ausstellung ist 'Mythenschöpfer'. Das scheint zu implizieren, dass wir über die gewöhnlichen Fehleinschätzungen des Werks hinweggelangen und uns der Komplexität der Narrative, die Gauguin geschaffen und manipuliert hat, zuwenden sollten. Aber diese Form von Exegese scheint mir nicht unbedingt sinnvoll. Die besten der Gemälde haben ein eigenes Leben und wenngleich unsere Einschätzung dieses Lebens sich im Wandel der kulturellen Moden sicher verändert, ist es doch unkompliziert und direkt: Furcht im Gesicht eines Mädchens, das gelbe Kissen, auf dem sie liegt, der Schwindel, der einen überfällt, wenn man die Kuh in 'Über dem Abgrund' sieht, die blauen Schatten auf dem lila Sand - diese Dinge sind wie einfache Sätze, leicht zu lesen und noch leichter zu mögen und zu bewundern."

Weitere Artikel: Slavoj Zizek liest ein Buch von Richard McGregor über die Herrschaft der Kommunistischen Partei in China, erläutert dabei, wie diese als sozusagen nichtstaatliche Organisation die Spielräume für sich und die Wirtschaft offenhält und glaubt dennoch, dass, je mehr von Harmonie die Rede ist, desto größer das unterschwellige Chaos sein muss. Über den progressiven Liberalismus der britischen Liberaldemokraten denkt der Philosoph John Gray nach. Der ehemalige PLO-Vertreter Karma Nabulsi erzählt alte Heldengeschichten und beklagt den desolaten gegenwärtigen Zustand des palästinensischen Widerstands. Daniel Soar bespricht Lawrence Archers und Fiona Bawdons Studie "Ricin!" über einen Terroranschlag, der keiner war.

Polityka (Polen), 15.10.2010

Der Bialowieza Nationalpark ist der letzte Urwald Europas, die Jagd auf die in ihm lebenden Bisons ist zwar verboten, aber um den Park herum ist die Jagd erlaubt, die Hochsitze stehen zum Teil dierekt an der Grenze. Nun haben Umweltschützer angefangen, die oft international organisierten Jagden zu stören, berichten Joanna Podgorska und Maciej Perzanowski (hier auf Deutsch) nach Gesprächen mit dem Forstdirektor Piotr Wawrzyniak: "Laut seines Berichtes waren die ausländischen Jäger, die für die Teilnahme an dieser Jagd hohe Summen gezahlt und sich auf eine Begegnung mir der Urwaldnatur eingestellt hatten, sehr enttäuscht. Sie waren geradezu empört. Die Ökologen waren auf Hochstände geklettert, die zur ausschließlichen Benutzung durch den Forstdienst gekennzeichnet sind, und hatten die Jäger davon abgehalten, sich auf ihr eigentliches Ziel zu konzentrieren. Laut Jaroslaw Krawczyk, dem Sprecher der Regionaldirektion der Staatlichen Wälder, lief ein Teil der Jagden ohne Störungen ab, aber bei dem anderen Teil mussten Jäger aus Dänemark und Deutschland finanzielle Verluste in Kauf nehmen, weil die erwarteten Trophäen ausblieben."
Archiv: Polityka
Stichwörter: Dänemark, Umweltschutz, Jagd

New York Review of Books (USA), 18.10.2010

Die NY Review of Books hat aus ihrer aktuellen Ausgabe noch zwei interessante Artikel online gestellt: Der Historiker Timothy Snyder bespricht den Roman "Paranoia" des 1977 geborenen weißrussischen Autors Viktor Martinowitsch, der die großen Themen der Dissidentenliteratur - Herrschaft, Überwachung, Verrat - noch einmal aufgreift. Das Land, in dem "Paranoia" spielt, hat keinen Namen, aber Snyder kam doch sehr vieles aus Weißrussland sehr bekannt vor: "Im Zentrum von Minsk erstrecken sich die Wohnblocks über mehrere Meilen ohne eine einzige Bank. Die Botschaft ist klar: Wenn du fertig bist mit deiner täglichen Arbeit, kehr zurück in deine Wohnung. Aber das Heim an sich ist im sowjetischen System, von dem Lukaschenkos Weißrussland in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung ist, gewährt nicht wirklich eine Privatsphäre im westlichen Sinne. Wenn auch Privatbesitz gesetzlich anerkannt wird, kann Eigentum durch Formalitäten jederzeit in Frage gestellt werden. Vier Fünftel aller Arbeiter sind beim Staat angestellt, so dass fast niemand eigenständig in der Lage ist, Miete oder Hypotheken zu bezahlen. Viele Staatsangestellte arbeiten mit Einjahresverträgen. Wenn sie auch nur einen Anflug von Ungehorsam gegenüber dem Regime zeigen, kann ihnen durch die diskrete Maßnahme der Nichterneuerung die Existenzgrundlage entzogen werden."

Außerdem stellt Geoffrey O?Brien Harvey Cohens Biografie über Duke Ellington vor, die sehr fesselnd erzähle, wie Amerika Ellington und Ellington Amerika formte. Und es erzählt von seinen Anfängen: "Musik war nicht Ellingtons erste Karrierewahl. Er zeichnete gern und besuchte eine kommerzielle Kunstschule. Als Teenager leitete er einen Schildermalbetrieb. Doch mit fünfzehn entdeckte er Nutzen und Vergnügen der Musik. Das nötige musikalische Wissen erwarb er nicht systematisch - er verließ Mrs. Clikscales' Unterricht schon früh -, sondern indem er bei jeder musikalischen Begegnung so viel wie möglich in sich aufnahm."