Magazinrundschau

Chickengrüber

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.05.2011. Bidoun erklärt, was Shah Rukh Khan dazu bewegen kann, nackt zu tanzen. Le Monde und Rue89 fragen sich, wie DSK je eine Karriere machen konnte. Denn die Pariser haben es doch immer gewusst, behauptet der New Yorker. Slate.fr findet einen deutschen DSK, und sie ist ein Nazi. Assad hatte einen Vorzug, findet die NYRB. Lars von Trier erklärt Salon, wer Schuld an seinen Dummheiten hat. Die NYT zählt Glasfenster in Bagdad.

Bidoun (USA), 24.05.2011

In einem gut gelaunten Artikel erklärt Anna Della Subin, warum die Inder so kricketverrückt sind: Weil es nicht nur einen athletischen Körper, sondern auch eine starke Persönlichkeit fordert. Die zeigt sich vor allem bei den Mahlzeiten während der Spiele, die die Kricketspieler zusammen mit den Gegner einnehmen müssen. "Es sind geheiligte Pausen, ähnlich wie die abendlichen Unberbrechungen der epischen Schlachten im Mahabharata, in denen die Todfeinde friedlich plaudern, dies und das diskutieren, bis es Zeit ist, sich für die Schlacht am nächsten Morgen auszuruhen. Schon bevor es nach Indien kam war Kricket ein brahmanisches Spiel: sein Bestehen auf Ordnung, die makellosen Uniformen, die Umleitung der Aggression in ein Ritual. Sehr bald stand Kricket für das Leben selbst und für die Erwartung, dass Gerechtigkeit, nicht Ruhm, auf die Einhaltung der Regeln folgt." Und manchmal verspricht Shah Rukh Khan, nackt zu tanzen, wenn sein Team die Meisterschaft gewinnt.

Negar Azimi porträtiert den populären schwulen iranischen Tänzer und Fitnesstrainer Mohammad Khordadian. Nachdem er im Iran mehrfach verhaftet wurde, lebt er heute in Los Angeles und Dubai. Aber die Iraner lieben ihn - und seine Kassetten immer noch - er kann nämlich alles, iranischen Volkstanz, arabischen Bauchtanz und amerikanische "Jazzercise": "Man nennt ihn König des iranischen Tanzes. Seine Kostüme funkeln und haben viele Farben. Seine Hüften scheinen aus Götterspeise gemacht."

Letzteres trifft es genau:


Archiv: Bidoun

Le Monde (Frankreich), 21.05.2011

Natürlich beschäftigt die Affäre um Dominique Strauss-Kahn noch immer die Debattenseiten. Als "demokratische Lektion" will Jacques Follorou sie verstehen. Die empörten Aufschreie - mediale Hinrichtung, ungerechte Behandlung, beschämende Inszenierung - seien "typisch französisch. Sie verweisen auf die Archaismen unserer Gesellschaft und auf den Platz der Justiz in unserer Demokratie, der es an einer Kultur der Machtbalance so mangelt. Einmal mehr entrüsten sich die französischen Eliten über die Tätigkeit der Justiz, wenn diese sich gegen einen der ihren richtet ... Was Frankreich letztlich schockiert ist genau diese amerikanische Kultur der Gegen-Gewalt. Bei uns wurde die Justiz historisch dafür geschaffen, Dinge und Menschen zu schützen, und nicht dafür, um sich zu einem wahren Pfeiler der Demokratie auf Augenhöhe der politischen und wirtschaftlichen Obrigkeit aufzurichten."

Caroline Fourest fragt sich, warum die französische Presse DSK zu einer so einflussreichen Person hat werden lassen, ohne seine offenkundige Schwäche genauer zu unter die Lupe zu nehmen. Auch sie sieht darin einen "Rest Patriarchat, aber auch des Ancien Regime" wirken. Damit endet die Selbstkritik aber auch schon, man müsse sich nämlich nicht schämen, "einer Presse anzugehören, die sich weigert, ihre Zeit in Politikerbetten zu verbringen ... Die schreckliche Inszenierung [in den US-Medien] verbirgt in Wirklichkeit eine Gesellschaft mit monströsen sozialen Unterschieden. In der die moralische Bestrafung, in religiöser Manier, eigentlich das Fehlen einer sozialer Gerechtigkeit kompensiert. Selbst die Freiheit der angelsächsischen Presse, die gern angeführt wird, um der französischen Presse Lektionen zu erteilen, ist in Wahrheit eine Freiheit des Kommerzes: nämlich Papier zu verkaufen, ohne Rücksicht auf das Privatleben oder die Unschuldsvermutung."

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit dem Philosophen und Autor Alain Finkielkraut.
Archiv: Le Monde

Economist (UK), 19.05.2011

Die amerikanische Supermarktkette Walmart ist seit 1996 auf dem chinesischen Markt präsent, macht jedoch keine großen Geschäfte. Der chinesische Konkurrent Wumart steht etwas besser da, leider ist der Gründer wegen Bestechung im Knast. An den Supermärkten lässt sich, so der Economist, exemplarisch ablesen, wie sehr es in China noch an einer zahlungskräftigen Mittelklasse fehlt: "Nur 1,4 Prozent der städtischen Haushalte verdienen mehr als 15000 $ im Jahr, nur 11 Prozent zwischen 5000 und 15000 $. Und alle sparen wie verrückt, da sie, außer sie arbeiten für den Staat, kaum auf eine ausreichende Rente hoffen dürfen. Kein Wunder, dass sie niedrige Preise lieben. Auch kein Wunder, dass die Regierung, die alles, was Unruhe verursachen könnte, fürchtet, Angst vor Inflation hat. Offiziell liegt die Inflationsquote bei 5,3 Prozent, in Wahrheit wohl höher. Die Regierung hat Zinsen erhöht, das Horden von Lebensmitteln verboten, Unterstützungen für die ärmsten Familien angehoben und den Mindestlohn erhöht. Und sie geht scharf vor gegen Unternehmen, die sie des Inflationstreibens verdächtigt. Unilever musste in diesem Monat eine Strafe von 310000$ zahlen, weil das Unternehmen gegenüber Reportern andeutete, dass es zu Preiserhöhungen kommen könnte - die Nachricht führte im März zu Panikkäufen von Shampoo."
Archiv: Economist
Stichwörter: Rente, Mittelklasse, Inflation

Rue89 (Frankreich), 20.05.2011

In einem langen Artikel beleuchtet ein Autor mit dem Kürzel "narvic" vor allem die politischen Hintergründe der "abgehobenen", "virtuellen" und "widernatürlichen" Kandidatur des Ex-IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn für die französischen Sozialisten und trägt viele Reaktionen und Wortmeldungen zusammen. "Selbst wenn es zu einer überraschenden Wendung nach amerikanischer Art käme, wie es der Justizbetrieb dieses Landes ermöglicht, hätte sich seine Kandidatur bereits jetzt erledigt, denn die 'Blase DSK' ist letzten Sonntag im Zimmer des Sofitel in New York geplatzt. Die Konstruktion, die darauf angelegt war, diese unglaubwürdige, ja paradoxe Kandidatur bei der Linken und im Land durchzusetzen, ist zerbröselt. Es wird unmöglich sein, sie noch einmal zurechtzuflicken. Der Einsturz dieses Kartenschlosses ist die Niederlage einer haarsträubenden Story, die in den Geheimlabors der Spindoktoren der modernen Politik erarbeitet wurde. Die Sozialistische Partei Frankreichs hat das, nach einem kurzen Moment der Fassungslosigkeit, bereits zur Kenntnis genommen, genau wie die Medienkommentatoren des politischen Lebens in Frankreich. Der Wind weht jetzt aus einer anderen Richtung. Die Spindoktoren brüten schon über neuen Szenarios. Und schreiben schon an anderen Geschichten..."
Archiv: Rue89
Stichwörter: Rue89

Himal (Nepal), 01.05.2011

Das aktuelle Heft ist dem englischsprachigen Buchmarkt in Indien und Pakistan gewidmet. Es gibt Artikel zur Geschichte des Buchdrucks, zum von Lehrbüchern dominierten pakistanischen Markt, zu indischen Comics, zu tamilischer Pulp-Literatur und manchem mehr. Die Verlegerin Urvashi Butalia gibt einen Überblick und betont die wichtige Rolle, die Frauen in der Branche längst spielen: "Die Verlagswelt besteht zunehmend aus jungen, cleveren, intelligenten Profis, viele davon Frauen. Ja, die wachsende Zahl von Frauen ist bislang eher unbemerkt geblieben. Als ich mich vor Jahren zögerlich bei meinem ersten Verlag bewarb, kam mein Vater wie selbstverständlich mit. Ohne, dass ich es wusste, nahm er meinen damaligen Chef beiseite und macht ihm unmissverständlich klar, dass er von den Männern im Büro erwarte, dass sie sich benehmen. Umgekehrt sagte mein Chef mir, als ich den Job bekam, dass auch ich mich zu benehmen habe - womit er meinte, ich solle nicht sofort heiraten und schwanger werden. Ich war seiner Auskunft nach 'die erste Frau in einer Führungsposition, weil Frauen immer gleich heiraten und die Firma verlassen.' Die heutige Situation ist ganz und gar anders. Nicht nur leiten Frauen viele der kleinen und mittleren Verlage, sie sind auch Entscheiderinnen in vielen der größeren Häuser, darunter India Book House, Random House und HarperCollins."
Archiv: Himal

New Yorker (USA), 30.05.2011

In Paris haben es alle gewusst, behauptet Philip Gourevitch nach diversen Abendessen, die kein anderes Thema als DSK hatten. "Ich glaube, seine Leidenschaft war Sex, nicht Macht', sagt Pascal Bruckner. 'Ich habe viele gute Bekannte in der Sozialistischen Partei, die mir Dinge über ihn erzählt haben. Es ist erbärmlich.' Seiner Ansicht nach hätten die Freunde von Strauss-Kahn ihn ermutigen sollen, psychiatrische Hilfe zu suchen, statt sich für die Präsidentschaft zu bewerben."
Archiv: New Yorker

Slate.fr (Frankreich), 20.05.2011

Aus aktuellem Anlass legt Laureline Karaboudjan eine gelehrte Abhandlung über das "Fantasma der Kammerzofe" im (erotischen und nicht-erotischen) Comic vor. Anhand eines Comics von Yann und Schwartz, der den aus Kindertagen bekannten Helden Spirou neu in Szene setzt, zeigt sie, dass es auch eine Umkehrung dieses Fantasmas gibt: "Dieses Album spielt im Zweiten Weltkrieg. Spirou ist als Groom in einem Brüsseler Hotel angestellt, das zum Hauptquartier der Gestapo wird. Und unser Kammerdiener wird von einer großen und blonden Schönen in Diensten der Wehrmacht namens Chickengrüber buchstäblich sexuell belästigt. Er muss unglaubliche Diplomatie an den Tag legen, ja manchmal regelrecht die Flucht ergreifen, um ihrem sexuellen Appetit zu entgehen."
Archiv: Slate.fr
Stichwörter: Gestapo

Elet es Irodalom (Ungarn), 20.05.2011

Rumäniens Staatspräsident Traian Basescu lobte kürzlich das ungarische Mediengesetz und deutete an, dass auch Rumänien bald eine neue Verfassung bekommen könnte. Allerdings tat er das nur im kleinen Kreis. Hat ihn die Reaktion der internationalen Öffentlichkeit auf die Entwicklung in Ungarn abgeschreckt? Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Kritik an der Orban-Verfassung in der deutschen Tageszeitung Die Welt (hier) oder in der britischen Economist Intelligence Unit - denen eine linksgerichtete Gesinnung kaum unterstellt werden kann - auch als Warnung an potenzielle Weggefährten des ungarischen Regierungschefs zu werten, meint der Philosoph und außenpolitische Experte Attila Ara-Kovacs: "Die politischen Tete-a-tetes Orbans und Basescus eröffnen Perspektiven, die nicht nur jene ablehnen sollten, die die Demokratie ernst nehmen, sondern auch all die, die von einigen praktischen Überlegungen geleitet werden. Die genannten Politiker stehen nämlich nicht allein in unserer Region; hier sind noch zahlreiche andere potenzielle Führer unterwegs, deren Macht nicht durch ihre Ziele legitimiert werden, sondern deren Ziele allein ihre Macht legitimiert. [...] Wozu aber diese starken Worte der genannten westlichen Zeitungen, könnte man sich fragen - schließlich ist Orban nur ein lokaler Führer eines kleinen und unbedeutenden Landes. Nun, allein um all jene abzuschrecken, die sich zwar in Orbans Achterwasser gerne immer weiter von der westlichen Demokratie entfernen würden, sich gleichzeitig aber den Preis sparen wollen, den die Regierungspartei Fidesz, ihr Chef Orban und nicht zuletzt auch Ungarn bereits jetzt für diese seltsame Reise bezahlen."
Stichwörter: Rumänien, Fidesz, Attila

New York Review of Books (USA), 09.06.2011

Eine Retro, neue DVDs und neue Bücher - erleben wir gerade eine Buster-Keaton-Renaissance? Eigentlich nicht, meint Jana Prikryl mit Blick auf Judd Arpatow und Adam Sandler, die den Zuschauer eher zur Identifikation bewegen wollen. "Chaplin wird heute als der sozial und politisch bewusste Komödiant angesehen, aber Keatons stimmigste Komödien - Go West, The Navigator und The Cameraman eingeschlossen - spielen immer wieder mit der Immigrantennatur der amerikanischen Identität: Jeder von uns ist weit weg von zu Hause und die Eingeborenen sind nicht freundlich."

Wie man auch hier in den ersten zwei Minuten sehen kann:



Malise Ruthven beschreibt ausführlich die Geschichte von Syriens Alewiten, eine religiöse Minderheit, der auch Staatschef Assad angehört. Am Ende kommt er zu einem überraschenden Schluss: "Im Tumult der Gewalt, mit der das Regime die Demonstrationen zu unterdrücken sucht, sollte man seine Leistungen nicht vergessen oder ignorieren. Obwohl das Massaker in Hamas fürchterlich war und die Missachtung der Menschenrechte bodenlos, war es doch sehr gut, ja sogar exzellent darin, den Pluralismus der religiösen Kulturen zu beschützen, der eine von Syriens dauerhaftesten und attraktivsten Qualitäten ist."

Außerdem: Tim Parks bespricht die Stieg-Larsson-Krimis. Charles Rosen schreibt den Nachruf auf den englischen Literaturkritiker Frank Kermode.

Salon.com (USA), 21.05.2011

Lars von Trier erklärt im Interview, was ihn dazu getrieben hat, sich in Cannes als Nazi zu bezeichnen. Es war Gilles Jacob, der Leiter des Filmfestivals. "Ich hatte am selben Tag eine interessante Unterhaltung mit ihm. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er mich erwähnt. Er erzählt darin, dass ich beim ersten Mal mit rasiertem Kopf und Lederjacke nach Cannes kam, jetzt würde ich einen Smoking tragen. Das passiert allen Rebellen - sie sind keine Rebellen mehr. Das hat mich natürlich fürchterlich geärgert. Ich sagte zu ihm: 'Aber hören Sie mal, ich habe jetzt eine Tätowierung.' Und er lachte nur. Das war nicht gut genug. Ich weiß nicht - ich habe das nicht geplant. Aber unterbewusst habe ich mich wie ein unartiger Schuljunge aufgeführt."
Archiv: Salon.com

New York Times (USA), 22.05.2011

Steven Lee Myers lässt sich von irakischen Geschäftsleuten in Bagdad erzählen, was einen Aufschwung des Landes am meisten behindert. Antwort: die irrsinnige Bürokratie, Korruption und das Desinteresse ausländischer Investoren. Und doch gibt es einen großen Optimismus, stellt Myers fest. Nicht nur bei den großen Geschäftsleuten. "Bei all den Bewertungsmaßstäben, die das amerikanische Parlament anlegt, um den Fortschritt zu messen, hat niemand daran gedacht, die Anzahl der Glasfenster in den Geschäften Bagdads zu zählen. An einem Ort, an dem Bomben immer wieder Glas zerschmettern, ist der Einbau eines Glasfensters ein Akt des Trotzes oder zumindest des Durchhaltevermögens. In den letzten Jahren wurden es immer mehr, ein so guter Maßstab für das öffentliche Vertrauen in eine verbesserte Sicherheit - und einen sich erholenden Einzelhandel - wie jeder andere."

Außerdem: Ein leicht amüsierter Nicholas Kulish begleitet einen Angestellten der Ordnungsbehörde von Bingen auf seinem Kontrollgang. In der Book Review bespricht Sam Tanenhaus freundlich Harold Blooms neues Buch "The Anatomy of Influence" (es gibt ein langes Interview mit Bloom in der Boston Review).
Archiv: New York Times