Magazinrundschau

Spaltung der Sprache

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.05.2017. Die LRB erinnert an den heldenhaften Kampf des großen Führers Kim Il-sung gegen Japaner und Amerikaner. Der Spectator erinnert an den großen Emil Gilels, der sich vom Violinisten seines Trios bespitzeln lassen musste. Walrus erinnert daran, dass man als Autor herausstechen, nicht hineinpassen muss. Elle porträtiert Missy Elliott. Der New Yorker feiert das Understatement des Verlegers Gerhard Steidl.

Elle (USA), 01.06.2017

Rachel Kaadzi Ghansahs porträtiert für die Elle Missy Elliott und erfährt dabei, dass sich Elliott, Pharrell Williams und Timbaland praktisch schon aus Highschool-Zeiten kennen: "Die Geografie von Virginia - südlich, an einer Ecke der Ostküste hängend - verstärkte unbeabsichtigt ihren Sound. Sie hatten wenig Zugang zu Trends und das machte sie frei zu experimentieren und ihre Musik mit dem zu machen, was sie hatten. 'Bei uns kam alles so spät an', erinnert sich Missy, 'darum konnten wir auch anders sein, weil wir nichts mitbekamen. Ich werde nie vergessen, wie ich Pharrell traf. Obwohl er auch aus Virginia war, war er so anders. Er kam ins Studio und hatte Jeans an, mit Umschlägen, die bis zu den Knien gingen! Ich hatte solche Umschläge in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Ich fragte ihn: 'Hey, aus welchem Teil von Virginia kommst du denn?'"
Archiv: Elle

Spectator (UK), 13.05.2017

Norman Lebrecht erzählt - leider nicht ausführlich genug - die sehr sehr traurige Geschichte des Emil Gilels, der ein großartiger Pianist war (unvergleichlich seine Aufnahme der "Pathétique") und doch auf ewig vom noch großartigeren Swjatoslaw Richter überstrahlt werden wird. Gilels war ein Mann des Regimes, wo Richter sich nicht einfangen ließ. Und doch litt Gilels vielleicht noch mehr unter Stalin und seinen Nachfolgern, weil auch er bespitzelt wurde - von seinem Schwager Leonid Kogan, einem "phänomenalem Geiger": "Mstislaw Rostropowitsch, der mit Kogan und Gilels in einem Trio spielte, brach mit der Gruppe, als er erfuhr, dass der Geiger auf einer ihrer Tourneen ein Dossier zusammenstellte. Andere Musiker lernten, auf ihre Worte zu achten, wenn Kogan in der Nähe war. Der arme Gilels musste selbst in der Intimität seiner Familie jedes Wort auf die Goldwaage legen. Für ihn gab es keinen Platz, den er sicher nennen konnte."

Hier spielen Gilels, Kogan und Rostropowitsch:

Archiv: Spectator

London Review of Books (UK), 18.05.2017

Das Verständnis des ohnehin rätselhaften Phänomens Nordkorea wird noch erschwert durch unsere Ignoranz seiner Geschichte und der Leiden der Bevölkerung in den Kriegen gegen die Japaner und die Amerikaner, schreibt der Ostasienhistoriker Bruce Cumings: "Die Geschichte des Widerstands von Kim Il-sung gegen die Japaner ist im Norden von Legenden und Übertreibungen umrankt, während der Süden sie verdrängt. Aber er war erkennbar ein Held: Er kämpfte ein Jahrzehnt lang unter den harschesten Winterbedingungen, mit Temperaturen die auf bis zu minus fünfzig Grad fallen konnten. Die jüngste Forschung hat gezeigt, dass Koreaner die große Mehrheit der Guerrillakämpfer im Mandschukuo, dem von den Japanern errichteten Puppenregime, bildeten, auch wenn viele von ihnen von chinesischen Offizieren kommandiert wurden (Kim war ein Mitglied der Kommunisischen Partei Chinas)."

Cumings (dem laut Wikipedia manche Kollegen ein apologetisches Verhältnis zu Nordkorea nachsagen) hatte bereits 2004 in der taz ausführlich über den Napalm-Krieg der Amerikaner gegen Nordkorea 1950-53 geschrieben, dem Hunderttausende Zivilisten zum Opfer fielen. Sämtliche Städte wurden zerstört.
Stichwörter: Nordkorea, Korea, Wikipedia

Aktualne (Tschechien), 13.05.2017

Zwei Jahre existiert nun schon das international nicht anerkannte Staatsgebilde Liberland an der Donau, im Niemandsland zwischen Kroatien und Serbien, das nach dem Gründer und "Staatspräsidenten", dem Tschechen Vít Jedlička, ein neues Monaco oder Liechtenstein werden soll, ein Mekka für Libertäre, mit geringstmöglichem Staatseinfluss und freiem Handel. Noch ist auf dem sieben Quadratkilometer großen Gebiet allerdings keine Bautätigkeit zu verzeichnen, wie Aktualne berichtet, lediglich ein etwas heruntergekommenes Häuschen ist dort zu sehen. Jedlička, der unermüdlich in diplomatischer Mission von Staat zu Staat reist, um um Anerkennung zu werben, bleibt optimistisch: Noch in diesem Sommer soll in Liberland gebaut werden, beginnend mit dem "schönen Projekt" Liberdom, das als Hotel dienen soll. Außerdem gebe es unter der Marke Liberland bereits Bier und Wein, zudem Fantreffen auf der ganzen Welt. "Wir haben ein Netz aus fast 90 Vertretungen auf dem ganzen Planeten und eine funktionierende Regierung", wirbt der Staatsgründer für sein Land. Immerhin gibt es weltweit bereits über 400.000 Interessenten und Unterstützer, die Staatsbürger von Liberland werden wollen. Wer allerdings den Ministaat (Motto: "Leben und leben lassen") betreten will, so Aktualne, muss auf der Donau anreisen, denn von kroatischer Seite aus sind Polizisten unterwegs, um gelegentlich einen Liberländer "Bürger" festzunehmen.
Archiv: Aktualne

Walrus Magazine (Kanada), 09.05.2017

Früher waren Schriftsteller oft Einzelgänger. Heute dagegen gehören sie oft festen Gruppen an und bewässern den Garten ihrer "community", klagt Autor Jason Guriel. Wenn Autoren Angst haben vor dem Alleinsein, vor dem Herausstechen, dann werden auch die Diskussionen steriler, so Guriel, denn dann diskutiert man nicht mehr über ästhetische Fragen, sondern darüber was gut oder schlecht ist für die Gruppe. Guriel hält es da lieber mit Fran Leibowitz: "Als sie kürzlich gefragt wurde, welche drei Autoren sie zu einer literarischen Dinnerparty einladen würde, offenbarte die Autorin Fran Lebowitz die definitive Liste für die einsame Insel: 'Niemanden. Ich würde das niemals tun. Meine Vorstellung von einer großartigen literarischen Dinnerparty ist Fran, die allein isst und ein Buch liest. Das wäre meine ideale literarische Dinnerparty.'"
Archiv: Walrus Magazine

Magyar Narancs (Ungarn), 11.05.2017

Spätestens seit der Verabschiedung des sg. Lex-CEU und des Gesetzes über die Kennzeichnung der NGOs durch das ungarische Parlament ist der Verbleib von Fidesz, der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten, in der Europäischen Volkspartei (EVP) erneut ein Gesprächsthema. Der luxemburgische EP-Abgeordnete aus der Fraktion der EVP, Frank Engel, spricht sich in der Wochenzeitschrift Magyar Narancs für einen Ausschluss der Fidesz aus der EVP aus - vorausgesetzt, die deutschen Parlamentarier in der EVP-Fraktion ziehen ihre "schützende Hand" von Orbán und seiner Fidesz zurück: "Ich denke dass immer mehr Abgeordnete nunmehr sich selbst eingestehen: Orbáns Absichten wurden falsch eingeschätzt und es kann ihm nicht mehr geglaubt werden. Dieser Mensch hielt uns lange für dumm und jetzt reicht es. (...) Lassen Sie mich es so formulieren: wenn die deutschen Kollegen nicht mehr bereit sind, ihn weiterhin zu verteidigen, dann muss Orbán gehen."
Archiv: Magyar Narancs

New Yorker (USA), 16.05.2017

In der neuen Ausgabe des New Yorker schwelgt Rebecca Mead in der stoischen Perfektion des Verlegers Gerhard Steidl: "Jeder Steidl-Titel ist einzigartig, gedruckt in einer maßgeschneiderten Kombination aus Farben und Papier. Aber für das kundige Auge und die kundige Hand ist ein Steidl-Buch so charakteristisch wie eine Fotografie von Eggleston. Anders als ein anderer deutscher Kunstbuch-Verleger, Taschen, der dafür bekannt ist, gewagte Fotos von der Art Helmut Newtons in enormen Formaten zu reproduzieren, unter denen jeder coffee table zusammenbrechen muss, macht Steidl Bücher, die gehalten und gelesen werden wollen. Steidl zieht unbeschichtetes Papier dem glänzenden vor, auch wenn es länger trocknet und den Druck teurer macht. Er ist für Understatement selbst bei Projekten, bei denen andere protzen würden. Einen Porträtband des Rocksängers und Fotografen Bryan Adams band er in blaues Leinen, ohne Coverbild; er sieht aus wie aus einer Uni-Bibliothek. Steidl möchte, dass seine Erzeugnisse alle Sinne beglücken. Öffnet er ein Buch, hält er es sich unter die Nase und riecht daran wie ein Sommelier. Hochwertige Papiersorten und Tinten riechen organisch, nicht chemisch, meint er. Für den Unkundigen riecht ein Steidl-Buch wie eine frisch geöffnete Schachtel Malkreiden."

Außerdem: Fred Kaplan begegnet mit Cécile McLorin Salvant einer exzeptionellen Jazzsängerin. Jonathan Blitzer berichtet über ein Underground-College für illegale Einwanderer. Und Alex Ross erkennt in der Aufregung um die Elbphilharmonie etwas Positives: Klassische Musik hat noch immer einen Ehrenplatz in Deutschland.
Archiv: New Yorker

En attendant Nadeau (Frankreich), 09.05.2017

In einem Gespräch mit dem ägyptischen Psychoanalytiker Moustapha Safouan geht es vor allem um Sprache. Eines der wichtigsten Bücher des in Frankreich lebenden Lacan-Schülers - "Pourquoi le monde arabe n'est pas libre. Politique de l'écriture et terrorisme religieux" - hat er auf Arabisch geschrieben und es anschließend selbst in Englische übersetzt, bevor es für den französischen Markt ins Französische übertragen wurde. Das entspricht seiner Auffassung von Text, der nie etwas Endgültiges sei, sondern die "Mobilität des Denkens" transportieren müsse. So erklärt er, warum die Unfreiheit in der arabischen Welt auch eine der Sprache ist: "Mit dem Islam hat sich die Spaltung der Sprache verschärft. In der Zeit der Pharaonen schrieb man sie, wie man sie sprach. Das endete mit dem Islam, die Sprache wurde geheiligt. Heutzutage würde kein arabisches Regime (von Saudi Arabien bis Marokko) jemals zustimmen, das gesprochene Arabisch zu lehren: Nur die Sprache Gottes hat eine Grammatik. Zugleich sichert das auch die politische Macht, was dem Westen so gelegen kommt. Wir Ägypter sind ein Volk, in dem wenige eine Zeitung lesen können, hier herrscht die Eitelkeit des religiösen Geistes. Ein Libyer hat einmal zu mir gesagt: 'Welch ein Wunder, Gott hat all das erschaffen (Flugzeuge, Waschmaschinen, Häuser), damit wir es genießen können.'"

New York Times (USA), 14.05.2017

In der neuen Ausgabe des New York Times Magazines sucht Susan Dominus nach Alternativen zur monogamen Paarbeziehung und stellt fest: "Monogamie als Beziehungsmodell basiert auf einer klaren Grenzlinie: Kein Sex mit anderen. Die offene Partnerschaft mag als die freiere Option erscheinen, aber das erste, was nicht-monogame Paare meist tun, ist eine Liste mit Leitlinien anzulegen: Regeln zur Verhütung, über die Anzahl der Tage, an denen man sich sieht, über die mitgeteilte Menge an Informationen über den je anderen. Manche Ehepartner ziehen es vor, keine Einzelheiten über den außerehelichen Sex zu erfahren, anderen dienen solche Details als zusätzlicher Thrill. Solche Regeln sind oft dafür da, mit der Eifersucht umzugehen. Die meisten Paare arbeiten schwer daran, dieses Gefühl zu vermeiden. Doch für die philosophisch Interessierten unter den Polygamen bietet Eifersucht die Chance, die Unsicherheiten zu untersuchen, die eine offene Beziehung zutage fördert."
Archiv: New York Times
Stichwörter: Verhütung, Monogamie