Magazinrundschau

Wenn Trump und Farage übernehmen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
06.12.2016. Die NYRB steht noch unter Trump-Schock. Den hält einfach niemand für echt, meint Martin Amis in live mint. Die NYT blickt verzweifelt nach Deutschland. Der Merkur und Osteuropa entdecken den russischen Autor Andrej Platonow wieder, der den Aufstand der "Übrigen" schon erlebt hat. In 168 óra erinnert sich der ungarische Autor György Spiró, dass er schon 1995 wusste, dass die Vergangenheit auslöschbar ist. Tablet porträtiert den Alt-right-Vordenker Paul Gottfried.

New York Review of Books (USA), 22.12.2016

Mark Danner steht noch voll unter Trump-Schock und kann sich nicht im mindesten vorstellen, wie das Land und die Welt mit einer solchen defekten Persönlichkeit klarkommen könnten: "Jetzt wird dieser ehrgeizige Hanswurst mit seiner manischen Energie, seinem unbändigen Narzissmus und seiner kolossalen Habsucht als unser 45 Präsident vereidigt werden. Die Lobbyisten scharen sich um ihn, die Möchtegern-Höflinge, die Schmeichler, denn seine Kampagne war ein zusammengestoppelter Haufen, ein Zehntel so groß wie Clintons Team. Das republikanische Establishment, das jetzt eigentlich für die neue Regierungsmannschaft parat stehen müsste, hatte ihn geschnitten. Einige von ihnen sind jetzt aber mehr als willig, sich ihm anzuschließen. Die Gier nach Posten sorgt immer für eine großartige Geschichte, Washington bei Anbruch der Ära Trump ist ein einziger Schelmenroman. Auch politische Außenseiter eilen jetzt aus der Wildnis herbei, erpicht darauf, Trumps Fantasien - von Einwanderung über Handel bis zu nationaler Sicherheit - in Realität zu verwandeln, eine Realität, in der quer durch das Land Hakenkreuze und Hassverbrechen aufblitzen und lokale Politiker dunkle Andeutungen machen über Städte, die Flüchtlinge Zuflucht gewähren."

Außerdem: Kenneth Roth will nicht glauben, dass Trump als Präsident Assads Kriegsverbrechen in Syrien wird ignorieren können. Thomas Powers liest die Briefwechsel zwischen Werner und Elisabeth Heisenberg.

New York Times (USA), 04.12.2016

In der Titelgeschichte des aktuellen Magazins der New York Times fragt sich Ian Buruma, was nach der anglo-amerikanischen Weltordnung kommt, wenn Trump und Farage übernehmen: "Trump spielt mit dem verletzten Stolz großer gesellschaftlicher Gruppen und entflammt die Leidenschaft von Leuten, die sich davor fürchten, ausgeschlossen zu sein. Das führte zur Wiederbelebung des Nativismus. In Brexit-Britain ist Nationalismus die entscheidende Kraft. Doch in beiden Fällen bedeutet der Slogan 'das Land wiedergewinnen' den Rückzug von einer Welt, wie sie die anglo-amerikanische Union nach '45 vorstellte." Und was kommt nun? Buruma beendet seinen Text mit einem Lob für Angela Merkel und für Deutschland, das man genauso gut als Warnung interpretieren könnte: "Auch Deutschland dachte einst von sich als von einer außerordentlichen Nation. Das endete in einer weltweite Katastrophe. Die Deutschen haben ihre Lektion gelernt. Sie wollen in keiner Weise mehr exzeptionell sein, weshalb sie so scharf darauf sind, in einem vereinten Europa eingebettet zu sein. Die Deutschen haben nicht die geringste Lust, andere Länder anzuführen, schon gar nicht militärisch. Die Pax Americana erschien allgemein als die bessere Alternative zu einem deutschen Exzeptionalismus. Ich denke, sie ist es noch immer. Doch wenn ich das Foto von Trump und Farage sehe, vor Freude die Zähne entblößend, die Daumen hoch, das Gold des Trump-Towers in ihren Haar leuchtend, frage ich mich, ob Deutschland nicht gezwungen sein könnte, die Lektion zu hinterfragen, die es ein bisschen zu gut gelernt hat."

Außerdem: Nicholas Confessore erzählt die Geschichte einer Scheidung, bei der das globale Offshore-Banking-System in seiner ganzen nebulösen Tiefe aufscheint. Und Rachel Kushner beschreibt das Leben und Sterben in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Ost-Jerusalem.
Archiv: New York Times

livemint (USA), 02.12.2016

In einem schönen Interview spricht der britische Autor Martin Amis über das neue Buch, an dem er arbeitet, über Poesie, rhythmische Sicherheit, Handwerk und Genie  und die jüngsten politischen Entscheidungen für den Brexit, für Trump: "Ich glaube, die normalen Leute haben eine psychische Veränderung erlebt. Zum Beispiel die Schwächung der Wahrheit als Standard. Die Leute interessiert die Wahrheit nicht mehr wie früher, weil sich sich an Dinge gewöhnt haben, die nicht notwendigerweise wahr sind. ... Sie vertrauen auch nicht der Fiktion. Statt dessen vertrauen sie dieser diesig trüben wenn-es-sich-wahr-anfühlt-dann-ist-es-wahr-Wahrheit. Meiner Ansicht nach hat Trump weder Tiefblick gezeigt noch ein spezielles Verständnis für Modernität. Gelegentlich zeigt er ein unbewusstes Gespür für das, was los ist, wenn er zum Beispiel sagt: 'Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen und würde keinen einzigen Wähler verlieren.' Also, das verrät eine Wahrheit. Er stolpert hier über etwas wahres, denn ich glaube, die Leute halten ihn nicht für echt. Und wenn sie lesen, wie er eine Schönheitskönigin angrapscht, dann ist das in Ordnung, weil sie die auch nicht für echt halten. Sie verbinden das nicht mit echten Menschen. Er ist ein Konstrukt aus dem Fernsehen."
Archiv: livemint

Merkur (Deutschland), 01.12.2016

Gerade wird der russische Schriftsteller Andrej Platonow mit aller Macht wiederentdeckt. Für Roman Widder ist er genau der Richtige in Zeiten von IS, Pegida und den Separatisten im Donbass: Platonow war in der jungen Sowjetunion ein aufstrebender Ingenieur und glühender Kommunist, bis Stalin ihn als "talentierten Schriftsteller, aber Pack" denunzierte. Dabei war das fehlende Klassenbewusstsein ein zentrales Thema in Platonows Werken, betont Widder, gerade sein großer Roman "Tschewengur" erzählt, wie verheerend es sei, wenn sich "die Übrigen" erheben, die Proletarisierten ohne Klassenbewusstsein: "Der Hass macht schon bei Platonow die Hässlichkeit der Übrigen aus. Ihre Hässlichkeit ist aber auch Ausdruck einer beharrlichen Verleugnung existierender Klassenkämpfe in den Augen der Betrachter. Der Hass und die von uns zugerechnete Hässlichkeit bilden gemeinsam die empirische Oberfläche eines verschobenen Klassenkampfs ohne Klassenbewusstsein... Nachdem schon das Ende der Geschichte ausgerufen wurde, erfahren wir heute, wie unheimlich formlos die Zeit nach einem solchen Ende ist. Auch hier dürfen wir 'Platonow' lesen, denn in Tschewengur sagt er sehr klar, was übrig bleibt, wenn 'die Geschichte längst zu Ende' ist: 'ein zwischenmenschliches Zerstampfen'."

Die Zeitschrift Osteuropa widmet Platonow übrigens ihre gesamte neue Ausgabe. Unter anderem schreibt Serhij Zhadan darin: "Platonov hat mit der Sprache das gemacht, was die Bolschewiki, grob gesagt, mit dem Marxismus gemacht haben: Er hat das Theoriematerial genommen und es einfach zerschlagen, umgestülpt, den Wörtern und Sätzen die Gelenke herausgeschraubt, die Theorie ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, sie überhaupt jeglicher Bedeutung beraubt."

Im Merkur konstatiert außerdem Stefan Krankenhagen nach Gerhard Richters "Birkenau"-Ausstellung im Frieder Burda Museum lapidar, dass Auschwitz "keine Fragen und keine Forderungen" mehr an die Kunst zu stellen scheint.
Archiv: Merkur

New Yorker (USA), 12.12.2016

In der neuen Ausgabe des New Yorker überlegt Robin Wright, was nach dem Islamischen Staat kommt, eine wilder Haufen rivalisierender Gruppierungen, die um die Seele des sunnitischen Dschihad kämpfen? "Im Nahen Osten dreht sich das politische Kaleidoskop mit irrwitzigem Tempo. Der IS ist Ursache und Wirkung zugleich. Kriege in Syrien, Irak, Libyen und Jemen zerstören die Region, Extremismus bedroht die anderen Staaten. Libanon, Jordanien und die Türkei erleben nie gekannte humanitäre Katastrophen. Vom Mittelmeer bis zum Golf sind die Länder zerbrechlich, unabhängig von ihrer Größe oder ihrer militärischen Stärke. Seit es Landesgrenzen als Befestigung von Macht und Politik gibt, sind unterschiedliche Formen des Arabismus, des Öl-Reichtums und des palästinensisch-israelischen Konflikts auf den Kopf gestellt worden. Die großen säkularen Ideologien, vom Nasserismus bis zum Baathismus, sind erloschen. Die Palästinenser, deren Fraktionen eine Reihe von Ideologien anboten, sind an den Rand gedrängt worden. Die restliche intellektuelle Energie wird in den Universitäten, den Parlamenten und im öffentlichen Diskurs aufgebraucht. Ein Bevölkerungsanstieg hat eine Generation mit limitierten Jobaussichten hervorgebracht; ein Drittel aller jungen Menschen in mehr als 20 arabischen Staaten ist ohne Arbeit. Die Instabilität der letzten sechs Jahre hat die Region in wirtschaftliches Elend gestürzt, das die arabischen Ökonomien über 600 Milliarden Dollar kostet. Die Stabilität einiger Staaten ist auf lange Sicht gefährdet. Warlords verlieren an Bedeutung …"

Außerdem: Jennifer Gonnerman trifft einen Stadtteilabgeordneten aus der New Yorker Bronx, der sich angesichts von Trump beherzt vor seine Leute stellt. Und Alexis Okeowo berichtet von Eritreas Fußballnationalclub, der von Spielern gern als Fluchthilfe zweckentfremdet wird.
Archiv: New Yorker

168 ora (Ungarn), 02.12.2016

Nach der Einstellung von Népszabadság, der wichtigsten Stimme der ungarischen Opposition, bieten einige wenige, bisher eher marginale Wochenzeitungen wie 168 óra (168 Stunden) und Vasárnapi hírek (Sonntagsnachrichten) Intellektuellen, die zuvor im Wochenendmagazin von Népszabadság publizierten, ein Forum. So schreibt der Schriftsteller György Spiró in 168 óra über seine persönlichen Erinnerungen an Népszabadság. "Ich musste an mein Drama 'Quartett' denken. Da geht ein Arbeiter nach der Wende in die Bibliothek, um aus den alten Ausgaben von Népszabadság die wichtigen Artikeln handschriftlich zu kopieren, weil er überzeugt ist, dass alle Exemplare entfernt werden und nur seine Kopie übrigbleibt. Das Stück schrieb ich 1995. (...) Ich wusste genau, dass die Vergangenheit genau in dem Augenblick ausgelöscht wird, in dem jemand dazu in der Lage sein wird, und doch wollte ich davon keine Kenntnis nehmen: darum ist die Figur tragikomisch, nicht tragisch. Auch ich machte mir in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten Illusionen...  Népszabadság, deren Zeilen (und was dazwischen lag) wir so aufmerksam lasen, die aus der ungarischen Pressegeschichte und aus unserem Leben nicht wegzudenken ist, erwies sich als auslöschbar. (...) Die Anstrengungen von zweihundert Jahren gehen verloren, weil der Staat nicht das macht, was er sollte: die körperliche, seelische und geistige Unversehrtheit seiner Staatbürger zu beschützen."
Archiv: 168 ora
Stichwörter: Nepszabadsag

Slate.fr (Frankreich), 05.12.2016

Daphnée Leportois geht der Frage nach, wie die Attentate von Paris und Nizza das Unterbewusstsein der Franzosen beeinflusst haben und in den Alltag eingedrungen sind. So seien etwa neue Verhaltensweisen zu beobachten, etwa der Einsatz neuerdings durchsichtiger Müllbeutel, die jetzt am Straßenrand abgestellt werden, oder "das zum Reflex gewordene Öffnen von Taschen vor Wachmännern beim Betreten eines Einkaufszentrums oder Museums". Tigran Tovmassian, einer der Leiter eines Forschungsprojekts über durch die Attentate Traumatisierte, erklärt, inwiefern die Anschläge auch das Fundament des Sicherheitsgefühls beschädigt hätten, auf dem unser Ego und unsere Psyche basiert: "Alle baden in einer Illusion von Unsterblichkeit, und genau diese haben die Anschläge erschüttert. Die Terroristen haben etwas Lebenswichtiges zerbrochen, sie haben die Stützkonstruktion zwischen unserer animalischen, selbsterhaltenden Natur und unserer Stellung als Kulturwesen zerstört. Man wird fast wieder zu einem Beutetier, das sich einem potenziellen Raubtier gegenübersieht."
Archiv: Slate.fr

Tablet (USA), 01.12.2016

Faszinierend liest sich Jacob Siegels ausführliches Porträt des jüdischen Autors Paul Gottfried, eines brillanten, aber nie arrivierten Intellektuellen, der zu den Erfindern der Alt-Right-Bewegung gehört und als Mentor des viel jüngeren Alt-Right-Anführers Richard Spencer gilt. Unter anderem lernt man einiges über das jüdische Leben in Amerika - als ungarischer Jude habe Gottfried stets missbilligend auf die russischen Juden herabgeblickt, die bei den Neocons eine Rolle spielten. Interessant ist auch Siegels ideologische Analyse von Gottfrieds Ideen, die auf eine Revision des Begriffs des Faschismus hinausläuft: "In seinem Buch 'Fascism: The Career of a Concept' begründet Gottfried, warum der 'ursprüngliche Faschismus' Spaniens und Italiens einer anderen Art angehörte als der deutsche Nazismus. Hitler, so das Argument, war nicht eigentlich ein Faschist, sondern die rechtsextreme Antwort auf Stalin. Vor ein paar Jahren wäre das als eine interessante, ein bisschen abstrakte Historikerdebatte erschienen. Heute ist klar, dass es auch einem politischen Zweck dient. Es nimmt rechtsextremer Politik das Stigma des 'Faschismus'. Gleichzeitig hilft es eine ganze Gruppe von Begriffen zu retten, die von der Assoziation mit dem Faschismus infiziert sind, wie 'ethnischer Nationalismus' oder 'Race Science' und sie zur Wiederverwendung tauglich macht."
Archiv: Tablet