Magazinrundschau

Heiter, gesellig, positiv

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.09.2013. In The New Republic antwortet Leon Wieseltier auf Steven Pinkers Empfehlung auf die Geisteswissenschaften, etwas wissenschaftlicher zu arbeiten. In Le Monde plädieren Tzvetan Todorov und Edgar Morin für aktives Nichtstun in Syrien. Im BBC Magazine erzählt David Good, wie er seine Mutter bei den Yanomami suchte. In Eurozine schildert Sergej Khazow die schwierige Lage Homosexueller in Russland. Der Rolling Stone porträtiert Ex-Anonymous-Sprecher Barrett Brown, dem gerade 105 Jahre Haft drohen. Arnon Grunberg ist für den Believer nach Thessaloniki gefahren. Die NYT porträtiert den Retter der Milliarden-Dollar-Entwicklungshilfeindustrie, den ruandischen Staatspräsidenten Paul Kagame.

New Republic (USA), 16.09.2013

Leon Wieseltier antwortet in The New Republic auf Steven Pinkers Essay, der den Geisteswissenschaften gegen ihren Bedeutungsverlust mehr Wissenschaftlichkeit empfahl. Die Welt verstehen zu können und zu wollen, sei, anders als Pinker glauben mache, kein Privileg des Szientismus, meint Wieseltier: "Platon glaubte an die Verstehbarkeit der Welt, und das taten auch Dante, Maimonides, Thomas von Aquin und al-Farabi, ebenso wie auch Poussin, Bach und Goethe, Austen, Tolstoi und Proust. Wie Pinker bestreiten sie, dass die Welt undurchsichtig ist, undurchdringlich für den Geist. Sie teilen sein Verlangen, 'ein komplexes Geschehen mithilfe tieferer Prinzipien zu erklären'. Sie stimmen alle mit ihm überein, dass wir uns beim Erklären unserer Welt nur selten gezwungen sehen sollten zu sagen: 'So ist es eben' oder 'Es ist ein Wunder' oder 'Weil ich es sage'. Aber natürlich bezieht sich Pinker nicht auf ihre Vorstellungen von Erkenntnis, die verabscheut er."

Weiteres: Gordon Hutner und Feisal G. Mohamed sehen zumindest an den staatlichen Universitäten die Geisteswissenschaften nicht nur an Bedeutung verlieren, sie sterben buchstäblich mangels Finanzierung, schreiben sie: "Die Bürokratien sind derzeit nicht in der Lage, die Leistungen der Geisteswissenschaften zu evaluieren."
Archiv: New Republic

Le Monde (Frankreich), 05.09.2013

Während die Mordpolitik des syrischen Regimes in Deutschland kommunikativ beschwiegen wird, und man das Massaker mit Schulterzucken geschehen lässt, äußern sich in Paris die Intellektuellen immerhin noch. Ein Dossier in Le Monde mit verschiedenen Reaktionen zeigt allerdings, dass auch in Frankreich die Ratslosigkeit groß ist. André Glucksmann fordert eine militärische Intervention des Westens (wir zitierten am Samstag). Anders der Historiker und Publizist Tzvetan Todorov, der für eine Art aktives Nichtstun plädiert: "Sollte die Verantwortlichkeit für den Gaseinsatz geklärt sein, so wird eine partielle Sanktionierung auch nichts dazu beitragen, die Region vom Übel zu befreien. Andererseits wird Nichtstun möglicherweise noch mehr Schäden anrichten. Ist es die Lösung, einer der beiden Kriegsparteien zu helfen? Oder wäre es nicht besser zwei Feinde, die sich hassen, die 'Terroristen' auf der einen Seite und den 'Tyrannen' auf der anderen Seite, zu Verhandlungen zu drängen?"

Ähnlich Edgar Morin, der für einen "Kompromiss" optiert: "Ein solcher Kompromiss müsste zunächst ein Kompromiss unter den beteiligten Mächten sein. Eine solche Vereinbarung müsste zwischen Russland, dem Iran, den arabischen Ländern und den westlichen Ländern geschlossen werden, womöglich unter Ägide der UNO, und sie müsste den Kriegsparteien dann vorgeschlagen - ja aufgezwungen - werden. Es mag unerträglich erscheinen, dass Baschar al-Assad nicht sofort entfernt wird. Aber auch in Chile wurde die Demokratie nur durch einen Kompromiss erreicht, der den Henker Pinochet für zwei Jahre an der Staatsspitze beließ."

Außerdem fragt Annick Cojean in einem reichlich Marie-Claire-haften Artikel, warum gerade Léa Seydoux die angesagteste Schauspielerin Frankreichs ist. Könnte es daran liegen, dass sie gerade zwei Filme (nämlich "Grand central" und "La vie d'Adèle") im aktuellen Programm hat?
Archiv: Le Monde

Economist (UK), 07.09.2013

Der Economist bekräftigt seine Forderungen nach einem Militärschlag gegen Syrien aufs Neue: "Die Skeptiker bekämpfen den letzten Krieg. Syrien ist nicht Irak. Die Beweise, dass das Regime Abscheulichkeiten begangen hat, sind über jeden Zweifel erhaben. Selbst für den Fall, dass Assad Amerika nach einer Intervention trotzen und mehr Sarin einsetzen sollte, zeigt Obama keine Absichten, das Land zu besetzen." Mehr dazu auch an dieser Stelle.

Fünf Jahre nach der Lehman-Pleite ist sich der Economist im globalen Überblick sicher: Der derzeit aussichtsreichste Risikokandidat für eine weitere Finanzschmelze ist die Eurozone. Außerdem blickt der Economist in die Zukunt der Robotik und zeigt sich begeistert von den Ambitionen des Microsoft-Mitbegründers Paul Allen.
Archiv: Economist
Stichwörter: Irak, Robotik, Microsoft, Sarin

Outlook India (Indien), 16.09.2013

Pranay Sharma rechnet noch für diese Woche mit einer Militärsanktion gegen Syrien. Für ihn ist Obama ein gefallener Engel: Einst weltweit gefeiert und umjubelt, schlägt ihm nun weltweit Ablehnung und Skepsis entgegen. Auch Sharma ist von der Aufrichtigkeit Obamas nicht überzeugt und reiht sich bei all jenen ein, die schon immer wussten, in welchem geopolitischen Pfeffer der Hase liegt: "Die Herangehensweise der Regierung Obama sollte im Lichte der nahöstlichen Geopolitik und unter Berücksichtigung wichtiger US-Lobbys und deren vielfältiger Verbindungen zur Region betrachtet werden. Syrien, ein starker Verbündeter Irans und über diese Verbindung mit der Hisbollah im Libanon, befindet sich mitten in einem blutigen Bürgerkrieg, in dem das Assadregime umzingelt ist von Rebellen, die das Ausland, darunter Saudiarabien und die Türkei, stützt. ... Ein Schlag gegen Syrien bedeutet für die USA eine Unterminierung der Verbindungen zum Iran und der Hisbollah."

Archiv: Outlook India
Stichwörter: Geopolitik, Libanon, Hisbollah

BBC Magazine (UK), 29.08.2013

William Kremer erzählt die Geschichte von David Good, der ins entlegene Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien reist, um nach zwanzig Jahren seine Mutter Yarima wiederzusehen. Als Frau des Anthropologen Kenneth Good, der in den sechziger Jahren über das indigene Yanomami-Volk geforscht hat, lebte Yarima einige Jahre in den USA, bevor sie für immer in den Urwald zurückkehrte. Dort wird David mit großem Amusement aufgenommen: "Die Yanomami haben kaum Vorstellungen von dem sehr unterschiedlichen Leben der Außenseiter. Den Mangel an praktischen und sprachlichen Fähigkeiten, den die Weißen an den Tag legen, erklären sich die meisten mit schierer Dummheit. 'Ich sagte ihnen Yanomami keye - ich bin Yanomami', sagt David. 'Und dann fiel ich die Flussböschung hinab oder stolperte über Weinreben, oder ich stieß gegen einen falschen Baum und bekam einen Schwall bissige Ameisen auf den Kopf. Sie fanden das unwiderstehlich komisch."
Archiv: BBC Magazine
Stichwörter: Mutter, Venezuela, Krems, Ameisen, Indigene

New Yorker (USA), 16.09.2013

David Denby bespricht zwei neue Bücher, die der Frage nachgehen, ob und in welcher Form Hollywood mit Hitlerdeutschland kollaborierte: "The Collaboration: Hollywood's Pact with Hitler" von Ben Urwand und "Hollywood and Hitler, 1933-1939" von Thomas Doherty. Eine zentrale Figur in Urwands Buch ist der Nazi-Konsul in Los Angeles, Georg Gyssling, ein ehemaliger Diplomat, dessen "aalglatt-drohende Art der höflichen Bedrohlichkeit von Conrad Veidts Major Strasser in 'Casablanca' ähnelt. Urwand deckt auf, dass die Filmstudios Gyssling hin und wieder erlaubten Drehbücher zu lesen, frühe Schnittfassungen zu sehen und - mitunter erfolgreich - die Zerstörung fertiger Filme zu verlangen." Denby findet Urwands Vorwürfe gegen die jüdischen Studiobesitzer jedoch grotesk übertrieben. Sie standen vor allem unter dem Druck amerikanischer Zensoren. Einer der schlimmsten war der Hay-Zensor Joseph I. Breen: Er war Katholik, und "er war ein Antisemit. Zwei Jahre bevor er für die Durchsetzung des Hay-Codes arbeitete, berichtet Doherty, schrieb Breen an einen Freund, dass Menschen, 'deren Alltagsmoral nicht auf der öffentlichen Toilette eines Pesthauses geduldet würde, hier die guten Jobs haben und dabei fett werden. 95 Prozent dieser Leute sind Juden osteuropäischer Abstammung. Sie sind wohl der Abschaum des Abschaums der Erde."

Außerdem: Emily Nussbaum stellt den neuen Kabelsender Pivot für die sogenannte Millenniums-Generation vor, "breitgefächert und global mit einem Tick MTV".
Archiv: New Yorker
Stichwörter: Katholiken, Toilette, Mtv

Eurozine (Österreich), 06.09.2013

Sergej Khazow schildert das schwierige, aber nicht hoffnungslose Leben Homosexueller in Russland. Unter anderem erzählt er die Geschichte des in einer Provinzstadt lebenden Michail Tumasow, der Opfer von schwulenfeindlicher Gewalt wurde und daraufhin beschloss, sich für die Rechte der Schwulen einzusetzen. Er organisierte Beratung und Seminare, die sich mit rechtlichen und sozialen Fragen befassen. Dabei muss er allerdings wegen der neuen Antipropaganda-Gesetze, die ein Ansprechen junger Leute verbieten, sehr vorsichtig sein: "Sie schreiben uns, aber unsere Hände sind oft gebunden", sagt er im Gespräch mit Khazow. "Wir versuchen ihnen auf individueller Basis zu helfen. In unsere Seminare können wir sie nicht einladen." In Sankt Petersburg gibt es auch eine Notruflinie für Schwule, in der aus ganz Russland jährlich über tausend Anrufe eingehen: Es rufen Menschen an, "die Probleme haben, ihre Sexualität zu akzeptieren, Lesben deren Ex-Ehemänner ihnen das Sorgerecht für die Kinder nehmen wollen, Transsexuelle, die neue Personalausweise brauchen."
Archiv: Eurozine

Guardian (UK), 07.09.2013

Jonathan Coe ergründet den Witz im englischen Roman und stößt dabei auf eine sehr seltsame Unterscheidung von VS Pritchett, die offenbar - noch seltsamer - weiterhin gültig zu sein scheint. Pritchett teilt den englischen Humor in eine maskuline und in eine feminine Linie: "Seine 'maskuline' Tradition ist diejenige, die, wenig überraschend, direkt zu Kingsley Amis führt, unter anderem über Fielding, Scott, Austen, George Eliot, Waugh, Ivy Compton-Burnett und Anthony Powell. Diese Linie ist laut Pritchett heiter, gesellig, positiv und moralisch gefestigt. Sie glaubt an den gesunden Menschenverstand und verachtet die Empfindsamkeit. Diese Schriftsteller leisten ihren Beitrag zu Gesellschaft und moralischer Ordnung. Gegen diese Linie stellt er eine alternative 'feminine' Tradition, die irritierenderweise von einem Mann begründet wurde - von Laurence Sterne - und Autoren wie Peacock, Dickens, Firbank, Woolf, Joyce und Beckett umfasst. 'Sterne untergrub die Ordnung', schrieb Pritchett, 'ihm war klar, dass sich unser Verstand hin und her bewegt, wie es ihm gefällt. Das Ich steht nicht fest: Es löst sich jeden Augenblick auf, seine Bewegungen sind so unbestimmt wie die einer durchsichtigen Qualle, die mit dem Strom vor und zurück gleitet.'"

Außerdem: Tom Holland liest Simon Schamas "Story of the Jews" über jüdische Identität in Antike und Mittelalter. Mark Lawson findet gute Gründe, ein Buch nicht fertigzuschreiben.
Archiv: Guardian

HVG (Ungarn), 28.08.2013

Vor 25 Jahren, also kurz vor der Wende, brachte Judit Elek den Film "Tutajosok" (Die Flößer) heraus. Zsuzsa Mátraházi nimmt das Jubiläum zum Anlass für ein Gespräch mit der Regisseurin. Der Film handelt von einem antisemtischen Vorfall in den Jahren 1882 und 83, als die jüdische Gemeinde von Tiszaeszlár beschuldigt wurde, ein katholisches Mädchen ermordet zu haben. Bis heute kursieren Ritualmordlegenden um diesen Fall. Die Regisseurin will mit eine Neuedition des Films auf DVD aufklären: "Den Film haben kurz vor der Wende viele gesehen, aber er wurde später nicht als Lehrmaterial verwendet. Aus diesem Grunde habe ich dafür gekämpft, dass am Jubiläum das gesamte Drehbuch, die Akten des Verfahrens und der Film als DVD erscheinen. Solange wir uns in Ungarn nicht mit der Vergangenheit und den Fakten konfrontieren, solange ist die Nation schutz- und wurzellos."
Archiv: HVG

London Review of Books (UK), 12.09.2013

Hugh Roberts liest neue Bücher über die Situation in Ägypten. Seine Einschätzung der vergangenen zwei Jahre fällt enorm ernüchternd aus: Eine Revolution hat es im Grunde nicht gegeben. "Was die Medien den 'Arabischen Frühling' nannten, war in Wirklichkeit eine Abfolge von Revolutionen. Das galt bald als ausgemachte Sache. Für Ägypten war die Idee des 'Arabischen Frühlings' unausweichlich und so musste auch dieses Land eine Revolution gehabt haben. Zum Teil entsprach dies Wunschdenken. Die wagemutigen jungen Ägypter, die die bemerkenswerten Demonstrationen am Tahrirplatz und anderswo organisiert hatten, waren sicherlich revolutionär im Geiste. Und als ihrer Forderung nach Mubaraks Abdankung entsprochen wurde, konnten sie nicht anders, als zu glauben, dass ihre Leistung eine Revolution darstellte. ... Die Ereignisse in Tunesien waren gewiss eine Revolution. Die Rolle der tunesischen Armee war eine sehr bescheidene, im wesentlichen lag sie in der Verweigerung in der Stunde der Wahrheit, die Demonstranten abzuschlachten. Die Rolle der ägyptischen Armee im Februar 2011 war unterdessen alles andere als bescheiden, sie schien bloß so. ... Die ägyptische Armee entschied sich für eine neutrale Attitüde und demonstrierte sogar Sympathie für die Demonstranten, was die wirklichen Absichten der Kommandeure verschleierte. Den Reportern, die den Unterschied zwischen Schein und Sein nicht kennen, reichte dies schon völlig aus."

Außerdem besucht Eleanore Birne die Ausstellung "The Crisis of Brilliance" in der Dulwich Picture Gallery, wo sie unter anderem Bilder von Dora Carrington und Stanley Spencer sieht:

New York Review of Books (USA), 26.09.2013

Amerikas Juden sind einfach nicht wirklich informiert über Israel, weil sie so gut wie nie mit Palästinensern sprechen. Darum fehlt ihnen oft sogar das grundlegendste Wissen, und das ist gefährlich, meint Peter Beinart, dessen Buch "Die amerikanischen Juden und Israel" im Frühjahr bei uns erschienen ist. "1989 fragte der Soziologe Steven M. Cohen amerikanische Juden, ob 'arabische Israelis und jüdische Israelis generell auf die selben Schulen gehen'. Nur ein Drittel der Befragten wusste, dass die Antwort nein lautet. In einer Umfrage des Arabisch-Amerikanischen-Instituts 2002 erklärten zwei Drittel der amerikanischen Juden, sie wünschten sich, dass Jerusalem Israels ungeteilte Hauptstadt bleiben solle. Aber als sie über Ras al-Amud und Silwan befragt wurden, zwei der palästinensischen Viertel, die vom Rest Jerusalems getrennt würden, um eine palästinensische Hauptstadt zu bilden, erklärten mehr als zwei Drittel der amerikanischen Juden entweder diese Viertel für unwichtig oder gaben zu, nicht zu wissen, wo sie sind."

Außerdem: Yasmine El Rashidi fasst in einem gut informierten Artikel die Ereignisse in Ägypten in den letzten Monaten zusammen, und sie fragt sich, wann die "richtige Revolution", die Islamisten und Generäle gleichzeitig wegfegt, kommen wird. Inzwischen übernehmen Quallen die Meere und wir sind selbst daran schuld, lernt Tim Flannery aus Lisa-ann Gershwins Buch "Stung! On Jellyfish Blooms and the Future of the Ocean".

Rolling Stone (USA), 12.09.2013

Alexander Zaitchik porträtiert den 32-jährigen Barrett Brown, dem 105 Jahre Gefängnis drohen, weil er einen Link auf ein vom FBI mitgeleaktes Dossier gesetzt hat. Er kommt aus einer dieser schrägen Familien, die es nur in Amerika zu geben scheint, und die die interessantesten, verstörendsten Außenseiter zu produzieren scheinen. Brown, der seit seiner Teenagerzeit ein gravierendes Drogenproblem hat, ist kein Hacker, war aber einer der Sprecher von Anonymous. Er hat außerdem als Journalist für Vanity Fair, Daily Kos, McSweeney's, die Huffington Post und den Guardian geschrieben. 2011 setzte er einen Link auf die Dokumente des Stratford-Hacks, in deren Tiefen einigen tausend Kontodaten verborgen waren, die Brown weder bemerkt noch interessiert hatten. Dies wurde ihm zum Verhängnis: "Was an Browns Fall am meisten besorgt macht, ist die Verbindungslosigkeit zwischen seinem Verhalten und der angeklagten Straftat', sagt sein Verteidiger Ghappour. "Er hat einen öffentlich erreichbaren Link kopiert und gesetzt der öffentlich zugängliche Daten enthielt, die er in seiner Eigenschaft als Journalist durchsucht hat. ... Browns Fall ist ein Paradebeispiel für die Pressefreiheit in diesem neuen Jahrhundert, wo Hacks und Leaks uns einige Einblicke geben in die Technologien und Methoden eines zunehmend privatwirtschaftlich organisierten Sicherheits- und Überwachungsstaates. Brown hat versucht, diese Einblicke zu erweitern. Er tat das, indem er eine Gruppenuntersuchung in die Welt privater Sicherheitsverträge anführte, eine 56-Milliarden-Dollar-Industrie, die 70 Prozent des amerikanischen Geheimdienstbudgets umfasst."
Archiv: Rolling Stone

Believer (USA), 01.09.2013

Der niederländische Autor Arnon Grunberg ist nach Thessaloniki gefahren, die zweitgrößte Stadt Griechenlands, um mehr über die Auswirkungen der Finanzkrise zu erfahren. Griechenland erlebt in erster Linie eine soziale Krise, die finanzielle Krise ist längst nicht so bedeutend, erklärt ihm Bürgermeister Yiannis Boutaris und verweist als Beispiel auf das Müllproblem der Stadt: "'Ich habe den Bürgern von Thessaloniki gesagt: Was immer wir wegen des Mülls tun, wenn ihr nicht mithelft, wird er nicht verschwinden. Wenn ihr nicht helft, bleibt die Stadt dreckig. Wenn ihr euren Müll überall hinschmeißt, kann ich nicht viel tun.'" In dem Punkt würden ihm der Grüne Kostas, der die Bewegung "Total nackter Fahrradtrip" begründet hat, die Aktivistin Debbie, die eine Klinik für illegale Einwanderer mitbegründet hat, die Lehrerin Dora und der Guerillagärtner George, mit denen Grunberg ebenfalls gesprochen hat, wahrscheinlich zustimmen.
Archiv: Believer

Magyar Narancs (Ungarn), 01.09.2013

"Die Toten schreiben zur Zeit viel und gut" - schrieb einst Sándor Márai über die Neuveröffentlichungen aus den Nachlässen von Kosztolányi und Krúdy. Diese Aussage trifft nun auch auf sein eigenes Werk zu, meint Imre Kőrizs in der Wochenzeitung Magyar Narancs über eine Erstveröffentlichung des dritten, bisher vermissten Teils von Márais "Bekenntnissen eines Bürgers" (deutsche Ausgabe), der vor kurzem unter dem Titel "Hallgatni akartam" (Ich wollte schweigen, Helikon Kiadó, Budapest, 2013) erschien. "Der Nachlass von Márai kam 1997 nach Ungarn, doch das Paket wurde vom Zoll aufgehalten. (…) Geld hatte niemand, auch das Literaturmuseum in Budapest nicht. Die Neubewertung des Nachlasses brachte Bewegung in die Situation, und der Nachlass konnte dann ins Land eingeführt werden - als Altpapier. (...) Aus den Kisten wurden seit dem wahre Schätze veröffentlicht, so auch der dritte Teil der 'Bekenntnisse eines Bürgers'. 1949 schrieb Márai darüber: 'Ich lasse die Veröffentlichung im Ausland nicht zu, ich will nicht dass diese traurige Beichte, diese Anklage des Ungarntums von Fremden gelesen wird.' In 'Ich wollte schweigen' zieht Márai die Bilanz des Neo-Barock-Faschismus unter Miklós Horthy, und es scheint fast so, als würde er in die Debatte um die heutige Reinwaschung der Ära posthum eingreifen."

Außerdem empfiehlt Bálint Urbán einen Essayband des jungen Schriftstellers András Borbély.
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Faschismus, Geld, Altpapier, Bali

New York Times (USA), 07.09.2013

Im New York Times Magazine porträtiert Jeffrey Gettleman den ruandischen Staatspräsidenten Paul Kagame, den er zu einem 3-stündigen Gespräch traf. Kagame ist als Politiker umstritten: Er ist autoritär, Opposition und freie Medien sind unter seiner Herrschaft praktisch abgeschafft, und er unterstützt mörderische Rebellengruppen im Kongo. Gleichzeitig kämpft er sehr erfolgreich gegen Korruption, die hohe Sterblichkeitsrate, gegen den Dreck und die Gewalt in den Straßen. Westliche Politiker und Entwicklungshelfer lieben ihn: "Kagame hat das Bild der gesamten Milliarden-Dollar-Entwicklungshilfeindustrie aufpoliert. 'Man steckt sein Geld rein und bekommt Resultate', erklärt ein Diplomat, der versichert, nicht offen sprechen zu können, wenn sein Name genannt wird. Ja, Kagame sei 'vollkommen skrupellos', sagt der Diplomat, aber es gebe ein wechselseitiges Interesse, ihn zu unterstützen, denn Kagame beweise, dass Hilfe für Afrika keine reine Verschwendung sei und dass arme und heruntergewirtschaftete Staaten mit der richtigen Führung auf Kurs gebracht werden kann. 'Wir brauchten eine Erfolgsstory, und er war es.'"
Archiv: New York Times
Stichwörter: Geld, Kongo