Magazinrundschau

Amoralische Landschaften

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
09.04.2013. In The Virginia Quarterly Review sieht der Verleger Richard Nash Bücher im Cockpit in die Zukunft fliegen. Rue 89 erklärt das chinesisch-koreanische Verhältnis. Micromega beobachtet weibliche Proteste beim Weltsozialforum in Tunis. In The Brooklyn Rail erklärt der Regisseur Olivier Assayas, warum die Siebziger für den Einzelnen so gefährlich sein konnten. Im New Yorker kennt Susan Faludi dafür ein konkretes Beispiel: die Feministin Shulamith Firestone. Vice schildert die Situation der Roma in Slowakien. Die NYRB lernt von Lawrence Wright, wie das amerikanische Finanzamt aus Scientology eine Religion machte.

Virginia Quarterly Review (USA), 01.04.2013

In einem sehr anregenden und ermunternden Essay denkt der Verleger Richard Nash, selbst angeregt durch Bücher von Elizabeth Eisenstein ("The Printing Press as an Agent of Change), J. B. Thompson ("The Merchants of Culture"), Ted Striphas ("The Late Age of Print") und Laura Miller ("Reluctant Capitalists"), über die Vergangenheit des Buchs nach, die auch einiges über seine Zukunft sagt: Zunächst einmal bedroht die Digitalisierung nicht die schöngeistige Literatur und Bücher sind auch keine "Gegen-Technologie", im Gegenteil: "Bücher sind die Apotheose von Technologie - wie das Rad oder der Stuhl. [...] Es ist entscheidend zu verstehen, dass Bücher nicht kreischend und um sich schlagend in jede neue Ära des Kapitalismus gezerrt wurden. Bücher sind nicht nur ein wesentlicher Bestandteil des Konsumkapitalismus, sie haben ihn buchstäblich gestartet. Sie sind Teil seines Treibstoffs. Das Wachstum der Ketten im Buchhandel eröffnete dem Leser des 20. Jahrunderts die Möglichkeit, die Versupermarktung des Buchladens zu beklagen und dabei schlichweg die Tatsache zu leugnen, wie Striphas in 'The Late Age of Print' mit einem Zitat von Rachel Bowlby herausstreicht, dass der Buchladen tatsächlich das Vorbild für den Supermarkt ist: 'In der Geschichte der Ladeneinrichtung waren seltsamerweise die Buchläden die Vorläufer der Supermärkte. Unter allen Ladentypen benutzten nur sie Regale, die nicht hinter der Kasse standen, wo die Ware vom Kunden durchstöbert werden konnte. Als Lebensmittel mit Markennamen und charakteristischer Verpackung noch gar nicht existierten oder sehr selten waren, hatten Bücher schon Cover, die gestaltet waren, um sowohl den Inhalt zu schützen als auch den Kunden anzulocken. Sie waren Markenartikel mit erkennbarem Autor und neuen Titeln.' Es gibt andere Beispiele für signifikante Erfindungen, die durch Verleger angetrieben wurden, der springende Punkt hier ist, dass Bücher nicht grummelnd in der Holzklasse des Fliegers in die Zukunft sitzen. Sie sind im Cockpit."
Stichwörter: Buchhandel, Digitalisierung

Rue89 (Frankreich), 08.04.2013

Zehn Dinge, die man nicht unbedingt über Nordkorea weiß, erzählt Pierre Haski. Zum Beispiel, dass der Sohn Mao Tse-tungs, Mao Anying, im Koreakrieg getötet wurde - eine Million Chinesen hatte sich freiwillig auf nordkoreanischer Seite engagiert und erlitten eine mörderische Niederlage. "Dieser Blutzoll hat eine enge Bindung zwischen den Chinesen und Nordkorea geschaffen. Im Jahr 2003 zog eine Ausstellung zum fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes im Pekinger Militärmuseum eine immense Menge von Besuchern an, oft Familien, die von Veteranen angeführt wurden. Der Clou der Ausstellung war ein gigantisches begehbares Modell Koreas, auf dem die Orte der Schlachten verzeichnet waren. Ich sah alte Männer, die dort Stunden verbrachten, im Gedenken an das Erlebte und tote Kameraden. Das Thema bleibt in China überaus heikel. Historiker die eine vom offiziellen Epos abweichende Geschichte erzählen, werden unterdrückt."
Archiv: Rue89

Economist (UK), 06.04.2013

"Von jenseits der großen Mauer können wir in alle Winkel der Welt reichen" lautet der Text der 1987 verschickten, ersten und angesichts heutiger Versuche des chinesischen Regimes, das Netz zu kontrollieren, durchaus blauäugigen E-Mail aus China, steht im Aufmacher zum Themenschwerpunkt China und Internet. Diesem zufolge scheint die Zeit der Netzrepression aber auch durchaus endlich zu sein, da insbesondere auf dem Land die Zahl der Internetnutzer schlagartig wächst: Und "selbst nur gelegentliche Internetnutzer können in politische Diskussionen verwickelt werden und das Internet stellt den einen Raum dar, in dem die Leute verhältnismäßig frei ihre Gedanken äußern und die Regierung kritisieren können. Im Privaten haben sie immer gemurrt und Familien haben sich am Esstisch über die Propaganda amüsiert, die ihnen das Staatsfernsehen serviert. Doch in der Lage zu sein, abweichende Ansichten kollektiv online auszudrücken, ist neu. Millionen von Nutzern sind subversiv im Kleinen, sie nagen am imposanten Gebäude des Parteienstaats mit Humor, Wut und betrübtem Zynismus. Nur jene, die es wagen den Staat zu bedrohen - in einer sehr breiten Definition umfasst dies auch die Kritik an einem Führer oder öffentlich seine Klage zu artikulieren - werden zur Bestrafung ausgesiebt."

Die Effizienz der großen Firewall, die das chinesische Netz zensiert, nimmt stetig zu, erfährt man hier: "Wer heute bei Google verbotene Suchbegriffe eingibt, wird zu einer Sackgasse weitergeleitet und auf eine virtuelle Strafbank verfrachtet, von der aus der Zugang zur Suchmaschine für 90 Sekunden gesperrt bleibt, auch wenn andere Bereiche des Internet zugänglich bleiben." Einen etwas genaueren Blick hinter die Kulissen der chinesischen Netzregulierung findet man hier. Außerdem mutmaßt der Economist über das Ausmaß staatlicher Hackaktivitäten aus China und stellt die Internetrestriktionen anderer Regime vor.

Außerdem eine Reportage aus dem nordkoreanischen Pyöngyang, wo es im Alltag derzeit offenbar ganz und gar nicht danach aussieht, als würde sich das Land ernsthaft für einen Krieg wappnen: "Nordkorea ist die am höchsten militarisierte Gesellschaft auf Erden. Und doch sind die einzigen Gewehre, die man in der Hauptstadt zu Gesicht bekommt, die hölzernen, die einige ziemlich unerfahren wirkende Kadetten tragen. ... In Pyöngyang fällt es einem schwer, den Eindruck abzuschütteln, dass die Drohungen und das Geprahle in Richtung Amerika und Süden im wesentlichen für das eigene Land gedacht sind. Bedrohungen von außen legitimieren Nordkoreas Paranoia und durchgesetzte Isolation, egal was das Land seinem Volk abverlangt. Und sie versorgen eine Nation, die an einschläfernde, umfassender Kim-Lobpreisung als Entertainment gewohnt ist, mit existenziellem Drama."
Archiv: Economist

MicroMega (Italien), 05.04.2013

Recht gespenstisch ging es nach Annamaria Rivera auf dem Weltsozialforum in Tunis zu, unter anderem weil dort linke Studenten, die um den beliebten, vermutlich von Salafisten ermordeten Politiker Chokri Belaid trauerten, auf salafistische Studentinnen trafen, die im Namen der Globalisierungskritik ihr Recht einforderten, in Totalvermummung zu studieren. "Währenddessen forderte im Zentrum von Tunis eine kleine, vor allem weibliche Menge den Rücktritt der Frauen- und Familienministerin Sihem Badi. Die unwürdige Politikerin hat die bestialische Vergewaltigung eines dreijährigen Mädchens, die von einem Kindergartenwärter begangen wurde, kleingeredet und den Verdacht auf die Familie des Opfers gelenkt. Während die Tugendwächter sich beim Sozialforum akkreditieren wollten, wird Tunesien von einer Welle von Vergewaltigungen heimgesucht, ein Phänomen, wie es dieses Land noch nie erlebte - es sei denn , es tritt zum ersten Mal in dieser Klarheit ans Tageslicht."
Archiv: MicroMega

New Republic (USA), 06.04.2013

Ja, Hugo Chavez hat etwas für die Armen getan, konzediert Enrique Krauze in einem kurzen und scharfen Artikel über die Zukunft Venezuelas - und soziale Solidarität sei eine der Grundvoraussetzungen für Demokratie in Lateinamerika. Aber leider habe Chavez alle anderen Grundvoraussetzungen für Demokratie zerstört. Krauze setzt auf die Opposition: "Nach Jahren interner Streitigkeiten hat sie sich hinter einem intelligenten und mutigen Anführer vereint, Henrique Capriles. Während Chavez' physischem Verfall hat sich die Opposition in Sprache und Aktionen klug zurückgehalten, jeder Triumphalismus hätte zu einem katastrophalen Rückschlag führen können. Nun kann sie ihre latente Stärke nutzen."
Archiv: New Republic

New Yorker (USA), 15.04.2013

Susan Faludi erzählt die Geschichte der amerikanischen Feministin Shulamith Firestone, die verschiedene feministische Organisationen gegründet oder mitgegründet hatte und 1970 mit ihrem Buch "The Dialectic of Sex" ein feministisches Manifest vorgelegt hatte, das man auch heute noch radikal nennen würde (hier das erste Kapitel). Kurze Zeit später zog sie sich vollkommen aus der Bewegung zurück. Sie malte und schrieb, fühlte ihre Kreativität jedoch durch Medikamente beeinträchtigt, die sie wegen schizoider Schübe nehmen musste. 2012 starb Firestone verarmt und allein in ihrer New Yorker Wohnung. Es ist ein Schicksal, das sie mit nicht wenigen Feministinnen der zweiten Generation teilt, so Faludi. Einer der Gründe dafür war, dass Frauen, die sich mit ihrem Kampf für Gleichbereichtigung ins soziale Abseits begeben hatten, nur noch die Schwesternschaft hatte. Die aber beherrschte das Mobbing genauso gut wie Männer: Unter dem Vorwand, sie sei 'zu männlich', versuche sich aufzuspielen und habe für ihr Buch einen Vorschuss bekommen, wurde Firestone aus ihrer eigenen Organisation rausgemobbt, erzählt Faludi. "Letztes Jahr, als ich die Gründerinnen des radikalen Feminismus in New York interviewte, häuften sich die Geschichten von 'sozialen Abstürzen': schmerzhafte Einsamkeit, Armut, Unsicherheit, Geisteskrankheiten und sogar Obdachlosigkeit. In einem Essay von 1998, 'The Feminist Time Forgot', beklagte Kate Millett die immer länger werdende Liste ihrer Schwestern, die 'untergingen und allein in der Vergessenheit kämpften oder in psychiatrischen Anstalten verschwanden und noch zurückkehren müssen, um ihre Geschichte zu erzählen', oder die 'in eine Verzweiflung verfielen, die nur der Tod beenden konnte'. Sie erwähnte die Selbstmorde von Ellen Frankfort, der Autorin von 'Vaginal Politics', und Elizabeth Fisher, der Gründerin von Aphra, dem ersten feministischen Literaturmagazin. 'Wir waren einander keine große Hilfe', stellte Millett fest. Wir 'waren unfähig, eine wirkliche Community aufzubauen und Sicherheit zu geben.'"
Archiv: New Yorker

Brooklyn Rail (USA), 03.04.2013

Joshua Sperling unterhält sich mit Olivier Assayas, der nach seinem großen Porträt "Carlos" (zu dem wir einen ausführlichen Essay brachten) mit "Die wilde Zeit" (hier eine Kritik auf critic.de) neuerlich einen Film über die aufgeheizte Stimmung der 70er Jahre gedreht hat. Der Regisseur erklärt, warum ihn diese Dekade filmisch so stark interessiert: "Sie wurde einem bislang entweder als Karikatur oder als Fantasieprodukt verkauft - oder als beides zugleich. Sie ist zugleich ein Bezugspunkt für Mode und die Popkultur - wegen der Musik, den Klamotten, den Frisuren. Und doch wurde sie nie aufrecht dargestellt. Ich denke, das liegt daran, dass die 70er furchteinflößend sind. Anders als heute handelt es sich um eine Zeit, in der die Leute ihre Ideen in die Praxis umsetzten und dabei ihr Leben ganz schön aufs Spiel setzten. Sie beschlossen, dass es da dieses Paralleluniversum 'Gegenkultur' gebe, mit eigenen Codes, Kommunikationswegen, Werten und Orten, die sich bewohnen ließen. Man trat aus der alten Welt hinaus und in eine parallele hinein, wo man man selbst sein und Dinge tun konnte, die keine andere Generation seitdem getan hatte: mit dem eigenen Leben experimentieren, dem eigenen Schicksal. Und dabei blieben viele auf der Strecke. ... Natürlich war das verrückt, natürlich war das utopisch und hatte beträchlichte Grenzen. Doch zugleich hatte es auch etwas heroisches, beherztes an sich. Und Schönheit."

Außerdem gibt es ein knappes Gespräch mit Kamboziya Partovi, dem Co-Regisseur von Jafar Panahis aktuellem, unter Berufsverbot gedrehtem Film "Pardé" (unsere Berlinale-Besprechung).
Archiv: Brooklyn Rail

Nepszabadsag (Ungarn), 06.04.2013

Die nun zum achten Mal anstehende, jedoch finanziell gefährdete Veranstaltung "Tag der Glocken" ist Gegenstand eines ausführlichen Artikels von Zoltán Trencsényi. Für die künstlerische Nutzung von Friedhöfen, sei es in Form von Ausstellungen oder Konzerte werden oft Arlington in Washington, Pere-Lachaise in Paris oder La Recoleta in Buenos Aires genannt. In dieser Reihe konnte sich bisher auch der Budapester Zentralfriedhof an der Fiumer Straße einordnen. Seit mehr als zehn Jahren konnte eine Vielzahl von Ausstellungen, Vorträge und Konzerte im Friedhohsgarten abhalten werden. Das erste Konzert gab der ungarische Orgelspieler, Komponist und Schriftsteller Xavér Varnus zum 255. Todestag von Johann Sebastian Bach. "Ich gehe oft zum Friedhof und bei einem Spaziergang im Jahre 2000 fiel mir ein, dass dieser Ort geeignet wäre, um an Bach zu erinnern. Einerseits wegen der Nähe der dort liegenden Künstlern, andererseits wegen der fantastischen Akustik und des Fassungsvermögens. Damals galt diese Idee zweillos als Tabubruch. Während die Leitung des Friedhofes meine Idee unterstützte, fragten mich selbst meine liberalsten Freunde, ob ich mir das gut überlegt hätte", erzählt Varnus. "Für einige Politiker war schon die Idee Blasphemie und doch kamen 6000 Menschen um zuzuhören. Bei der zweiten Vorstellung, fünf Jahre später gab es keinerlei Widerstände mehr, was mittlerweile selbstverständlich ist."
Archiv: Nepszabadsag

Vice (USA), 04.04.2013

Aaron Lake Smith schildert in einer ausführlichen Reportage die Situation der Roma in der Slowakei, die mindestens genauso gefährlich ist wie in Ungarn. "Während sich die Krise der Eurozone verschärft und Slowakien Sparmaßnahmen überlegt, scheinen gemäßigte linke Politiker und durchschnittliche Slowaken - wenn auch vielleicht zufällig - darin übereinzustimmen, die schwächste Minderheit des Landes zum Sündenbock zu machen. Laut jüngsten Schätzungen gibt es etwa 440.000 Roma in der Slowakei, die etwa acht Prozent der Bevölkerung ausmachen - die größte Konzentration von Roma in Europa. Laut Berichten des European Roma Rights Center (ERRC) haben Gewalttaten, Vertreibungen, Drohungen und subtilere Formen der Diskriminierung in den letzten zwei Jahren in Slowakien einen Höhepunkt erreicht. Das ERRC betrachtet die Situation in der Slowakei als die Schlimmste in Europa. In den letzten zwei Jahren haben elf slowakische Gemeinden Zäune errichtet, um die Bewohner der Roma-Ghettos von ihren weißen Nachbarn zu trennen. Silvester 2012 hielt der Bürgermeister der Dorfs Zlaté Moravce (der laut Berichten betrunken war) vor tausend Einwohnern auf dem Marktplatz eine Rede, in der er die Mitglieder der 'weißen Rasse' aufforderte, gegen 'arbeitslose Parasiten' zu kämpfen, was eine Horde Skinheads zum Anlass nahm, Roma-Teenager durch die Stadt zu jagen. Es geht nicht allein um Neonazis, sondern auch um die tiefsitzenden Vorurteile weißer Slowaken."
Archiv: Vice

HVG (Ungarn), 14.03.2013

Endre Babus berichtet über das Vorhaben, eine Synagoge im Süden Budapests aufzubauen. Nachdem von den 960 in die Konzentrationslager deportierten Gemeindemitgliedern nach 1945 kaum 60 Personen zurückkehrten, ist Ende der 1960ern Jahre das jüdische Gemeindeleben offiziell eingestellt worden. Die alte Synagoge wurde im Rahmen der Errichtung einer Plattenbausiedlung abgerissen. Im Jahre 2002 wurde die Gemeinde neu gegründet und "innerhalb von einem Jahrzehnt wurde der zur Verfügung stehende Raum zu eng. Höchstens 48 Personen könnten am gemeinsamen Tisch Platz nehmen, obwohl an größeren Feiertagen über hundert Personen zusammenkommen. In die Gemeinde gehen einige Holocaust-Überlebende, teilweise auch junge Menschen, teilweise jene Ältere, die sich im erwachsenen Alter ihrer jüdischen Identität bewusst wurden und diese auch ausleben möchten", sagt der Vorsitzender András Kerényi, der selbst zu der letztgenannte Gruppe gehört. Das Vorhaben wurde ernsthaft beraten, nachdem ein verstorbenes Gemeindemitglied eine bedeutende Summe der Gemeinde vererbte. Kerényi bat daraufhin die Bezirksverwaltung die Pläne durch das Überlassen eines Grundstücks zu unterstützen. Dieses wurde nun der Gemeinde für zwanzig Jahre unentgeltlich zugesagt.
Archiv: HVG

New York Review of Books (USA), 25.04.2013

Nach seinem großen Bericht im New Yorker vor zwei Jahren hat Lawrence Wright seine jahrelangen Recherchen über Scientology nun in dem Buch "Going Clear" zusammengefasst. Dieses wurde noch einmal monatelang von Anwälten und Journalisten gegenrecherchiert, um den prozesssüchtigen Anwälten der Geldschmiede kein Einfallstor zu bieten, weiß Diane Johnson, die auch sonst sehr beeindruckt von Wrights Buch ist: "In einem der schockierendsten Kapitel enthüllt Wright, wie das Finanzamt eingeschüchtert wurde, um Scientology den Status einer Religion zu gewähren. Als das Finanzamt 1993 Scientology einen Bescheid über eine Milliarde Dollar Steuernachzahlungen schickte, hat Wright herausgefunden, wurde es von Scientology infiltriert und seine Beamten bedroht. 'Einige Regierungsmitarbeiter erhielten', so Wright, 'mitten in der Nacht anonyme Anrufe, andere stellten fest, dass ihre Haustiere verschwunden waren. Ob diese Ereignisse nun zu Scientologys Angriff angehörten oder nicht, sie trugen zu der Paranoia bei, die viele in der Behörde verspürten. Das Finanzamt musste sich gegen mehr als zweitausend Verfahren zur Wehr setze. Es kapitulierte schließlich vor Scientologys Kampagne aus Klagen und Schikanen, reduzierte den Betrag auf 12,5 Millionen Dollar und genehmigte, sehr zum Nutzen der Scientologen, ihren Antrag, als Kirche eingestuft zu werden, was der Organisation unbeschreibliche Summen an künftigen Steuern ersparte."

Pankaj Mishra stellt mit Mohsin Hamid ("How to Get Filthy Rich in Rising Asia"), Tash Aw ("Five Star Billionaire") und Randy Boyagoda ("Beggar's Feast ") eine Riege junger Autoren vor, die ganz wie einst Dickens oder Balzac mit ihren Geschichten von jungen Glücksuchern die "amoralischen Landschaften" des boomenden Asiens beschreiben. Allerdings hat sich das Bild des Unternehmers gewandelt: "Erfolg rührt weniger aus den Gütern oder Dienstleistungen her, die ein Geschäftsmann zu bieten hat, als vielmehr darin, eine entsprechende Persönlichkeit widerzuspiegeln. Daher verbreiten sich so schnell bestimmte Typen: die Raubkopierer, Verkäufer, Trickser, Mittelsmänner - die inzwischen eine eigene soziale Klasse bilden in Asiens informeller und unorganisierter Ökonomie."

Außerdem liest Ian Johnson neue Bücher zu China und seiner drohenden, möglichen oder ganz sicheren künftigen Vormachtstellung. Auf Robert Darntons Ankündigung seiner Digitalen Bibliothek für Amerika haben wir bereits in den Feuilletons hingewiesen.