16.05.2014. The New Republic schickt eine Reportage vom Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik. Warum haben deutsche Jungjournalisten keine Ahnung vom Netz, fragt Lousy Pennies. GQ übt Lachen für Hollywoodchefs. Im TLS bewundert Julian Barnes die Negativa Simenons. Mosaic erklärt, warum Tiere beim Winterschlaf keinen Herzinfarkt erleiden. La vie des idees reist nach Mekka.
SZ-Magazin, 09.05.2014

Die Journalistin Xifan Yang kam als Fünfjährige aus China nach Deutschland, ging in Freiburg zur Schule, studierte in München und lebt seit 2011 in Shanghai. Für das
SZ-Magazin fuhr sie mit einer
chinesischen Reisegruppe durch Deutschland und lernte das Land dabei aus einer neuen Perspektive kennen: ""Moderne Häuser, wie wir sie von zu Hause kennen, werdet ihr hier natürlich kaum sehen. Ihr müsst berücksichtigen: Berlin hat
gerade mal 3,5 Millionen Einwohner", referiert der Reiseleiter... Aus materiellen Gütern mache sich das Volk nicht viel, dafür liebe es lange Urlaube, Autofahrer hupten nur selten ("Das ist hier wie schimpfen"). Außerdem seien Deutsche außergewöhnlich erfindungsreich, wie die Zahl der Patente und Nobelpreisträger beweise: "Aber sie sind
sehr langsam im Kopfrechnen. Nehmt es bitte mit Geduld, wenn es an der Supermarktkasse länger dauert." Besonders auf zwei Dinge möchte Herr Yang uns vorbereiten: "Freies WLAN gibt es so gut wie nirgendwo" - kollektives "Ooooh" - und das Essen, "ich sag"s mal so: Da sind Deutsche eher schlicht. Ihr solltet für die nächsten Tage eure
Ansprüche herunterschrauben." Bis auf wenige Ausnahmen stehen ausschließlich China-Restaurants auf dem Reiseplan."
New Republic, 26.05.2014

Seit fünfzig Jahren arbeitet
David Brion Davis an einer monumentalen Geschichte der Sklaverei in den USA. Nun ist der abschließende dritte Band erschienen, "The Problem of Slavery in the Age of Emancipation" (
Auszug), den Steven Hahn
sehr ausführlich
bespricht: "Statt das Zeitalter der Emanzipation als unvermeidlichen Prozess darzustellen, vermutet Davis sogar eher, dass die haitianische Revolution und die Emanzipationsbewegung in Großbritannien den
Widerstand der amerikanischen Sklavenhalter eher noch verhärtete, die das Verbot der Sklaverei als endgültigen Schlag gegen ihre Welt ansahen. Dieser Widerstand hat seinerseits die innenpolitischen Spannungen zur Frage der Zukunft der Sklaverei noch verschärft und veranlasste die Sklavenhalter dazu, größeren Schutz für ihr Eigentum und mehr Rechte zu verlangen. Abolitionisten, die flüchtigen Sklaven halfen und Sklavenfänger austricksten, hatten die Sklavenhalter besonders alarmiert. In der Folge peitschten sie ein
Gesetz über flüchtige Sklaven durch den Kongress, das ihre Position stärkte und allen Leuten afrikanischer Herkunft schadete."
In der vorherigen Ausgabe von
The New Republic beschreibt Graeme Wood in einer sehr lesenswerten Reportage die Hölle, die heute die
Zentralfrikanische Republik darstellt. Hier schlachteten erst Muslime Christen ab und jetzt verfährt die christliche Mehrheit mit den Muslimen auf die gleiche Art. Die
Leichen - oder Leichenteile - der einen oder anderen Partei werden auf der Avenue de France abgelegt, damit sie nicht im eigenen Hinterhof anfangen zu stinken und das Rote Kreuz sie einsammeln kann. Zu den
Blauhelmen, die inzwischen dort stationiert sind, gehören auch ruandische Soldaten. Ihnen ist der Konflikt vertraut, vielleicht sogar
zu vertraut. Ihr Vorgesetzter Oberstleutnant Jean-Paul Karangwa "ist nicht von Natur aus gewalttätig, aber er erzählte mir, ohne eine Spur von Reue, wie seine Leute jemanden niederschossen, von dem sie wussten, dass er ein Killer war. Ein Muslim, der Gefahr lief,
gelyncht zu werden, hatte bei einem ruandischen Posten Schutz gesucht. Als die Ruander sich weigerten, ihn der
Anti-Balaka auszuliefern, einer
christlichen Milizentruppe, kam ein Mitglied der Gruppe mit der Leiche eines anderen Muslims zurück, um den Ruandern zu zeigen, dass ihr Schutz nutzlos war - es gab
immer einen anderen Muslim, den sie nicht beschützen konnten. "Er fing an, den toten Mann vor unseren Augen aufzuschlitzen", erinnert sich Karangwa mit einem leichten Schulterzucken. "Also haben wir ihn erschossen."" (Vor wenigen Tagen fiel auch die Kriegsfotografin
Camille Lepage dem Terror im Land zum Opfer,
mehr in der
taz)
Guardian, 02.05.2014

Die Schriftstellerin
A.
S.
Byatt versucht hinter das Geheimnis von
Edmund de Waals Keramiken zu kommen, die sie zwischen Malewitschs Konstruktivismus und der Poesie von Wallace Stevens ansiedelt: "De Waal sagt, der Anfang eines Gefäßes sei
kreisförmig, ein O,
ein Klumpen Ton, der sich auf einem kreisförmigen Rad dreht und in seinen Händen zu einer fortgesetzten Serie zylindrischer Formen wird, alle gleich und doch verschieden, jede verändert unmerklich das nächste Gefäß in der Gruppe und damit die ganze Serie. So fein Ton auch gearbeitet wird, er ist auf eine Art konkret wie es eine abstrakt gemalte Form nicht ist. Die unterschiedlichen Kulturen haben sich Menschen immer als aus Ton geschaffen vorgestellt, von der Erde, irdisch, seine Gestalt gewinnt er aus formlosen Staub und zu Staub kehrt er zurück, durch
Wasser,
Form und Feuer."
Außerdem
druckt der
Guardian eine Rede des Schriftstellers
Will Self, der diesmal den wirklichen und endgültigen
Tod des Romans konstatiert.
La vie des idees, 29.04.2014

Ausführlich und sehr kenntnisreich
beschreibt die Historikerin Sylvia Chiffoleau das Business und die Bürokratie der
Pilgerfahrten nach Mekka. Erst 1957 erhalten die Saudis nach der Phase des Kolonialismus die volle Oberherrschaft über den Hadsch. Seitdem steigt der demografische und darum der polizeiliche und der
gesundheitspolitische Druck gewaltig - denn die Pilgerfahrt ist seit je ein gefürchteter Brutplatz für Seuchen. Im letzten Jahr wurden die Kontingente für die islamischen Länder, die bisher jährlich
ein Tausendstel ihrer Bevölkerung schicken durften, um 20 Prozent reduziert, unter anderem wegen des Mers-Virus. Der politische Druck bleibt beständig. Von Beginn an musste die Dynastie der Saud, die überdies
nicht vom Propheten abstammt, beweisen, "dass ihr Zugriff auf die Provinzen der Halbinsel keine Privatisierung der heiligen Orte nach sich zieht, die als Allgemeinerbe der Sunna angesehen werden. Überdies berufen sich die Saudis auf die marginale Doktrin des
Wahabismus, die sie den heiligen Orten zwangsweise auferlegt haben, vor allem durch eine strikte Kontrolle der Sitten und eine Schleifung von Heiligengräbern, die vielen der Pilger teuer waren."
Gentlemen's Quarterly, 01.05.2014

Lange bevor Jim Nelson Chefredakteur von
GQ wurde, versuchte er in Hollywood durchzustarten. Als Assistent zweier Comedy-Autoren, die er M und L nennt, war er
Muse,
Sklave und dankbares Publikum in einem,
erinnert sich Nelson in einem sehr amüsanten Artikel: "Am schlimmsten war es nach dem Mittagessen, wenn sie sich ihre Nachrichten im Eingangsraum abholten und alle ihre Assistenten versammelt waren. Direkt vor meinem Schreibtisch brachen sie in
ungebändigte Improvisation aus. L: "Lunch war toll! Steak in, was war das, Speichelsauce?" M: "Nein, ich glaube das war, äh, Fußpilz." L: "Ja, Fußpilzsauce! Köstlich!" M: "Und, Jim, wir haben ganz vergessen dir zu sagen: Du bist gefeuert! Haha..." Irgendwann konnte ich es nicht mehr vortäuschen. Als ich es nicht mehr über mich brachte, sie anzusehen oder mich wegzudrehen und zumindest
ein einfaches "Ha" herauszubringen, entwickelte ich die Methode, schnell mit den Schultern zu zucken und hörbar einzuatmen, als hätten sie mir das letzte Lachen aus den Lungen geraubt."
HVG, 29.04.2014
Ferenc Jávori, Leiter der
Budapest Klezmer Band, wurde kürzlich mit dem staatlichen Kossuth-Preis für herausragende künstlerische Leistungen ausgezeichnet. Im Gespräch mit Rita Szentgyörgyi
erzählt er, wie er die Musik als Mittel zur
politischen Bildung einsetzt: "Zurzeit sind wir im Land mit "Anatevka" unterwegs. Wir kommen auch zu kleinen Siedlungen, wo viele verarmte Menschen leben und der Einfluss der
Rechtsradikalen riesig ist. Ich sehe bei den Vorstellungen, dass viele in Tränen ausbrechen. Auch wenn sie Vorurteile hatten, etwas berührt sie. Bei Jugendvorführungen erzähle ich den Gymnasiasten wie das Leben im Ghetto war. Unser Schulsystem ist nun einmal so, dass die aufwachsende Generation manche Sachen einfach nicht weiß, dass sie ins Theater gehen muss, um an Informationen über
historische Tatsachen zu gelangen."
Times Literary Supplement, 08.05.2014

Geistvoll und neidlos
beschreibt der große Frankophile der britischen Literatur,
Julian Barnes, im
TLS, was
Georges Simenon so besonders macht und warum andere Schriftsteller ihn bewunderten, während er mit kaum einem der Kollegen etwas anfangen konnte. (Auch in Großbritannien erscheint nach der Ausgabe bei Diogenes eine komplette Neuübersetzung seiner Maigrets und vieler Non-Maigrets.) Was Simenon ausmacht, so Barnes, ist "eine Mischung von Dingen, die er
besser kann, und Dingen, die er
weglassen kann, ohne dass es ihm schadet. Zu seinen bewunderungswürdigen Positiva zählen: die Flüssigkeit seines Schaffens und seiner Effekte, sein ganz klar abgegrenztes persönliches Terrain, die intensive Atmosphäre und die sprechenden Details, seine Kenntnis der kleinen Leute und seine Sympathie zu ihnen, seine moralische Zwiespältigkeit, seine rätselvollen Plots mit meist zufriedenstellenden Auflösungen. Und seine beneidenswerten Negativa: Simenon kam mit einem sehr begrenzten und darum sehr repetitiven Vokabular durch (nach seiner Einschätzung 2000 Wörter) - er wollte nicht, dass ein Leser bei einem Wort stutzt oder gar zum Wörterbuch greifen muss. Er hielt seine Bücher kurz, so dass sie in einer Sitzung, auf einer Reise gelesen werden konnten: er
hält sich nicht auf."
Außerdem: Philipp Blom
liest Russell Shortos Geschichte Amsterdams. Und Paul Binding
stellt die Erinnerungen der schwedischen
Granta-Herausgeberin
Sigrid Rausing an ihre Zeit als Englischlehrerin in
Estland vor.
Nepszabadsag, 10.05.2014

Am vergangenen Donnerstag hielt der ungarische Ministerpräsident
Viktor Orbán eine Rede auf dem
Europaforum des
WDR in Berlin. Die langjährige Deutschland-Korrespondentin Edit Inotai
kommentiert die Rede kritisch: "Im Gebäude des Auswärtigen Amtes lud Viktor Orbán Europa zu einer
Zeitreise an. Seine Worte beschworen einen Kontinent herauf, der die Lösungen seiner Probleme in der Vergangenheit sucht. Erneut grüßte die Überzeugung des Regierungschefs, dass irgendwo um 1968 die Geschichte entgleist ist, dass die liberale Gesellschaft eine Sackgasse ist, und dass es besser ist, wenn wir uns
zurückbomben, sagen wir mal in die Friedensära der Zwischenkriegszeit."
Vice, 09.05.2014

Eine Biografie wie ein epischer Thriller: Als junger Mann traf
José Mujica, genannt Pepe,
Che Guevara und
Fidel Castro, dann schloss er sich der Guerillagruppe Tupamaros an, raubte Banken aus, wurde sechsmal angeschossen, verbrachte vierzehn Jahre im Gefängnis, davon über drei Jahre in Einzelhaft, wo einige seiner Kameraden verrückt wurden oder umkamen. Nach seiner Entlassung begann er seine politische Karriere, die ihn 2009 bis zur Präsidentschaft Uruguays führte. Weltweites Aufsehen erregte letztes Jahr seine Entscheidung, landesweit den
Verkauf von Marihuana zu legalisieren, um den mächtigen Drogenkartellen das Wasser abzugraben. Krishna Andavolu hat ihn für
Vice getroffen: ""Wir beginnen ein Experiment", sagte er in heiserem Spanisch. "Es ist klar, dass wir im internationalen Scheinwerferlicht stehen. Wir sind
eine Petrischale, ein Soziallabor. Aber merke dir: Uruguay hat 9000 Häftlinge. 3000 davon wurden für Drogenhandel verurteilt. Das bedeutet, dass ein Drittel aller Inhaftierungen mit Drogen zusammenhängt. Das müssen wir ändern." Auch wenn viele dieser Häftlinge für Marihuana-Delikte einsitzen, hat Uruguay hat den
dritthöchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Kokain in Südamerika. Als ich ihn frage, ob auch andere Drogen legalisiert werden könnten, antwortet er: "
Paso a paso". Schritt für Schritt."