04.11.2014. Der islamische Staat ist stark, weil seine Gegner so schwach sind, lernt die LRB in Kobane. In Les inrockuptibles klagt Eva Illouz über Sex als Zwang. Der Guardian fragt: Wer ist Elena Ferrante? In Eurozine schreibt Rosa Liksom eine kleine Liebeserklärung an Lappland und die finnisch-ugrischen Völker. In GQ erklärt der Fälscher Frank Bourassa, wo man seine Blüten druckt. Kevin Kelly verkündet in Wired: Erst Künstliche Intelligenz wird uns zeigen, was den Menschen ausmacht. In The Nation kennt Edward Snowden schon die Antwort: Revolution.
London Review of Books, 06.11.2014

Als heillosen Schlamassel
beschreibt Parick Cockburn die Lage im Mittleren Osten, doch die Stärke des
Islamischen Staats resultiert aus der Schwäche seiner Gegner: Die entscheidenden Länder der Koalition gegen den IS, die
Türkei und Saudi-Arabien, machen eigentlich
gemeinsame Sache mit ihm, und die Armeen, die gegen ihn kämpfen müssten, sind nicht existent: "Als einige tausend IS-Kämpfer im Juni in Mossul einmarschierten, standen sie theoretisch sechzigtausend
irakischen Soldaten und Polizisten gegenüber. Doch die tatsächliche Zahl betrug wohl nur ein Drittel: die anderen gab es
nur auf dem Papier, damit die Offizieren ihren Sold einstreichen konnten, oder es gab sie wirklich, dann zahlten sie die Hälfte ihres Solds an ihre Befehlshaber, um sich nie in der Nähe einer Kaserne blicken lassen zu müssen. In den vier Monaten seit dem Fall von Mossul am 9. Juni hat sich daran nicht viel geändert."
Weiteres: Iain Sinclair
blickt wehmütig auf jene Jahrzehnte zurück, als
Autos und Kinos in London noch etwas galten.
James Salter widmet sich amerikanischen Piloten im
Ersten Weltkrieg.
Gentlemen's Quarterly, 21.10.2014

Der Kanadier Frank Bourassa produzierte nicht nur in wenigen Monaten die
größte Summe an Falschgeld in der Geschichte der Banknotenfälschung, es gelang ihm auch, mit sechs Wochen U-Haft davonzukommen - und
ein Fünftel seiner Blüten zu behalten. In
GQ erzählt Wells Tower die unwahrscheinliche Geschichte: "Als ich eines Nachmittags mit ihm in einer Bar saß, reichte ich ihm eine Reihe von Geldscheinen - einen 50-Euro-Schein, eine 100-Dollar-Note, einen kanadischen Zwanziger und einen 10-Dollar-Schein aus Neuseeland - und fragte ihn, welcher davon am schwierigsten zu fälschen sei. "Keiner", sagte er. Er nahm den Hunderter und klopfte auf das Portät
Benjamin Franklins. "Ich könnte problemlos Leute dazu bringen, mir ein Wasserzeichen von diesem Typen zu machen." - "Wirklich? Ben Franklin?" - "Wenn du irgendjemand drüben in China bist, denkst du doch nicht zweimal darüber nach, diesen Scheißkerl zu drucken. Wer ist das? Das wissen die doch nicht. Für mich sieht er aus wie ein Clown. Ich würde sagen, "Ich bin vom Zirkus. Wir haben eine Vorführung und würden gerne Flugblätter drucken lassen. Dafür bräuchte ich einen Prägestempfel hiervon.
Das ist unser Clown. Bozo.""
Nepszabadsag, 03.11.2014

Im Gegensatz zu vielen anderen Gesetzesverschärfungen, die
Ungarn zu einem populistischen Regime im demokratischen Europa machten, hat die zunächst angekündigte und dann wieder einkassierte
Internetsteuer auch europaweit Aufsehen erregt.
György Konrád analysiert im
Interview mit Ildikó Csuhaj die neuen Proteste und das Konfliktmanagement des ungarischen Regierungschefs: "Die Menschen können nicht beliebig oft betrogen werden, und west-europäische oder amerikanische Verhandlungspartner sind auch nicht so einfältig, wie
Viktor Orban über sie denkt... Im Fall der Internetsteuers kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er den Wunsch der Deutschen Telekom sehr ernst nahm. Doch er musste auch die vielen jungen demonstrierenden Menschen ernst nehmen, denn als
gerissener Politiker sah er, dass von unterschiedlichen Seiten Gefahr droht und der Raum, in dem er sich bewegt, immer unübersichtlicher für ihn wird."
The Nation, 17.11.2014

Oje, noch ein
Interview mit Snowden? Jetzt ist mal gut, denkt man. Fängt an zu lesen, in den ersten Absätzen könnte ja was neues stehen, tut es nicht und liest weiter, weil dieser Typ einfach so intelligent ist. Hier
spricht er über
zivilen Ungehorsam: "Wir sind eine repräsentative Demokratie. Aber wie kam es dazu? Durch direkte Aktion. Und das ist eingraviert in unsere Verfassung und unsere Werte. Wir haben das
Recht auf Revolution. Eine Revolution muss nicht immer mit Waffen geführt werden, es geht auch um revolutionäre Ideen. Es geht um die Prinzipien, die wir hochhalten, weil sie die Welt repräsentieren, in der wir leben wollen. Ein Befehl kann jederzeit gegen diese Werte verstoßen. Ich denke, dass wir diese Dynamik gerade sehen. ... Aber wenn der Staat sagt: "Nun, damit dies ein rechmäßiger ziviler Ungehorsam ist, musst du
diese und jene Regeln befolgen." Sie stecken uns in "Zonen für freie Rede", sie sagen, wir dürfen etwas nur zu einer bestimmten Zeit tun und nur auf eine bestimmte Art und man dürfe das Regierungshandeln nicht stören. Sie beschränken die Auswirkungen, die ziviler Ungehorsam haben kann. Wir müssen uns daran erinnern, dass ziviler Ungehorsam
ungehorsam sein muss, um erfolgreich zu sein. Wenn wir einfach nur den Regeln folgen, die der Staat aufstellt, während er gleichzeitig dem öffentlichen Interesse entgegenarbeitet, dann werden wir nichts verbessern. Wir werden
nichts verändern."
Außerdem: Die Kulturanthropologin
Gabriella Coleman, Autorin eines demnächst erscheinenden Buchs über Anonymous,
empfiehlt fünf Bücher übers Hacken.
La vie des idees, 30.10.2014

Am herzlichsten ist doch immer noch der
Rassismus innerhalb einer Gruppe in den USA,
schreibt Marie Mallet in
La Vie des Idées, nachdem sie in drei Großstädten entsprechende Studien mit Blick auf die Latinos durchgeführt hat: "Manche Faktoren, die die Solidarität zwischen Latino-Gruppen beeinträchtigen, können ihre Ursache in der
besonderen Behandlung haben, die gewisse Nationalitäten wie Kubaner und Puerto Ricaner genießen. Ihr Status verleiht diesen beiden Nationalitätsgruppen gewisse Privilegien, von denen andere Latinos nicht profitieren, und ist Ursprung der Spannungen zwischen den Latino-Gemeinschaften - Spannungen, die durch das
Ressentiment nicht-kubanischer und nicht-puertoricanischer Latinos verursacht werden."
New York Times, 03.11.2014

Im Magazin der
New York Times erzählt der amerikanische Journalist Theo Padnos, wie er in die Hände des syrischen Al-Quaida-Ablegers
Nusra Front fiel und zwei Jahre lang in
gewalttätiger Gefangenschaft verbrachte. "Während der ersten Tage konnte ich nicht glauben, was mir passiert war. Immer wieder spielte ich in Gedanken die Stunden durch bevor und nachdem mich die Männer, die ich in der Türkei getroffen hate, attackierten. Es kam mir vor, als wäre ich friedlich mit Freunden durch einen Olivenhain gegangen, als hätte sich ein
Riss im Erdboden aufgetan, als sei ich hineingestürzt und in einem Zwischenreich erwacht, wie man es aus Märchen und Alpträumen kennt. Ich wusste, dass dieser Ort einer Logik gehorchte, und merkte, dass meine Entführer wollten, dass ich sie lerne. Aber was genau sie mir beibringen wollten und warum sie es mir nicht freiweg sagen konnten, sondern vorzogen, in ihrer
speziellen Sprache des Schmerzes zu sprechen, war mir unbegreiflich."
Außerdem: Gideon Lewis-Kraus
porträtiert den Regisseur
Christopher Nolan, dessen Film "Interstellar" gerade überall gefeiert wird. In der
Book Review werden
zwei Berlin-Bücher besprochen, eins von
Peter Schneider, eins von
Rory MacLean, außerdem
Robert Beachys "Gay Berlin" und
Daniel Kehlmanns "F".
Aeon, 23.10.2014
Zähne armer Leuter: Charlize Theron in "Monster" und Taryn Manning in "Orange is the New Black"Woran kann man heute
arm und reich am ehesten unterscheiden? Kleidung und Aussprache kann man lernen, aber bei älteren Menschen gibt es ein untrügliches Zeichen:
die Zähne. Selbst deutsche Krankenkassen- modelle sind heute wie ein Stempel: arm. In Amerika, wo Zahnversicherungen sehr teuer sind, ist der Unterschied noch um einiges krasser.
Sarah Smarsh, selbst in einem Trailerpark geboren, nimmt in einem
lesenswerten Essay die verfaulten Zähne der Armen zum Anlass, über
soziale Unterschiede nachzudenken: Ihre Freunde ziehen sie manchmal auf, wenn sie ein Verb falsch konjugiert oder in Wörter verschleift. "Ich genieße das und fühle mich anerkannt, wenn sie die
wahren Klischees durchschauen, die mit meiner Geschichte verwebt sind. Aber es gibt da eine Sache: Auch reiche Leute machen Grammatikfehler. Es ist nur nicht Teil ihrer Geschichte und wird daher ignoriert. Ich habe bemerkt, dass Journalistenkollegen, die Überlebende eines Tornados in einem Wohnwagenviertel wegen ihrer nachlässigen Handhabung des Partizip Perfekts berühmt machten,
dämliche Kommentare eines Stadtrats redigierten, um sie seinem Status anzupassen. Und während ich mir die Erziehung, die ich nicht bekam, aus Büchereien, Enzyklopädien und dem
New-Yorker-Abo meines Stiefvaters nahm, weigerten sich viele Mitglieder der Mittel- und Oberklasse, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen serviert wurden - wenn sie überhaupt die Fähigkeit dazu hatten."
Les inrockuptibles, 30.10.2014

Die
Sexualität ist repressiv geworden, erklärt die israelische Soziologin
Eva Illouz in einem
Gespräch über ihr jüngstes Buch "
Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und "Shades of Grey"". Darin erneuert sie ihre These, der Grund, warum
Liebe weh tue, sei eine Nachwirkung der sexuellen Befreiung. "Man begreift seine Gefühle als Funktion von Normen. Sexualität ist nicht nur normiert, sondern selbst
Norm geworden. Die Frage der sexuellen Performance ist heutzutage derartig wichtig, dass man Probleme hätte, sich nicht am Maßstab dieser Norm zu messen. Sexualität, die einmal Quelle der Befreiung war, ist inzwischen
repressiv, weil sie zur Norm und zur Wertquelle geworden ist."
New York Magazine, 03.11.2014

Im
neuen Heft des Magazins stellt Andrew Rice uns die
Pläne des eBay-Gründers
Pierre Omidyar vor. Zusammen mit Glenn Greenwald, Laura Poitras und Jeremy Scahill von "The Nation" bastelt der philanthropische Internet-Milliardär an einer journalistischen Offensive. Erstes Projekt von Omidyars Firma First Look Media ist die Plattform
The Intercept. Angepeilt ist ein "
strukturell anderer Journalismus" (Greenwald): "Es soll ein bisschen wie WikiLeaks sein, aber mit gutbezahlten Journalisten und jeder Menge Geld aus Silicon Valley. Ziel ist die Vereinigung von streitbarer Ideologie mit Verlagstechnik, Kryptografie und
aggressivem Rechtsbeistand.
The Intercept ist Verwalter von Edward Snowdens riesigem Archiv geheimer Dokumente und durchwühlt es nach Geschichten, die es auch mit anderen Journalisten teilen will. Geplant ist ein sicherer "Leseraum" im Hauptquartier in der Fifth Avenue.
The Intercept ermutigt andere aus der Welt der Geheimdienste, Material über ein verschlüsseltes System namens SecureDrop zu leaken. Zwischen den Scoops bringt das Portal ätzende Kritik an Obamas Sicherheitspolitik." Leider scheinen
innere Konflikte First Look Media und seine Projekte zu gefährden, bevor es richtig losgeht, wie eine
Inside-Story auf
Intercept zeigt. Silicon Valleys Unternehmertum und unabhängiger Journalismus sind offenbar kein ideales Paar.

Weitere Artikel:
Jon Stewart erzählt im
Interview, wie er seinen ersten
Film in Amman gedreht hat, mit Gael García Bernal als iranischem Gefangenen und Kim Bodnia als seinem Vernehmer: "Mein Job während des ganzen Films bestand darin, Kim davon abzuhalten, Gael wirklich weh zu tun. Mein Credo während der ganzen Sache war:
Niemand stirbt. Wir machen einen Film über eine Sache, die schlimm ist, aber wir tun die schlimme Sache nicht." Es geht aber auch noch um viel ernstere Dinge wie Comedy und Politik. Hübsch auch die
Fotostrecke im Magazin mit den extravagantesten Juwelen der Saison.
Im Bild: eine Halskette von Cartier, 18 Karat Weißgold, mit 1.606 rundgeschliffenen Diamanten, drapiert auf einen Kraken.
Guardian, 01.11.2014

Seit Jahren wird die italienische
Autorin Elena Ferrante von einigen wenigen Kritikern verehrt (zum Beispiel
von Arno Widmann im Perlentaucher), ohne ein großes Publikum gewinnen zu können. Was vielleicht auch an der Anonymität lag, die sie als Bedingung für ihre
kreativen Freiheit strikt bewahrte. Da hat sie wohl die Rechnung ohne die Medien gemacht,
vermutet Meghan O"Rourke: "Welch Ironie, dass Ferrante glaubte, die
Anonymität würde eher dazu beitragen, dass sich die Leser auf ihre Bücher konzentrieren würden. Das Gegenteil war der Fall. Ihre Identität dürfte jetzt das aufregendste Rätsel des Literaturbetriebs sein - Quell heftiger Spekulation und des Party-Tratsches ("Ich möchte wissen, wie
Ferrantes Haus dekoriert ist. Was trägt sie, während sie schreibt?", verlangte es eine amerikanische Kritikerin zu wissen. "Trinkt sie? Raucht sie?") In Italien gibt es das Gerücht, dass ihre Bücher das Produkt des Avantgarde-Autors
Demonico Starnone sind. Sie hat jetzt auch ihren eigenen Hashtag:
#FerranteFever."
Besprochen werden unter anderem auch
Christopher Fraylings Untersuchung antichinesischer Stereotype "The Yellow Peril" und
John Williams"
literarischer Western "Butcher"s Crossing" (den
Bret Easton Ellis etwas konventioneller findet als Williams" Roman "Stoner", aber ebenso ergreifend).
Eurozine, 29.10.2014

Im
Wespennest (
online gestellt von
Eurozine) erzählt die finnische
Autorin und
Künstlerin Rosa Liksom eine kurze Geschichte Finnlands und vor allem
Lapplands, wo sie 1958 geboren wurde - in einem Dorf, das so winzig war, dass die Einwohner zusammen
ein Auto besaßen, mit dem sie einmal im Monat nach Schweden zum Einkaufen fuhren. Heute ist die Grenze in Lappland zwischen Finnland und Schweden vollkommen offen. Aber auch mit
Russland gibt es wenig Berührungsängste: "Weder Russland noch die Sowjetunion wurde in der arktischen Region sonderlich bestaunt, denn wir Finnen sind mit den finnisch-ugrischen Völkern verwandt, die die
gesamte arktische Zone Russlands bis hin zum Pazifik besiedeln. Die finnisch-ugrischen Völker verbindet ein spezielles Zusammengehörigkeitsgefühl, obschon in allen arktischen Völkern, auch in denen, die nicht zu den Finno-Ugriern gehören, ein gemeinsamer Geist herrscht. Als ich in Christiania lebte, wo es viele
Inuit aus Grönland gab, freundete ich mich zuerst mit ihnen an. Eine gemeinsame Sprache hatten wir nicht, aber wir verstanden uns sofort."
Wired, 27.10.2014

Dass
Google Künstliche Intelligenz entwickelt, die mit jedem Treffer und jedem Klick ein bisschen komplexer und qualitativ hochwertiger wird, ist ein offenes Geheimnis. Überhaupt, so
meint Kevin Kelly mit Blick etwa auf die Erfolge von Schach-Computern, deren Leistungen wiederum bessere menschliche Spieler hervorbringen, steht uns bald der lang beschworene Siegeszug der Künstlichen Intelligenz und damit mutmaßlich ein gehöriger
Entwicklungsschub ins Haus. Ablegen müsse man dabei allerdings die Vorstellung von einer allwissenden Super-Intelligenz: Die K.I. von morgen wird
streng inselbegabt und wenig menschenähnlich sein. "Im Lauf der letzten 60 Jahre, in denen mechanische Prozesse Verhaltensweisen und Begabungen nachgestellt haben, die zuvor als allein den Menschen vorbehalten galten, mussten wir das, was uns von Maschinen abgrenzt, neu denken. ... Es ist eine
gewaltige Ironie, dass der größte Segen einer alltäglichen, zweckdienlichen Künstlichen Intelligenz nicht in größerer Produktivität oder einer Ökonomie des Überflusses bestehen wird - auch wenn dies so kommen mag. Der größte Segen der Ankunft einer Künstlichen Intelligenz besteht darin, dass K.I.s uns helfen werden
Menschlichkeit zu definieren. Wir brauchen K.I.s, um uns zu sagen,
wer wir sind."
Merkur, 01.11.2014

Patrick Eiden-Offe
verteidigt Francesco Mascis "Die Ordnung herrscht in Berlin" gegen seine Kritiker, die den Essay über die totale
kulturelle Neutralisierung der Stadt als
"Spengler für Hipster" brandmarkten. Und Iris Hanika
sträubte sich in der
Berliner Zeitung dagegen, die Spanier, Italiener und Griechen, die aus ihren
ausgepowerten Heimatländern nach Berlin fliehen, nur als "fiktive Subjektivitäten" zu sehen. Dazu Eiden-Offe: "Nun, dass sie schon als "fiktive (oder, wie es an anderer Stelle bei Masci heißt: als "angeheiterte fiktive") Subjektivitäten" in ihren "Heimatländern" aufgebrochen sind, wird und muss Masci gar nicht behaupten. Dass sie aber genau als solche hier ankommen, das kann jeden Abend
auf den Straßen Neuköllns besichtigt werden. Für diejenigen, die aus den
südlichen wastelands der deutsch-europäischen Krisenpolitik fliehen, stellt Berlin offenbar genau das dar, was Masci analysiert: einen offenen Möglichkeitsraum, der gerade durch die Folgenlosigkeit der gebotenen Optionen besticht. Die Leute fliehen vor der Politik, und sie kommen an im Raum einer vollkommen neutralisierten Kultur."
Neue deutsche Romane sind so phantasielos, so themenbezogen und ohne jedes Sprachgefühl!
Klagt der Literaturwissenschaftler
Ingo Meyer in einem großen Essay, der mit dem unvergleichlichen Satz beginnt: "Zählen niederer Status im literarischen Gattungsgefüge und moralische Bedenklichkeit der Wirkungen des Romans zu den Topoi der Kritik bis weit ins 19. Jahrhundert, so die Klagen über seinen Niedergang, ja seine Unmöglichkeit zur konstanten Begleitmusik seiner modernen Geschichte."
Vanity Fair, 01.11.2014

Bruce Handy
erzählt die Geschichte der berühmten
Pariser Buchhandlung Shakespeare and Company, die George Whitman nach dem Zweiten Weltkrieg gründete - nachdem Sylvia Beach ihren in den 20ern gegründeten gleichnamigen Buchladen nach der Befreiung von Paris nicht wieder eröffnet hatte. Heute leitet den Buchladen
Whitmans Tochter Sylvia - direkt ins 21. Jahrhundert, aber immer noch mit dem Flair seiner Gründerzeit. Das überträgt sich immer noch auf die "Fuchsschwänze" wie George die
jungen Autoren genannt hatte, die einige Monate in der Buchhandlung leben und arbeiten durften, lernt Handy bei einem Pfannkuchenfrühstück in Georges altem Apartement: "Die Fuchsschwänze waren alles, was man sich von einer Gruppe junger aufstrebender Autoren erhofft: ernst, witzig, kosmopolitisch, neugierig, reflektiert, albern, leidenschaftlich. Und anders als die meisten ihrer Kollegen in New York stritten sie immer noch
über Bücher, nicht über das Neueste auf Netflix."
Außerdem: Sam Kashners
Porträt von (oder eigentlich eine Hymne auf)
Jennifer Lawrence.