Magazinrundschau

Zu neuem Funde

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
12.03.2013. Die NYT erzählt, wie Amazon und Apple auf dem Weg zur Weltherrschaft einen Markt für gebrauchte digitale Güter aufbauen. Elet es Irodalom gefallen die frischen jungen Gesichter, die die italienischen Wahlen in die Politik gespült haben. Je langweiliger Politik ist, desto besser, meint Javier Cercas in der Monde diplo. In The New Republic erinnert sich Paul Berman an die prächtig gepanzerten Backen von Hugo Chavez. Der New Yorker freut sich über seinen Überbiss. Port Magazine porträtiert den ugandischen Kaffeeproduzenten Andrew Rugasira als guten Kapitalisten. Buzzfeed porträtiert die mexikanische Lehrerin Elsa Hernandez Gonzalez als wahre Speerspitze im Kampf gegen Drogen. N+1 porträtiert den Filmemacher Michael Haneke als Sadomodernen.

New York Times (USA), 07.03.2013

In der NYT schildert David Streitfel, wie Amazon und Apple mittels Patenten versuchen, einen Markt für "gebrauchte" digitale Dateien aufzubauen und zu dominieren. "Amazons Patent sieht vor, dass ein Buch oder ein Film oder ein Song im personalisierten 'Datenlager' des Kunden liegt. Wenn ein Artikel nicht mehr gewollt wird, kann der User ihn an einen anderen User weiterverkaufen. Bei dieser Aktion wird der Artikel automatisch aus dem Lager des Verkäufers gelöscht. Das Patent beschreibt eigentlich eine gigantische Tauschbörse. Amazons 152 Millionen aktive Kunden würden Listen führen mit ersehnten gebrauchten digitalen Objekten und Listen mit gebrauchten digitalen Objekten, die verkauft werden sollen." Apple hat letzten Donnerstag ein ähnliches Patent beantragt.
Archiv: New York Times
Stichwörter: Amazon

Elet es Irodalom (Ungarn), 08.03.2013

In seiner Analyse zur Pattsituation in Italien nach den Wahlen schlägt der ungarische Publizist György Petőcz einen Bogen zwischen dem Wahlsieg der Bewegung um Beppe Grillo und dem kürzlich verstorbenen Stéphane Hessel, Autor des Polit-Bestsellers "Indignez-vous!" ("Empört euch!"). Ob dieser den zwei Tage vor seinem Tod errungenen Wahlsieg Grillos als ein Ende der Politikverdrossenheit oder - wie ein Teil der Weltpresse - doch eher als Triumph des Populismus betrachtet habe? "Natürlich sind sowohl Silvio Berlusconi als auch Grillo unendliche Demagogen. Die andere Seite hingegen ist hoffnungslos langweilig und philisterhaft. Sie begreift nicht, dass man mehr braucht als Policy-Vorschläge und eine Wirtschaftspolitik im engeren Sinne. Die Menschen wollen das Leben und die Zukunft ihrer selbst und ihrer Gemeinschaft in einem breiteren Kontext verorten. Wer dieses Bedürfnis als Lockmittel des Populismus betrachtet, hat den Sinn und die Natur der Demokratie missverstanden. Wer sich die Herrschaft der Fachleute und der Ratio wünscht, will etwas anderes und möchte die Politik innerhalb des Kreises der dafür Würdigen behalten - etwas, was Aristoteles als aristokratische Regierungsform bezeichnete. [...] Und letztendlich haben es mit dem Wahlsieg der 'Antipolitik' nicht nur unverantwortliche, europafeindliche Abgeordnete ins italienische Parlament geschafft. Im Gegenteil, so viele junge Menschen, Frauen und - diese ganz persönliche Einschätzung sei erlaubt - vertrauenerweckende Gesichter hat man bisher noch nie gesehen."

The Verge (USA), 07.03.2013

Tim Carmody hat sich einen spannenden Vortrag von Tony DeRose angehört, in dem der Wissenschaftler aus dem Pixar-Team die zentrale Rolle von Mathematik bei der Produktion von Animationsfilmen unterstreicht. Dabei erfährt man nicht nur viel über die Vorteile von Parabeln gegenüber Polygonen, sondern auch, weshalb sich das renommierte Studio langsam, aber sicher mit dem Open-Source-Gedanken anfreundet: "Lichtsetzung und Schattenwurf zu kontrollieren oder die Parameter für eine Figur zu definieren stellten einst riesige Herausforderungen im Bereich der mathematischen Definition und Ausführung von Programmen dar. Heutzutage, sagt DeRose, kann open-source-Software wie Blender fast dasselbe wie Pixars Software bewerkstelligen. Im letzten Sommer legte Pixar sogar den Quellcode einiger seiner Programmbibliotheken offen. 'Zehn Jahre lang genossen wir einen Wettbewerbsvorteil', sagt DeRose, "doch heute ziehen wir einen größeren Nutzen daraus, wenn wir die Beteiligungsmöglichkeite für alle öffnen. ... Irgendwo da draußen sitzt ein brillantes Kind mit seinen Freunden in seiner Bastelwerkstatt und nutzt und verbessert Werkzeuge wie Blender. ... Die werden die nächsten Pixar sein."
Archiv: The Verge

Salon.com (USA), 07.03.2013

Anne Applebaum beschreibt den grauenvollen Tod von Stalin und meint dann in Richtung Hugo Chavez: "Ich weiß nicht, ob der Tod von Chavez so dramatisch war wie der von Stalin vor auf den Tag genau sechzig Jahren, aber ich bezweifle es. Chavez war immerhin kein Massenmörder, auch wenn er einen enormen Schaden in der Rechtsprechung, der Presse, dem öffentlichen Leben und der vom Öl noch abhängiger gewordenen Wirtschaft angerichtet hat. Wie der sowjetische Diktator versprach er den Armen in seinem Land Dinge, die er nicht liefern konnte - und dennoch werden sie voraussichtlich in großen Mengen am Freitag an seinem Grab vorbeiziehen, während seine Gefolgsleute den Kampf um die Erbfolge antreten. Die schwierigere Diskussion über Chavez' Erbe wird vertagt", obwohl Applebaum sie für dringend nötig hielte, damit der Schatten von Chavez nicht so lang über Venezuela liegt wie der Schatten von Stalin über Russland.
Archiv: Salon.com

New Republic (USA), 09.03.2013

In einem längeren Artikel zeichnet Paul Berman die Entwicklung nach, die Hugo Chavez' Einstellung zum Marxismus nahm, und liefert zugleich ein sehr beeindruckendes Porträt des ganzen Mannes. Berman hatte Chavez 2002 bei einer Veranstaltung in New York getroffen und gefragt, was er von den Sandinisten halte. "Chavez war ein kleiner Mann. Ich bin von mittlerer Größe. Er starrte nach oben und in diesem Blick lage dieselbe Intensität und Kraft, die er vor einigen Minuten noch vom Podium nach unten ins Publikum ausgestrahlt hatte, nur dass diesmal ich das ganze Publikum war. Seine Backen besaßen die gleiche prächtige gepanzerte Qualität wie die Brustmuskeln bestimmter Menschen. Er glühte. Er zögerte einen Moment, vielleicht um sein Ohr an die Besonderhieten meiner spanischen Syntax zu gewöhnen. Und dann schien der Bug seines militärischen Torsos nach vorn, in meine Richtung zu branden und er formulierte seine Antwort scharf und analytisch. Er bewundere die Sandinisten, sagte er. Die Sandinisten hätten großartige Dinge getan. ... Aber die Sandinisten hätten einen Fehler begangen. Sie hätten den Marxismus umarmt. Dies habe zu ihrem Untergang geführt. Ich war überrascht. Er erklärte, dass in Nicaragua die Sandinisten in Konflit mit der Wirtschaft geraten waren. Aber diese Art von Konflikt sei unnötig gewesen. Darin lag der Fehler."

Sarah Williams Goldhagen liefert einen instruktiven Überblick über die Architektur neuer Bibliotheken - dabei geht es ihr weniger um repräsentative Großbauten als um Stadtbibliotheken. Sie nennt unter anderem die von Anne Fougeron entworfene Ingleside Branch Public Library in San Francisco und Peter Q. Bohlins Ballard Library in Seattle. "Als Louis Kahn 1965 eine Bücherei für die Phillips Exeter Academy entwarf, stellte er die Institution selbst in Frage. Was genau soll eine Bibliothek sein? Er kam mit einer ganz einfachen Antwort: Eine Bibliothek beginnt, wenn jemand 'ein Buch ans Licht bringt'. Ingleside und Ballard halten an Kahns Diktum fest, dass dies die Haupterfahrung einer Bibliothek sein muss. Fougeron und Bohlin benutzen Oberlichter, Lichtschachte, Innenfenster, Fensterwände, um natürliches Licht im Überfluss in und durch ihre Projekte zu leiten, und dabei arbeiten sie sorgfältig mit Reflektion, Filtern, Projetktionswänden, Screens und Schatten, um dem Auge Ermüdung zu ersparen."

Angesichts des großen Erfolgs von Tom Hoopers Filmadaption der Musicaladaption von Victor Hugos Roman "Les Misérables" überlegt der sehr fleißige Paul Berman, was die Faszination dieses Werks ausmacht, sucht nach Vorbildern Hugos und findet sie bei Virgil, Erzbischof Fénelon und vor allem François-René de Chateaubriand: "Sein Thema in 'Les Misérables' - der Existenzkampf der Armen, der durch die Industrielle Revolution erstmals in der Geschichte ein lösbares Problem geworden war - entspricht in seinem Maßstab Chateaubriands Geschichten von christlichen Martyrern und gemarterten Indianern. Hugos und Chateaubriands Themen sind womöglich, auf einer tieferen Ebene, dieselben. Diese gigantischen Gedichte waren großartige Feiern der Großartigkeit selbst, und die Großartigkeit beider Autoren entpuppt sich als eine Würdigung des wahrsten, schönsten, göttlichsten und fortschrittlichsten aller Gefühle: der Traurigkeit."
Archiv: New Republic

Bloomberg Businessweek (USA), 07.03.2013

David Leonard hat sich von George Lucas und Disney-Geschäftsführer Robert Iger die Geschichte erzählen lassen, wie Disney im vergangenen Herbst das "Star Wars"-Franchise übernahm. Dabei steht nicht nur ein einsames Frühstück in Disneyworld im Mittelpunkt, sondern auch die von Lucasfilm intern geführte Star-Wars-Datenbank "Holocron", die die Leute von Disney richtig stutzen ließ, als sie zum ersten Mal einen Blick darauf werfen konnten: Gelistet werden darin "17000 Charaktere aus dem Star-Wars-Universum, die einige tausend Planeten über eine Zeitspanne von mehr als 20000 Jahren bewohnen. Ein Brocken, den Disney erstmal schlucken musste. Also stellte Lucas der Firma einen Berater zur Verfügung, Pablo Hidalgo, ein Gründungsmitglied der Star Wars Fan Boy Association, der jetzt bei Lucasfilm die Kommunikation der Marke nach außen managt. 'Das Holocron kann etwas überwältigend sein', räumt Hidalo ein, der Fragen des Kanons wie die korrekte Schreibweise von 'Wookiee' und die endgültige Liste aller Leute, die Yoda besucht haben, während er sich in den Sümpfen von Dagobah versteckt hielt, zu seiner Obsession erklärt hat." Mit solchem Datenmaterial ausgestattet, dürften dann ja noch einige hundert Star-Wars-Filme auf uns zukommen.
Stichwörter: Kanon, Lucas, George, Star Wars, Disney

Economist (UK), 09.03.2013

Der Economist weint Hugo Chávez erwartbar keine Träne nach: "Hinter der Propaganda zeigt sich Venezuelas hässliche Wirklichkeit eines korrupten, zynischen und inkompetenten Regimes. ... Gewiss wuchs das Selbstbewusstsein des Kontinents während seiner Amtszeit, doch ist dies auf ein besseres Wirtschaftsmanagment und den steigenden Handel mit China, aber nicht auf Chávez' Taten zurückzuführen. Sein scharlachrotes Beret mag auf bourgeoisen T-Shirts in Greenwich Village und Islington ganz gut aussehen, doch der wirkliche lateinamerikanische Held der Arbeiterklasse ist Lula aus Brasilien. Und trotz aller herzlicher Umarmungen auf lateinamerikanischen Zusammenkünften hat Chávez die Anliegen des Kontinents nicht weitergebracht. Obwohl Lateinamerikas Führungspersonal - Lula inklusive - nur widerwillig schlecht über Chávez redet, weiß es, dass er ein Hindernis dabei war, das Potenzial des Kontinents auszuschöpfen und ihn hinter Demokratie und offenen Märkten zu vereinen." Dazu passend: Die Besprechung einer neuen Biografie über den Staatsmann, die ihn als großen Schauspieler, aber als schlechten Präsidenten charakterisiert.

Weitere Artikel: "Frauen, auf nach Neuseeland", kann man nach dieser Infografik zu den besten Arbeitsbedingungen für Frauen nur sagen (Deutschland liegt weit abgeschlagen gerade mal kurz vor Griechenland und Italien...). Die seit der Finanzkrise 2008 und mit dem Aufstieg von Facebook aus dem Boden sprießenden Onlineportale zum Tausch von Dienstleistungen (mehr) stehen derzeit unter enormer fiskalischer Beobachtung, erfahren wir hier. US-amerikanische Unternehmen sprechen sich für die Homo-Ehe aus - wenn auch nur vor allem deshalb, weil die interne Lohnabrechnung dadurch erleichtert würde. Außerdem erklärt uns der Economist, warum es nach dem 3D-TV-Flop auch neue, ultrahochauflösende 4K-Fernsehgeräte schwer haben werden, sich auf dem Markt durchzusetzen.
Archiv: Economist

Le Monde (Frankreich), 09.03.2013

Die aus dem Iran stammende Soziologin und Schriftstellerin Chahla Chafiq gibt einen Überblick über die Entwicklung des Feminismus in islamischen Ländern, vor allen Dingen im Iran, wo er seit den 1980er Jahren durchaus eine Geschichte hatte. Sie schreibt: "Ein einfacher Blick auf die Geschichte der Kämpfe um demokratische Rechte in den islamischen Ländern zeigt, dass es die Vorgehensweise einer erneuten Lektüre der islamischen Lehre schon immer gegeben hat. Allerdings haben sich die Feministinnen weder darauf beschränkt, noch eine populistische Doktrin aufgestellt, um einen Weg der Befreiung zu finden, der den Wünschen des islamischen Volks enspricht. Erinnern wir uns zum Beispiel an die Reformen von Habib Bourguiba (1903-2000) in Tunesien, wo die Frauenrechte auf einer fortschrittlichen Interpretation des Islam fundierten." Die gegenwärtige Situation verdiene Aufmerksamkeit: "Als Vorstellung einer globalen und globalisierenden Identität bestimmt der Islam zugleich die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der erträumten Glaubensgemeinschaft als eine einheitliche Umma. Die individuelle Autonomie wird dem Diktat der Islamisten unterworfen (die sich zu den Garanten der Umma erklären) und die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit werden im Namen des Heiligen negiert."
Archiv: Le Monde

New Yorker (USA), 18.03.2013

In einem Essay verarbeitet Jane Kramer ihre Lektüre einer Kulturgeschichte des Kochens und Essens: "Consider the Fork: A History of How We Cook and Eat" der britischen Historikerin und Autorin Bee Wilson. Man erfährt darin viel Erstaunliches, unter anderem wie die Einführung von Essbesteck unsere Art zu kauen verändert hat. Demnach hätten Europäer im späten 18. Jahrhundert kaum gekaut, weil sie sich mit der Gabel nur winzige, verkochte Portionen in den Mund schoben. "Zur gleichen Zeit stellte sich in den Kiefern der westeuropäischen Oberschicht jedoch auffällig der moderne Überbiss ein - nicht zu verwechseln mit der zutiefst lästigen Zahnstellung, die man als vorstehend kennt (und ohne die wir keine Kieferorthopäden und keine gedemütigten Jugendlichen hätten, die den Mund voller Zahnspangen und Gummibänder haben) ... Warum das geschah und wie lange es dauerte steht noch zur Debatte, aber fest steht, dass bis es geschah, die meisten Menschen ein Gebiss wie andere Primaten hatten, in dem die oberen Schneidzähne auf die unteren treffen - wie die Schneide einer Guillotine'."

Weitere Artikel: David Remnick liefert in einer Reportage Hintergrundinformationen zum Säureattentat auf den Ballettchef des Bolschoi Theaters Sergej Filin. Sasha Frere-Jones bespricht das neue Album von David Bowie. Und Adam Gopnik gratuliert Philip Roth zum Achtzigsten.
Archiv: New Yorker

Magyar Narancs (Ungarn), 14.02.2013

Der ungarische Musiker und Songwriter Miklós Paizs ("Sickratman") gilt als Bürgerschreck, der in seinem Libretto zu Mozarts "Don Giovanni" auch vulgäre Ausdrücke nicht scheut und von der rechten Presse gerne mal mit dem Satan verglichen wird, wenn er von den Darmfunktionen der Heiligen Jungfrau singt. Nun plant er eine Radiosendung, in der schlechte Gedichte vorgetragen werden. Zsófia Iványi fragte ihn, was daran gut sei, wenn sich die Menschen schlechte Gedichte anhören: "Es wäre sehr gut, wenn die Menschen dem, was ihnen vorgesetzt wird, stets mit Misstrauen zuhören oder zuschauen würden. Der Vorteil solch einer Sendung ist, dass der Hörer, während ihm von den professionellsten Künstlern etwas vorgetragen wird, was auf den ersten Blick zwar als gut erscheint, aber eigentlich skandalös beschissen ist, dass er also von alleine erkennt, dass das schlecht ist. Ich liebe solche Situationen! Wenn der Arme dasitzt, und zunächst nicht begreift, was abgeht, und es gibt keinen Anhaltspunkt, weil der Schauspieler mit seiner Stimme keinen Hinweis dafür gibt, dass das jetzt ein Witz sei - und allmählich fällt bei ihm dann der Groschen. Diese Art der Verwirrung ist ungeheuer wichtig."
Archiv: Magyar Narancs

Port (UK), 11.03.2013

Nie standen die Aussichten für Afrika so gut wie heute. Die Gründe für den Aufschwung des Kontinents sehen Don Morrison and Sofia Englund in der Eigeninitiative afrikanischer Unternehmer, von denen sie einige in ihrem großen Report vorstellen. Zum Beispiel Andrew Rugasira aus Uganda, dessen Firma Good African Coffee inzwischen Kaffee im Wert von zwei Milliarden Dollar im Jahr umsetzt: "Der erste afrikanische Kaffeeproduzent, der sich die direkte Belieferung eines britischen Supermarkts sicherte, trat so etwas wie eine Revolution los: Er stellte die Bedingungen des afrikanisch-westlichen Handels in Frage, indem er die Zwischenhändler ausschaltete und gleichwertigere und profitablere Geschäftsbeziehungen vorantrieb. Der Weg dahin war weit und beschwerlich. Auf der einen Seite seines Geschäfts standen die Farmer, die an ihren archaischen Methoden hingen und Veränderungen grundsätzlich misstrauten, weil immer sie die Verlierer waren. Auf der anderen Seite standen die Einkäufer in den Zentralen der Supermarktketten wie Waitrose und Sainsbury, die jede Veränderung der Geschäftsbedingungen ablehnten. Was beide Seite schließlich überzeugte, war, dass Handel, nicht Hilfe, die einzige gangbare und nachhaltige Strategie ist, den Lebensstandard in Afrika zu verbessern. Rugasira teilt den Profit fünfzig zu fünfzig mit den Farmern und hat versprochen, die Hälfte seines Anteils in Ausstattung und Ausbildung, in Bildungsprogramme wie finanzielle Alphabetisierung zu stecken, um die Kassen der Dörfer aufzubessern."
Archiv: Port
Stichwörter: Farmer, Uganda

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 08.03.2013

Der Schriftsteller Javier Cercas betrachtet mit Bestürzung die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, die von interessierter Seite weiter weiter am Köcheln gehalten werden: "Ich liebe riskante Abenteuer, aber nur in Romanen und Filmen, nicht in der Politik. In der Politik bin ich ein glühender Verfechter tödlichster Langeweile und schrecklichster Ödnis, nach Schweizer oder mindestens nach skandinavischem Vorbild (und innerhalb eines Systems, das an Langeweile alle anderen übertrifft, nämlich der Demokratie). Deshalb bekomme ich Gänsehaut, wenn Artur Mas, der Anführer der nationalistischen Rechten und derzeitige Präsident der katalanischen Regierung, erklärt, auf dem Weg zur Unabhängigkeit müsse man sich 'auf unbekanntes Terrain vorwagen'. Für Schriftsteller ist das in der Tat eine Pflicht - 'zu neuem Funde wollen wir ins Reich / des Unbekannten tauchen bis zum Ende', wie es bei Baudelaire heißt. Für demokratische Politiker dagegen sollte sich derlei verbieten. Wenn der Schriftsteller auf Abenteuerreise in den Abgrund stürzt, stürzt er allein. Wenn der Politiker abstürzt, reißt er uns alle mit."

Serge Halimi blickt auf die Lage in Tunisien, wo sich nach dem Mord an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaïd nicht nur die Konflikte zwischen der islamistischen Regierung und der säkularen Opposition zuspitzen: "Das Scheitern der Ennahda - die neue Verfassung ist immer noch nicht verabschiedet, die öffentliche Ordnung ist gefährdet, die Investoren bleiben aus, und in den unterentwickelten Regionen hat sich immer noch nichts getan - beflügelt die radikaleren islamistischen Gruppierungen. Die müssten ebenfalls ins politische System eingebunden werden, um das Abdriften in den bewaffneten Kampf zu verhindern. Doch eine solche Einbindung der Radikalen würde neue Konzessionen an die Forderungen der Religiösen beinhalten."

Buzzfeed (USA), 07.03.2013

Seit letztem Jahr ist Ciudad Juarez nicht mehr Mordhauptstadt der Welt (der Titel gehört jetzt San Pedro Sula in Honduras), und auch wenn an eine noch so kleine Verbesserung kaum jemand glauben mag, gibt es schon wieder Menschen, die Hoffnung schöpfen, erzählt Jeremy Relph: "Elsa Hernandez Gonzalez war 23 Jahre Lehrerin, dann arbeitete sie zwei Jahre in der öffentlichen Verwaltung, bevor sie jetzt in die Schule zurückkehrte - ein Testboden für die Zukunft der Stadt und des Landes. Während wir in Juarez waren, erfuhr sie, dass das College 14 Land bekommen hatte, auf dem es eine eigene Schule bauen konnte. Unter ihren Schülern wird es - wie auch jetzt schon - beides geben: Drogendealer und Opfer. Das Schulsystem in Ciudad Juarez ist eine Front im Krieg nicht nur gegen Drogen, sondern gegen den Fatalismus, der es dieser Industrie erlaubt zu florieren. In diesem Sinne ist Elsa eine Chefin und Beraterin und Verwalterin und Vermittlerin von Liebe und Elternersatz, vor allem aber ist sie die wahre Speerspitze im Krieg gegen die Drogen. 'Sie sehen die Schule als Erlösung', sagt sie von ihren Studenten. 'Für sie sind wir wie eine Hoffnung.'"
Archiv: Buzzfeed
Stichwörter: Buzzfeed, Honduras, Fatalismus

n+1 (USA), 04.03.2013

Andrea Lim beschreibt am Beispiel von Chongquing und der Kunstfabrik 501 das Scheitern von Bo Xilais Experiment, freie Märkte vom Staat schaffen und "beschützen" zu lassen. Korruption und die Unmöglichkeit, Beamte für irgendetwas verantwortlich zu machen, ließen das nicht zu. Und nirgends scheiterte das Experiment so offensichtlich wie im Kunstmarkt, lernt Lim von Yan Yan, der 2006 die Kunstfabrik 501 gründete: "Die Neuigkeit sprach sich in der Kunstgemeinschaft schnell herum. Künstler im 501 stellten zusammen aus, gingen gegenseitig in ihren Studios ein und aus, vereinten Arbeit und Rumhängen. 'Ich habe gelernt, wie dumm ich bin', sagt Yan Yan mir eines Abends beim Bier im Moon, einem Café gegenüber dem 501. Yan Yan ist von farbloser Erscheinung - leise und dünn, das Haar trägt er in einem Pferdeschwanz - aber jetzt spricht er mit Entschiedenheit. 'Ich dachte, ich käme klar, wenn ich mit bestimmten Teilen des Systems umgehen könnte, aber ich verstand nie das System als ganzes.' Er dachte, er könne die existierenden Gesetze strategisch nutzen. 'Aber in Wahrheit', sagt er, 'bekommt die Regierung, was immer sie will.'" Heute ist 501 im wesentlichen von kommerziellen Grafik- und Designbüros belegt.

Außerdem: Moira Weigel ordnet in einem langen Essay Michael Haneke unter die Sadomodernen - offenbar eine europäische Spezialität - ein. Und Pooja Bhatia bespricht Laurent Dubois' Buch "Haiti: The Aftershocks of History".
Archiv: n+1
Stichwörter: Haiti, Limes, Haneke, Michael