Magazinrundschau

Literarische Blauwale für postheroische Zeiten

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
01.11.2016. Angela Carter wollte gerne schreiben wie eine Stahlklinge am Schaft eines Penis. Polizisten mochten sie trotzdem, hat die LRB herausgefunden. Wesley Morris fragt unterdessen in der New York Times, warum im Film so gut wie nie die Penisse schwarzer Männer zu sehen sind. Auch En attendant Nadeau  interessiert sich für das Los schwarzer Bürger in den USA. Dank Brexit: Der Guardian erzählt, wie britische Tabloids von Papiertigern zu Tigern mutierten. Der Merkur stellt Ferrante in einen reizvollen Kontrast zu Knausgard. Laut János Kornai  in HVG lässt sich nichts mehr beschönigen: Ungarn ist eine Autokratie.

London Review of Books (UK), 03.11.2016

Jenny Turner hat Edmund Gordons Biografie über Angela Carter gelesen und erzählt gleich noch einmal selbst das aufregende Leben der britischen Feministin und Autorin nach, die sich ganz der politischen und sexuellen Revolution verschrieben hatte und als Autorin das Schreiben als öffentlichen Akt begriff: "Rick Moody erinnerte sich an seine erste Begegnung mit ihr in einem Seminar für Kreatives Schreiben: Hinten meldete sich ein junger Typ und fragte mit skeptischer Stimme, was ihr Schreiben denn nun wirklich sei. Es folgte einige Ähs und Öhs, dann antwortete sie: Meine Arbeit schneidet wie die Stahlklinge am Schaft eines Penis.' Rushdie erinnerte sich, dass die Polizisten, die ihn in Zeiten der Fatwa beschützten, sie von all seinen Freunden am liebsten mochten. 'Sie stellte immer sicher, dass sie versorgt wurden, etwas Gutes zu Essen bekamen und einen Fernseher.'"

Owen Bennett-Jones vergleicht die Terrortruppen Al Qaida und dem Islamischen Staat und stellt fest, dass der IS mit seiner direkten aggressiven Strategie militärisch erfolgreicher war als Osama bin Laden mit seinen Angriffen auf die USA. Das liegt laut Bennett-Jones aber auch daran, dass der IS viel Unterstützung bekam. Einerseits von Saddam Husseins alten Offizieren aus Militär und Geheimdienst, andererseits von etlichen Regierungen: "Der Iran hat Zarqawi im Irak unterstützt und toleriert, dass die Schiiten von ihm abgeschlachtet werden, weil er die effektivste Opposition zum amerikanischen Besatzung im Irak darbot. Syrien sah das ähnlich und erlaubte seinen Al-Qaida-im-Irak-Kämpfern die Grenzen zu überqueren. Eine der geleakten Depeschen von Hillary Clinton enthüllte, dass sie bis 2014 fürchtete, Katar und Saudi-Arabien würden heimlich dem IS finanzielle und logistische Hilfe gewähren. Auch die Türkei half beiden Organisation in Syrien in de Hoffnung, dass sie Assad vertreiben würden. Selbst Assad half ihnen. In der Annahme, dass die Dschihadisten nicht die Stärke aufbrächten, ihn zu stürzen, entließ er sie aus dem Gefängnis, kaufte ihr Öl und bombardierte die Freie Syrische Armee, während er die IS-Stellungen in Ruhe ließ. Assads Idee war, entweder den Amerikaner oder den Russen so viel Angst einzujagen, dass sie sein Regime verteidigen würden. Russland hat angebissen."

Elet es Irodalom (Ungarn), 31.10.2016

Bis zum 4. November - Tag der Niederschlagung der Revolution - laufen Veranstaltungen zum sechzigsten Jahrestag der Ereignisse von 1956 in Ungarn, wobei die Aussagen und Botschaften der staatlich organisierten Veranstaltungen und Veröffentlichungen auf wenige Schlagworte im Dienste des "Kollektivs der Nation" reduziert werden. János Széky geht der Frage nach, warum es schwierig ist, außer plakativen Aussagen eine fruchtbare Bedeutung für die Gegenwart oder gar für die Zukunft aufzuzeigen. "Seit 1989 bemüht sich die jeweilige Regierungsseite, ihr System irgendwie mit 56 zu verbinden, so dass sie außer der Ehrung der Helden etwas findet, das fortgesetzt werden kann. Doch 56 kann nicht fortgesetzt werden, nicht der Partisanenkampf, nicht die Arbeiterrevolte, nicht der demokratische Sozialismus und auch nicht die Ahnungslosigkeit in Militär- und Geopolitik (auch wenn die heutige Regierung sich anstrengt). Fürs Heldentum ließen sich Fortsetzungen denken, allerdings nicht um das Bestehende zu erhalten, sondern um es zu stürzen."

New Yorker (USA), 07.11.2016

In der neuen Ausgabe des New Yorker besucht Jiayang Fan den chinesischen Investor Liu Yiqian, der als Teil einer neuen kulturellen Revolution nicht nur Schanghais neuestes Museum eröffnet, sondern mit einem 170 Millionen teuren Modigliani auch das zweitteuerste Gemälde der Welt ersteigert hat: "Lius Kauforgie gehört zu den Entwicklungen, die das westlich orientierte Shanghai in ein globales Zentrum für die Kunst verwandeln. Aber es ist auch eine Demonstration kruder chinesischer Kaufkraft… Europäer gründeten in Schanghai die ersten Museen auf chinesischem Boden… Christliche Missionare erkannten, dass die Ausstellung von Tieren und Pflanzen die chinesische Bevölkerung für das Christentum einnahmen. In solchen Museen erkannten die Chinesen auch, dass China nicht die ganze Welt war, sondern nur ein abseits gelegenes Gebiet auf der Erdkarte. Die chinesische Elite zeigte allerdings kein Interesse daran, auf diese Weise die Massen zu unterhalten und zu erziehen. Unter den Kommunisten war Kunst dann vor allem Propagandamittel. Erst in den 1980er Jahren begann man in China, Museen als Mittel zu sehen, die Lebendigkeit chinesischer Kultur zu bewerben; die Zahl der Museen wuchs von 21 im Jahr 1949 auf 4000 im Jahr 2016."

Außerdem: Rebecca Mead stellt den neuen Film von Kenneth Lonergan vor. Dianne Belfrey erzählt ihre persönliche Lovestory, in der ein selbstgebautes Segelboot und ein Mann im gelben Poloshirt entscheidende Rollen spielen. Und T. C. Boyle schenkt uns eine Kurzgeschichte.
Archiv: New Yorker

Merkur (Deutschland), 31.10.2016

Geradezu idealtypisch scheinen sich Elena Ferrante und Karl Ove Knausgard gegenüberzustehen, arbeitet die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Julika Griem in einem Text heraus, der eindeutig vor Ferrantes Outing in Druck ging. Unsichtbarkeit, Populärfeminismus und Melodram bei Ferrante, Omnipräsenz, männliche Selbstbehauptung und Monumentalität bei Knausgard. Andererseits haben sich beide sehr effektiv im Literaturbetrieb positioniert, kämpfen um die erzählerische Form und setzen auf epische Totalität: "Womöglich speist sich das heroische Versprechen, das Ferrantes und Knausgårds literarische 'Blauwale' für postheroische Zeiten bereithalten, aus zwei Quellen. Soziologisch gesehen könnte es sich gerade für die Generation angstbesessener und optimierungswilliger mittelalter Mütter und Väter als attraktiv erweisen, jenseits gegenwärtiger Ideologien von egalitärer Verhandel- und Vereinbarkeit konfliktfreudigere Möglichkeiten gesellschaftlicher Imagination zu entwickeln. Ästhetisch gesehen entfaltet sich in der mit Ferrante- und Knausgård-Lektüre wiedergewonnenen Zeit ein nahezu luxuriös wachsendes Nachbaruniversum, das in einem reizvollen Kontrast zu den kargen Interieurs der erzählten protestantischen und katholischen Welten steht."

Friedrich Wilhelm Graf versucht in seiner Religionskolumne außerdem den Schaden zu ermessen, den sich Benedikt XVI. und seine Getreuen mit den "Letzten Gespräche" zugefügt haben.
Archiv: Merkur

New Republic (USA), 31.10.2016

Überall werden Bilanzen von Obamas Präsidentschaft gezogen. In der New Republic wirft Anakwa Dwamena einen Blick auf Obamas Afrika-Politik, die er insgesamt eher enttäuschend findet. "Nach acht Jahren stellt sich ein starkes Gefühl ein, dass Obamas Erbe in Afrika nicht auf seiner Höhe ist. Nicht nur, dass seine Regierung kein einziges Programm auflegen konnte, dass George W. Bushs PEPFAR-Programm gegen Aids vergleichbar wäre. Er hat sogar noch die Subventionen für dieses Programm gekürzt, so dass Kritiker ihm vorwerfen, den Kampf gegen Aids um Jahre zurückgeworfen zu haben. Und 'Power Africa', Obamas Initiative, den Kontinent mit mehr als 30.000 Megawatt Energie in Licht zu tauchenm, hat es bisher nur auf 4.000 Megawatt gebracht."
Archiv: New Republic

Telerama (Frankreich), 31.10.2016

Dem entfesselten Kapitalismus und der Selbstbezogenheit - zwei ewig wiederkehrenden üblichen Verdächtigen zur Erklärung französischer Malaisen - müsse man den Begriff der Brüderlichkeit entgegensetzen, erklärt der französische Philosoph und Vorsitzende der Bewegung Fraternité générale Abdennour Bidar in einem Gespräch. Nur so lasse sich der Wunsch verwirklichen, aus der "schwarzen Zeit der Teilung und des Konflikts" herauszukommen. "Natürlich gibt es in einer multikulturellen Gesellschaft vollkommen unterschiedliche Weltbilder, aber eben auch gemeinsame Nenner. Und die sind viel zu kostbar, um sie unbeachtet zu lassen. Brüderlichkeit ist ein solcher gemeinsamer Nenner in allen großen Weltanschauungen, in allen Humanismen. Statt den Begriff als ein unerreichbares Ideal zu betrachten, als eine Utopie für süße Träume, als naiven Idealismus, sollten wir ihn in die Tat umsetzen und versuchen, ihn in Verpflichtungen zu übersetzen."
Archiv: Telerama
Stichwörter: Bidar, Abdennour

HVG (Ungarn), 30.10.2016

Der Ökonom János Kornai kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, dass Ungarn inzwischen eine Autokratie ist. Gleichzeitig lehnt er den von Fareed Zakaria eingeführten und vom aktuellen ungarischen Ministerpräsidenten aufgegriffenen Begriff der "illiberalen Demokratie" als paradox ab. Zoltán Farkas sprach mit Kornai über seine Studie. "Wenn sich herausstellt, dass die gegenwärtige Macht friedlich und zivilisiert abgewählt werden kann, dann lag ich wohl falsch. Ich bin kein Wahrsager, doch in Ungarn hat die Macht alles, um nicht abgewählt werden zu können, und dabei wird es bleiben. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich will nicht jene entmutigen, die für eine Veränderung kämpfen. Wer Werte der Demokratie verteidigt, sollte sein Verhalten nicht davon abhängig machen, wie hoch die Chance auf Veränderung ist."
Archiv: HVG

En attendant Nadeau (Frankreich), 31.10.2016

In einer ausführlichen Besprechung stellt Claude Primal das Buch "Black America - Une histoire des luttes pour l'égalité et la justice (XIXe-XXIe siècle)" der französischen Amerikanistin Caroline Rolland-Diamond vor. In diesem Abriss der Geschichte des schwarzen Amerika macht sie deutlich, inwiefern Rassismus auch mit einem schwarzen Präsidenten bis heute keineswegs vom Tisch ist. "Natürlich gibt es, von den Medien hochgespielt, 'mustergültige' afrikanisch-amerikanische Lebensläufe, das heißt der symbolischen Ordnung von Wettbewerb und sozialem Aufstieg entsprechende, andere hingegen, sicher zahlreichere, sind schlicht armselig. Die öffentliche Hand behauptet mit mehr oder weniger Überzeugung, sich für das Los der schwarzen Bürger zu interessieren, doch die Wirklichkeit straft ihre Worte häufig Lügen. Für diese Kluft lässt sich kein besseres Beispiel anführen als die Ereignisse im Sommer 2015: als nämlich im Juni der Kongress die historischen Entschuldigungen für die Lynchjustiz an Menschen afrikanischer Herkunft verabschiedete, während zwei Monate später in New Orleans die ärmsten Bevölkerungs- und Arbeiterschichten - de facto die Schwarzen - nach dem Hurrikan Katrina sich selbst überlassen wurden (die wohlhabenderen Bewohner konnten fliehen oder bewohnten weniger gefährdete Gebiete)." Erstaunen können Rolland-Diamond auch die jüngsten Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze nicht. In einem Interview mit Libération zieht sie zwar eine durchaus positive Bilanz der Obama-Präsidentschaft, aber sie sagt auch: "Obama hat angekündigt, er werde nicht der Präsident der Schwarzen sein, und er ist es auch nicht gewesen."

MicroMega (Italien), 29.10.2016

Auf ITV lief vor drei Wochen ein Film über "muslimische Ungläubige", der die Geschichte vieler vom Glauben Abgefallener muslimischen Ursprungs erzählt. Viele der Befragten haben sich im Film nur verhüllt gezeigt, aus Angst, schreibt die algerische Soziologin Marieme Helie-Lucas:  "Ja, Angst. Heute, im Vereinigten Königreich: Angst, physisch angegriffen, ja umgebracht zu werden. Das erscheint Ihnen unbegründet? Ich glaube nicht: In Paris müssen einige Journalisten algerischer Herkunft, die über den muslimischen Fundamentalismus berichten, seit Jahren im Versteck leben. Eine Theaterschauspielerin algerischen Ursprungs ist am hellichten Tag angegriffen worden, mit der Absicht, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen, weil sie ein Stück mit dem Titel 'J'ai trente ans et je me cache encore pour fumer' (Ich bin dreißig und verstecke mich immer noch um zu rauchen) gegeben hat...  Seit der Rushdie-Affäre haben die Fanatiker immer weitergemacht."

Hier der von Hélie-Lucas empfohlene Film:

Archiv: MicroMega

Playboy (USA), 27.10.2016

Für den Playboy führt Aldo Rossi ein großes Interview mit Michael Hayden, der lange Zeit die NSA leitete - er ist unter anderem für die Modernisierung der Agency verantwortlich, deren weitreichende Befugnisse Edward Snowden enthüllt hat. Er gibt sich ganz als No-Nonsense-Pragmatiker und streift so ziemlich jede weltpolitische Schieflage der letzten fünfzehn Jahre. Unter anderem geht es aber auch um den Skandal, dass die NSA das Handy Angela Merkels - und damit einer engen Verbündeten - abgehört haben soll. "Die Absichten von Politikern sind wichtige Spionageziele", sagt er dazu. "Würden wir unterschiedslos die Daten aller führenden Politiker sammeln? Nein. Aber, schauen Sie, die amerikanische Kultur besteht nicht aus einem diffus-amorphen Recht auf Privatsphäre. Amerika unterscheidet da sehr pingelig: Bist Du vom Vierten Zusatzartikel der Verfassung geschützt oder nicht? Bist Du es nicht und umfasst deine Kommunikation Dinge, die Amerika sicherer und freier machen, und liegen mir keine politische Anweisungen vor, mich zurückzuhalten - dann sind die Spiele eröffnet. ... Wenn Sie das brüskiert, weil Merkel eine Verbündete ist, wie wäre es dann damit, Ihren Vorgänger abzuhören, Gerhard Schröder, der sich gegen die Politik der USA im Irak gestellt hat? Der hat kurz vor seinem Amtsausschied einen Milliardenkredit für die russische Gaspipeline der Nord Stream AG zuwege gebracht - und wenig später dort einen lukrativen Posten erhalten. Denken Sie nicht, wir sollten uns dafür interessieren?"
Archiv: Playboy

Guardian (UK), 27.10.2016

Als Papier-Tiger und Relikte der analogen Zeit waren die britischen Boulevard-Blätter schon verspottet worden, die Financial Times erklärte vor zwei Jahren, man könne im digitalen Zeitalter nicht mehr auf eine "durch Klasse, Beruf und soziale Verhalten beschränkte Leserschaft" setzen. Nichts konnte falscher sein, stellt Andy Beckett fest: Der Boulevard hat Rache an seinen Verächtern Rache genommen, und nicht nur Labour bekommt dies zu spüren: "David Cameron machte eine ähnliche Erfahrung. Als neuer Tory-Führer entschied er zunächst - unter Einfluss seines Beraters Steve Hilton, der glaubte, in der digitalen Zeit seien die Ansichten der Zeitungen weniger wichtig -, dass er den Boulevard lieber auf Abstand halten wollte und aufs Fernsehen setzen, als, wie es ein Mitarbeiter sagte, 'Murdoch in den Arsch zu kriechen'. Doch als Camerons Führungsstil in Zweifel gezogen wurde - nicht zuletzt von Murdochs-Zeitungen - änderte er schnell seinen Ansatz. Er heuerte den früheren Redakteur der News of the World, Andy Coulson, als Kommunikationschef und pflegte auf höchster politischer Ebene die Freundschaft zur Sun-Chefin Rebekah Brooks. 2009 wechselte die Sun von Labour zurück zu den Konservativen... Doch als Cameron schließlich mit dem EU-Referendum die Weltsicht des Boulevards herausforderte, ging er ihn brutal an und sorgte für das Ende seiner Regierung."

Lisa Appignanesi liest Elena Ferrantes autobiografischen Band "Frantumaglia" als eine Art Notration zwischen zwei Romanen: "Am Ende hatte ich kein Verlangen zu wissen, wer sie nun wirklich ist. Ich weiß es längst. 'Frantumaglia' hat dem ein bisschen hinzugefügt und einige unerwartete Perlen geboten. Mit Freude habe ich erfahren, dass sie sich lange für Verkündigungsszenen in der Malerei interessierte, wie sich ein Künstler den Moment vorstellte, in dem Maria das Buch beiseitelegt, das sie gerade liest. 'Wenn sie es das nächste Mal aufschlägt, kommentiert Ferrante trocken, 'wird ihr Sohn ihr sagen, wie sie zu lesen hat'."
Archiv: Guardian

Dissent (USA), 27.10.2016

Timothy Shenk führt ein faszinierendes Gespräch mit Matthew Karp, der in seinem Buch "This Vast Southern Empire " die Ideologie der amerikanischen Sklavenhalter nachzeichnet und vor allem die ihrer führenden Intellektuellen und Politiker: Zehn der zwölf Präsidenten zwischen 1789 und 1850 waren Sklavenhalter. Der amerikanische Süden dominierte bis zur Wahl Abraham Lincolns die amerikanische Außenpolitik: "Immer wieder beharrten Sklavenhalter, dass 'moderne Zivilisation' und Sklaverei absolut vereinbar seien. Ökonomisch, argumentierten sie, war Sklavenarbeit notwendig, um Grundnahrungsmittel zu produzieren. Und ideologisch passte er in eine Welt, die immer mehr vom Freihandel dominiert war, zu expandierenden europäischen Reichen und zu einer sich verhärtenden rassistischen Wissenschaft. Daran glaubten die führenden Sklavenhalter-Politiker meiner Meinung ganz fest. Wir müssen diesen Glauben verstehen um die Politik vor dem Amerikansichen Bürgerkrieg zu verstehen."
Archiv: Dissent

Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.11.2016

Unter dem Titel "Das Ende der Gesellschaft", den er selber "etwas clickbaiterisch" nennt, denkt Sascha Lobo über den von Internet und sozialen ausgelösten Strukturwandel der Öffentlichkeit nach. Facebook ist für ihn ein formidabler Verstärker von Verschwörungstheorien. Die Nutzer zappeln in ihren Filter Bubbles und wissen gar nicht mehr, was wirklich ist. Lobo endet düster: "Es scheint wieder möglich, was lange kaum möglich schien - eine politische Bewegung in Deutschland von maßgeblicher Größe, Kraft und Wirkung, die den Furor des Extremismus mit der Institutionalisierung des Mobs verbindet. Wir müssen als Demokraten höllisch aufpassen, dass uns nicht die Instrumente der Aufklärung entrissen werden, umgedeutet werden und mit aller Radikalität menschenfeindliche Ideologien vorangetrieben werden."

New York Times (USA), 30.10.2016

In der neuen Ausgabe des New York Times Magazine erklärt Wesley Morris, warum die so aufgeklärte Popkultur sich mit dunkelhäutigen Penissen schwertut, während Penisse andere Männer bei angesagten Fernsehserien inzwischen durchaus ins Bild kommen: "So selbstverständlich wie schwarze Männer heute in Film und Fernsehen zu sehen sind und generell männliche Sexualität, so schwierig ist es offenbar, beides zugleich zu zeigen. Allein die Idee von einem schwarzen Penis ist in verstörender Weise daran gebunden, wie Amerika sich sieht oder lieber nicht. Wenig überraschend existiert der schwarze Penis eher in der Vorstellung als in echter Betrachtung… Das Muster, so alt wie Amerika und der Film, zieht sich durch unsere gesamte Kultur: eine Neugier an schwarzer Sexualität, gemischt mit dem in ihrer Dämonisierung gründenden Schuldgefühl und dem Wunsch, sie herabgesetzt zu sehen… Der Quell dieser Angst ist nicht schwer zu finden. Die Geschichte des schwarzen Penis in den USA lässt sich als Enteignungsgeschichte lesen: Der Sklavenhalter war auch immer auch Besitzer eines Körpers, Sklaven waren lebendes Inventar, ihre Sexualität war Teil der Wertschöpfungskette. Sex als Vergnügen und in Form von Vergewaltigung als Machtausübung war dem weißen Besitzer vorbehalten. Die Kehrseite dieser Macht war die Paranoia: Würde die Rache der Schwarzen nicht die Vergewaltigung weißer Frauen einschließen?"

Außerdem: Taffy Brodesser-Akner schreibt über den Fall der US-Popsängerin Kesha, deren vielversprechende Karriere ein jähes Ende fand, als sie ihren Produzenten wegen sexueller Belästigung verklagte. Rivka Galchen stellt die Schriftstellerin Yoko Tawada vor, die uns hilft, uns selbst zu erkennen, indem sie über Eisbär Knut nachdenkt. Und Jonathan Lethem erklärt seine Faszination für den Dokumentarfilmer Adam Curtis.
Archiv: New York Times