Magazinrundschau

Denken in Bildern

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
28.04.2015. Warum gewinnen schwule Männer den Kampf für die gleichgeschlechtliche Ehe, während Frauen die Kampf um das Recht auf Abtreibung verlieren, fragt The Nation. Im Guardian erzählt Orhan Pamuk, wie die Arbeiten von Anselm Kiefer ihn lehrten, dass er kein Künstler war. In Telerama erklärt der Historiker Jean-Claude Caron, warum heute niemand mehr auf die Barrikaden geht. The New Republic stellt die Black Ducks vor, arabische Atheisten. Bloomsberg macht eine Kreuzfahrt mit Chinesen. In Hospodarske noviny erinnert sich Kim Novak an Hitchcock. Die New York Times verfolgt die Wege der Ratten in New York.

The Nation (USA), 11.05.2015

Warum gewinnen schwule Männer den Kampf für die gleichgeschlechtliche Ehe, während Frauen die Kampf um ihre Rechte - insbesondere das Recht auf Abtreibung - verlieren, fragt Katha Pollitt in The Nation. Ihre bittere Antwort: "Gleichgeschlechtliche Ehen sind etwas, das Männer wollen. Lesbische Paare gehen zwar die Mehrzahl der gleichgeschlechtlichen Ehen ein, aber selbst der umgangssprachliche Begriff "Schwulenehe" definiert sie als männliches Anliegen. Das macht sie für jedermann interessant, denn alles Männliche ist von allgemeinem Interesse. ... Bei Reproduktionsrechten geht es dagegen unvermeidlich um Frauen. Die allgegenwärtige Misogynie führt nicht nur dazu, dass diese Rechte stigmatisiert werden - zusammen mit den Frauen, die sie ausüben - sondern auch, dass Männer sie nicht als wichtig erachten, während Frauen nur begrenzte Macht haben, sie voranzutreiben. Selbst diese Macht ist leicht gefährdet, wenn sie sich mit mehr als nur der kraftlosesten Form des Feminismus identifiziert."

Und nicht nur das, Frauen arbeiten oft genug auch gegeneinander, wie man in der Debatte um diesen und einen zweiten Text sehen kann, in der Pollitt von Vertreterinnen von Transgender-Gruppen kritisiert wurde, weil sie von "Frauen" sprach, nicht von "Menschen". Als würde die Abschaffung des Wortes "Frauen" das Abtreibungsproblem lösen.
Archiv: The Nation

Rolling Stone (USA), 07.05.2015

Wie weit die religiöse Rechte in Amerika geht, um Frauen an einer Abtreibung zu hindern, beschreibt Janet Reitman in einer Reportage im Rolling Stone: In Wisconsin können schwangere Frauen inzwischen legal eingesperrt oder in psychiatrische Kliniken eingewiesen werden, wenn sie Alkohol trinken oder Drogen nehmen. Denn der Fötus genießt laut Gesetz Persönlichkeitsrechte, die die Mutter verletzen kann. Und das ist nicht nur in Wisconsin so: "Mindestens fünfzehn Bundesstaaten sehen Drogen- oder Alkoholkonsum während der Schwangerschauf als eine Form von "Kindsmissbrauch" an. Obwohl diese Gesetze erlassen wurden, um die Gesundheit Ungeborener zu schützen, gefährden sie im wirklichen Leben oft die Gesundheit von Mutter und Fötus und berauben die Mutter ihrer verfassungsmäßigen Rechte. "Es geht hier in Wahrheit darum, einen gesonderten Rechtsstatus für schwangere Frauen zu schaffen", sagt Lynn Paltrow, Direktorin der National Advocates for Pregnant Women und Co-Autorin einer 2013 veröffentlichten Studie, die mehr als 400 Fälle aus den Jahren 1973 bis 2005 dokumentiert, in denen schwangere Frauen von Staatsbeamten verhaftet, eingesperrt oder Zwangsmaßnahmen unterworfen wurden. "Es ist unmöglich, befruchteten Eiern und Föten eigene Rechte zu verleihen, ohne den Frauen diese Rechte wegzunehmen.""
Archiv: Rolling Stone

Telerama (Frankreich), 26.04.2015

Frankreich hält sich ja einiges auf seine revolutionäre Geschichte zugute. Gilles Heuré unterhält sich mit dem Historiker Jean-Claude Caron über den von ihm herausgegebenen Band "Paris, l"insurrection capitale", in dem der Bogen vom Sturm auf die Bastille bis zu den Krawallen in den Banlieus 2005 gespannt wird und die Komponenten dieses sehr französischen Phänomens untersucht werden. Caron erklärt darin aber auch die Gründe für das voraussichtliche Verschwinden der Revolte in der gegenwärtigen politischen Landschaft: "Der klassische Aufstand, bei dem man auf die Barrikaden geht, ist heutzutage archaisch. Protest erfordert in Zukunft große Mobilität, man muss seinen Standort wechseln, sich verteilen und schnell wieder neu formieren, um sich der Logistik der Polizeikräfte zu entziehen, auch wenn diese über sehr raffinierte repressive Techniken verfügt und die sozialen Netze zu nutzen weiß. Ebenfalls zu bedenken: Die Regierung muss gegen Gewaltakte vorgehen, eine Aufgabe, die heute aber durchgeführt werden muss, ohne dass es Opfer gibt."
Archiv: Telerama

Guardian (UK), 27.04.2015

Orhan Pamuk erzählt, wie er seinen Frieden mit der Entscheidung machte, nicht Maler, sondern Schriftsteller geworden zu sein. Es war in den Pariser Ateliers des von ihm sehr bewunderten Anselm Kiefer: "Ein Teil von mir verstand, dass das Glück, nach dem ich strebte, unerreichbar für mich war. Kiefers grandiose Kunst bewies, dass anders als ich in meiner Kindheit und Jugend glaubte, Tagträume und ein Denken in Bildern keine Garantie für künstlerische Erfüllung waren. Die Stärke und Engergie des Pinselstrichs wie auch die physische Präsenz des Malers waren wesentliche Komponenten in der magischen Gleichung, die wir Kunst nennen. Mein Körper, meine Schultern, meine Hand wären niemals in der Lage gewesen, so etwas zu schaffen, die Kraft von Kiefers Kunst half mir, dieser schmerzlichen Wahrheit ins Auge zu sehen."

Julia Lovell hat die Erinnerungen "The Barefoot-Lawyer" des blinden Bürgerrechtlers Chen Guangcheng gelesen und viel über den Horror der chinesischen Justiz gelernt: "Geheimgefängnisse, in denen Kritiker des chinesischen Staats für Monate verschwinden können; Überfüllung, Gewalt, Ausbeutung und Misshandlung in den Anstalten; willkürlicher Terror, den Parteifunktionäre über vermeintliche Konterrevolutionäre bringen können."

Außerdem: Hermione Hoby besucht in New York Tony Morrison, die in ihren neuen Roman "God Help the Child" schwarze Schönheit, Missbrauch und Blackness als Fetisch verhandelt. Wie immer ist Morrison mit der Welt über kreuz, doch nicht mit sich selbst: "Morrison hat den Begriff "schwarze Autorin" stets begrüßt. "Ich schreibe für Schwarze", sagt sie, "so wie Tolstoi nicht für mich geschrieben, als ich das 14 Jahre alte Mädchen aus Lorain, Ohio, war"." Im New Statesman wagt Lionel Shriver dagegen den gepfefferten Verriss: "God Help the Child" sein nicht direkt schlecht, aber einfach völlig irrelvant.
Archiv: Guardian

New Republic (USA), 01.05.2015

Mag sein, dass der Arabische Frühling in Etappen kommt. Liest man Ahmed Benchemsis Artikel, gibt es noch Hoffnung. Denn es gibt in der arabischen Welt, wie Benchemsi mit Umfragen untermauert, immer mehr Atheisten. Auch solche, die sich dazu bekennen, schreibt er und verweist auf den Youtube-Kanal "The Black Ducks", der im August 2013 von einem weiteren ägyptischen Atheisten, Ismael Mohamed gestartet wurde, ein Programm, das Atheisten der arabischen Welt einlädt sich auszusprechen. Wer anonym ist, kann dummes Zeug reden und muss sich nicht dafür verantworten, sagte Ibrahim in einem Video: "Ich dachte, wenn wir Atheisten aufhören, Gespenster zu sein, und uns materialisieren, dann werden wir ernster genommen, denn unsere Aussagen werden besser durchdacht sein. Wir werden nie bekommen, was wir wollen, wenn wir nicht den Mut haben, dazu mit unseren Gesichtern und unseren Namen einzustehen.""
Archiv: New Republic

Linkiesta (Italien), 25.04.2015

Das zarte Pflänzchen des afrikanischen Autorenkinos, das zumeist von Frankreich aus begossen wurde, ist quasi tot. Heute dominieren die Billigproduktionen des kommerziellen Nollywood-Kinos aus Nigeria, die allerdings nicht in Kinos, sondern in improvisierten Videoläden gezeigt werden, erzählt Annamaria Gallone, die Chefin des Festival del Cinema Africano, d"Asia e America Latina, das Anfang Mai in Mailand stattfindet. Nollywood bringt zum größten Teil "Geschichten über schwarze Magie, Ehebruch oder auch Korruption, alles, was die Leute direkt interessiert", erläutert sie ihrem Interviewer Andrea Coccia. Und "junge Regisseure stehen heute vor einem Dilemma: Entweder sie machen einen "richtigen" Film, mit einem richtigen Team und stecken da Geld und Energie rein, ohne die Chance, den Film wirklich kursieren zu lassen, denn es gibt kaum noch Kinos. Oder sie machen eines dieser neuen Produkte, die schnelle Gewinne generieren, aber auch von niedriger Qualität sind."
Archiv: Linkiesta

Die Zeit (Deutschland), 23.04.2015

Um Pegida ist es ruhig geworden ist, der enge Freundeskreis, aus dem sich der Führungszirkel zusammensetzte, ist verkracht. Martin Machowecz blickt von sehr weit oben auf den Ursprung dieser "Bewegung aus Türstehern und Hausmeistern", der sich auf den Facebook-Seiten von Lutz Bachmann und seinen einstigen Freunden nachvollziehen lässt, wo sich dem Betrachter "ein Sittengemälde des deutschen Prolls" bietet: "Auch ihre Hochzeit präsentierten Vicky und Lutz komplett im Internet: ein Fest mit Pomp und Pumps. Weißes Kleid, weiße Blumen, weißer Schirm, weiße Krawatte, weißes Hemd. Viele von denen, die später zu Pegida-Anführern wurden, waren nicht nur bei Hochzeit oder Polterabend anwesend, sondern kommentierten auch fleißig mit, wenn die Bachmanns aus ihrem Leben berichteten. Das taten sie, über Jahre, für alle einsehbar. Wer sich heute noch einmal durch ihre Profile klickt, der stellt fest: Pegida, ein Phänomen, das die Republik über Monate in seinem Bann hielt, hat seine Wurzeln im Allerbanalsten."
Archiv: Die Zeit
Stichwörter: Pegida, Hemd, Krawatte

Hospodarske noviny (Tschechien), 26.04.2015

Im Gespräch mit Jindřiška Bláhová erzählt die tschechischstämmige amerikanische Schauspielerin Kim Novak über ihre Zeit in Hollywood: "Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht dorthin gehöre (…) Meine Arbeit war mit großer Unfreiheit verbunden, mit einer fortwährenden Kontrolle und Manipulation durch das Filmstudio. Ständig diktierte mir jemand, was ich zu tragen, wie ich mich zu verhalten, was ich zu sagen hatte. (…) Mit anderen Stars hatte ich keinen Kontakt. Nur mit James Stewart, der der wunderbarste Mensch war, den man sich denken kann. Er verstand mich ohne Einschränkung. Ich litt damals an einer bipolaren Störung, was ich aber nicht wusste. Ich nahm also keinerlei Medikamente und wusste nicht mit meinen "Stimmungen" umzugehen. Jimmy verstand das und half mir. Er begriff, dass ich ab und zu eine Verschnaufpause brauchte. Vielleicht deshalb, weil er selbst das Gefühl hatte, nicht nach Hollywood zu gehören." Bezüglich Hitchcock meint Novak, sie könne den Mythos nicht bestätigen, nach dem er sich zu seinen Schauspielerinnen hingezogen fühlte und sie zugleich habe beherrschen wollen: "Er war aufmerksam, höflich und hatte ein wunderbares Verhältnis zu seiner Frau. Ich habe nie erlebt, dass er mit einer anderen kokettiert hätte. Als Regisseur wusste er genau, was er wollte, und war darin unbeugsam, aber er hat niemanden terrorisiert." Hitchcocks Besessenheit sei vor allem eine technische gewesen: "Er war immer auf das Bild fixiert. Ständig klebte er am Sucher der Kamera und verfolgte die Szene. Er war die Kamera."

Bloomberg Businessweek (USA), 22.04.2015

Diese grässliche Kreuzfahrtindustrie hat noch schöne Tage vor sich. Costa, der italienische Gigant in diesem Sektor, und andere Reeder erschließen sich den chinesischen Markt. Christopher Beam ist auf einem Schiff von Costa mitgefahren und hat sich prächtig amüsiert: "Tai Chi ist überall schwierig, aber auf dem Schiff ist es noch viel schwieriger, wo das Schwanken der Wellen die Balance fast unmöglich macht... Als ich versuchte, die Bewegungen des Lehrers nachzuahmen, kippte ich fast vornüber, so wie die Amateure neben mir, inklusive einem Herren im kompletten Business-Anzug. Es sah aus wie Physiotherapie für Innenohr-Geschädigte. Die Szene war eine fast zu perfekte Metapher für die Herausforderungen dieser Industrie: Sie versuchen zu bieten, was die chinesischen Konsumenten wollen, aber nicht alles lässt sich auf ein Schiff übertragen."
Stichwörter: Kreuzfahrten, China

Elet es Irodalom (Ungarn), 24.04.2015

Nach einer geplanten Änderung im Hochschulwesen sollen weitere geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer (so z.B. Publizistik, Kommunikationswissenschaften, Internationale Beziehungen) ausschließlich an der von der gegenwärtigen Regierung gegründeten Nationalen öffentlich-rechtlichen Universität angeboten und der Zugang verschärft eingeschränkt werden. Die Pläne führten zu erneuten Studentenprotesten. Der Jurist und Bildungsexperte János Szüdi meint dazu: "Dieser Schritt steht im Einklang mit der Praxis der vergangenen Jahre, die wie folgt zusammengefasst werden kann: Der Staat muss nicht fragen. Der Staat weiß, für welche Aneignung von welchem Wissen öffentliche Gelder ausgegeben werden sollen. Was dem Staat nicht wichtig ist, soll anderen auch nicht wichtig sein. (…) Es mag seltsam erscheinen, aber er will, dass sich der Bildungsstand des Landes nicht erhöht. Er geht davon aus, dass je weniger Menschen lernen können, desto weniger verstehen sie die gesellschaftlichen Prozesse und desto weniger zweifeln sie die Schritte der Machthaber an. (…) Mit der Gründung der Nationalen öffentlich-rechtlichen Universität entstand die Basis, auf der die für den Staat benötigten und ausreichenden loyalen Fachkräfte ausgebildet werden können."
Stichwörter: Aneignung, Ungarn

New York Times (USA), 26.04.2015

Das aktuelle Magazin der New York Times macht sich auf, New York City aus der Fußgängerperspektive zu erleben. Das schließt auch die Tiere mit ein, Ratten, die sich entlang der Subwaylinien in nord-südlicher Richtung bewegen, Waschbären oder Füchse. Wie die Tiere ihren Weg in und durch die Stadt finden, beschreibt Ryan Bradley in einem Artikel, und auch, wie eine neue ökologische Infrastruktur dazu beitragen kann: "Die Tiere kommen, wenn wir sie lassen. Nord-Manhattan hat sechs große Parks und ist durch fünf Brücken mit Wäldern in New Jersey, der Bronx und den bewaldeten Vororten weiter draußen verbunden. In den letzten Jahren haben Waldmurmeltiere aus dem Norden ihren Weg nach Manhattan gefunden. Sie verlassen die Vororte aus dem gleichen Grund wie die Ratten einst: Überbevölkerung. Mit dem Verschwinden stadtnaher Landwirtschaft sind die Wälder zurückgekommen und mit ihnen die Wildtiere, ein natürlicher Verbreitungsprozess. Dank einer Reihe von Maßnahmen in der Landschaftsplanung werden die Wälder im Hochland um den Hudson herum bald miteinander verbunden sein und ein Uferweg vom nördlichsten Punkt Manhattans wird bis runter zum Battery Park führen - eine großartige Strecke für Radfahrer und Läufer und ein neuer Weg für alles Wilde, was da von Norden kommt. Ein Wiesel, das sich auf Nagetiere spezialisiert hat, wurde kürzlich in der Bronx gesichtet, ungewöhnlich, doch es könnten noch viel mehr werden." Für New Yorks Ratten vielleicht gar keine so gute Nachricht.
Archiv: New York Times