Magazinrundschau

Stress der Straße

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
26.06.2018. Harper's blickt sich um in den toten Zonen von New York. Osteuropa porträtiert die liberalen Autokratien in der EU. Menschenrechte ist nur ein anderes Wort für Neoliberalismus und Antitotalitarismus, schäumt Pankaj Mishra in der London Review of Books. Der Spectator träumt von einer farbenblinden Gesellschaft. Naiv, schimpft die New York Review of Books. Linkiesta erteilt Alexander Dugin das Wort.  Der Rolling Stone besucht das Mannkind Johnny Depp.

Harper's Magazine (USA), 01.07.2018

Kevin Baker lebt seit über vierzig Jahren in New York. Als er 1975 in die Stadt kam, war sie auf ihrem Tiefpunkt: die Finanzen lagen am Boden, die Kriminalitätsrate schoss durch die Decke, die Stadt war dreckig, baufällig, billig, lebendig. Und heute? "Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist New York, naja, langweilig." Schuld, so Baker in einem langen Essay, sind die Hauseigentümer, wie Dementoren saugen sie jedes urbane Leben aus der Stadt. "Letzten Juni zählte das Büro von Manhattans Bezirksbürgermeisterin Gale Brewer 188 leere Schaufenster entlang des Broadway - auf einer Hauptstraße in einer unglaublich reichen Stadt, die seit acht Jahren wirtschaftlich wächst." Und natürlich trifft es auch die "normalen" Mieter, die sich die Stadt nicht mehr leisten können: "Der New Yorker bemerkte 2016, dass es jetzt einen großen Teil von Midtown Manhattan gibt, von der Fifth Avenue bis zur Park Avenue, von der 49th Street bis zur 70th Street, wo fast jede dritte Wohnung mindestens zehn Monate im Jahr leer steht. New York ist heute kein zu Hause mehr. Stattdessen wurde es wie London und Hongkong zu einer der begehrtesten Städte der Welt für 'Land Banking', wo reiche Menschen aus der ganzen Welt erstklassige Immobilien als Investition erwerben, als pied-à-terre, als Schlupfloch, als Tresor. ... Das ist nicht die wohlwollende 'Gentrifizierung', die Michael Bloomberg wohl im Sinn hatte, es steht eher in der Tradition der Jagdreviere des Königs, aus denen die einheimischen Bauern vertrieben wurden, auch wenn sie am Verhungern waren und der König weit weg war. Oder, um eine zwingendere Analogie zu verwenden, diese Bereiche sind jetzt die toten Zonen von New York, ganz wie die wachsenden sauerstoffarmen toten Zonen in unseren Ozeanen und Seen, verschmutzt mit Pestiziden und tödlichen Algenblüten."

Osteuropa (Deutschland), 26.06.2018

Die neue Ausgabe von Osteuropa untersucht, ob es sich bei Polen und Ungarn wirklich noch um illiberalen Demokratien handelt - oder schon um liberale Autokratien. Einiges steht auch online. Piotr Buras und Zsuzsanna Vegh rekonstruieren zum Beispiel en detail, wie sich Polen und Ungarn auf einen antieuropäische Kurs verlegt haben, obwohl weder Jaroslaw Kaczyński noch Victor Orbán mit einer EU-kritischen Politik an die Macht gekommen sind: "Das Bild der EU als eines starken Akteurs hat unter den Krisen massiv gelitten. Auch Europa als Wertegemeinschaft hat an Attraktivität eingebüßt. War das westliche, liberale Gesellschaftsmodell nach 1989 Inbegriff der Moderne und damit unumstrittenes Ziel der Transformation in Polen und Ungarn, wird es heute kritischer beäugt. Kaczyński und Orbán nutzen das Unbehagen am Neoliberalismus und der Offenen Gesellschaft, das sich in Teilen der Gesellschaft artikulierte, um das Ziel der Verwestlichung zu hinterfragen und die Schwächen des westlichen Modells zu thematisieren. Die angeblichen oder tatsächlichen Fehler des Westens - Säkularismus, Werteneutralität, Multikulturalismus, 'Turbokapitalismus' -, die die Zukunft des Westens gefährdeten, stachen umso mehr ins Auge, je selbstbewusster, krisenresistenter und erfolgreicher die ostmitteleuropäischen Staaten wurden. Ein repräsentativer Vertreter dieses Denkens ist Krzysztof Szczerski, Chef der Präsidialkanzlei von Andrzej Duda und führender Außenpolitiker der PiS. Er beschreibt Europa in seinem Buch über die 'Europäische Utopie' als ein 'postkulturelles, postzivilisatorisches und postidentitäres Konglomerat von Kräften und Prozessen'. Dort das alte, schwache Westeuropa, hier die neuen selbstbewussten Länder Polen und Ungarn - dieses dichotomische Bild verbreiten die Regierungen auf allen Kanälen."
Archiv: Osteuropa

London Review of Books (UK), 21.06.2018

Fast so schlimm wie Donald Trump findet Pankaj Mishra wohlmeinende Liberalen und pragmatische Linke, von liberalen Konservativen und konservativen Falken ganz zu schweigen. Der reine Graus ist ihm daher Yascha Mounks Buch über den "Zerfall der Demokratie", das er mit Arthur Koestler vom Tisch fegt: "Der Zerfall der Intelligenzija ist ebenso ein Zeichnen der Krankheit wie die Korrumpierung der herrschenden Klasse und der Schlaf des Proletariats." Zupass kommt Mishra aber Samuel Moyns Studie "Not Enough", in der Moyn die Menschenrechte als heuchlerisches Konzept des Westens brandmarkt: "In seinem ganzen Werk zeigt er auf, wie die Responsibility to Protect ununterscheidbar wurde vom Recht, vermeintliche Feinde zu bombardieren oder zu blockieren (Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien), vom Recht, 'Freunde' zu pampern (Saudi-Arabien, Ägypten, Israel) und dem Recht, passiv zu bleiben gegenüber Marktfundamentalisten, die die Reichen der Welt weiter über die Armen hievten als jemals zuvor in der Welt. In 'The Last Utopia' attackierte Moyn die selbstgerechte Sicht etwa von Michael Ignatieff, dass ein Bewusstsein der Schrecken des Holocausts nach dem Krieg dazu beigetragen hätte, die Menschenrechte zu einer moralischen Revolution zu weihen. Zum einen, schreibt Moyns jedoch, 'gab es kein verbreitetes Bewusstsein des Holocaust in der Nachkriegszeit'. Zum anderen beriefen sich in den fünfziger und sechziger Jahre wenige Menschen direkt auf die UN-Menschenrechtserklärung. Der Diskurs wurde erst in den siebziger Jahren populär. Intellektuelle, vor allem in Frankreich, brauchten sie,  um ihren Glauben an den Sozialismus und die Dritte Welt zu ersetzen und den antitotalitären Liberalismus mit Weihen zu versehen."

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 24.06.2018

"Auch in ökologischer Hinsicht ist die Situation in Venezuela verheerend", berichtet Isaac Nahon-Serfaty, der Kommunikationswissenschaftler an der Universität Ottawa: "Das Regime Nicolás Maduros setzt seit 2016 ein bereits 2011 von Hugo Chávez angekündigtes Vorhaben um, den so genannten Arco Minero del Orinoco, ein gigantisches Bergbauprojekt im Süden des Landes, das etwa 12 Prozent des venezolanischen Territoriums umfasst, ein sehr empfindliches Ökosystem, in dem viele indigene Gemeinschaften leben. Die Regierung hat Konzessionen für den Abbau der hier lagernden Bodenschätze - Koltan, Bauxit, Diamanten, Gold im geschätzten Wert von bis zu 2 Billionen Dollar - an chinesische, russische, kanadische, südafrikanische, australische und noch einige andere Unternehmen vergeben. Eins der Konzessionsunternehmen ist die Compañía Anónima Militar de Industrias Mineras, Petrolíferas y de Gas (CAMIMPEG), durch die sich das Militär, mittlerweile die Hauptstütze des Regimes, seinen Anteil am Kuchen gesichert hat. Seltsamerweise haben Greenpeace und der WWF bislang zu dem Thema nahezu geschwiegen. Das könnte zum einen daran liegen, dass die großen grünen NGOs Venezuela einfach noch nicht so auf dem Radarschirm hatten. Zum anderen schützte der Eindruck, die linksrevolutionäre 'bolivarianische' Regierung begünstige die Armen, Hugo Chávez und seinen Nachfolger Nicolás Maduro offensichtlich vor dem Verdacht, sie könnten ökologische Verbrechen begehen."
Archiv: Letras Libres

Spectator (UK), 23.06.2018

Der afroamerikanische Philosophiestudent Coleman Hughes reitet eine scharfe Attacke gegen die Verfechter von Quoten und "Vielfalt". Ersteres findet er schlicht rassistisch und letzteres heuchlerisch: "Warum sehen wir die aufgeladensten Forderungen nach Vielfalt und Sensibilität gerade an Orten, die bereits am vielfältigsten und sensibelsten sind? ... Befürworter der Vielfalt gehen nicht dorthin, wo sie am meisten gebraucht werden, sondern dorthin, wo sie am mächtigsten sind. Wenn amerikanische Institutionen weiterhin die falschen Götter der Vielfalt und Inklusion anbeten, dann werden wir 'Rasse' nie vergessen können. In der Tat haben die Progressiven in den USA die Diskussion über Rasse gekapert, so dass selbst die Formulierung 'ohne Ansehen der Rasse' jetzt wie eine malerische Plattitüde aus einer vergangenen Ära klingt - selbst für diejenigen, die wie ich glauben, dass es das einzig erstrebenswerte Ziel ist. Martin Luther King sprach von einem Traum, dass seine vier Kinder 'eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden'. Dieser Traum rückt immer weiter weg, während die Agenda der Vielfalt die Rassendiskriminierung für das 21. Jahrhundert in Schwung bringt."
Archiv: Spectator

New York Review of Books (USA), 25.06.2018

Die südafrikanische Autorin Panashe Chigumadzi würde das wohl anders sehen. Sie schreibt im Blog der NYRB über "gemischtrassige" Liebe, die ihrer Ansicht nach für Farbenblinde nicht zu haben ist. Sie hält es mit eher mit dem afroamerikanischen Bischof Curry, der die Predigt bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle hielt: "Curry nutzte die Kanzel der St. George's Chapel, um der farbenblinden Sentimentalität und dem hauchdünnen interrassischen Utopismus eine sanfte, aber entschlossene Rüge zu erteilen. Die Kraft der Liebe, 'zu erheben und zu befreien, ... uns den Weg zum Leben zu zeigen', so Bischof Curry, inspiriert von Martin Luther King Jr., scheint nicht in unserer Fähigkeit zu liegen, die Vergangenheit auszulöschen, sondern ihr direkt zu begegnen. Und so beschwor der Pastor nicht nur King, sondern auch den Sklavenhandel herauf - in einem Raum voller Hauptnutznießer und Erben der Architekten des Imperialismus und der Sklaverei - um uns daran zu erinnern, dass Liebe ohne Gerechtigkeit, ohne eine Abrechnung mit der Geschichte, die unsere gegenwärtigen Realitäten geschaffen hat, nicht wirklich Liebe ist."

Linkiesta (Italien), 23.06.2018

Kaum sind in Italien die Populisten an der Regierung, wartet ein Magazin wie Linkiesta mit einem Interview des russischen Philosophen Alexander Dugin auf, der als ein Vordenker des Putinismus und der internationalistischen Neuen Rechten in Europa gilt. In Antwort auf die braven Fragen Dario Ronzonis träumt Dugin von einer Allianz Europas und besonders Deutschlands und Frankreichs mit Russland - natürlich gegen die USA und die Atlantiker, die Globalisierer und die Liberalen, die sich vom "Volk" entfremdet haben: "Für sie ist das Volk eine negative Sache, denn es ist gefährlich und unkontrollierbar, und wenn es schlecht geführt wird, könnte es auf die Idee kommen, eine Diktatur oder eine Regierung unter einem starken Führer zu errichten. Der Kampf, den die Eliten heute gegen Salvini, Di Maio und Orban führen, ist also nichts anderes als ein Kampf gegen die Idee, dass Identität eine positive Sache ist. Für Liberale ist es das schlimmste Verbrechen, die Identität eines Bürgers oder eine Nation zu verteidigen. Das sind Dinge, die sie zerstören wollen. Aber die Identität zu zerstören, heißt das Volk zu zerstören, und daraus entsteht der Populismus."
Archiv: Linkiesta

Times Literary Supplement (UK), 23.06.2018

Arkady Ostrovsky blickt ziemlich erbittert auf die Bühne, die Wladimir Putin gerade mit der Fußball-WM geboten wird. Denn Putins Herrschaft baut überhaupt nur auf Lügen, Korruption und Spektakel, meint der frühere Economist-Korrespondent in Moskau, weder im Sport noch in der internationalen Politik habe der Kreml-Herrscher den Ehrgeiz, nach Regeln zu spielen. So wie Putin sein Militär ohne Kennung auf die Krim und in die Ukraine schickte, so ließ er seinen Geheimdienst bei den Olympischen Spielen die Doping-Proben austauschen: "Während beim Schach beide Spieler über alle Informationen verfügen und die Züge des jeweils anderen berechnen können, ist beim Kartenspielen der Großteil der Informationen verborgen - Garri Kasparow, der frühere Schach-Weltmeister, sagte, dass Putin eher ein Pokerspieler als ein Schachspieler sei. Als Putin einmal gefragt wurde, ob 'das Glück ihm hold' sei, antwortete er prompt: 'Ja' - nur um nahezulegen, dass er selbst sein Glück gemacht habe. Putin hat mit seiner Fähigkeit gepokert, Russland weltpolitische Wiederauferstehung vorzugaukeln und sich dem Westen entgegenzustellen, ohne einen Preis zu zahlen. Wie im Sport wurden Kampf und Wettbewerb zum Ziel an sich: Stärke zeigen, die man im Fernsehen ausstrahlen oder über soziale Medien verbreiten kann. Als er von ausländischen Reportern befragt wurde, die ihn aus der Reserve locken wollten, antwortete Putin mit Hohn und Spott und stellte damit sein unschlagbares Können als Falschspieler zur Schau. Er und ein Großteil der herrschenden Elite glauben, dass die ganze Welt nach ihren Regeln spielt, weshalb das Falschspielen nur fair ist."

Magyar Narancs (Ungarn), 07.06.2018

Kurz nach den Wahlen im April fing die regierungsnahe Presse in Ungarn an einzelne Leiter wissenschaftlicher und kultureller Institutionen öffentlich zu kritisieren, dass sie zu viel oder überhaupt Raum für regierungskritische Künstler, Wissenschaftler und Programme bieten. So wurde zum Beispiel der Direktor der Staatsoper in einem Zeitungsartikel denunziert, er würde mit der Inszenierung des Musicals "Billy Elliot" "Schwulenpropaganda" betreiben. Zunächst verteidigte der Direktor sein Programm, wenige Tage später aber entschuldigte er sich und vergangene Woche wurden schließlich 15 Vorstellungen von "Billy Elliot" aus dem Spielplan gestrichen (mehr in der New York Times). Magyar Narancs sieht historische Parallelen und erinnert an die fünfziger Jahre, als kritische Parteimitglieder und Funktionsträger mitten in der Nacht verschleppt wurden: "Die Methode ist so alt, dass sie alle bereits kannten, als der Begründer des Systems in seiner Heimat Felcsút die anderen Kleinen aus dem öffentlichen Sandkasten aussperrte. (…) Es kann vieles über das System gesagt werden, nur nicht, dass es undurchsichtig sei. Auch nicht, dass am Ende doch alle Strähnen in einem Punkt zusammenlaufen. Also liebes Ungarn, liebe Freunde auf der Rechten, sehr geehrte Tschinovniks, Speichellecker, Mitreisende und Abbieger, es dürfen die Geschichtsbücher wieder hervorgeholt werden, um das Wissen aufzufrischen: Die Zeit der Angst vor dem Läuten der Türglocke mitten in der Nacht ist wieder da."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Ungarn, Billy Elliot, Zensur

New Yorker (USA), 02.07.2018

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker besucht Andrew Marantz den Campus von Berkeley und stellt die spannende Frage, ob die Meinungsfreiheit infrage steht, wenn Rechtspopulisten wie Milo Yiannopoulos nicht an einer staatlichen Universität sprechen dürfen: "Ob ein Rabulist wie Yiannopoulos in Berkeley sprechen darf, berührt weniger die Frage, was das Gesetz sagt, als die, was das Gesetz sagen sollte. Das Kammergericht war in seiner großzügigen Interpretation der Meinungsfreiheit während der letzten fünfzig Jahre einigermaßen konsequent. 'Freie Rede darf nicht verhindert werden, selbst wenn sie zutiefst anstößig ist', erklärt der Dekan der juristischen Fakultät in Berkeley, Erwin Chemerinsky … Yiannopoulos kündigt seinen Besuch in Berkeley in den sozialen Medien als Milo's Free Speech Week und 'unser Woodstock' an … Yiannopoulos ist nicht der einzige Redner, der erkannt hat, dass ein Event an einer öffentlichen Uni inklusive wütender ideologischer Opposition eine willkommene PR-Aktion ist … Redner wie er gerieren sich als Verteidiger der freien Rede, nutzen die Meinungsfreiheit aber vor allem als Schutzschild."

Außerdem: Nicola Twilley untersucht die neuronalen Muster hinter dem Schmerz mit neuen bildgebenden Verfahren in der Hirnmedizin. Michael Schulman trifft den ehemaligen YouTube-Star Bo Burnham, der seine Ängste im Film "Eighth Grade" verarbeitet. Und Brooke Jarvis fragt, ob der Tasmanische Tiger vielleicht doch nicht ausgestorben ist.
Archiv: New Yorker

Novinky.cz (Tschechien), 21.06.2018

Zwanzig Jahre nach der Gründung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zieht Ondřej Matějka vom Institut für das Studium totalitärer Regimes eine positive Bilanz. "Wer erinnert sich noch, was für ein Schreckgespenst ein gewisser Franz Neubauer damals für die gerade erst frei gewordene tschechische Gesellschaft darstellte? Der einflussreiche bayerische Politiker und Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der von der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei regelmäßig wie über einen Genozid sprach. (…) Nur ganz allmählich verloren die Sudetendeutschen ihren fordernden Ton. Möglicherweise kamen bei der überempfindlichen tschechischen Seite auch eigentlich gut gemeinte Gesten als Druck an. Eine Rolle spielte dabei auch das Gefühl der Scham und Erniedrigung, wenn ehemalige deutsche Landsleute mit ihren westlichen Paradeautos auf den Dorfplätzen der verarmten [tschechischen] Grenzregion auffuhren." Nach und nach sei jedoch die deutsche Vergangenheit zu einem Teil der tschechischen Geschichte geworden, den man sich gerne über sich selbst erzählte. Das Unrecht, das Deutschen geschah, könne man in Tschechien inzwischen klar bekennen und werde auf Gedenktafeln dokumentiert. "Wir haben nicht allzu viele Geschichten, die uns überzeugend 'in den Westen' führen. Diese tschechisch-deutsche ist eine von ihnen."
Archiv: Novinky.cz

Rolling Stone (USA), 21.06.2018

Wie ein "verschlissener Dorian Gray" kommt Stephen Rodrick Johnny Depp mittlerweile vor: Einst ein strahlender, gefeierter Star, steckt der für seinen kostenintensiven Bohème-Lebensstil bekannte Schauspieler privat, finanziell und künstlerisch in einer Sackgasse. Rodrick hat den gefallenen Engel drei Tage lang begleiten und dabei offenbar auch privilegierten Aktenzugriff genießen können - und erzählt neben den Verästelungen vieler Finanzdetails auch eine tragische Geschichte: "All die charmanten Dinge, die er mit 28 tat - Drogen nehmen, auf einem Baugerüst auf dem Dach von Atlantic Records in L.A. herumrennen - wirken zunehmend verstörend, wenn er sie mit 55 noch immer tut. (...) Im ewigen Peter Pan liegt zwar ein Schlüssel zu Depps Charme auf der Leinwand. Doch die Zeiten haben sich geändert. Der knabenhafte Unbekümmerte hat sich langsam zu einem alternden Mannkind gewandelt, das zwar noch immer charismatisch ist, aber nur in Momenten. Wenn sein derzeitiges Leben keine perfekte Kopie der letzten Tage von Elvis Presley darstellt, dann kommt es zumindest ziemlich dicht ran."

Lesenswert ist außerdem, was David Browne zum Thema Fentanyl zusammengetragen hat: Das enorm starke Schmerzmittel hat in den USA zuletzt mehr Menschen pro Jahr dahingerafft als Heroin - mit Tom Petty und Prince als berühmteste Todesopfer: "Opioide haben das Musikgeschäft seit Jahrzehnten im Griff - als Elvis Presley 1977 starb, fand man in seinem Körper unter anderem auch Kodein und Percodan. Doch dem Aufstieg von Fentanyl dürften andere Trends zugrunde liegen: Musiker touren heute mehr denn je. 'Der Stress der Straße ist eine Herausforderung, aber dort wird heute das Geld verdient', sagt Harold Owens, Senior Director von MusiCares, einem Hilfsprogramm der Recording Academy, 'Also gehen die Musiker auf diese ausgedehnten Tourneen, und rein körperlich ist das der Horror.'"
Archiv: Rolling Stone