Magazinrundschau

Erst Geld macht Medien

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.04.2013. In der LRB fragt John Lanchester, warum Fantasy vom literarischen Publikum gesnobbt wird. Der New Yorker erklärt am Beispiel von Vice, wie man im Internet mit Inhalten Geld verdient. Für Salon.eu.sk besucht Andrzej Stasiuk die lebenslustigen Goralen. Die Lettre feiert ihren Fünfundzwanzigsten. Slate.fr berichtet über israelische Mafiakriege. Der Hollywood Reporter besucht einen Pionier des Filmnerdtums im Netz. HVG durchleuchtet am Beispiel von Janos Esterhazy die Abgründe der slowakisch-ungarischen Beziehungen.

London Review of Books (UK), 11.04.2013

John Lanchester ist es ein Rätsel, warum Fantasyliteratur einen so schlechten Leumund genießt, dass das Genre insbesondere auch vom literarischen Publikum kategorisch abgelehnt wird. Schon deshalb begrüßt er es, dass mit dem Erfolg der HBO-Serie "Game of Thrones" nun auch George R.R. Martins literarische Vorlage und damit einer der ambitioniertesten Fantasyzyklen in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit rückt. Maßgeblich verantwortlich für den Erfolg ist seiner Ansicht nach der Aspekt der "Instabilität", die nicht nur für das Figurenensemble (von denen einige unerwartet sterben), sondern auch für die Beschaffenheit der fantastischen Welt Westeros gilt, deren Jahreszeiten oft Jahre bis Jahrzehnte dauern können und unverhofft hereinbrechen: "Westeros ist wie unsere Welt, in der harte Zeiten anbrechen, gegen deren Konsequenzen sich keiner immun fühlt. Und keiner weiß, wie lange der Frost andauern wird. Unser Frost ist zwar wirtschaftlicher Natur, doch dennoch. Selbst die Fantasyskeptiker können sicherlich den zeitgenössischen Appeal dieser Geschichte und dieser Welt ausmachen. Es handelt sich um ein Universum, in dem niemand abgesichert ist und das Klima zusehends rauer wird, und keiner weiß, wann das gute Wetter zurückkehrt." Insbesondere nach diesem frostigen Osterwochenende ein mehr als einleuchtender Punkt.

Außerdem: Nicholas Spice unterzieht die Überwältigungsästhetik in Wagners Musik einer musikwissenschaftlichen Tiefenanalyse (den Vortrag gibt es auch als MP3-Datei zum Nachhören). Joanna Biggs liest zwei Bücher von Sheryl Sandberg und Katherine Losse, die beide bei Facebook gearbeitet haben. Jeremy Harding macht sich Gedanken darüber, wie andere sich Gedanken über das Wetter machen.

Magyar Narancs (Ungarn), 28.02.2013

Emese Kürti berichtet über die Eröffnung der ersten Galerie für Roma-Künstler in Budapest. So erkannte "Timea Junghaus, die Kuratorin des ersten Roma-Pavillons in der Geschichte der Biennale von Venedig, ähnlich wie andere Roma Intellektuellen, dass das Recht auf Selbstbestimmung für Minderheiten auch in der Kultur der einzige Weg ist. Mehr als die Hälfte des 20. Jahrhunderts lang wurde die Diskussionen über Kultur und Identität der Roma ausschließlich von Nicht-Roma geführt. So wurde die fremde Kunst am Rande der eigenen kanonisierten Narrative gehalten. Dieses Schema beschränkte sich nicht ausschließlich auf die Rezeptionsgeschichte der Roma, ähnlich agierten die westlich-modernistischen kanonisierenden Institutionen mit den Kulturen der ehemaligen Kolonien, so z.B. das Moma mit der afrikanischen Kunst."
Archiv: Magyar Narancs

New Yorker (USA), 08.04.2013

Lizzie Widdicombe stellt das 1994 in Kanada gegründete Magazin/Medienunternehmen Vice vor, das den nicht ganz originellen Mix aus "Männerthemen" (Party, Titten, Sport) und interessanten großen Reportagen zusammenbastelt, was ihnen eine große Gefolgschaft unter jüngeren Lesern eingebracht hat. Außerdem sind sie eins der wenigen Medienunternehmen, das im Internet richtig Geld verdient. Zum Beispiel mit gesponsortem Inhalt. "Das ambitionierteste vertical von Vice heißt 'Creator Project'. Ein Venture, das dem Schnittpunkt von Kunst und Technologie gewidmet ist, und das Vice mit dem Halbleiter-Hersteller Intel entwickelt hat. Die Homepage der Webseite des 'Creator Projects' zeigte kürzlich einen vage akademischen Blogeintrag und ein Video über einen 'neuen Film-Hackathon': ein zweitägiges Ereignis, bei dem die gemeinnützige Organisation Eyebeam und eine Firma für visuelle Effekte, Framestore, sich mit einigen Techies zusammentaten, um neue Formen des interaktiven Storytellings mit Intel-Produkten zu schaffen. Intel ist nicht nur der Sponsor des Blogeintrags, sondern auch des Hackathons, des Videos, der ihn dokumentiert und der 'Creator Project'-Webseite. In den letzten drei Jahren hat Intel laut seiner Marketingchefin Deborah Conrad 'zig Millionen Dollar' jährlich an Vice gezahlt, um ähnliche Projekte zu gründen und zu verbreiten." Vice-Mitbegründer Shane Smith will von Kritik an dieser Art von Kooperationen nichts hören. "Es kostet Geld, die Situation obdachloser Näherinnen in Bogota zu recherchieren oder den Krieg in Syrien oder Müllüberflutete Inseln im Pazifik. 'Jeder, der in den Medien mitspielt und behauptet, er wolle kein Geld machen', so Smith, 'sagt im Grunde, ich will nicht arbeiten. Denn erst Geld macht Medien.'"
Archiv: New Yorker
Stichwörter: Geld, Kanada, Vice, Bogota

Salon.eu.sk (Slowakei), 02.04.2013

Andrzej Stasiuk macht einen kurzen Ausflug in die Hohe Tatra zu den lebenslustigen Goralen, die ursprünglich aus Rumänien kommen, sich im Laufe der Zeit aber zu einer Art Super-Urpolen gewandelt haben: "Man könnte sagen, dass die Goralen eine einzigartige Marke geschaffen haben. Und auch wenn sie damit auf eine Nachfrage von außen reagieren, verinnerlichten sie viele lokale Elemente ihres ausgedachten Wesens: die Kleidung etwa oder das Essen. Keine andere Gruppe im Land bietet eine solch perfekte Kombination aus Realität und mythisch-ästhetischem Projekt. Die Goralen sind eine Fiktion, die machtvoller als die Realität geworden ist. Sie bekamen ihre Chance im späten 19. Jahrhunderten und nutzten sie geschickt. Und Talent ist erblich."

Außerdem übernimmt Salon aus Tygodnik Powszechny Auszüge aus einem Text von Jerzy Pilch, in dem er von seiner Parkinson-Erkrankung berichtet: "Das unerträgliche Verlangen, wenigstens einmal noch einen Teller Suppe essen mit dem Löffel zu können. Die Mühen, die das Anziehen von Schuhen im Winter bereitet und Höllenqualen gleichkommen, wie ein Bär auf dem Jahrmarkt tanzt man zum Vergnügen eines unsichtbaren Publikums. Dies sind nur einige der Handicaps, die es wert sind, verewigt zu werden. Nicht mehr schreiben zu können, ist eine andere Sache. Kaum zu verstehen, aber entscheidend."
Archiv: Salon.eu.sk

Lettre International (Deutschland), 02.04.2013

Die Lettre International feiert ihr 25-jähriges Jubiläum mit einer 186 Seiten fetten Ausgabe. Gleich im ersten Artikel tritt der kolumbianische Autor Hector Abad den Europäern in den Hintern, die endlich mit dem Jammern aufhören sollen: "Ihr seid in endlose Streitigkeiten verwickelt, vertretet egoistische und von gegenseitigem Unverständnis geprägte Haltungen, hofft auf unmögliche messianische Lösungen. Seid ihr verrückt? Bringt uns nicht um die einzige aktuelle Bezugsgröße der Weltgeschichte, die anscheinend funktioniert hat. Verteidigt sie, stärkt sie, verbessert sie, besinnt euch wieder auf die wenige Jahrzehnte zurückliegenden Ideale - aber gebt nicht der Versuchung nach, in die Vergangenheit zurückzufallen. ... Die Welt wird nie ein Paradies sein, doch was ihr in den letzten sechzig Jahren in diesem geeinten und solidarischen Europa zu schaffen in der Lage wart, ist das bisher auf Erden durchgeführte Experiment, das am wenigsten der Hölle gleicht."

Außerdem in dieser üppigen Ausgabe: Ein Gespräch mit Stephane Hessel kurz vor seinem Tod, Swetlana Alexijewitsch sammelt Erinnerungen an den Putschversuch in der Sowjetunion 1991, Yang Lian beschreibt Chinas Kultur des Anything goes, Yasmine El Rashidi beschreibt die Ernüchterung nach den Wahlen in Ägypten, Achm Bonte und Klaus Ceynowa denken über die Bibliothek im digitalen Informationszeitalter nach, Yan Lianke beklagt den Gedächtnisschwund in China, Michail Ryklin erzählt, wie die Reichen in Russland lebten und leben... Hier das ganze Inhaltsverzeichnis, online lesen darf man aber nur kurze Häppchen aus einigen Artikeln.

Merkur (Deutschland), 02.04.2013

In seiner aktuellen Ausgabe versammelt der Merkur mehrere Artikel zum Themenspektrum Nachrichten, Handel und Verkehr. Lothar Müller blickt dabei auf die Anfänge der Zeitung zurück und sieht ihren heißen Kern in der durch die Reichspost ermöglichte Verschmelzung aus Aktualität, Periodizität und Universalität: "Die Druckerpresse allein war nicht in der Lage, ein Gebilde wie die Zeitung hervorzubringen. Es dauerte nach Gutenberg noch gut 150 Jahre, bis um 1605 in Straßburg mit der Relation des Johannes Carolus die erste gedruckte Zeitung auf den Markt kam. In diesen 150 Jahren hatte sich, zum Nutzen nicht nur der Kaufleute, sondern auch der Humanisten, deren Korrespondenzen ihre Bücher weitläufig umspülten, die moderne Infrastruktur des Postwesens in Deutschland entwickelt."

Außerdem untersucht Niels P. Petersson, welche Rolle die Schifffahrt für die Globalisierung spielte. Und Wolfgang Hagen überlegt, ob das Internet nicht eher dem Buch als den Massenmedien vergleichbar sei: "Alle seine Inhalte sind - idealiter - gleich weit entfernt."
Archiv: Merkur

Slate.fr (Frankreich), 01.04.2013

Jacques Benillouche schreibt einen interesanten Hintergrundartikel über den Krieg verschiedener Mafiabanden in Israel, der immer mal wieder zu Attentaten und Toten führt: Vor allem hat "die massive Einwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sehr viele russische Mafiosi ins Land gezogen, die Israel als idealen Platz entdeckt haben um Geld zu waschen, denn das Bankensystem ist offen für neue Einwanderer, die zudem von Steuern befreit sind. Das organisierte Verbrechen russischer Provenienz hat sich also eine Nische in einem bereits stark bevölkerten Biotop gesucht, in dem einheimische Israelis mit Juden aus Nordafrika konkurrierten, die zwischen 1955 und 62 aus Tunesien und Marokko eingewandert sind. So kam es zu Bandenkriegen und zur Entthronung von Mafiabossen durch Neuankömmlinge."
Archiv: Slate.fr

Rue89 (Frankreich), 30.03.2013

Begeistert bespricht Pierre Haski, Mitbegründer von Rue89, eine Ausstellung in der Pariser Nationalbibliothek über Guy Debord. Wie bei Debord üblich hebt Haski den visionären Charakter der "situationistischen Internationale" hervor, die sowohl den Kapitalismus als auch die Doktrin der KPF in den fünfziger Jahren kritisierte. Ganz so harmlos wird man es in Deutschland nicht sehen, da eines der der deutschen Gründungsmitglieder der Situationisten Dieter Kunzelmann war und an die ganze Bewegung die Frage zu stellen ist, ob die Idee einer politischen als künstlerische Aktion nicht von vornherein höchst dubios ist. Bei Debord selbst lief es mehr auf Spiele hinaus. Er hatte im Jahr 1977 ein Kriegsspiel ersonnen "und zu dieser Zeit mit dem Verleger Gérard Lebovici eine Firma namens 'Les Jeux stratégiques et historiques' gegründet, die solche Spiele herausbringen sollte... Der Blogger Etienne Mineur merkt an, dass dieses Spiel auf den Kriegstheorien von Clausewitz beruhte und sich also die Kriege des 18. Jahrhunderts und die Kriege aus der Revolutions- und Empirezeit zum Vorbild nahm."

Debords "Société du spectacle" kann man auf Youtube in voller Länge als Film sehen:


Archiv: Rue89

HVG (Ungarn), 20.03.2013

Über die unterschiedlichen Bewertungen von Graf János Esterházy (eines Onkels des Schriftstellers Péter Esterházy) in der Slowakei und in Ungarn geht es in diesem Artikel. János Esterházy war Vertreter der ungarischen Minderheit im Parlament der Tschechoslowakei und später, im Zweiten Weltkrieg, der Slowakei. Er setzte sich gegen die Deportation der slowakischen Juden und für einen Ausgleich zwischen Slowaken und der ungarischen Minderheit ein. In Ungarn wird er verehrt, in der Slowakei als Landesverräter eingestuft. Die Deportation der slowakischen Juden begann im März 1942, die Abstimmung darüber war aber erst im Mai, führt der Historiker Robert Merica im Gespräch mit András Schweizer aus, "so war das verabschiedete Gesetz lediglich die nachträgliche Bestätigung der Deportationen. Die Unterstützung war überwältigend, jedoch sah jeder, dass der ungarische Abgeordnete als einziger seine Hand nicht hob". Nach der heute gängigen slowakischen Bewertung "sah Esterházy den Sieg der Alliierten voraus und wollte lediglich Pluspunkte sammeln für die Zeit nach dem Krieg. Nach einer anderen Erklärung betrachtete er die Interessen der ungarischen Minderheit: denn wenn über die Aussiedlung der Juden auf ethnischer Grundlage entschieden werden konnte, so hätte ein ähnlicher Schritt auch die ungarische Minderheit bedrohen können. In den meisten slowakischen Berichten werden all die Taten, die eine positive Bewertung Esterházys erlaubten, umgedreht, sie werden degradiert."

In einem ausführlichen Interview befragt Eva Marton, den jungen Regisseur und Schauspieler Csaba Polgár (u.a. Shakespeares "Coriolanus" beim Festival "Radikal Jung" 2012 in München) über seine neue Inszenierung "Merlin oder Gott, Heimat, Familie" angelehnt an Tankred Dorsts Stück "Merlin oder Das wüste Land". In dem Stück geht es auch um den Kampf zwischen Vätern und Söhnen, um Vergebung für die Taten der Väter bzw. ihre Verurteilung. "Den zwei Generationen, die seit dem Systemwechsel erwachsen geworden sind, steht heute eine Gesellschaft gegenüber, die auf den Schultern unsere Väter trägt, auf deren Schultern wiederum die Großväter sitzen. Wir tragen einen Turm mit uns herum. Wir sind voll von unausgesprochener, verdrängter Vergangenheit - wie die Stasiakten. Warum aber soll ich mich mit diesen Taten befassen? Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird stets von der jüngeren Generation erwartet. Auch das Dorst-Stück handelt davon, dass die Jüngeren nicht ernst genommen werden, so kann eine Veränderung nur durch Gewalt erfolgen, durch die Abschlachtung der Väter. Es sind unangenehme Fragen."
Archiv: HVG

Hollywood Reporter (USA), 28.03.2013

Hal Epen und Borys Kit besuchen Harry Knowles, den Gründer und Macher von Ain't it Cool News, der Ur-Filmnerd-Website, deren beeindruckender, auf zahlreichen Insider-Knüllern begründeter stellarer Erfolg Ende der 90er heute spürbar am Verblassen ist: Massive Steuerschulden, mangelnde Geschäftstüchtigkeit und der Unwille zur Professionalisierung hätten im vergangenen Jahr beinahe das Aus bedeutet. Ob diese Krise überwunden ist, lässt sich an Knowles' offenbar glänzender Stimmung kaum ablesen, dennoch machen sich die Autoren Sorgen: "Ist der Pionier des Online-Nerdtums auch heute noch relevant, da hunderte von Websites sich mit Geek-Entertainment befassen und die Marketingabteilungen der Studios geheime Vorabvorführungen lancieren? ... Zwar bietet ComScore keinen Aufschluss über den Traffic aus der Blütezeit, aber es lässt sich wohl sicher sagen, dass es sich um Größenordnungen handelte, die deutlich über den derzeitigen 300000 Besuchern pro Monat liegen. In gewisser Hinsicht ist Knowles das Opfer seines eigenen Erfolgs als Pionier darin, wie heute über Film berichtet wird. Autoren und Redakteure, die mit Ain't it Cool News aufwuchsen, machen ihm heute nicht nur auf einer atemberaubenden Anzahl von Geek-Websites wie Slashfilm, Collider und Latino Review Konkurrenz, sondern auch auf den Websites klassischer Medien wie Entertainment Weekly, Vulture und THR.com."

Dazu passend: Regisseur Peter Jackson erzählt, welchen Einfluss Knowles auf seine "Herr der Ringe"-Filme hatte, was sich beinahe schon wie ein vorveröffentlichter Nachruf liest. Außerdem warnt Schuyler Moore die Produzenten des auf Kickstarter gerade sämtliche Rekorde brechenden "Veronica Mars"-Films vor möglichen rechtlichen Problemen deren Kampagne: So ist nicht auszuschließen, dass das Angebot, gegen eine Spende von 10000 Dollar eine (äußerst kleine) Sprechrolle in dem Film zu übernehmen, gegen geltendes us-amerikanisches Recht verstößt.
Stichwörter: Mars, Jackson, Peter, Latinos, 1990er, 90er