Magazinrundschau

Bild zu Klang

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
07.02.2017. Im New Republic freuen sich Jedediah Purdy und die Gewerkschaften über Donald Trumps Wahlsieg. Der Merkur hat keine berechnenden Freunde. Der Guardian porträtiert Florian Philippot, Chef-Stratege des Front National und schwul. Orban mag NGOs genauso wenig wie Putin, weiß Magyar Narancs. Die LARB singt ein Loblied auf die Münchener Post, die bis zu ihrer Schließung 1933 gegen Hitler recherchierte. Hospodarske noviny sucht das Ideal der Batamanen.

New Republic (USA), 01.03.2017

Außer seiner eigenen Klientel ist eigentlich niemand glücklicher über Donald Trumps Wahlsieg als die prononcierte Linke. Der Jurist Jedediah Purdy ist sogar so happy, dass er in der New Republic gleich mit zwei Artikeln aufwartet. Im einen durchsucht er die für ihn abgewirtschafteten Ideen der Liberalen und Konservativen auf brauchbare Reste. Und im anderen freut er sich dann so richtig: "Genau in dem Moment, da Establishment-Politik untergraben wurde - die Republikaner von Trump gekidnappt, die Demokraten bestürzt über Clintons Niederlage - ist die amerikanische Linke wiedergeboren worden." Zwar ist es laut Purdy überhaupt "nicht plausibel anzunehmen, dass die Linke vor einem größeren Sieg steht" - aber immerhin könne ihre "intellektuelle Klarheit nun Grassroot-Aktivisten anleiten und ihre Arbeit koordinieren". So hat Trumps Wahlsieg doch sein Gutes!

Auch die großen amerikanischen Gewerkschaften - Umwelt be damned - lieben Trump, berichtet der Historiker Erik Loomis voller Entsetzen, obwohl darin, wie er weiß, eine gewisse Kontinuität liegt: "Die Bauarbeitergewerkschaften haben sich schon vor langer Zeit mit rassistischen und ausschließenden Kräften verbunden. Der erste große Sieg der Gewerkschaft vor einem Gericht der Vereinigten Staaten war der Chinese Exclusion Act von 1882, der in der Wut kalifornischer Arbeiter über die chinesische Konkurrenz wurzelte. Die Gewerkschaften unterstützten durchweg Einwanderungsbeschränkungen auch nach dem Immigration Act von 1965, der die amerikanischen Grenzen für die Müden und Armen der Welt wieder öffnete. Der Gewerkschaftsbund der Industriearbeiter, den der Präsident der Vereinigten Minenarbeiter von Amerika, John L. Lewis, 1935 gründete, um die Millionen Arbeiter im industriellen Sektor der Nation zu organisieren, war notwendig, weil die Einzelgewerkschaften nicht nur Frauen, asiatischen Amerikanern, Afroamerikanern und ungelernten Arbeitern die Mitgliedschaft verweigerten, sondern weil sie sich auch jedem Versuch anderer Gewerkschaften widersetzten, diese Menschen zu organisieren."
Archiv: New Republic

Merkur (Deutschland), 06.02.2017

Der große Nachteil des Geldes ist, dass es keinen abnehmenden Grenznutzen hat: Man kann also nie genug von ihm bekommen, hält Werner Plumpe fest, der mit Simmel, Luhmann und Co über das Geld nachdenkt. Die Verteufelung einer von Gier getriebenen Welt geht aber eigentlich fehl, meint Plumpe: "Die wirtschaftshistorische Forschung legt im Gegenteil nahe, dass berechnendes Verhalten und Hartherzigkeit in der älteren Welt der großen Knappheit und der prekären Existenz sehr viel weiter verbreitet waren als in den  Zentren des gegenwärtigen Kapitalismus, in denen der relative Überfluss zu einer Art materieller Entlastung und dadurch auch zu größeren Handlungsspielräumen geführt hat. Es wäre ziemlich absurd, die Beschwörungen einer geldgequälten Welt mit der Realität zu verwechseln, zumal derartige Verhältnisse in den eigenen Lebenserfahrungen, im Freundeskreis und im Alltag doch gerade nicht die Regel sind: Wessen Freunde sind schon berechnend und geldgierig?"

Dirk Baecker denkt über Heiner Müllers Diktum nach, dass die Aufgabe der Kunst darin besteht, die Wirklichkeit unmöglich zu machen.
Archiv: Merkur

Guardian (UK), 06.02.2017

Ein umfangreiches Porträt widmet Angelique Chrisafis im Guardian Florian Philippot, dem Chef-Strategen des Front National: 35 Jahre alt, an der Elite-Uni ENA ausgebildet und schwul. Zwischen ihm und Marine Le Pen war es politische Liebe auf den ersten Blick: "Philippot wird zugeschrieben, umgesetzt zu haben, was Le Pen vorschwebte: Das Image des Front National zu entkeimen, die Rhetorik herunterzudimmen und breitere Wählerschichten anzusprechen - das offene Bekunden von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wurde verboten, auch wenn die alten Obsessionen unter der Oberfläche weiterblubbern. Philippots unbeirrbares Vorhaben, die Parteilinie unter Kontrolle zu behalten und alle Abweichler auszuschließen, brachte seine Rivalen in der Partei dazu, ihn mit Robespierre zu vergleichen, den ruchlosen Führer der Französischen Revolution."
Archiv: Guardian

Magyar Narancs (Ungarn), 12.01.2017

Nachdem Ministerpräsident Orbán in einer seiner vor kurzem gehaltenen Reden 2017 als das globale Jahr des Aufbegehrens, vor allem gegen den Einfluss von George Soros bezeichnete, verkündete ein Regierungssprecher, dass die in Ungarn tätigen NGOs grundätzlich überprüft und zweifelhafte Organisationen "aus dem Land gefegt" werden sollen. Damit steht er in einer Reihe mit Putin, bemerkt Magyar Narncs, unter dem die Duma 2012 ein Gesetz verabschiedet hatte, wonach sich NGOs, die Gelder aus dem Ausland bekommen, selbst als "ausländische Agenten" registrierten lassen müssen: "Heute ist dies ein wichtiges Instrument zur absoluten Kontrolle der Gesellschaft. Dass Orbán dasselbe Ziel verfolgt, ist ersichtlich - als erste sind die 'falschen Zivilisten des Soros-Imperium' an der Reihe (...). Es ist schon absurd, dass die Regierung, die Ungarn gerade an Putin verkauft, ihre Kritiker als ausländische Agenten stigmatisieren will. Wir müssen uns mit der Zerschlagung der NGOs nicht abfinden. Orbán, wie auch Putin haben davor Angst, dass eine Minderheit, die heute marginal erscheint, morgen bereits die Mehrheit sein kann. Und da liegen sie gar nicht so falsch."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Ungarn, NGOs, Soros, George, Ngo, Duma

LA Review of Books (USA), 05.02.2017

Ron Rosenbaum, Autor des Buchs "Explaining Hitler", denkt über die Frage nach, was man aus Hitlers Verhältnis zu den Medien für die Strategien heutiger Medien gegenüber Trump lernen kann - und nebenbei gerät ihm sein Artikel zu einer Hommage auf die Münchener Post, eine auch in Deutschland heute kaum mehr erinnerte sozialdemokratische Zeitung, die Hitler von Anfang an investigativ auf den Pelz rückte, so dass ihre Redaktionsräume schon in den Zwanzigern mehrfach verwüstet wurden: "Als Hitler sich mit den Stadtvätern arrangieren wollte (obwohl er die Gewaltdrohungen nie aufgab), vergruben sich die Reporter der Post in Hitlers dunkle Hintergründe, machten sich gnadenlos über ihn lustig, zeigten interne Risse in seiner Partei auf und offenbarten die Existenz einer Todesschwadron... In ihrem größten, sträflich ignorierten Scoop veröffentlichte die Zeitung ein NSDAP-Dokument über den Plan einer 'Endlösung' für Münchner Juden - es ist das erste Mal, dass dieser Begriff in diesem Kontext überliefert ist. War er ein Euphemismus für eine Mordpolitik? Hitler wiegelte ab, so dass viele diese Möglichkeit verdrängen konnten." Die Zeitung wurde 1933 natürlich geschlossen, einige Redakteure landeten im KZ.

Außerdem: Michelle Amor interviewt Raoul Peck zu seinem Film über James Baldwin - der auch im Panorama der Berlinale laufen wird.

Ideas (Argentinien), 05.02.2017

Der Ökonom Eduardo Levy Yeyat stellt, mit Blick auf Argentinien, eine Vielzahl historischer und aktueller Modelle für ein allgemeines Grundeinkommen vor: "Wie man sieht, eine ziemlich verzwickte Angelegenheit. Ich könnte selbst nicht sagen, welches Modell mir am besten scheint - da diese Idee Jahre braucht, um auszureifen, müsste ich versuchen, mir die argentinische Gesellschaft im Jahr 2030 vorzustellen. Was aber nicht heißt, dass wir bis 2030 zu warten brauchen! Stellt ein allgemeines Grundeinkommen die normale Arbeit infrage? Verringert es Armut und Ausgrenzung? Fördert es das Lernen und die soziale Mobilität oder den Verkauf von Fernsehern und Tablets? All diese Fragen könnten wir nach und nach klären, wenn wir einen Modellversuch unternähmen wie etwa in Finnland oder Kanada. Besonders kostspielig wäre solch ein Versuch nicht. Denn auch wenn die vom technolgischen Fortschritt bewirkte Arbeitslosigkeit hierzulande noch nicht die drängendste Bedrohung zu sein scheint, könnte sie es schon bald werden."
Archiv: Ideas

Spectator (UK), 04.02.2017

Als Boko Haram in Nigeria 300 christliche Schulmädchen entführte und versklavte, wurde die Welt einen Twittersturm lang kurz wachgerüttelt. Jetzt sind die Christen in Nordnigeria wieder vergessen, schreibt Douglas Murray, obwohl weiterhin ein christliches Dorf nach dem anderen überfallen wird: "Für die Außenwelt liegt das, was den Christen in Nordnigeria widerfährt, jenseits unserer Vorstellung und unserer Interessen. Diese Dörfer, jedes mit seinem eigenen 'höchsten Führer', wurden im 19. und 20. Jahrhundert von Missionaren bekehrt. Aber jetzt spüren diese Christen, vom Bischof abwärts, dass sie unsympathische Figuren geworden sind, gar eine Peinlichkeit für den Westen. Die internationale Gemeinschaft gibt vor, die Situation sei ein 'Wie du mir, so ich dir'-Problem und nicht eine einseitige Abschlachterei. In Nigeria berichtet die Presse entweder gar nicht, oder sie vernebelt absichtlich die Situation."
Archiv: Spectator

Hospodarske noviny (Tschechien), 01.02.2017

Bata-SiedlungBata-Siedlung in Zlin. Foto: Michal Růžička, MAFRA
Für ihr neues Buch hat sich die Schriftstellerin Markéta Pilátová mit der faszinierenden Gestalt des tschechischen Schuhfabrikanten der Zwischenkriegszeit Jan Antonín Baťa beschäftigt. Als Großunternehmer ließ er in den Dreißigern im mährischen Zlín von Funktionalisten wie Le Corbusier eine moderne Modellstadt errichten. Dann kamen die Nazis, Baťa flüchtete nach Brasilien und gründete dort mitten im Dschungel Städte nach gleichem Muster, die fast alle den Wortteil "Bata" in ihrem Namen tragen und in denen viele tschechische Exilanten lebten und arbeiteten. Pilátová versucht dem von den Nazis vergraulten und den Kommunisten verleumdeten Fabrikanten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. "Baťa hatte ein großes Ideal im Kopf. Die Ideen, die er in der Heimat verwirklichen konnte, versuchte er auch auf das Chaos des Dschungels zu übertragen, so wie auch das Ideal des Weltbürgers, des moralisch einwandfreien, leistungsfähigen modernen Menschen", schreibt sie. Obwohl die geschichtlichen Ereignisse seine Bemühungen zunichte machten, "hat das Ideal der 'Batamanen' überlebt", meint Pilátová, die selbst in Brasilien Nachfahren der damaligen Emigranten in Tschechisch unterrichtet, "es ist in unserem kollektiven tschechischen Unterbewusstsein immer noch gegenwärtig."

Film Comment (USA), 03.02.2017

Still aus Still aus Laida Lertxundis "Vivir para vivir/Live to Live"
R. Emmet Sweeney unterhält sich für Film Comment mit der Experimentalfilmemacherin Laida Lertxundi, deren auf analogem 16mm-Material gedrehte Arbeiten sich an den Traditionen des strukturellen Films und dessen Begriff von Zeit als Medium orientieren. In "Vivir para Vivir/Live to Live" etwa machte sie Signale ihres eigenen Körpers zum formgebenden Prinzip: "Das hat mir viel Spaß gemacht, zum Doktor zu gehen, ein Kardiogramm zu erstellen und mich daran zu orientieren, um Rhythmus und Struktur eines Films zu finden. Wenn man über den Körper nachdenkt und darüber, wie man ein verkörpertes Werk herstellt, dann ist dies buchstäblich die definitive Methode. ... Tashi Wada nutzte das Kardiogramm für den Soundtrack und erstellte die Komposition mit dem Harmonium, das man später im Film über den Bergen hört. Ich liebe es, wie das Bild zu Klang wird. Auch wenn es mein abstraktester Film ist, steckt da doch soviel Körperlichkeit drin. Der Teil am Ende, mit den blauen und roten Feldern, entstammt der Aufnahme eines Orgasmus, die dann durch einen Synthesizer gejagt wurde - das Blau ist die Aufnahme des Himmels über dem Death Valley und das Rot ist das, was dabei entsteht, wenn man die Kamera öffnet und das Ende der Filmrolle der Sonne aussetzt."
Archiv: Film Comment

Elet es Irodalom (Ungarn), 03.02.2017

In Élet és Irodalom grübelt der im serbischen Novi Sad beheimatete ungarische Schriftsteller László Végel über Nation und Minderheitendasein: "Zwei Leben, zwei Sprachen: In Budapest überrascht mich am meisten, dass der Schaffner in meiner Muttersprache brüllt und ich die Werbung auf Ungarisch lesen kann. In Novi Sad ängstigt mich der Erkenntnis, dass ich ein Leben und zwei Sprachen habe, in (Buda)Pest entdecke ich zaghaft, dass ich zwei Leben und eine Sprache habe. Könnte ich mich nur vom Wahrheitsgehalt der einen oder der anderen Aussage vergewissern, dann wäre ich nicht hin und hergerissen, denn keiner der Paradoxa beruhigt mich."

New York Times (USA), 05.02.2017

In der aktuellen Ausgabe des New York Times Magazine untersucht Beverly Gage die Optionen der Anti-Trump-Bewegung: "'Widerstand', das Wort der Stunde, signalisiert Dringlichkeit, den Willen, nein zu sagen, bevor es zu spät ist, und zugleich Rückzug: Da alle drei Bereiche der Regierung mit Republikanern besetzt sind, ist das Nein alles, was den Demokraten bleibt. Widerstand bedeutet, mit dem Rücken gegen die Wand gegen eine andere Agenda anzutreten, ein verzweifeltes Wort in verzweifelten Zeiten. … Anders als im Kontext des Totalitarismus bedeutet Widerstand in diesem demokratischen System nicht, einer bestimmten Ideologie zu folgen, sondern einfach, gegen Trump zu sein und dafür etwas tun zu wollen. Insofern macht dieser Modus des Widerstands Sinn. Doch trotz seines Schwungs impliziert er auch, was nicht möglich ist. Er macht deutlich, dass Trump unsere besten Institutionen und Prinzipien mit dem Vorschlaghammer traktiert, und alles, was wir tun können, ist Nein zu schreien, so laut wir können."

Außerdem: Sam Anderson erkundet das Genie des Basketballspielers Russell Westbrook. Brook Larmer verrät, was chinesische Eltern alles tun, damit ihre Kinder auf US-Unis studieren können. Und Saul Elbein berichtet vom Widerstand indianischer Aktivisten gegen den Bau einer Ölpipeline in South Dakota.
Archiv: New York Times