Magazinrundschau

Nippes unseres Innenlebens

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
25.11.2014. Der New Yorker liefert ein großes Porträt Angela Merkels. Reset.doc liefert ein großes Porträt Wladimir Putins. Der Nouvel Obs erzählt von der innigen Beziehung Marine Le Pens zu Putin. In Eurozine fordert Carl Henrik Fredriksson die europäischen Zeitungsfürsten auf, endlich die nationalen Debattengrenzen einzureißen. Cabinet schildert den Schock Eugène Delacroix' beim Betrachten der ersten Aktfotografien. Aeon verliert sein Gefühl für Realität im Film. In Slate erklärt Regisseur Paul Schrader: Das Filmkonzept des 20. Jahrhunderts ist tot.

New Yorker (USA), 01.12.2014

Angela Merkel rocks! Oder wenigstens die Koelbl-Fotostrecke, die George Packers Porträt der "stillen Deutschen" im neuen New Yorker einleitet. Wofür steht die "mächtigste Frau der Welt", fragt Packer und versucht sich zugleich an einem Bild der Deutschen insgesamt zwischen Antiamerikanismus und Russland-Sympathie. Die breite Mitte, die Amerika durchaus Sympathie für seine Rolle im und nach dem Zweiten Weltkrieg entgegenbrachte, werde - nicht zuletzt wegen der NSA-Spionage - immer kleiner. Doch das sei nicht alles: "Hinter dem zunehmenden Antiamerikanismus und der deutschen Neigung zu Russland, scheint etwas Grundsätzliches zu stehen … Während des Ersten Weltkriegs trat in Deutschland eine Traditionslinie in den Vordergrund, die autoritär war, konservativ und unpolitisch - näher am Geist Russlands als am oberflächlichen Materialismus des demokratischen Europas. Der Krieg stand für Deutschlands alte Rebellion gegen den Westen. Das imperiale Deutschland weigerte sich mit gezogener Waffe, die universellen Prinzipien der Gleichheit und der Menschenrechte anzuerkennen … Die friedliche Wiedervereinigung und die Erstarkung durch die Eurokrise könnten Deutschland zu einer Identität zurückkehren lassen, die älter ist als die Bundesrepublik mit ihrem unter amerikanischem Einfluss entstandenen Grundgesetz."

Jill Lepore macht auf einen ziemlichen Skandal aufmerksam, der gar nicht neu ist: die Papiere des Supreme Court sind nicht öffentlicher, sondern privater Besitz: "Die Entscheidung, ob diese Dokumente veröffentlicht werden sollen, liegt allein bei den Richtern und ihren Erben. Sie können sie schreddern, sie können sie verbrennen, sie können sie als Platzdeckchen benutzen."

Weitere Artikel: Sasha Frere-Jones widmet sich dem "Sound of Sweden", der gerade die Welt der Popmusik dominiert. Nicholas Lehmann liest neue Bücher über Google und vergleicht sie mit älteren Büchern über General Motors. Anthony Lane sah im Kino Morten Tyldums "The Imitation Game" über Alan Turing und Jennifer Kents "The Babadook". Online lesen dürfen wir außerdem eine Kurzgeschichte von Etgar Keret und ein Kapitel aus Joseph Mitchells nie beendeter Autobiografie.
Archiv: New Yorker

Eurozine (Österreich), 21.11.2014

Die Klage ist alt und bekannt. Europa hat keine Öffentlichkeit. Eurozine-Macher Carl Henrik Fredriksson will mit Jürgen Habermas die Hoffnung auf die Medien und ihre Fähigkeit, nationale in internationale Debatten zu übersetzen, trotzdem nicht aufgeben und redet ihnen ins Gewissen: "Wenn die vierte Gewalt eine Säule des demokratischen Systems bleiben will, dann sollte sie sich dieser "komplizierten Übersetzungaufgabe" schnellstens stellen und sich "fremden" Perspektiven öffnen. Politik ist längst nicht mehr auf den Nationalstaat begrenzt, während der Standpunkt der Medien und das Wertesystem, auf dem die Berichte der Journalisten basieren, fast ausschließlich national begründet sind. Solch eine Medienlandschaft kann keine Fundamente für eine vereinte Gesellschaft legen."

Ebenfalls in Eurozine: ein aus New Eastern Europe übernommenes Gespräch mit der polnischen Lyrikerin Ewa Lipska, die über ihre Stadt Krakau spricht und neulich gar einen Song für den polnischen Rapper O.S.T.R. schrieb: "Diese Entscheidung fiel in Kalisz, wo man an den hundertsten Jahrestag der Zerstörung der Stadt erinnern wollte. Adam Klocek, der Direktor der dortigen Philharmonie hatte die Idee. Ich mochte die Vorstellung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch mit einem Rapper debütieren würde." Frage des Interviewers Lukasz Wojtusik: "Und wenn Sie heute neu anfangen würden?" Antwort: "Oh nein, heute würde ich Pianistin werden."
Archiv: Eurozine

Aeon (UK), 23.11.2014



Einst versetzten Spezialeffekte aus dem Computer das Kinopublikum mit immer noch größeren Sensationen in Erstaunen - weshalb viele Blockbuster heute zum großen Teil aus dem Computer stammen. Doch hat sich mittlerweile ein gegenteiliger Effekt eingestellt, klagt Jonathan Romney: Wo man dem Bild nicht mehr trauen kann, geht die Magie des Kinos verloren. "Frühere Formen des kinematografischen Trompe L"Oeil hatten eine Neigung, durch ihre Imperfektion auf ihre Präsenz zu verweisen. Techniken wie Rückprojektion und Matte Paintings waren oft als solche sichtbar und diese Sichtbarkeit bedingte ihren Reiz. Sie lud das Publikum dazu ein, an der Illusion aktiv teilzunehmen und seine Ungläubigkeit willentlich auszusetzen. Die im wesentlichen versteckte Natur der digitalen Manipulation, bei der sich die Effekte nahtlos in die Textur des Leinwandbildes einfügen, ist problematischer und verleiht dem Gegenwartskino einen tiefgreifend ambivalenten Unterton." (Im Bild eine Szene aus Ridley Scotts "Blade Runner" von 1982, und hier, hier, hier und hier Bilder von Maxx Burman, der für Spike Jonzes "Her" von 2013 Los Angeles mit matte painting verfremdete, indem er Stadtansichten von LA mit Bildern von Shanghai verschmolz.)
Archiv: Aeon

Elet es Irodalom (Ungarn), 21.11.2014

In einer Hommage auf den ungarischen Historiker János Kenedi, der - unter Ausschluss der ungarischen Öffentlichkeit - gerade mit dem "Memory of Nations Award" der tschechischen Organisation Post Bellum ausgezeichnet wurde, beklagt sein Kollege Ferenc Kőszeg, die narrative Verzerrung der Wendezeit, in Ungarn, aber auch in Deutschland - als wäre die Wende von den Regierenden vollzogen worden! "Gyula Horn wurde in Deutschland zum nationalen Heiligen, Straßen wurden nach ihm benannt. Jetzt, da Horn nicht mehr lebt, nimmt Miklós Németh seinen Platz ein: es war nicht Horn, sondern er selbst, der die Ostdeutschen aus dem Land ließ, denn er war immer ganz geradlinig. Nur der unehrliche Kohl hätte Gorbatschow angerufen, um ihn zu fragen, ob das so in Ordnung ginge. Das ist keine Parodie, wir sehen dies gerade in der dänisch-ungarisch-deutsch-norwegischen Koproduktion "1989" ... Das macht es so wichtig, dass János Kenedi mit dem Memory of Nations Award 2014 für die Dokumentation von totalitären Systemen ausgezeichnet wurde."

Cabinet (USA), 24.11.2014

Alexi Worth erzählt von dem Schock, den der Maler Eugène Delacroix und seine Freunde erlebten, als sie 1853 erstmals Aktfotografien von Eugène Durieu sahen und die Modelle mit Akten des Renaissancekünstlers Marcantonio Raimondi verglichen, der nach Vorlagen von Raphael and Michelangelo gearbeitet hatte. Gegen diese idealisierten Renaissancemenschen sah das Paar auf den Fotos ziemlich unattraktiv aus. Und doch! "Wie der mythische Paris drei nackte Göttinnen beurteilen sollten, so sollten Delacroix" Freunde zwischen den beiden verschiedenen Arten nackter Körper wählen: der Göttin der Zeichenkunst oder der Göttin der Fotografie. Und sie wählten tatsächlich. Obwohl keiner aus Delacroix" Gruppe die Fotografien besonders mochte, stellten sie fest, dass die Stiche von Marcantonio, nachdem sie die Fotos betrachtet hatten, transformiert worden waren. Sie waren nicht länger bewundernswert, sondern plump, sogar grotesk. "Wir erlebten", schrieb Delacroix in seinem Tagebuch, "ein Gefühl der Abscheu, fast Ekel, vor der Unkorrektheit, der Manieriertheit, dem Fehlen jeder Natürlichkeit, trotz der Qualitäten des Stils - der das einzige war, was man bewundern konnte. Doch in diesem Moment konnten wir ihn nicht mehr bewundern." Diese wenigen Worte, aufgezeichnet bei einer bescheidenen sozialen Zusammenkunft, dokumentieren eine historische Wasserscheide: den Moment, als Fotografien die Kunst der Vergangenheit verfremdete."
Archiv: Cabinet

ResetDoc (Italien), 20.11.2014

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hörte der Westen auf, sich für Russland zu interessieren - ein Fehler, der sich nun rächt, schreibt Roberto Toscano, ehemaliger italienischer Botschafter in Moskau, in einem lesenswerten, langen Porträt Wladimir Putins: "Mit Russlands Beziehung zum Westen ging es steil bergab, nachdem Putin an die Macht gekommen war, aber seine Rolle, wenn sie auch zentral ist, erklärt nicht, warum seine provokative, revisisonistische, herausfordernde Haltung gegenüber Amerika und Europa im heutigen Russland so überwältigend populär ist. Eine persönliche Erfahrung: Als ich Moskau im Juni letzten Jahres besuchte, war ich betroffen von dem pauschalisierten, bitteren Antiamerikanismus selbst bei denjenigen, die als liberale, pro-westliche Intellektuelle und internationale Experten gelten. Paradoxerweise fand ich diesen Antiamerikanismus, trotz der offiziellen Propaganda, nicht in der zweiten Hälfte der Siebziger, als ich vier Jahre in Russland lebte ... Tatsächlich ist die Stimmung in Russland nicht nur neo-imperialistisch und revanchistisch, sondern auch - für Russen, die wirklich gehofft hatten, dass das Ende des Kommunismus eine volle Aufnahme in die moderne, freie, entwickelte Welt bedeuten würde - ein Produkt des Bedauerns und der Erniedrigung: weil man eben nicht aufgenommen wurde, weil man nicht respektiert wurde, weil die Sicherheit und ökonomischen Interessen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ignoriert wurden."
Archiv: ResetDoc

Nouvel Observateur (Frankreich), 26.10.2014

In einem fesselnden Hintergrundtext erzählte Vincent Jauvert schon Ende Oktober die lange Geschichte der Beziehungen zwischen dem Front national und der extremen Rechten in Russland - aus der inzwischen eine privilegierte Beziehung zwischen dem Clan Le Pen und Wladimir Putin geworden ist. Begonnen hat es schon 1968, als der Maler Ilja Glasunow, der später einen antisemitischen Club gründete und zum offiziellen Devotionalienkitschmaler Putins wurde, Jean-Marie Le Pen in seiner Uniform als Fallschirmjäger des Algerienkriegs porträtierte. Jauvert spricht auch schon die mögliche Finanzierung des Front national durch Kredite einer Putin nahestehenden Bank an, die inzwischen bestätigt wurde. Kein Wunder, dass Marine Le Pen, die Präsidentin des FN, "eine rückhaltlose Unterstützerin Putins ist. In der russischen Presse bekennt sie ihre "Loyalität" zum ehemaligen KGB-Oberst, ihrem großen Bruder aus dem Osten, den sie "bewundert". So sehr, dass sie sich wünscht, Frankreich "möge die Nato verlassen und sich militärisch in eine Allianz mit Moskau" begeben. Sie war in den letzten Monaten zweimal in Moskau. Ihr Vater besucht Moskau Ende Oktober. Aber Achtung, ruft ihre Nichte Marion, "wir sind keine Agenten Moskaus"."

Slate (USA), 21.11.2014

Zu Zeiten New Hollywoods zählte er zu den Galionsfiguren, im heutigen Hollywood ist er längst ein Außenseiter: Dennoch lässt sich Paul Schrader, der mittlerweile mit Crowdfunding und Video-On-Demand arbeitet, rege Facebook nutzt, seine Darsteller per Twitter findet und derzeit eine Web-Serie plant, seinen Optimismus nicht nehmen, wie er im Gespräch mit Courtney Duckworth unterstreicht: "Alles liegt offen. Und in dieser Hinsicht ist es auch aufregend - außer man ist mit diesem Konzept aus dem 20. Jahrhundert verheiratet, dass man einem zahlenden Publikum in einem dunklen Raum Bilder vorführt. Wer daran hängt, hat wirklich ein Problem, denn dieses Konzept ist tot. ... Die Frage ist also: Was ist ein Film? Ein Film kann ein Video auf Youtube oder Vine sein, ein Beyoncé-Video oder "Mad Men", ein Film, der jetzt schon 60 oder 70 Stunden lang läuft. Aber allesamt sind sie Filme. Manche davon schaust Du an Deinem Hangelenk, andere im Imax-Kino. Für manche bezahlst Du auf andere Weise. An manchen nimmst Du teil. Für mich sind das alles Filme. Da gibt es keinen Unterschied." Das herkömmliche 90-Minutenformat knirscht jedenfalls schon ganz schön, meint er: "Wenn man Filme ansieht, gibt es immer diesen Moment: "Ah ja, jetzt passiert das und dann das, das übliche." Wenn jemand mit unterschiedlichen Längen arbeitet - seien es nun 10, 20 oder 40 Minuten - wird man dagegen mit einer anderen Form des Geschichtenerzählens konfrontiert, ohne den vorhersehbaren Erzählverlauf."
Archiv: Slate

SZ-Magazin (Deutschland), 14.11.2014

Der Fall Gurlitt hat das in Deutschland lange stiefmütterlich behandelte Thema Raubkunst mit Ausrufezeichen auf die Tagesordnung gesetzt. Eine eigens eingerichtete Taskforce soll nun die Provenienzen der Gemälde ermitteln. Was aber kann man tun, wenn sich im eigenen Familienbesitz Raubkunst befindet? Im SZ-Magazin erzählen vier Personen von ihren Versuchen, die rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen und die Werke zu restituieren. Darunter der Politikwissenschaftler Sebastian Neubauer, dem von seinem Großvater Gustave Dorés Gemälde "Die spanische Tänzerin" vererbt wurde: "Ich habe auch bei Lost Art angerufen, weil ich dachte, dass die alles tun würden, um den rechtmäßigen Besitzer zu finden. Aber eine nette Mitarbeiterin meinte, wenn sich jetzt ein paar Jahre lang niemand meldet, na, dann könne ich ja froh sein und das Bild behalten. Da denkt man sich: Was wollt ihr eigentlich? Ich möchte dieses Bild nicht. Ich möchte es endlich loswerden. Aber Lost Art, Kultusministerium, Pariser Museen, jüdische Museen, Kunsthistoriker: Überall werde ich nur weiterverwiesen. Es gibt in diesem Land offensichtlich keinen Ansprechpartner und keine institutionelle Unterstützung für die private Restitution von Raubkunst."
Archiv: SZ-Magazin

Bloomberg Businessweek (USA), 24.11.2014

Ohne das geringste Gespür für das Unheimliche der Angelegenheit im Zeitalter der universalen Überwachbarkeit schildert Felix Gillette in der Businessweek den Weg der Menschheit in die Bargeldlosigkeit. Der Artikel ist trotzdem informativ. Eine Etappe auf dem Weg ist das Start Up Venmo, eine App, die wie ein soziales Netz aufgebaut ist und Überweisungen unter Freunden, aber zusehends auch in Geschäften erlaubt. Venmo gehört längst zu Braintree. Und Braintree gehört längst zu Paypal, also zu Ebay, das Paypal an die Börse bringen will. "Bill Ready, der Chef von Braintree und Venmo sagt, dass Venmo nur der erste Schritt sei, um die Konsumenten an mobile Zahlungen zu gewöhnen. Viel leichter als die Leute zu trainieren, ihre Geld per Swipe auf dem Handy vor Ladenkassen auszugeben. "Es ist ein guter Weg, damit Leute sich wohl fühlen, wenn sie das Handy benutzen um zu bezahlen. Sobald sie sich daran gewöhnt haben, können sie auch andere Wege ausprobieren. Dies ist der erste Sprung über den Graben."
Stichwörter: Bargeld, Soziale Netze, Venmo, Paypal

La regle du jeu (Frankreich), 24.11.2014

Bernard-Henri Levy, ein Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten - nennt drei Gründe, warum er eine einseitige Anerkennung Palästinas, sei es auch nur eine symbolische, durch das französische Parlament für keine gute Idee hält: wegen der Hamas - in der die Hälfte der Minister von der Vernichtung Israels träume; wegen des Zeitpunkts - aufgrund des weltweiten Aufschwungs der Dschihadisten; und weil das Problem an Ort und Stelle gelöst werden müsse. "Kein rechtschaffener Beobachter verkennt, dass beide Seite sich bewegen müssen. Kein Befürworter des Friedens bestreitet, dass auf beiden Seiten Fehler gemacht wurden: von den Regierungen in Tel Aviv, von Rabin bis Netanjahu, die die Siedlungspolitik nie aufgegeben haben, und von der palästinensischen Führung, die zwischen der Akzeptanz des Faktums Israel und der vollkommenen Ablehnung jüdischer Präsenz auf arabischem Boden oszilliert. Und genau das leugnen die Befürworter dieser einseitigen Anerkennung."

Auf Telerama ist zum gleichen Thema ein langes Gespräch mit dem Reporter Charles Enderlin zu lesen, der seit vierzig Jahren in Jerusalem lebt und seinerseits meint, ein palästinensischer Staat sei nicht mehr möglich: "Die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung ist gestorben ... Der religiöse Zionismus wird auf israelisches Land, Jerusalem und den Tempelberg nicht verzichten. Die europäischen Diplomaten sind sich sich dessen bewusst; die, die ich treffe, erklären, dass Europa, indem es die Finanzierung der palästinensischen Autoritäten fortsetzt, lediglich die Besetzung aufrechterhält."
Archiv: La regle du jeu

Guardian (UK), 23.11.2014

Zunächst durchaus mit Sympathie porträtiert Andrew Anthony die indische Autorin Arundhati Roy, verliert dann allerdings langsam die Geduld. Denn allzu oft bediene sie nur ihre antikapitalistische Anhängerschaft, als dass sie erklären könne, ob das neue Indien mit all seinen Fehlern nun besser oder schlechter sei als das alte: "Es gibt überwältigende Beweise dafür, dass Indien in den vergangenen Dekaden zwar ein viel reicheres Land geworden ist, ein Großteil seiner Bevölkerung aber weiterhin mit Arbeitslosigkeit, Unterernährung und furchtbarer sozialer Not zu kämpfen hat. Nur leider liefert Roy nicht die Empirie. Sie bevorzugt den Schrotflinten-Ansatz und nimmt alles auf einmal unter Beschuss - von der Philanthropie über die Hegemonie der USA bis zu NGOs, die von Coca-Cola finanziert werden."

Weitere Artikel: Will Self ärgert sich über die Superreichen, die mit ihrem unversteuerten Fluchtkapital nach dem Kunstmarkt jetzt auch Londons Tate Modern ins Absurde aufblasen werden. Sehr aufschlussreich findet Jamie Bartlett Gabriella Colemans Buch über die Hacker-Truppe Anonymous "Hacker, Hoaxer, Whistleblower, Spy", hätte sich aber etwas mehr Distanz gewünscht.
Archiv: Guardian

HVG (Ungarn), 16.11.2014

Die ungarische Regierung möchte die Zahl der Abiturienten im Land radikal verringern und plant, die rund 500 Gymnasien abzuschaffen. Fruzsina Szabó fürchtet dabei nicht nur um die Bildung von Kindern aus ländlichen Regionen, sondern auch um die Zukunft der Hochschulen und Universitäten: "Wenn die Regierung weiterhin an den Plänen im Geiste der Vorwendezeit festhält, wird das die gesamte Gesellschaft zu spüren bekommen. So wird das Nachwachsen der gesellschaftlichen Mitte gefährdet. Das ist auch dann eine reale Gefahr, wenn sich ein Teil der Schüler nach Alternativen bei privaten, kirchlichen oder stiftungsfinanzierten Gymnasien umsehen wird. Nach Meinung der Gewerkschaften wird die Reduktion der gymnasialen Plätze tausende Stellen von Pädagogen kosten und führt darüber hinaus in wenigen Jahren zum Fehlen von Hochschulabsolventen. Letzteres wäre in der Tat eine bequeme Lösung für die Regierung. Die Gleichung ist einfach: wenn weniger Schüler das Abitur erlangen, dann können die staatlich finanzierten Studienplätze ebenfalls abgebaut werden und zwar ohne umstrittene Regelungen, welche dann erneut zu Protestwellen führen könnten."
Archiv: HVG

New York Times (USA), 24.11.2014

Wir hassen sie, aber sie bestimmen unseren Alltag und unsere intimsten Wünsche und Erinnerungen stecken in ihnen: Passwörter. Im neuen Magazin der New York Times erklärt Ian Urbina, passionierter Passwortsammler, was es sonst noch mit Passwörtern auf sich hat: "Oft haben sie einen weiten Hintergrund, sind Mantra oder ein Ausfall gegen den Chef, ein Andenken an eine alte Liebe, eine alte Wunde. Solche "Andenken-Passwörter" sind wie Nippes unseres Innenlebens. Ihr Ursprung ist vielfältig: die Bibel, Horoskope, Spitznamen, Liedtexte, Buchauszüge. Wie eine versteckte Tätowierung sind sie intim, verdichtet, ausdrucksstark … "Andenken-Passwörter" erinnern oft an einen Verlust oder einen Wendepunkt. Das Passwort meine Freundin Monica Vendituolis lautete "swim2659nomore" - 26:59, die erforderliche Qualifikationszeit im 50-Meter-Freestyle-Wettbewerb an der Higschool und die Erinnerung an eine Schulterverletzung, die ihre Karriere beendete. Der Sinn des Passworts veränderte sich über die Jahre. Was als Trauerritual begann, erinnerte sie später daran, dass Zeit alle Wunden heilt." Der Autor gibt übrigens zu, dass etwas Zerstörerisches am Sammeln solcher Geschichten und vor allem der Passwörter sei. Wie wahr!

In Silicon Valley ist der Konkurrenzdruck inzwischen so groß, dass erfolgreiche Unternehmer nach Spanien ausweichen, erzählt Nick Leiber. So zum Beispiel die Amerikanerin Stacia Carr, die mit einem spanischen Partner ein online-Video-Geschäft in Madrid aufgebaut hat. Die spanische Regierung ist entzückt von diesem Trend und hat ihre Visabestimmungen für Entrepreneure enorm erleichtert: "Ms. Carr war klar, dass Spanien, ein Land, in dem die Arbeitslosenquote letztes Jahr ein Rekordhoch von 27 Prozent erreichte, ein ziemlich unwahrscheinlicher Ort für ein neues Geschäft war. Aber verglichen mit start-up-Magneten wie London und Berlin haben spanische Städte wie Madrid und Barcelona niedrigere Kosten und weniger Konkurrenz - und trotzdem ausreichend Talente, um loszulegen, sagt sie."

Außerdem: Laura Hudson erkundet die schöne neue Welt der Twine-Computerspiele - Spiele für alle von allen. Und Alex Witchel stellt den Bühnenautor Branden Jacobs-Jenkins vor, der dem alten Thema Identität neue Seiten abgewinnt. In der Book Review geht"s u.a. um die neue Philip-Larkin-Biografie von James Booth und Hermione Lees Biografie der englischen Schriftstellerin Penelope Fitzgerald, die mit 58 Jahren ihr erstes Buch veröffentlichte und mit 80 berühmt wurde. (In der neuen NYRB hat Alan Hollinghurst Fitzgerald einen großen Artikel gewidmet.)
Archiv: New York Times