Magazinrundschau

Prekaristokratie

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
05.05.2015. Der Atavist erzählt, wie Musik die Menschen in Mali zusammen- und Religion sie wieder auseinanderbrachte. Friedrich Wilhelm Graf geißelt im Merkur die Übergriffigkeit von Staat und Kirchen auf das Lebensende des Einzelnen. New Yorker, New York Times und The Marshall Project befassen sich mit Polizeigewalt und Rassismus in den USA. Wired erzählt die Geschichte der Onlineplattform Silk Road als packenden Thriller. Im Guardian denkt Julian Barnes darüber nach, warum die Geschichte der Literatur viel weniger linear verläuft als die der Kunst. Und in La vie des idées erklärt Amos Gitai, warum das Kino viel autoritärer ist als die Literatur.

Eurozine (Österreich), 22.05.2015

Recht harsch liest sich Lukasz Pawlowskis Gespräch mit Anne Applebaum aus Kultura Liberalna, das auf Englisch in Eurozine erscheint. Die beiden analysieren das Paradox der russischen Stärke, die aus einer Schwäche erwächst: Putin ist auch Krisentreiber, weil ihn die Krise im eigenen Land vor sich hertreibt. Aber "ein kranker Mann mit Kanone ist immer noch ein Mann mit Kanone. Wenn Putin auf dem Weg nach unten beschließt, dass nur eine reale Krise ihn an der Macht halten kann, wird er das tun. Wir hoffen, dass er seine Macht verliert, bevor er etwas wirklich Schreckliches tut. Wenn wir Glück haben, läuft das so. Wenn nicht, können Spannungen jenseits unserer Vorstellungskraft entstehen."

Außerdem neu in Eurozine: Mikhail Rozhanskiy schreibt über die wirtschaftliche Bedeutung Sibiriens für Russland, die sehr zwiespältig gesehen werden kann. Und Manuel Arias Maldonado macht sich auf die Suche nach den ideologischen Wurzeln der stark von Politologen gepägten Podemos-Bewegung in Spanien.
Archiv: Eurozine

The Marshall Project (USA), 29.04.2015

David Simon hat nicht nur die großartige, in Baltimore spielende HBO-Serie "The Wire" geschrieben, sondern war zuvor auch viele Jahre als Polizeireporter vor Ort tätig. Schon deshalb ist er im Angesicht der Aufstände, die Baltimore nach dem gewaltsamen Tod von Freddie Gray heimgesucht haben, ein idealer Auskunftgeber. Bill Keller hat sich in aller Ausführlichkeit mit dem Autor unterhalten. Warum die Polizei trotz sinkender Verbrechenszahlen vor Ort zwar brutaler, dabei aber auch insbesondere hinsichtlich der Aufklärung schwerwiegender Verbrechen deutlich ineffizienter geworden ist, erklärt er damit, dass die Brennpunkte gewissermaßen zum Besatzungsgebiet erklärt wurden - an dem sich die Polizisten bereichern: "Es gibt keinen Anreiz, als Ermitler, als Polizist besser zu werden. Es gibt keinen Grund, Verbrechen zu lösen... Wenn Du Überstunden dafür zahlen willst, dass die Polizei die Gefängnisse mit Leuten füllt, die herumlungern oder bloß Drogen besitzen, ohne sie rechtzeitig weggeschmissen zu haben, wenn Du also dafür Gemeindegeld ausgeben willst, dann wird der Polizist pro Monat sieben bis acht Gerichtstermine haben - und Gerichtstermine sind immer Überstunden - und damit sein Gehalt nahezu verdoppeln. Der Polizist aber, der andererseits tatsächlich seinen Posten bezieht und ermittelt, wer dort die Häuser ausräumt, hat am Ende des Monats vielleicht nur eine Festnahme vorzuweisen. Es mag eine berechtigte Festnahme sein, die die Ecke sicherer macht, aber er geht nur an einem Tag zum Gericht und ist nach zwei Stunden fertig. Man schafft es also nicht, den Polizisten, der tatsächlich Polizeiarbeit leistet, zu belohnen. Noch schlimmer, bei der nächsten Beförderungsrunde schaut man in den Computer und sagt: Wer reißt hier am meisten? Und dann sagt man, hey, der eine hat 80 Leute hinter Gitter gebracht und der andere nur einen. Was denken Sie wohl, wer von den beiden Sergeant wird?"

Linkiesta (Italien), 03.05.2015

Linkiesta präsentiert zum Beginn der Expo ein ganzes Dossier über Mailand. Jacopo Colò unterhält sich mit der Bloggerin Bruna Gherner, die auch den Stadtführer "Milano Low cost" herausgibt und ein wenig erzählt, wie die Mailänder auf die Krise reagieren - nämlich "mit einer sehr starken Tendenz: Mailand ist ist wirklich die Hauptstadt des Selberproduzierens geworden. Es gibt Läden, die verkaufen Grundmaterial für diese Kleinproduzenten, Wolle zum Stricken, Materialien für Schmuck. Das gab es vor drei, vier Jahren noch nicht, ein unglaublicher Boom. Und dann gibt es diese vielen kleinen Märkte wie die Pulci Pettinate, den Markt der "kreativen Boutiquen"."
Archiv: Linkiesta
Stichwörter: Expo, Expo 2015, Mailand, Schmuck, Stricken

Merkur (Deutschland), 03.05.2015

Aus der Perspektive eines echten Protestanten, der mit dem Gewäsch evangelischer Kirchenfunktionäre (und gar schon der katholischen) nichts anfangen kann, knöpft sich Friedrich Wilhelm Graf den Diskurs der deutschen Kirchen zum "assistierten Suizid" vor, der von den meisten Deutschen befürwortet wird, während die Kirchen ihn auch aus Lobbyinteresse als größte Arbeitgeber Deutschlands bekämpfen (pdf-Link). In den Niederlanden, England und Frankreich argumentierten protestantische Geistliche anders: "Sterben sei ein existentieller, privater Vorgang am Lebensende des Einzelnen, und deshalb hätten weder der Staat ein rechtliches, noch die Kirchen ein ethisches Mandat, freien Bürgern vorschreiben zu wollen, wie sie denn sterben wollen, weshalb die reformierten Kirchen in der Schweiz den assistierten Suizid befürworteten. Hier wird auf hohem theologischen Reflexionsniveau die notorische Übergriffigkeit von Staat und Kirchen delegitimiert. Insofern ist es erneut nur eine Lüge, wenn katholische wie zahlreiche protestantische "Kirchenführer" der deutschen Öffentlichkeit zu suggerieren versuchen, es gebe so etwas wie "die christliche Stimme" in Europa oder gar "das christliche Menschenbild"." Dennoch, so Graf, werden sich die Kirchen im Bundestag durchsetzen, wo das Recht auf ärztlich assistieren Suizid kassiert werden soll.
Archiv: Merkur

Wired (USA), 05.05.2015

Breaking Bad im Internet? Wired bringt den ersten Teil von Joshuah Bearmans großer Reportage über die Gründung und Zerschlagung von Silk Road, jener von 2011 bis 2013 aus dem anonymen Darknet heraus operierenden Onlineplattform für Drogen- und Waffenhandel. Und der stark mit literarischen Mitteln arbeitende Text liest sich wirklich so kurzweilig wie ein guter Thriller - dabei handelt es sich ja bislang nur um die Exposition. "Da jede Abteilung darum bemüht war, ihre Flagge aufs Feld zu setzen, wuchsen sich die Ermittlungen zu einem enormen bürokratischen Kampf aus... Doch in dem bürokratischen Geäst der US-Regierung ist die Zuständigkeit für Internetkriminalität nicht eindeutig geklärt. Es handelt sich um einen im Wachsen begriffenen Bereich, der die Finanzmittel zur Verbrechensbekämpfung füllt, was wiederum Egos und die Politik anzieht. Silk Road kam hier die Rolle der neuen Frontier des Verbrechens zu, eines Wilden Westens des digitalen Zeitalters. Wie bereits die ursprüngliche Frontier, wollte Washington auch diese einzäunen - und wer immer das Gesetz über die Gesetzlosen bringen würde, würde als Held gefeiert werden. Bändige die digitale Frontier und ein Orden wartet auf Dich, weshalb sich der Silk-Road-Fall zur größten Online-Menschenjagd der Geschichte mauserte."
Archiv: Wired

Guardian (UK), 02.05.2015

Julian Barnes denkt über die Kunst, das Leben und den Thrill nach und muss feststellen, dass es in der Literatur so viel weniger Ordnung gibt als in der Kunst, die ihn dabei fast noch mehr fesselt: "Der Weg aus dem Realismus heraus lässt sich, wie es scheint, leichter in der Malerei verfolgen als in der Literatur. In einem Museum geht man von einer Galerie in die nächste und folgt einem offenbar linearen Narrativ: von Courbet zu Manet, Monet und Degas, zu Cézanne und dann zu Braque und Picasso - und schon ist man da! In der Fiktion scheint alles kompliziert und weniger linear, mit etlichen Rückbezügen. Wenn der erste große europäische Roman "Don Quixote" war, dann machen seine seltsamen Vorkommnisse, seine Verzwicktheit und narrative Reflektiertheit ihn zugleich auch modern, postmodern und magisch realistisch. Wenn dann aber der erste große moderne Roman "Ulysses" war, wie kommt es, dass seine besten Stellen die realistischsten sind, jene, die das alltägliche Leben am besten einfangen?"

Will Self erklärt, warum er jetzt nach Jahrzehnten sozialistischer Allüren zum ersten Mal Labour wählen will: Wegen Oscar Wilde und der Erkenntnis, dass sein eigenes Leben als schriftstellernder "Prekaristokrat" so komfortabel war, weil es der Arbeiterschaft so schlecht geht: "Wilde schrieb: "Egoismus besteht nicht darin, dass man sein Leben nach seinen Wünschen lebt, sondern darin, dass man von anderen verlangt, dass sie so leben, wie man es wünscht.""
Archiv: Guardian

LA Weekly (USA), 29.04.2015

Ausgerechnet das sich so progressiv und liberal gebende Hollywood legt eine enorme Ungleichbehandlung von Frauen an den Tag, berichtet Jessica P. Ogilvie in einer umfangreichen, mit vielen Daten gespickten Reportage aus dem Herzen der Industrie. Machen Frauen etwa schlechtere Filme? Mitnichten, wenn man den Blick auf das prestigeträchtige US-Festival Sundance wirft: "Nachdem ihre Filme dort und auf anderen Festivals im Wettbewerb liefen, klopfen bei den Männern, die Preise gewonnen haben, die Großen Sechs an, ob sie nicht Filme für sie drehen wollen: Disney, Universal, Warner Bros., Paramount, Sony und 20th Century Fox. Die preisgekrönten Filmemacherinnen werden hingegen weitgehend ignoriert... Von allen Filmen, die zwischen 2009 und 2012 für Sundance eingereicht wurden, wurden 20,7 Prozent von Frauen gedreht. Doch waren jene Frauen, die in den Wettbewerbssektionen der Top-Festivals konkurrierten, mit den Männer gleichauf, was Preise betrifft. "Frauen schlagen sich hier genauso durch", sagt Keri Putnam vom Sundance Institute. Doch Hollywoodproduzenten und deren Assistenten scheinen davon keine Notiz zu nehmen. Kaum einer dieser Frauen werden von den Studios Filme angeboten."

Archiv: LA Weekly

La vie des idees (Frankreich), 01.05.2015

"Das Kino ist viel autoritärer als die Literatur", erklärt der israelische Regisseur Amos Gitai in einem Gespräch mit Marie-Pierre Ulloa, in dem es auch um die Adaption von Romanen in seinen Filmen geht. "Die Literatur braucht das Kino nicht. Im Gegensatz zum Kino entfaltet sie sich auf mehreren Schichten. In der Literatur hat man kein fixes, starres Bild, das versucht, den Text auszukleiden. Der Leser kann ihn auf vielerlei Arten selbst ausstatten. Da ist das Kino autoritär. Ich sage jedes Mal zu den Autoren, die ich adaptiere: Ich habe keine Lust, deinen Text zu illustrieren, weil er es verdient, für sich allein zu stehen. Bei einer solche Adaption geht es um einen Dialog zwischen zwei autonomen Disziplinen mit jeweils eigener Stärke. Ich leiste eine Interpretationsarbeit: Inhaltlich bleibe ich einem Werk sehr treu, aber nicht unbedingt formal."

Fusion (USA), 27.04.2015

Ein konspiratives Treffen von Jacob Appelbaum, Ai Weiwei und Laura Poitras, die zwischendurch auch noch per Cryptofon bei Julian Assange durchklingeln? Ein Albtraum für sämtliche Geheimdienste in Ost und West - doch statt Agenten wohnte dem Treffen lediglich Kashmir Hill bei, die davon ausführlichen Bericht erstattet: "Ich war nach China gekommen, um Ai, Appelbaum und Poitras bei einer künstlerischen Meditation zum Thema Überwachung zuzusehen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie einander überwachen würden. Fast die gesamte Zeit über trugen die drei Kameras mit sich, wobei Ai und Appelbaum einander ständig völlig ungeniert knipsten. ... "Ich frage schon gar nicht mehr nach, ob ich Fotos schießen darf", sagt Ai, "Unsere Konterfeis werden in der Stadt ohnehin ständig aufgezeichnet, 100 mal am Tag. Im Hinterkopf weiß man stets, dass man die ganze Zeit aufgenommen wird." ... Die beiden haben auch unterschiedliche Auffassungen von persönlicher Privatsphäre. Ai, der davon überzeugt ist, dass sein Telefon verwanzt ist (...), glaubt nichtsdestotrotz, dass ihn schon das schiere Datenvolumen seiner Selbstdokumentation schützen wird, wenn er die Polizei mit Informationen überflutet. "Ich glaube nicht, dass man sich der Überwachung entziehen kann", sagt er, "Es entwickelt sich wie ein kalter Krieg. Sie unternehmen einfach größere Anstrengungen. Ich bin derjenige ohne Geheimnisse. Sie haben Geheimnisse. Nur weil sie Geheimnisse haben, stellen sie sich vor, dass alle anderen auch welche haben.""
Archiv: Fusion

New Yorker (USA), 11.05.2015

Zusammen mit John Chisholm, dem Staatsanwalt von Milwaukee, untersucht Jeffrey Toobin, was sich gegen die massenhafte Inhaftierung von Afro-Amerikanern und ethnische Ungerechtigkeit in US-Gefängnissen tun lässt: "Als Chisholm 2007 sein Amt antrat, hatte das "Vera Institute of Justice", eine in New York ansässige Forschungsgruppe, soeben damit begonnen, den Rassismus in der Bezirksstaatsanwaltschaft von Milwaukee zu untersuchen. Über mehrere Jahre ließ Chisholm die Wissenschaftler seine Kollegen befragen und Akten einsehen. Die Ergebnisse waren erschreckend: Die Staatsanwälte von Milwaukee lehnten die strafrechtliche Verurteilung wegen Drogenbesitzes ab bei 42% aller weißen Festgenommenen bei nur 27% aller schwarzen Festgenommenen; bei Prostitutionsdelikten wurden schwarze Frauen eher verurteilt als weiße; bei Beamtenbeleidigung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt waren 77% der Verurteilten Schwarze."

Außerdem: Peter Canby besucht die von brutalen Wilderern bedrohten Elefanten im Bouba-Njida National Park in Kamerun. Calvin Tomkins porträtiert den antizyklisch arbeitenden Bildhauer Charles Ray. Und Louis Menand macht uns mit der Empfindlichkeit Saul Bellows bekannt.
Archiv: New Yorker

Atavist (USA), 05.05.2015

Joshua Hammer erzählt die Geschichte zweier Freunde in Mali, die durch Musik zusammenfanden und von der Religion wieder getrennt wurden. Mohamed Aly Ansar, Malier, Tuareg, Jurist, hat jahrelang ein bald international bekanntes Musikfestival in der malischen Wüste organisiert. Inspiriert hatte ihn dazu Iyad Ag Ghali, Tuareg, Krieger, Musikliebhaber und erfolgreicher Vermittler in Konflikten mit den Tuareg - bis er sich von pakistanischen Missionaren zum radikalen Islam bekehren ließ. 2012 "erklärte Ghali den Musikern aus dem Norden den Krieg, weil sie seiner Ansicht nach eine Bedrohung für den islamischen Staat darstellten, den er schon fast gegründet hatte. Die Mitglieder der Tuareg-Band Tinariwen flohen nach Kalifornien. In Niafounké, einer Oasenstadt, deren Name auch der Titel eines Albums des Desert-Blues-Meisters Ali Farka Touré ist, drohten Ghalis Kämpfer den Protegés des Sängers die Finger abzuhacken. Im Sommer 2012 zerstörten Militante von Ghalis islamistischer Rebellentruppe Ansar Dine das Studio Khaira Arbys, einer populären Diva, halb Tuareg, halb arabisch, die als "Nachtigall des Nordens" bekannt ist, und drohten ihr die Zunge abzuschneiden, wenn sie sie erwischten. Einige Wochen später zerstörte Ansar Dine das Haus von Ahmed Ag Kaedi, dem Tuareg-Gitarristen der Band Amanar aus Kidal. Mit besonderer Sorgfalt nahmen sie sich seiner Gitarren an, die sie mit Benzin übergossen und in Brand steckten. Die Militanten setzten einen Scharia-Gerichtshof im Hotel La Maison ein, wo Bono während des Festival drei Wochen zuvor gewohnt hatte."
Archiv: Atavist

Nepszabadsag (Ungarn), 02.05.2015

Im Interview mit György Vári spricht der Schriftsteller László Végel über Minderheitenliteratur und die Probleme der Urbanität und Modernität in Ungarn: "Der Emigrant Sándor Márai, wohl der entschieden urbanste ungarische Schriftsteller, war mir immer nah. Emigration und Minderheitenstatus sind tief verwandte Situationen. Wer die tägliche Erfahrung des fremden Sprachraums nicht hat, dass jede Sache mindestens zwei Namen hat, verliert diesen Stil… Budapest ist in Ungarn vereinsamt und zum Ghetto der Modernität geworden. Márai mochte (Buda)Pest nicht, er dachte, dass es keine organische bürgerliche Tradition hat. Fast alle Schwächen der ungarischen Urbanität können hierauf zurückgeführt werden."
Archiv: Nepszabadsag

New York Times (USA), 04.05.2015

Im aktuellen Magazin der NY Times stellt Jay Caspian Kang eine neue Bürgerrechtsbewegung vor, die sich seit den Ereignissen in Ferguson immer stärker zu Wort meldet und die er die "beeindruckendste US-amerikanische Protestbewegung im 21. Jahrhundert" nennt: "Ihre Stärke besteht darin, die Macht der sozialen Medien mit ihren schonungslos Konsens herstellenden hashtags, der Followerkultur, den riesigen Netzwerken, die eine rasche Verbreitung von Dokumenten, Fotos und Videos erlauben, mit der Fähigkeit zu verbinden, blitzschnell Proteste genau dort zu mobilisieren, wo ein Polizist einen Schuss auslöst. Viele halten Online-Aktivismus für oberflächlich und kurzlebig, aber diese Bewegung bleibt an dem Thema dran und erreicht Millionen Menschen. In der afro-amerikanischen Bevölkerung mit ihrer langen Erfahrung in Sachen Polizeigewalt hat das vergangene Jahr Wut und Verzweiflung geschürt. Ganz Amerika kennt die Namen der Opfer - Eric Garner, Tamir Rice, Tony Robinson, Walter Scott, Freddie Gray -, weil die Aktivisten diese Schicksale in unseren Köpfen miteinander verbunden haben, auch wenn sie sich Wochen und Hunderte Kilometer voneinander entfernt zutrugen. Die Bewegung hat geholfen, Sensibilität für ein wiederkehrendes Problem zu entwickeln, das bis vor kurzem weitgehend im Verborgenen ablief. Statistiken in diesem Bereich sind mager, aber es ist nicht davon auszugehen, dass Erschießungen von Afro-Amerikanern durch die Polizei zurzeit bedeutend höher liegen als sonst. Dank der Sensibilisierung durch die Bewegung sind solche Taten neuerdings dennoch ein Topthema in den Medien."

Außerdem liefert David Stout in der Times einen Nachruf auf die Schriftstellerin Ruth Rendell, die Samstag im Alter von 85 Jahren in London gestorben ist.
Archiv: New York Times

Marianne (Frankreich), 01.05.2015

Für "auf der Stelle anwend- und einsetzbar" hält Bernard-Henri Lévy Carolin Fourests Essay "Eloge du blasphème", ihr Loblied auf die Blasphemie, das die feministische Schriftstellerin und Journalistin vier Monate nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo veröffentlicht hat. Man solle dafür "alles stehen und liegen lassen", um - unter anderem - zu verstehen, "dass die, die es wagen zu sagen, Charlie "habe es ja nicht anders gewollt", genau solche Spießer sind wie die, die nachdem eine Frau vergewaltigt wurde, sagen "ihr Rock war zu kurz"." Zum Nachlesen: Das Magazin Marianne bringt einige Auszüge aus Fourests Essay. Darin setzt sie sich kritisch mit der Verantwortung der sozialen Medien auseinander und begrüßt, dass etwa Twitter und Facebook trotzt Drohungen Profile von IS-Dschihadisten gelöscht haben. Man müsse unbedingt auch weiterhin auf sie einwirken, um "im Sinne des Schutzes von Privatangelegenheiten weiterzukommen... Andernfalls werden nicht regulierte sozialen Netze auch weiterhin der Bigotterie Vorschub leisten, indem sie als Ventil zum Abreagieren einer fanatischen Gewalt dienen, die unsere Realität längst überschwemmt."
Archiv: Marianne

iDNES (Tschechien), 29.04.2015

Ondřej Bezr fragt in iDNES.cz, dem Onlineauftritt der Tageszeitung Mladá fronta dnes, danach, wie es die Tschechen eigentlich mit dem E-Book halten. Und findet heraus, dass der Anteil der verkauften elektronischen Bücher am gesamten Buchgeschäft bei den meisten Verlagen lediglich zwei Prozent ausmacht. Am ehesten verkauften sich Kriminalromane in der elektronischen Form, da diese ohnehin mehr als "Verbrauchsliteratur" verstanden würden. Das E-Book ersetze dabei zunehmend das Taschenbuch. Offenbar bleiben die Tschechen aber weiterhin klassische Papierliebhaber. "Für die Verleger ist die Herausgabe elektronischer Bücher bislang noch eher ein Hobby als eine reale Erwerbsquelle", wie Jiří Michek, der Chef des größten nationalen online-Versands Kosmas, meint.
Archiv: iDNES