Magazinrundschau

Ersatzobjekte für den Klassenkampf

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
18.08.2015. In Guernica taut Etgar Keret das Hebräische auf. n+1 fragt: Warum recherchieren Journalisten kaum noch? In El Pais Semanal erklärt der argentinische Sojakönig Gustavo Grobocopatel, warum Kapitalismus gut ist für die Demokratie. In The New Inquiry erklärt Yahdon Israel, wie schwierig es ist, schwarz und man selbst zu sein. Walter Lacqueur erzählt in Tablet, wie die Frankfurter Schule 1942 am Holocaust vorbei schaute. Die NYT beschreibt die Politik der sexuellen Versklavung in den Territorien des IS.

Guernica (USA), 17.08.2015

Der israelische Schriftsteller Etgar Keret erzählt in einem lebhaften Interview von seinen Eltern, Holocaust-Überlebenden, seinem ersten Sohn und der politischen Situation in Israel. Und er erklärt, warum Kritiken seiner Bücher in Israel fast immer von seiner Sprache handeln, in anderen Ländern dagegen von seinen Protagonisten. Das habe mit dem Hebräischen zu tun, einer praktisch unübersetzbaren Sprache, die 2000 Jahre lang in der Schrift eingefroren war, bis man sie wieder zu sprechen begann: "Wenn Shakespeare heute hierher käme und uns sprechen hörte, würde er kein Wort verstehen, aber wenn Abraham oder Isaak in Israel in ein Taxi steigen würden, könnten sie sich mit dem Taxifahrer unterhalten. Er würde sie verstehen, denn die Sprache hat sich organisch nicht verändert. Sie war gefroren, wie gefrorene Erbsen, frisch aus der Bibel. Wir importieren Wörter aus anderen Sprachen und geben ihnen eine israelische Verbform. Für Kokain zum Beispiel sagen wir im Hebräischen lesniff. Wir haben viele solcher Wörter aus dem Russischen oder dem Arabischen. Wenn man umgangssprachliches Hebräisch spricht, wechselt man die ganze Zeit die Register. In einem typischen Satz sind drei Wörter biblisch, eins russisch und eins yiddisch. Diese Verbindung von Hoch- und Vulgärsprache ist sehr natürlich, die Leute tun das die ganze Zeit. Wenn meine Arbeiten übersetzt werden, fragen mich meine Übersetzer immer: Hoch oder runter? Was bedeutet, soll es biblisch und gebildet klingen oder umgangssprachlich. Im Hebräischen ist es immer beides."
Archiv: Guernica

n+1 (USA), 17.08.2015

Im Mai behauptete Seymour Hersh in einem großem Report in der LRB, dass Osama bin Laden nicht von der CIA über erfolgreiches Foltern in Guantanamo aufgespürt worden war, sondern dass er von der pakistanischen Regierung seit 2006 in Abottabad gefangen gehalten und 2011 bei der SEAL-Operation in Absprache mit Islamabad getötet wurde. Dass abgesehen von der NYT-Korrespondentin Carlotta Gall fast alle Journalisten Hershs Version beiseite wischten, ohne selbst zu recherchieren, zeigt für n+1, wie wenig Journalisten noch ihre Rolle kennen - und das in Zeiten von Edward Snowden: "Eine Aufgabe von Journalisten ist es, verrückte Verschwörungstheorien zu entlarven, doch eine andere, schwierigere Aufgabe ist, die wahren Verschwörungen aufzudecken. In den 60er und 70er Jahren förderte die allgemeine Skepsis gegenüber den amerikanischen Abenteuern in Südostasien eine umfassende Kultur des Widerspruchs und der Recherche und ein Goldenes Zeitalter des investigativen Journalismus. Als der Kalte Krieg vorbei war, änderte sich die öffentliche Meinung und der Journalismus fiel in seine bequeme Position auf dem Diwan des amerikanischen Triumphalismus zurück. Zeichen dieser neuen Konformität waren bereits Anfang der neunziger Jahre zu erkennen, die Kontroverse um Gary Webbs Serie "Dunkle Allianz" in den San Jose Mercury News bildete sozusagen den Vorgänger der Affäre Hersh. Webb, ein Anhänger der paranoiden Schule des investigativen Journalismus, behauptete, dass Geld für die Contras nach Nicaragua floss, das aus Drogengeschäften der CIA in Kalifornien stammte. Anstatt Webbs Berichten nachzugehen, die sich im Laufe der Zeit als absolut richtig erwiesen, gab es unablässig Versuche, Webbs Charakter und seine Methoden zu diskreditieren. Der Subtext war eindeutig: So etwas tun wir nicht mehr, das Zeitalter der Verschwörungen ist zu Ende. Geächtet und ohne Aussicht, bei einer größeren Zeitung Arbeit zu finden, nahm sich Webb schließlich das Leben."
Archiv: n+1

El Pais Semanal (Spanien), 15.08.2015

Im Interview mit dem argentinischen "Sojakönig" Gustavo Grobocopatel präsentiert die Journalistin Leila Guerriero das faszinierende Porträt eines Menschen mit hundertprozentig geschlossenem kapitalistischem Weltbild. "Grobo" bewirtschaftet gigantische Monokulturen mit genetisch veränderten Pflanzen und Unmengen hochgiftiger Unkrautvernichtungsmittel - "dass die Vernichtungsmittel giftig sind, ist bisher nicht wissenschaftlich bewiesen, und Fruchtfolge durchzusetzen, wäre Aufgabe des Staates, aber der tut nichts." Mittlerweile sind 53 Prozent der Anbauflächen Argentiniens Sojamonokulturen. "2008 lud mich der kommunistischen Agrarführer Juan Carlos Alderete zu sich nach Hause ein, um über die aktuelle Finanzkrise zu sprechen, die für ihn das Ende des Kapitalismus anzuzeigen schien. Ich sagte ihm, dass es mir eher nach einer Kursanpassung aussah, die den Beginn eines noch stärkeren Kapitalismus einleitete." Grobocopatel schuf sein Agrarimperium, in dem er das bisherige Geschäftsmodell auf den Kopf stellte: "Landwirtschaft ohne Land, ohne Kapital und ohne Arbeit: Ohne Land, weil du es bloß mietest; ohne Arbeit, weil du die Arbeit "auslagerst"; und ohne Kapital, weil man es dir leiht. Ob wir dieses Konzept erfunden haben, weiß ich nicht, aber keiner hat diese Idee so weit getrieben. Dieses Modell demokratisiert den Zugang zum Geschäft, du brauchst kein Sohn von Landbesitzern mehr zu sein, unterschieden wird jetzt nur noch zwischen denen, die sich anpassen, und denen, die das nicht tun - und verlieren. Jedenfalls gab es noch nie in der Geschichte eine so gute Zeit und einen so guten Ort, um landwirtschaftliche Geschäfte zu betreiben und nützlich für die Gesellschaft zu sein."
Archiv: El Pais Semanal

New Inquiry (USA), 10.08.2015

Offenbar sind die Reflexionen über Identität und Hautfarbe um einiges komplexer als die Diskussionen um Identität und Geschlecht, wie die Debatte um Rachel Dolezal zeigte. Inzwischen beschäftigen sich neue Artikel mit dem Thema: Ta-Nehisi Coates" Brief an seinen Sohn in The Atlantic oder der Publizist Yahdon Israel, der hier am Beispiel seiner eigenen Familie die komplizierten Beziehungen der Afroamerikaner zu Afrikanern beschreibt und erklärt, warum das Wort "Nigga" niemals eine positiv oder neutrale Bedeutung gewinnen kann (im Gegensatz etwa zu "Schwuler"): "Indem ich beobachtete, wie Schwarze dieses Wort benutzten, lernte ich den Unterschied zwischen der Nigger der Welt sein und sein eigener Nigger sein. ... Niemand, der dieses Wort benutzte, konnte etwas über einen anderen sagen, das er nicht über sich selbst sagen würde. Das verstand ich immer besser, je öfter ich das Wort benutzte. ... Ton, Tenor und Tempo der Gespräche zeigte, dass es nie um andere Leute ging; es ging wirklich um einen Selbst. Das Wort verschmolz derart mit meiner Persönlichkeit, dass ich es kaum noch wahrnahm. Was mir auffiel, war seine sogenannte Abwesenheit. Diese "Abwesenheit" zeigte sich immer, wenn ich mit weißen Jugendlichen zusammen war, die das Wort nicht nur benutzen, sondern dafür auch noch meine Erlaubnis dafür wollten. Ich hatte bis dahin geglaubt, Nigga sei jeder. Deshalb bedeutete die Tatsache, dass ich um Erlaubnis gefragt wurde, dass nur einige Leute es waren, andere nicht. Das war aufschlussreich."
Archiv: New Inquiry

Pitchfork (USA), 14.08.2015

Das neue Album von Dr. Dre (mehr dazu in unseren Kulturrundschauen), das zugleich den Soundtrack zum Film "Straight Outta Compton" über die Anfänge seiner alten Band N.W.A. darstellt, ist für Eric Harvey allemal ein Anlass, auf die ersten Jahre der Gangstarap-Pioniere um 1990 zurückzublicken. Seine Perspektive ist dabei so originell wie spannend: Ausgehend von Chuck Ds Diktum, dass Rap das CNN der schwarzen Bevölkerung darstelle, spiegelt Harvey die Ursprünge des harten Gangstarap von N.W.A. mit der etwa zeitgleich einsetzenden Fetischisierung des Begriffs "Reality" in vorrangig ein weißes Publikum addressierenden Unterhaltungsformaten. Harvey spricht daher auch lieber von "Reality Rap": "Was N.W.A. revolutionär - und in mancher Augen: gefährlich - machte, war die Art und Weise, wie sie "Reality"-Tropen verschmolzen und dabei ihre Geschichten über wahre Verbrechen verfertigten - Sendungen wie "Cops" und "America"s Most Wanted" nicht unähnlich, aber aus einer anderen Perspektive. Ihnen stand jede Menge Rohmaterial zur Verfügung. In den 80ern ... setzten sich VHS- und Hi-8-Handkameras durch, ähnlich wie eine Generation zuvor die Polaroidkameras. Private Spielereien wurden damit fernsehunterhaltungstauglich ("America"s Funniest Home Videos" begann im November 1989). Wichtiger für die Begegnungen zwischen schwarzer Bevölkerung und der Polizei war jedoch, dass Camcorder in Aussicht stellten, die Überwachung zu demokratisieren und ein Bewusstsein für bis dato unsichtbar gebliebenen Machtmissbrauch zu schaffen. Im Idealverfall könnten billige Videokameras objektiv jene Realität belegen, gegen die sich der Track "Fuck tha Police" poetisch auflehnte."
Archiv: Pitchfork

London Review of Books (UK), 27.08.2015

In seinem Buch "We Love Death as You Love Life" glaubt Raffaello Pantucci, dass für junge britische Dschihadisten in Großbritannien weder der Islam noch die prekäre Ökonomie die vorrangige Triebfeder sind, sondern der politische Groll gegen den Westen. Owen Bennett-Jones findet allerdings die Passagen am interessanten, die von der gestörten Identität jugendlicher Muslime in Rotherham handeln. Keiner von denen wisse richtig, ob er sich als Pakistaner, Muslim oder Brite ansehen solle: "Dieser Mix aus Islam, Pakistan, Indien, Asien und Großbritannien lässt viele nicht wissen, wohin sie gehören. Religionsschulen, sensastionsheischende Medien, ein segregierender Wohnungsbau und die Präsenz der English Defence League verstärken die Konfusion. Wie erfolglos die bisherigen Versuche waren, dieses Problem zu lösen, zeigen die bemerkenswert vielen Berichte über tote Dschihadisten, die Tattoos englischer Fußballclubs trugen."

Weiteres: In einem kürzlich wiedergefundenen Text von 1946 erzählt die Kunstlehrerein Avies Platt, wie sie 1937 in London William Butler Yeats begegnete, und zwar bei einem Treffen der Sex Education Society. Jan-Werner Müller rechnet mit der europäischen Politik des "No Pain No Gain" gegenüber Griechenland ab.

Magyar Narancs (Ungarn), 17.08.2015

In vielen Windungen denkt der Politologe Zoltán Balázs darüber nach, ob die Moral es erfordert, Flüchtlinge aufzunehmen. "Die universellen Gebote (die Pflichterfüllung von Kant, das biblische Hauptgebot, die goldene Regel) sind eher ein Verhaltenskompass als axiomatische Prinzipien. Es ist nämlich leicht einzusehen, dass eine die Migration befürwortende moralische Argumentation in der Praxis nur dann funktionieren kann, wenn wir die Gesellschaft ernsthaft belasten, ohne sie vorher zu fragen. Damit schränken wir jedoch ihre Freiheit und Autonomie ein, was moralisch auch nicht korrekt ist. (...) Umgekehrt: Wissen wir bestimmt, welche moralischen Risiken die Migration mit sich bringt? Und wenn ja, belassen wir es bei der Hoffnung, dass die universellen moralischen Prinzipien, wie die Gleichheit, die Würde des Menschen etc. die Bürger automatisch leiten werden?"
Archiv: Magyar Narancs

Nepszabadsag (Ungarn), 15.08.2015

Das manche Migrationsbewegungen offenbar akzeptierter sind als andere zeigt ein Artikel des Politologen László Lengyel, der feststellt: "Die Krise zeigte mehr oder weniger deutlich, dass die nord-west-europäische Lebensform - Sicherheit, Ruhe, berechenbare Zukunft, hohe Bildungs- und Gesundheitsstandards, Reisefreiheit, Gleichberechtigung, Umweltbewusstsein usw. - attraktiv ist und, wie zuvor die amerikanische, als Magnet die modernisierungswilligen jungen Eliten aus Süd- und Ost-Europa anzieht. Die portugiesische und litauische, die spanische und ungarische, die italienische und russische, die polnische und rumänische junge Generation sieht ihre Zukunft nicht im jeweils eigenen Land, sondern in London, Berlin, Kopenhagen oder Stockholm."
Archiv: Nepszabadsag

Tablet (USA), 10.08.2015

Walter Laqueur, Autor des Buchs "The Terrible Secret" (1981), beschäftigt sich mit neuen Aspekten zur Frage, was der Westen wann über den Holocaust wusste und wie er es verarbeitete. Im Grunde war von 1942 an alles bekannt - es verbreitete sich nur nicht. Nebenbei macht Laqueur klar, dass etwa auch die Forscher der Frankfurter Schule mit den Informationen nichts anzufangen wussten: "Franz Neumann schrieb in dieser Zeit "Behemoth", die "definitive Analyse des Dritten Reichs" nach den Worten C. Wright Mills", der das Buch rezensierte. Es handelte von Profitmotiven und der ökonomischen Struktur des Systems, den Beziehungen zwischen Industrie- und Finanzkapital und anderen wichtigen Fragen. Aber es war kaum in der Lage, Licht auf das Schicksal der jüdischen oder anderer Opfer des Regimes zu werfen, denn es gab keine offensichtliche Verbindung zwischen Profitmotiven, der ökonomischen Struktur des Regimes und Auschwitz. Nach Neumann waren Rassismus und Antisemitismus nur Ersatzobjekte für den Klassenkampf. Die Juden waren als Sündenböcke für alles "Böse" in Deutschland extrem wertvoll, und schon darum würden die Nazis nicht zu einer Politik der totale Auslöschung greifen."
Archiv: Tablet

New Yorker (USA), 24.08.2015

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker konfrontiert uns Elizabeth Kolbert mit den harten Fakten des Klimawandels. Eine Erderwärmung unterhalb von zwei Grad Celsius? Nur wenn wir das übrige Drittel von einer Billion Tonnen der budgetierten Emissionen gerecht verteilen: "Wenn wir dem Trend folgen, wird dieses letzte Drittel innerhalb der nächsten Jahrzehnte aufgebraucht sein. Worum es in Paris eigentlich geht, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird, anderenfalls könnte man die Konferenz gleich abblasen, ist die Frage, wer die übrigen Tonnen verbrauchen darf … Eine Möglichkeit wäre, sie auf Basis der Gesamtemissionen zu verteilen, das würde bedeuten, dass große Emittenten wie die USA leer ausgehen. Andere Möglichkeit: Jeder bekommt genau den gleichen Anteil. Auch dann müssten die USA radikal reduzieren. Dritte Möglichkeit: Effizienz. Bereits gebaute Kraftwerke und Fabriken stillzulegen, ist teuer. Doch da die Erneuerbaren billiger werden, könnte Solarenergie besser sein als ein neues Kohlekraftwerk. Wenn Wachstum nicht länger an Emissionen gekoppelt ist, heißt das, ärmere Länder können auch ohne Kohle wohlhabend werden."

Außerdem: Malcolm Gladwell bricht eine Lanze für die Menschen, die New Orleans nach Katrina verlassen und ganz neu angefangen haben. Und Alice McDermott liefert eine Kurzgeschichte, auch zum Anhören, gelesen von der Autorin.
Archiv: New Yorker

The Atlantic (USA), 11.08.2015

Am Beispiel einiger medizinischer Artikel zeigt Joe Pinsker in Atlantic, dass Interessengruppen und Firmen immer öfter Einfluss auf die Inhalte der Internetenzyklopädie Wikipedia nehmen - ein schwieriges Thema in Zeiten, in denen die Zahl der Wikipedia-Freiwilligen zurückgeht. Obwohl sich inzwischen ganze Agenturen professionell mit der Schönung von Artikeln befassen, sieht"s Pinsker nicht so dramatisch: "Eine Menge Leute haben Ansichten, für die sie keine Belohnung erhalten und die sie dennoch zu ungeeigneten Wikipedia-Editoren machen. Ein Greenpeace-Aktivist wäre vielleicht nicht der unparteiische Autor einer Seite über die Kohleindustrie. Geld ist ein Indiz für mangelnde Informationsqualität, aber nicht der einzige."
Archiv: The Atlantic
Stichwörter: Greenpeace, Wikipedia

Novinky.cz (Tschechien), 12.08.2015

"Es genügt nicht, einen Diktator abzusetzen, die ganze Gesellschaft muss sich verändern", sagt der vielfach ausgezeichnete iranische Filmemacher Mohsen Makhmalbaf über den gescheiterten arabischen Frühling. Die neu aufgenommenen Beziehungen zwischen Iran und USA beurteilt er im Gespräch mit Štěpán Kučera "sehr positiv, solange sie wirklich die Beschränkung des iranischen Atomprogramms zur Folge haben. Das Entgegenkommen der iranischen Regierung ist reiner Pragmatismus, denn sie wissen, dass dem von weiteren westlichen Sanktionen belasteten Land Bürgerunruhen drohen würden. Aber auch so ein Pragmatismus ist noch besser als Kriegsführung." Eine mögliche Rückkehr nach Iran schließt der Exil-Londoner dennoch für sich aus. "Dabei habe ich mit Mitgliedern der gegenwärtigen Regierung zusammen im Gefängnis gesessen - damals kämpften sie für die Demokratie, heute sind sie schlimmer als der damalige Schah." Lässt sich Demokratie überhaupt in den Rest der Welt exportieren? Makhmalbaf ist skeptisch. Und er wagt einen Ausblick in die Zukunft: "Ich denke, dass diese Zivilisation ihrem Ende entgegengeht, aber ich glaube, dass der Mensch am Ende des Tunnels eine neue Lösung erblickt, und eine wichtige Rolle darin wird ausgerechnet die Kultur spielen, denn sie ist das Wesentliche, was uns von den Tieren unterscheidet."
Archiv: Novinky.cz

New York Times (USA), 16.08.2015

Sadismus lässt sich am besten religiös rechtfertigen. Die New-York-Times-Reporterin Rukmini Callimachi hat mit vielen Opfern gesprochen und erzählt in einer langen Recherche, wie die Vergewaltigungen jesidischer Mädchen von den IS-Milizen geradezu bürokratisch organisiert und mit Koran-Suren gerechtfertigt werden. Zugleich ist "die Praxis zu einem etablierten Rekrutierungsmittel geworden, um Männer aus tief konservativen muslimischen Gesellschaften anzuwerben, wo gelegentlicher Sex tabu und Rendez-Vous verboten sind. Ein wachsender Korpus interner Memos und theologischer Erörterungen dient dazu, Verhaltensregeln für Sklaverei zu schaffen, inklusive eines ausführlichen Handbuchs, das vom Forschungs- und Fatwa-Referat des Islamischen Staats herausgegeben wurde. Die Führung der IS-Milizen legt dabei eine enge Auslegung des Korans an den Tag, um Gewalt nicht nur zu rechtfertigen, sondern jeden sexuellen Akt als spirituell empfehlenswert und tugendhaft erscheinen zu lassen."

Weitere Artikel: Gideon Lewis-Kraus besucht ein knapp fünf Quadratkilometer großes Stück Niemandsland zwischen Kroatien und Serbien, wo der tschechische Politiker Vit Jedlicka sein libertäres, euroskeptisches Liberland gründen möchte. Auf Jodi Kantors und David Streitfelds große Reportage über die Arbeitsbedingungen bei Amazon haben wir heute morgen schon in 9punkt hingewiesen.
Archiv: New York Times