Magazinrundschau

Wildheit und Vergeltung

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
07.11.2017. Im Guardian erklärt Jonathan Franzen, wie man seine Gedanken ordnet. Wired findet heraus: Wer weder links noch rechts ist, ist ein Bot. Die NYRB blickt auf das klägliche Ende, dem sich der Krieg in Syrien entgegenschleppt. n+1 zeigt, wie mit Uber der junge und potente Verbraucher dem Bürger davonfährt. Eurozine bricht eine Lanze für das Europäische Reich. Elet es Irodalom versucht Ungarn aus seiner demokratischen Müdigkeit zu rütteln. Und Osteuropa erkennt im Jubiläum die Revanche des Staates an der Revolution.

New York Review of Books (USA), 09.11.2017

Der Krieg in Syrien scheint zu Ende zu gehen, Lindsey Hilsum rekapituliert die Ereignisse, liest von Dissidenten, die sich wünschten, nie rebelliert zu haben, und blickt auf die aktuelle Lage: "Der Kampf gegen den Islamischen in Syrien ist fast vorbei - nach den Angriffen des Regimes und seiner Alliierten auf der einen und der von den USA unterstützten Koalition ist seine Führung auf der Flucht. Sein Territorium wird von Tag zu Tag kleiner. Anderswo in Syrien werden auf Russlands Geheiß die Feindseligkeiten eingestellt. Die Revolution ist gescheitert, und die Kriege, die ihr folgten, verändern entweder ihre Gestalt oder schleppen sich zu ihrem bitteren, kläglichen Ende. Die Fronten auf der Karte verschieben sich noch, doch auch wenn Syrien niemals mehr so vereint werden wird, wie es vor 2011 war, konsolidiert die Regierung Assad wieder mit russischer und iranischer Hilfe ihre Macht in den städtischen Zentren. Neue Konflikte brauen sich zusammen. Die Kurden hoffen, die Kontrolle über den Nordosten wieder zu erlangen, doch ihre Eintracht mit arabischen Kämpfern im Kampf gegen den IS wird den Sieg nicht überstehen: Rakka ist trotz allem eine arabische Stadt. Die Türkei beginnt aus Furcht vor einem kurdischen Staat an ihren Grenzen, zu drohen und arabische Milizen zu unterstützen. Die Amerikaner könnten jetzt da die Schlacht gewonnen ist, aufhören, die syrischen Kurden zu unterstützen, um die Türkei nicht weiter vor den Kopf zu stoßen. Israel wird keine iranische Basis im südlichen Syrien akzeptieren und hat bereits sporadische Luftschläge verübt. Saudi Arabien fürchtet den Aufstieg seines regionalen Rivalen Iran und ist entschlossen, sich dem schiitischen Halbmond zu widersetzen, der sich durch Syrien bis in den Irak und den Libanon zieht."


Kara Walker: Slaughter of the Innocents (They Might be Guilty of Something), 2017. Sikkema Jenkins & Co., New York

Bewundernswert, dass Kara Walker nie die Nerven verloren hat und allen Anfeidungen zum Trotz ihre verstörende Arbeit fortgesetzt hat, meint Darryl Pinckney, der vor ihrer Sphinx aus weißem Zucker am liebsten in die Knie gegangen wäre: "Von schwarzer Kunst oder schwarzen Künstler wird erwartet, dass sie die Würde und die Schönheit schwarzer Menschen wieder herstellen beziehungsweise anerkennen. Doch Walker bleibt bei den überzeichneten Gesichtern und den krausen Haaren. Sie sind nicht hübsch. Elizabeth Hardwick schrieb einmal, dass sie in ihrer Kindheit in den zwanziger Jahren in Kentucky Weiße sagen hörte, sie könnten nicht verstehen, warum sich Schwarze fotografieren ließen. Das Gemetzel in Walkers Arbeit fragt Weiße: Was ist an Euch denn so hübsch? Doch bei aller Gewalt sind Schwarze bei ihr keine Opfer. Sie werden verletzt und getötet, aber sie sind nicht machtlos, ihre Bilder fügen sich zu einer Armee der Seltsamen, es sind die Grotesken und Comicfiguren, die Weiße erfunden haben, um sich selbst - und auch Schwarze - zu überzeugen, dass Schwarze nur für niedere Dienste taugen, dass sie unfähig und unwillig zur Revolte sind. Walker richtet gegen Weiße, was Weiße erfunden haben: Die lustigen Gesichter kommen, um Massa zu töten. Jetzt sind sie nicht mehr so lustig, und tatsächlich haben Walkers Arbeiten in der Sikkema Jenkins Ausstellung einen Hauch von Wildheit und Vergeltung."

Guardian (UK), 06.11.2017

Jonathan Franzen will mit einem seltsam mäandernden Text einen Beweis antreten, welchen jedoch kann man nicht einmal ahnen. Er sinniert über Soziale Medien und den Essay, das Ich und das Argument, über Donald Trump und den Klimawandel, ohne etwas zu Ende zu denken. Aber er kommt immer wieder auf seinen Redakteur beim New Yorker zurück, seinen großen Lehrmeister Henry Finder: "Hier darf ich zwei Lektionen erwähnen, die ich von Henry Finder erhalten habe. Die eine lautete: Jeder Essay, auch das Denkstück, erzählt eine Geschichte. Die andere: Es gibt nur zwei Arten, sein Material zu sortieren. 'Gleiches zu Gleichem' und 'Eins folgt dem anderen'. Diese Regeln mögen selbstverständlich scheinen, aber jeder Autor eines High-School- oder College-Essays weiß, dass sie es nicht sind. Mir war vor allem nicht klar, dass ein Denkstück den Regeln des Dramas folgen sollte. Und doch: Muss nicht auch eine gute Argumentation damit beginnen, dass sie ein schwieriges Problem einführt? Und bietet sie dann nicht mit starken Thesen einen Ausweg an, stellt Hindernisse in Form von Einwänden und Gegenargumenten in den Weg und führt uns nach etlichen Wendungen zu einem befriedigenden Schluss?"

Andy Beckett erinnert daran, wie die labour-Linken Jeremy Corbyn, Diane Abbott und John McDonnell dreißig Jahre lang als verrückte Außenseiter verlacht und geschmäht wurden und noch im Jahr 2015 für die verlorene Sache vor einem Publikum von fünf Leuten stritten.
Archiv: Guardian

Osteuropa (Deutschland), 01.11.2017

Osteuropa widmet ein Themenheft der Oktoberrevolution. Wie soll Russland an die Oktoberrevolution erinnern, wenn der Kreml sich eher am Zarenreich orientiert und selbst nicht einmal das kleinste Aufmucken duldet? Aber selbst für eine weniger rigide Politk wäre sinnviolles Gedenken unmöglich, fürchtet der russische Historiker Ilja Kalinin: "Revolutionsjubiläen sind ein Skandal. Nichts demonstriert wie sie die Ironie der Geschichte. Revolutionen erheben den Anspruch, das Band der Geschichte zu zerreißen. Sie wollen die Welt umgestalten, das Sein mit dem Sollen in Einklang bringen. Jubiläen betonen hingegen die Kontinuität, die Einheit der Zeit. Sie werden begangen, um die Geschichte mit Hilfe der Chronologie zu zähmen. Sie signalisieren den Triumph der Ordnung über die Spontaneität. Sie stehen für eine Revanche des Staates, der seine Macht über jene Kräfte zur Schau stellt, die die Staatlichkeit als solche in Frage stellen. Jubiläumsfeiern lassen das historische Ereignis der Revolution zu einer Routine erstarren, verwandeln es in ein sorgsam inszeniertes Spektakel und lenken die Energie der schöpferischen Zerstörung in Rituale, die die herrschende Ordnung stabilisieren. Revolutionsjubiläen sind daher stets konterrevolutionär."
Archiv: Osteuropa

Elet es Irodalom (Ungarn), 03.11.2017

Der Literaturhistoriker und Übersetzer Wilhelm Droste erinnert im Interview mit Benedek Várkonyi an den Dichter und Essayisten Endre Ady, der zu Beginn des 20. Jahrhundert beklagte, wie Ungarn sich der Moderne verweigert. Droste sieht noch mehr Parallelen: "Demokratie ist kein Geschenk, nicht irgendein Ruhezustand, in dem wir uns ausruhen können, sondern eine ständige, sich immer erneuernde Aufgabe. Für die Demokratie muss gearbeitet werden, sie muss betrieben und immer wieder in Gang gesetzt werden. Demokratie bedarf einer sehr starken und wachsamen Gesellschaft, und wir in Ungarn hatten sehr viele Gründe daran zu ermüden. Das heutige Ungarn ist in einem sehr müden Verfassung, auch wegen des vielen Verzichtens. Aus dieser Müdigkeit ist der Weg zur Demokratie sehr, sehr lang ... Oft habe ich den Eindruck, dass wir im Horthy-System leben. Ich sehe, wie riesige Vermögen in den Händen einzelner Familien konzentriert werden und wie eine neue Aristokratie entsteht, deren Mitglieder nicht mehr Andrássy, Esterházy oder Károlyi heißen."

Novinky.cz (Tschechien), 06.11.2017

In einem zweiteiligen Interview unterhält sich Ondřej Slačálek hier und hier mit dem ungarischen Historiker Balázs Trencsényi, der sich an der Central European University auf das politische Denken im Mittel- und Osteuropa der letzten zwei Jahrhunderte spezialisiert hat. Trencsényi beobachtet, wie in Ländern, die sich in eine autoritäre Richtung entwickeln, die Kunst wieder politische Bedeutung gewinnt: "Im heutigen Ungarn ist das deutlich zu sehen - während der letzten drei Jahrzehnte war das Filmschaffen nie so politisch wie in den vergangenen fünf Jahren, und das, obwohl es weitgehend von Orbán kontrolliert wird. Vielleicht ist der Grund dafür gerade diese Kontrolle, die Tatsache, dass Filmemacher keine direkte Kritik äußern können. Das zwingt sie, metaphorisch und oft tiefgehender über Politik nachzudenken. Es erinnert in manchem an die Neue Welle der Tschechoslowakei." Trencsényis eigene Arbeit ist gefährdet durch Orbáns Androhung, die Central European University in Budapest zu schließen. "Die Schließung einer Universität ist wirklich ein Ereignis", meint er dazu. "Nicht einmal Stalin verbot Universitäten, die Bolschewisten führten dort gründliche Säuberungen durch, stellten aber nicht den Betrieb ein. Zur Schließung von Hochschulen durch politische Machthaber kam es nur in Polen während der nationalsozialistischen Besatzung und im Protektorat Böhmen und Mähren."
Archiv: Novinky.cz

Eurozine (Österreich), 03.11.2017

In Eurozine ruft Steven Beller die Osteuropäer dazu auf, ihren Frieden mit der Europäischen Union zu machen. Als Teil eines supranationalen Reichs ging es den osteuropäischen Ländern immer denn als unabhängige Staaten, vor allem unter den Habsburgern: "Das Reich bot ihnen eine Raum, in dem die Enge nationaler Kategorien überwunden und beiseite gestellt werden konnte. Das Reich war in politischer Hinsicht auch, Ironie der Geschichte, eine Brutstätte des Nationalismus und des Antisemitismus. Doch außerhalb der politischen Sphäre bot der imperiale Raum die Chance für eine andere Logik, für die große Mitte und das Sowohl-Alsauch anstelle des Entweder-Oder. Es ermöglichte Hybride, Bindestrich-Identitäten und das Überschreiten konventioneller Identitäten, mit glänzenden Ergebnissen in vielen kulturellen, intellektuellen und künstlerischen Feldern, die, wie wir jetzt sehen, das Mitteleuropa von 1900 zu einem innovativen Zentrum des modernen Kunstschaffens und Denkens. All dies wurde mit dem Ersten Weltkrieg aufgegeben. Er führte 1918 zum Ende des Habsburgerreich und zur Errichtung des nationalistischen Systems an seiner Stelle. Nach dem Scheitern der Nationalismen zwischen 1918 und 1945 wurde Ostmitteleuropa das kommunistische System aufgedrückt, das ebenfalls scheiterte. Währenddessen entstand in Westeuropa eine neue multinationale Struktur, der Beginn der Europäischen Union. Sie war zum teil von der Erinnerung an das Heilige Römische Reich inspiriert, das seinerseits der Ursprung der imperialen Idee des Habsburgerreichs und seines modernen Nachfolgers war - auch wobei die EU in den meisten Punkten die weit überlegene, modernere, demokratischere Institution ist."
Archiv: Eurozine

New Yorker (USA), 07.11.2017

Im aktuellen Heft des New Yorker erklärt Adam Gopnik anhand von Philip Roth' neuer Nonfiction-Sammlung ("Why Write?"), wie der Autor zum Patrioten wurde: "Roth' großes Thema ist, so stellt sich heraus, der Patriotismus: Wie die amerikanische Geschichte würdigen, ohne sie zu verkitschen? Wie eine amerikanische Identität behaupten und doch herausfinden, auf wie merkwürdige Weise Identitäten entstehen? So wie John Updikes Werk auf dem verschrobenen New Yorker Humor aufbaut, ist Roth' Schreibweise so eine Art innig verhaltenes amerikanisches Erzählen. Im Lauf seiner Entwicklung als Autor wurde er gewahr, so sagt er, dass vieles, mit dem er sich befasste, nicht im Modernismus wurzelte (Kafka, Beckett, Joyce), sondern im Amerikanischen Realismus, sogar Regionalismus, der 1940er Jahre. 'Die Schriftsteller, die meinen Sinn für Amerika geweitet und geformt haben, waren vor allem Kleinstädter aus dem Mittleren Westen und Süden', schreibt Roth. Leute wie Sherwood Anderson, Sinclair Lewis, Erskine Caldwell und Theodore Dreiser. 'Durch ihre Lektüre wurde der mythohistorische Entwurf, den ich während der Grundschulzeit zwischen 1938 und 1946 von meinem Land hatte, um seine Großartigkeit gebracht. Das Kriegspanorama mit seinen rührenden Huldigungen an das eigene Bild des Landes zerbrach in die Einzelteile individueller Themen der amerikanischen Wirklichkeit.'"

Außerdem: Ken Armstrong wundert sich über absurde Vorgänge in einer Reihe von Mordprozessen. Ian Frazier bestaunt New Yorks aufgemotzte Bayonne Bridge. Larissa MacFarquhar besucht eine von holländischen Einwanderern geprägte Kleinstadt, die zwar erzkonservativ ist aber nicht stagniert. Und Jeffrey Toobin sieht in Tom Cotton die Zukunft des Trumpismus.
Archiv: New Yorker

New York Times (USA), 05.11.2017

In der neuen Ausgabe des Magazins trifft Wyatt Mason die Altphilologin Emily Wilson, die erste Frau, die Homers "Odyssee" ins Englische übersetzt hat. Laut Mason mit kleinen Änderungen von großer Wirkung: "In der für Wilson bewegendsten Episode des Textes, kehrt Odysseus nach Hause zurück findet einen Palast voller Freier vor. Anders als seine Gattin haben die Frauen im Palast den Freiern nicht widerstanden. Nachdem er die Freier getötet hat, befiehlt er seinem Sohn Telemach, die Frauen zu töten. Ein interessante Forderung eines Mannes, der während seiner zehn Jahre langen Tour mehr als einmal untreu war. In Robert Fagles vielgerühmter Übersetzung von 1996 sagt Telemach, bevor er die Palastfrauen im Namen seines Vaters ermordet: 'Kein sauberer Tod für ihresgleichen, bei Gott / Nicht von mir - sie haben Schande auf mein Haupt geladen, auch auf das meiner Mutter / Ihr Luder - der Freier Dirnen!' Wilson aber erinnert in ihrer Einleitung daran, dass diese Palastfrauen - Dienstmägde, wie die alte Übersetzung lautete, die Wilson alles andere als korrekt findet - nicht frei waren. Eher waren sie Sklavinnen und als solche ohne Chance, sich den Forderungen der mächtigen Männer zu widersetzen. Wo Fagles 'Dirnen' und 'ihresgleichen' schrieb - und Richard Lattimore 1965 'Kreaturen' übersetzte - findet sich im griechischen Original nur der weibliche bestimmte Artikel mit der Bedeutung 'weibliche'. Diese Frauen 'Dirnen' und 'Kreaturen' zu nennen, spiegelt für Wilson 'misogyne Absichten', die Art und Weise, wie die Übersetzer diese Frauen bezeichnen würden." Bei Wilson heißen sie schlicht  girls.

Außerdem: Robert Draper erkundet in einer langen Recherche des desolaten Zustand, in dem sich Amerikas Demokraten ohne Barack Obama befinden. Burt Helm erklärt, wie Facebooks Algorithmen das Schicksal von Start-Ups bestimmen. Und Christine Smallwood besucht die Schriftstellerin und Schauspielerin Greta Gerwig am Set ihres Regiedebüts über eine junge Frau, die sich selbst gut leiden kann.
Archiv: New York Times

n+1 (USA), 01.11.2017

Dank viel Lobbyarbeit  - im Jahr 2016 gaben sie allein 1,6 Millionen Dollar in den USA aus -  können sich Uber und Lyft nicht nur über die für Taxifahrer geltenden Gesetze hinwegsetzen, sondern sie haben durch eine Strategie, die die Idee des Verbrauchers über die Idee des Bürgers stellt, auch eine gespaltene Gesellschaft mit zwei unterschiedlichen Klassen von Arbeitern und Verbrauchern geschaffen, berichten Nikil Savals und Dayna Tortorici: "Die größte Gruppe von Uber-Fahrern ist weiß (40 Prozent), schwarze Nicht-Hispanics machen die zweitgrößte Gruppe aus (19,5 Prozent); die größte Gruppe von Taxifahrern ist hingegen schwarz (über 30 Prozent), mit weißen Fahrern auf Platz zwei (26 Prozent). Die meisten Uber-Fahrer sind jünger und haben einen Hochschulhintergrund, viele haben Abschlüsse; die meisten Taxifahrer sind älter, verheiratet und haben noch nie ein College besucht. Obwohl Uber im Allgemeinen billiger ist, ist seine Fahrgastschaft jünger und reicher als diejenige der Taxis, wobei  die meisten mit ungefähr 45.000 Dollar pro Jahr in den 'mittleren 50 Prozent' der Einkommen liegen; der Prozentsatz von Senioren, Behinderten und Armen unter Taxikunden ist größer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung."

Weiteres: Ebenfalls im n+1magazine erzählt Nikil Savals, wie Amazon die vor allem auf lebenswerte Nachbarschaften setzende Idee des Urbanismus, auf die es sich einst berufen hatte, in den Bankrott trieb.
Archiv: n+1

Wired (USA), 01.11.2017

Wenn es um die politische Einflussnahme von Bots geht, waschen die großen Sozialen Plattformen ihre Hände gerne in Unschuld: Die Kennzeichnung entsprechender Accounts sei kaum zu bewerkstelligen. Lauren Smiley stellt in Wired nun zwei Coder vor, die sich ein eigenes Tool gebastelt haben, das auf Grundlage der bei Twitter relativ leicht zugänglichen Daten (Facebook ist, als hermetisch abgeriegelter Garten, ungleich schwerer zu analysieren) Bots ermittelt und per Browser-Plugin als solche kennzeichnet. Die Erfolgsquote liege zwar nicht bei 100 Prozent, aber doch nahezu annähernd. Wie gingen die beiden dabei vor? "Sie fütterten ihr Modell mit Breitbart- und Bluedot-Daily-Artikeln, um herauszukriegen, welche Kombination von Wörtern eine konservative oder liberale Neigung verraten. Das Modell wuchs zu einem 150 Megabyte großem Biest aus analysierter Sprache heran, aus dem sie Newsbot machten, einen Facebook-Messenger, dem man einen Link zu einem Artikel schicken kann, um eine politische Diagnose, Zusammenfassung und weitere Quellen zu erhalten ... Im Sommer begannen sie mit einer Analyse, welche Nutzer auf Twitter links- oder rechtslastige Artikel posteten, um herauszufinden, ob sie einen Demokraten von einem Republikaner unterscheiden könnten. Von einer Gruppe, das sich weder den Twitter-Mustern des einen, noch des anderen Lagers zuordnen ließ, zeigte sich das Modell verwirrt. Das waren die Bots."

Robbie Gonzalez besucht die Fabrik in Chile, wo derzeit in jahrelanger Arbeit der gigantische Spiegel für das größte astronomische Teleskop der Welt angefertigt wird. Ein faszinierender Einblick in die Welt technologischer Feinst-Präzision: "'Das Teleskop soll in seinen Möglichkeiten ausschließlich von fundamentaler Physik eingeschränkt werden - von der Wellenlänge des Lichts und dem Durchmesser des Spiegels -, nicht aber von den Unregelmäßigkeiten des Spiegels selbst', sagt der Optikwissenschaftler Buddy Martin, der über die Mahl- und Polierarbeiten in dem Labor wacht. Wenn er von 'Unregelmäßigkeiten' spricht, dann meint er damit Defekte in der Größenordnung von 20 Nanometern. Das entspricht etwa der Größe eines kleinen Virus."

Außerdem: Brantley Hargrove beobachtet Wissenschaftler, die extremes Wetterverhalten erforschen wollen, bei der Arbeit. Und Laura Hudson schreibt über die HBO-Serie "The Deuce" über die Entstehung der Pornoindustrie im New York der frühen Siebziger: Die Serie "handle nicht vom Sex, sondern vom Kapitalismus."
Archiv: Wired