Magazinrundschau

Ein weiterer Pfannkuchen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.08.2014. The Nation porträtiert Alessandro Spina, Chronist des Untergangs des italo-arabisch-ottomanischen Universums. Die London Review wird von einem Stalker verfolgt. Al Ahram fragt: Was wollen die Palästinenser? Im New York Magazine schildert Werner Herzog seine einzige Drogenerfahrung mit Marmelade von Popol Vuh. Bloomberg Businessweek erzählt, wie Tony Blair versuchte, Gaddafis Geld zu verwalten.

The Nation (USA), 25.08.2014

In The Nation stellt André Naffis-Sahely den 2013 verstorbenen italienisch-libyschen Autor Alessandro Spina vor, dessen Romanzyklus "I confini dell"ombra" er gerade ins Englische übersetzt. Spina wurde 1927 in Bengasi, Libyen, geboren. Sein Vater, ein Kaufmann, kam aus einer maronitischen Familie in Syrien und war nach Libyen gegangen, um sein Glück zu machen. Es folgten die Annektion Libyens durch Italien, der Zweite Weltkrieg und die Unabhängigkeit Libyens 1951. Spina, den sein Vater 1939 nach Italien auf die Schule geschickt hatte, kehrte 1953 nach Bengasi zurück - um in den siebziger Jahren mit dem Putsch Gaddafis seine italo-arabisch-ottomanische Welt endgültig untergehen zu sehen. "Wie Joseph Roth, ein anderer unerbittlicher Chronist eines bröckelnden Kaiserreichs, machte es sich Spina schon in jungen Jahren zur Aufgabe, seine verlorene Welt auf dem Papier zu bewahren, und so ihr Überleben in unserem Gedächtnis zu sichern... Wie Chateaubriand einst schrieb: "In einer Gesellschaft, die sich auflöst und reformiert, formt der Kampf zweier Genies, der Clash zwischen Vergangenheit und Zukunft und die Mischung aus alten Sitten und neuen, ein vorübergehendes Amalgam, das keinen Raum für Langeweile lässt." Es ist genau dieser fließende Augenblick in Zeit und Gewohnheit, der Spinas kultivierte Prosa durchdringt mit so einem grenzenlosen Sinn für Abenteuer. Er war nicht nur die "richtige" Person für diesen Job, sondern auch zur rechten Zeit am rechten Ort."
Archiv: The Nation

MicroMega (Italien), 28.07.2014

Cecilia M. Calamani von der Website cronachelaiche.it bespricht für Micromega Fabrizio Tollis Buch "Chiesa e pedofilia - Il casoo italiano": "Seit 2000 sind etwa 150 Fälle in den Blick der Justiz gelang, "hinzukommt die Dunkelziffer", versetzt der Autor. "Darüberhinaus trägt die Kirche nicht zur Klärung bei, die Archive bleiben versiegelt, und so weit möglich versucht man der Zusammenarbet mit der "weltlichen Justiz" auszuweichen." Die von der italienischen Bischofskonferenz erarbeiteten "Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche, die im März veröffentlicht wurden, unterstreichen ein weiteres Mal, dass die Bischöfe nicht zur Anzeige bei den staatlichen Behörden verpflichtet sind."
Archiv: MicroMega

London Review of Books (UK), 21.08.2014

Helen DeWitt berichtet von Monaten der Verzweiflung, in denen sie von ihrem manischen Nachbarn verfolgt wurde, während sie eigentlich in ihrem Cottage in Neuengland ein Buch fertig schreiben musste: "E schrieb eine E-Mail, in der er versprach, meine Privatspäre zu respektieren. Ich kehrte zurück. Es ging von vorne los. Ich fuhr in ein nahes Bed & Breakfast und schrieb seinem Vermieter, der von Boston aus hochkam. E sei einsam, ein Alkoholiker, obsessiv. Wir trafen uns. E: Ich liebe sie eben. Vermieter: Das ist verständlich, sie ist attraktiv, Sie sind beide intelligent. Aber sie muss an ihrem Buch arbeiten." E versprach, sich fernzuhalten. Sein Vermieter fuhr nachmittags um vier. Um fünf nach vier kam E die Straße runter. ("Das geht nur uns etwas an. Sie hätten ihm das nicht sagen dürfen. Er hätte mich beinahe rausgeworfen.") Am nächsten Morgen um sechs war E wieder da, weil sein Feuer ausgegangen war. Ich sagte, ich müsste spazieren gehen. Er ging nach Hause. Als ich zurückkam fand ich eine Glasscherbe auf der Kommode..."

Nathan Thrall beschreibt detailliert, wie die Hamas im Laufe der vergangenen Jahre und Monate immer mehr Verbündete verlor, bis sie quasi gegen Israel losschlagen musste, um in eventuellen Verhandlungen nach einem Krieg wenigstens beim Erzfeind etwas herauszuschlagen: "Für die Hamas lag die Wahl weniger zwischen Krieg und Frieden als vielmehr zwischen langsamer Strangulierung und einem Krieg, der die kleine Chance barg, den Druck etwas zu lockern."
Stichwörter: Boston, Hamas, Nahostkonflikt, Stalking

Al Ahram Weekly (Ägypten), 12.08.2014

Was wollen die Palästinenser eigentlich, fragt Abdel-Moneim Said im regimenahen Al Ahram. Warum haben sie die PLO abserviert und sich von der Hamas in einen aussichtslosen Krieg treiben lassen? "Als Hamas und seine Helfer in den Krieg mit Israel eintraten, wurde nicht nur palästinensisches Blut vergossen. Syrisches Blut floss bereits in Strömen, dann marschierte der Islamische Staat (Isis) von Syrien in den Irak, besetzte Mossul, massakrierte jeden, der ihm im Weg stand und vertrieb die Christen. Unterdessen töteten seine Genossen in Beit Al-Maqdis ägyptische Soldaten in Farafra. Gleichgesinnte Gruppen töten Soldaten im Süden Tunesiens und bedrohen die Sicherheit der Staaten in Nord- und Westafrika: von Libyen über Mali bis Marokko. Es ist sicher legitim zu fragen, ob der Krieg in Gaza Teil eines größeren Krieges in der arabischen Region ist und ob er nicht auf genau die arabischen Länder zielt, von denen erwartet wird, dass sie eingreifen und die Palästinenser retten."
Archiv: Al Ahram Weekly

New York Magazine (USA), 11.08.2014

Im neuen Heft des New York Magazins fragt Kevin Roose, wann die Techies im Silicon Valley angefangen haben, ihre Produkte wie Kindergarten-Erzieher anzupreisen. Nach Steve Jobs" "Magie" bestimmen jetzt Begriffe, wie "Entzücken" oder "Wonne" die Werbung: "In unserer Markenwelt ist Silicon Valley zwar keine Ausnahme, aber die Semantik der Technik ist bedeutungsvoller, weil sie bestimmt, welche Innovationen belohnt und finanziert werden. Begriffe, wie "funktional" und "kompatibel" waren in den frühen Tagen des Valleys wichtig, als die Ingenieure Ordnung in die technische Infrastruktur zu bringen versuchten. Doch in der Post-iPhone-Welt genügt es nicht mehr, dass etwas gut funktioniert, es muss sich auch gut anfühlen. Das ist nicht nur eine Frage des Geschmacks, es ist ein politischer Paradigmenwechsel. Die Form über die Funktion zu stellen, ist für die Designer, die in der Hierarchie normalerweise unter den Ingenieuren stehen, eine Möglichkeit, daran zu erinnern, dass ihre Meinung zählt."

Selten, dass ein aktuelles Interview mit Werner Herzog nicht bloß aus den üblichen Anekdoten besteht. Alle Mühe hat sich Steve Marsh gegeben, in seinem Gespräch anlässlich der Veröffentlichung einer großen Kollektion von Filmen des bayerischen Regisseurs sowie eines neuen Gesprächsbandes nicht bloß die Bonmots abzufragen. So erfährt man von Werner Herzogs Drogenerlebnissen, zu denen dieser - sonst kein Freund von Joints und Kiffrunden - wie die Jungfrau zum Kinde gekommen ist: "Ich lehne einen Joint zwar nicht ab. Aber ich reiche ihn einfach an den nächsten weiter und lasse ihn tun, was er will. Seine Sache. Ich möchte das nicht machen. Einmal war ich allerdings tatsächlich stoned, mit dem Komponist Florian Fricke von Popol Vuh. Ich war bei ihm zuhause und er hatte Pfannkuchen mit Marmelade gemacht. Ich schmierte mir die Marmelade auf und er begann zu kichern und noch mehr zu kichern. Und ich aß und es schmeckte sehr gut, also wollte ich einen weiteren Pfannkuchen und schmierte mir nochmal einen großen Batzen Marmelade drauf, doch in der Marmelade war Gras. Nicht, dass er es mir erzählt hätte. Ich war so zugedröhnt, dass ich eine Stunde brauchte, um in München nach Hause zu finden." Ein tolles Beispiel für Popol Vuhs marmeladig verkiffte Musik finden wir via Youtube in dieser Aufnahme aus den Archiven des WDR:



Außerdem: Amy Larocca besucht Tavi Gevinson, die mit 11 Jahren als Modebloggerin berühmt wurde, und jetzt, im reifen Alter von 18 Jahren auf eine Karriere als Gründerin und Chefredakteurin eines Jugendmagazins, ein Debüt als Film- und Theaterschauspielerin und einen Highschoolabschluss - in dieser Reihenfolge - zurückblicken kann.

Telerama (Frankreich), 03.08.2014

"Antisemitismus ist die Matrix aller Rassismen", erklärt die Historikerin und Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco in einem Gespräch mit Juliette Bénabent und Yohav Oremiatzki. Sie kommt darin auch auf zwei Jahrhunderte Antisemitismus in Frankreich zurück, zu einem Zeitpunkt, an dem die pro-palästinensischen Demonstrationen die ererbten Spaltungen im Land wieder zutage treten lassen. "Der politische Kontext der letzten Monate in Frankreich hat darauf einen Einfluss. Der Front National ist nicht antisemitisch, er setzt einen Prozess in Gang ... Das Erstarken eines bestimmten politischen Diskurses schürt derzeit den Judenhass, gleichzeitig aber auch den Hass auf die Araber. Antisemitismus und anti-arbischer Rassismus sind die zwei Facetten des gleichen rechtsextremen Denkens, das man in Frankreich anwachsen sieht."
Archiv: Telerama

Bloomberg Businessweek (USA), 11.08.2014

Politiker der Labour Party erweisen sich immer wieder als Freunde der arabischen Welt. So erinnert David Samuels in einem Artikel über die Schwierigkeiten des neuen libyschen Regimes, das faraminöse Vermögen des ehemaligen Diktators Gaddafi wiederzufinden, an folgende Begebenheit: "Nachdem der britischer Premier Tony Blair 2007 sein Amt verließ, heuerte er bei der Investmantbanking-Abteilung von JP Morgan Chase an und wurde ein häufiger Besucher Libyens. Nach Dokumenten der Nonprofit-Organisation Global Witness flog Blair, begleitet von britischen Polizisten in einem Bombardier Challenger 300 Jet, der von dem ältesten Gaddafi-Sohn gechartered worden war. In Tripoli wurde er zur Britischen Botschaft eskortiert und wie ein Staatsgast behandelt. Er wohnte in der Residenz des Botschafters und traf regelmäßig Gaddafis Sohn Seif, der die Aktivitäten der Libyan Investment Authority (LIA) mit ihren 70 Milliarden Dollar überwachte... Blair betonte, dass er nicht für Geschäfte nach Tripoli reise, aber der sorgfältig formulierte Wortlaut seiner Dementis widerspricht nicht der Behauptung eines im Sunday Telegraph vom 17. September 2011 zitierten Britischen Diplomaten, der Blairs Besuche als einen Werbeeinsatz für die Investmant Bank-Abteilung von JP Morgan Chase beschrieb."

Weiteres in der Business Week: Joel Stein verteidigt die arroganten Tech Fuzzies aus dem Silicon Valley, gegen die es in den letzten Monaten manche Polemik gab. Und Max Abelson und Katia Porzecanski porträtieren den skrupellosen Hedge-Fonds-Manager Paul Singer, der Argentinien in die Pleite trieb.

HVG (Ungarn), 02.08.2014

Parajmos nennen die Roma mittlerweile den nationalsozialistischen Völkermord an ihrer Minderheit: das große Verschlingen. Zum internationalen Gedenktag sprach Mónika Szekeres mit der Historikerin und Aktivistin Ágnes Daróczi, die Gründe für die mangelnde Aufarbeitung sucht: "In der Nacht zum 3. August 1944 wurde das eigens errichtete Zigeunerlager von Auschwitz-Birkenau aufgelöst ... beinahe 3.000 Menschen wurden in der Nacht ermordet. Doch auch nach der Auflösung des Lagers wurden ungarische Roma weiter massenhaft in deutsche Lager deportiert. Das ist nur ein Detail des verschwiegenen Holocausts. Ein Grund, warum all dies von der Mehrheitsgesellschaft, aber auch von den Roma verschwiegen wurde, ist, dass wir nur wenige sind, die dieses Feld erforschen, und die Quellen sehr lückenhaft sind. Oftmals kennen wir nicht einmal die Namen der Opfer … Diese beinahe komplette Abwesenheit von Emanzipation, Interessenvertretung und Solidarität sind auch Ursachen des Schweigens."
Archiv: HVG
Stichwörter: Emanzipation, Parajmos, Roma, Birkenau, Hvg

Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.08.2014

Albrecht von Lucke zeichnet im Vergleich von Jürgen Habermas und Frank Schirrmacher nach, wie sich die Rolle des Intellektuellen in Deutschland verändert hat und wie sich der intellektuelle Diskurs von der Universität in die Medien verschob. Vor allem sei in der Ära Schirrmacher die Macht wieder zu einer zentralen Kategorie der Öffentlichkeit geworden: "In Jürgen Habermas und Frank Schirrmacher begegnen uns zwei völlig unterschiedliche Wege und Strategien, die eine Menge aussagen über die gegenwärtige intellektuelle Lage im Lande. Habermas ging in der Tradition der Frankfurter Schule den Weg der Schulbildung, Schirrmacher den der Netzwerkbildung. In seinem Fall trifft der von Jürgen Habermas erhobene Vorwurf zu, der Intellektuelle "sollte den Einfluss, den er mit Worten erlangt, nicht als Mittel zum Machterwerb benutzen, also "Einfluss" nicht mit "Macht" verwechseln". Gerade mit der Machtfrage hatte Schirrmacher früh sein Lebensthema gefunden - und mit der Rolle des FAZ-Herausgebers die ideale Position."

Seyla Benhabib rekapituliert zudem in einem instruktiven Text die Geschichte der Kritischen Theorie als Kritik und Krisentheorie.

New York Times (USA), 10.08.2014

Im Magazin begleitet Steven Lee Myers Garri Kasparow, der die Regierung Putin gern mit der Mafia vergleicht, auf Promotionstour für seine Anwärterschaft auf das Amt des Vorsitzenden des Internationalen Schachverbands (FIDE). Außer gegen den langjährigen Amtsinhaber Kirsan Iljumschninow muss Kasparow auch gegen Putin antreten: "Putin hat seine diplomatische Maschine gegen Kasparow und für Iljumschninow in Stellung gebracht. In der Folge der Krimannexion und des Abschusses von Malaysia Airlines Flug 17 steht der Kampf um die FIDE-Präsidentschaft jetzt für eine breitere Debatte um Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, für die Zukunft des Schachspiels und die Stellung von Putins Russland in der Internationalen Gemeinschaft … Schach nahm in der russischen Psyche schon immer einen überproportionierten Platz ein und ist Teil der nationalen Identität."

Sie haben auch noch eine Unmengen von Schallplatten zu Hause stehen und wissen nicht wohin damit? Vielleicht sollten Sie sich an den Brasilianer Zero Freitas wenden. Monte Reel porträtiert den Geschäftsmann, der in den letzten Jahren gewaltige Plattensammlungen aufgekauft hat, darunter auch die legendäre von Paul Mawhinney. Er will aber alle Schallplatten dieser Welt sammeln und katalogisieren: "Viele der Platten werden von einem Team internationaler Scouts zusammengetragen, die Freitas angestellt hat, um seine Kaufverhandlungen zu führen. Sie sind über den ganzen Globus verstreut." Auf Kuba hat er angeblich 100.000 Alben aufgekauft - "was in etwa der Gesamtsumme dessen entspricht, was dort jemals aufgenommen wurde, mutmaßt Freitas. Er und die Praktikanten witzeln, dass die Insel sich mittlerweile aus dem Ozean hebt wegen all des Gewichts, das Freitas von dort weggeholt hat."

Außerdem: Robert Draper stellt den amerikanischen Libertarismus vor und mit dem Rebublikaner Rand Paul einen seiner Wortführer. Und Patti Smith bespricht in der Sunday Review den neuen Roman von Haruki Murakami.
Archiv: New York Times