Magazinrundschau

Sturz aus dem Himmel

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
11.08.2020. Wired analysiert Videos und weitere Informationen aus Beirut. In Atlantic überlegt Anne Applebaum, mit welchen Strategien Donald Trump zu schlagen ist. Tim Parks wandert für die LRB Garibaldis Weg von Rom nach Porto Garibaldi nach. Der Nationalismus ist tot, statt dessen gibt's jetzt Ethnizismus: Kein Fortschritt, findet der Philosoph Gáspár Miklós Tamás in Magyar Narancs. Im Guardian begibt sich Shaun Walker auf die Spuren seines zoroastrischen Großvaters. Slate.fr würdigt den haitianischen General Toussaint Louverture, der half, die Franzosen aus Amerika zu vertreiben. 

Wired (USA), 06.08.2020

Sehr spannend zu lesen ist Rachel Lance' kenntnisreiche Einschätzung der katastrophalen Explosion im Hafen von Beirut, in deren Zuge sie auch auf das Desaster im Hafen von Halifax im Jahr 1917 zu sprechen kommt, die bislang größte von Menschen verursachte, aber nicht-nukleare Explosion der Geschichte - ein trauriger Rekord, den Beirut gebrochen haben könnte. Seinerzeit rammte ein mit Munition beladenes, in Flammen stehendes Schiff den Hafen und forderte schlagartig tausende von Todesopfern. Damals ging eine Schockwelle durch die Stadt, wohingegen in Beirut - anders als eilige Twitter-Kommentatoren angesichts des weißen Kegels, der sich zunächst um die Beiruter Explosion legte, vermeldeten - lediglich eine Druckwelle zu beobachten war. Fast könnte man sagen: zum Glück, denn "der Hauptunterschied zwischen beiden besteht in der Zahl der Opfer, von der auszugehen ist. Bei einer Schockwelle steigt der Druck buchstäblich schlagartig von Null auf Maximum . Der Wirkung einer Druckwelle gleicht dem Aufschlag auf dem Boden, nachdem man eine Steilküste heruntergekugelt ist. Die Kraft einer Schockwelle hingegen eher einem Aufprall auf dem Boden nach einem Sturz aus dem Himmel mit tödlicher Geschwindigkeit. Hochgradig explosive Stoffe ergeben Schockwellen, weniger explosive Stoffe - wie Ammoniumnitrat - Druckwellen." Anhand der zahlreichen Videos aus Beirut lässt sich die Geschwindigkeit der Druckwelle messen - die Schwelle zur Schallgeschwindigkeit wurde dabei nicht überschritten: "Die Verwüstung vollzog sich zunächst mit lediglich 312 Metern pro Sekunde. Für eine Bombe wäre das langsam. Als der Knall und die verheerende Naturgewalt eine zuvor friedliche und pittoreske Freiluft-Bar erreicht, hat sie sich bereits auf 289 Meter pro Sekunde verlangsamt. Diese Druckwelle hat, auch wenn sie langsamer war als die Schallgeschwindigkeit mit 343 Metern pro Sekunde, zwar Zerstörungen, Schrecken und Verwirrungen hervorgerufen, Glas wurde zersplittert, Flächen zerstört, die Menschen desorientiert, nachdem ihre Ohren erheblichen Druckschwankungen ausgesetzt waren. Eine Schockwelle aber hätte noch im selben Moment ein Lungentrauma verursacht und sie sofort tot umfallen lassen."

Außerdem: Robert Peck schildert Aufstieg und Niedergang von r/The_Donald, einem extrem reichweitenstarken Reddit-Subforum für Trump-Fans, Rechtsradikale und zynische Trolle, das erhebliches Chaos angerichtet hat und nun von den Reddit-Betreibern gelöscht wurde. Jason Parham schaut sich an, wie digitales Blackfacing auf TikTok funktioniert - nicht klassisches Blackfacing ist damit gemeint, sondern die Tatsache, dass weiße Influencer Aspekte und Slang von Black Culture bestenfalls adaptieren, schlimmstenfalls parodieren. Andy Greenberg hat die Geschichte zweier Hacker recherchiert, die nach einem Bruch in ein Justizgebäude in den Knast gewandert sind. Jamie Holmes erzählt, wie Wissenschaftler und Piloten sich gegen die erste Welle von V1-Raketen, die Nazi-Deutschland auf London abfeuerte, wappneten - und schlussendlich eine relativ hohe Abschussrate erzielten.
Archiv: Wired

Slate.fr (Frankreich), 24.07.2020

Jean-Jacques Dessalines bei der haitianischen Revolution 1804. Wandbild in Port-au-Prince, Maler unbekannt. Quelle: Wikipedia.
Bei dem jüngsten Streit um Denkmäler und die verschüttete Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus "handelt es sich nicht darum, Geschichte neu zu schreiben, sondern sie überhaupt erst kennenzulernen", schreibt Julien Suaudeau in einem Artikel über die Frage, warum wir eine Figur wie Toussaint Louverture, der mit anderen Haiti befreite, immer nur als "schwarzen Spartakus" sehen können, also als eine Figur, die ein aus unserer eigenen Geschichte bekanntes Muster wiederholt. Dabei war er viel mehr und hat den Lauf der französischen Geschichte zusammen mit Jean-Jacques Dessalines, der dem General Rochambeau die entscheidende Niederlage von Vertières beibrachte, entscheidend beeinflusst: "'Verfluchter Zucker, verfluchter Kaffee, verfluchte Kolonien', soll Napoleon gestöhnt haben. Eingebunden in den Kampf gegen Großbritannien, besorgt, die 'Vereinigten Staaten in die Arme ihrer alten Mutter zu werfen', gab Frankreich nach dem militärischen Fiasko von Vertières seine Ansprüche auf die 'Neue Welt' auf. Einen Monat nach der Kapitulation Rochambeaus, der Dessalines noch seine 'Komplimente an einen General, der sich gerade mit Ruhm bedeckt hat', schickte, ging die Souveränität von Louisiana an die Vereinigten Staaten über. Toussaint Louverture hat in diesem Prozess keine Nebenrolle gespielt."
Archiv: Slate.fr

The Atlantic (USA), 09.08.2020

Mit seriösen Nachrichten, Aufklärung und Fact-Checking lassen sich weder AfD-Anhänger noch Trrump-Anhänger erreichen, ahnt Anne Applebaum und empfiehlt alternative Strategien, um Meinungsblasen zum Platzen zu bringen: Spaß-Aktionen, Guerilla-Kampagnen oder Antiradikalisierungskonzepte. So wie Exit-Projekte Islamisten oder Rechtsextreme aus ihren Stämmen herausschlagen oder wie die Orange Alternative in Breslau einst die kommunistischen Machthaber provozierte: "Die Gruppe initiierte Happenings, die nicht direkt Demonstrationen waren, sondern eher komische Performances. 1987, hielt die Orange Alternative eine Parade zum Jahrestag der Bolschewistische Revolution, schwenkte prokommunistische Fahnen und zog damit eine lachende Menschenmenge an. Bei einer anderen Aktion verkleideten sich Dutzende von Menschen als Weihnachtsmann und verteilten Süßigkeiten. Die Behörden waren perplex. Die Paraden waren eindeutig Proteste, aber die Polizei hätte dumm ausgesehen, wenn sie Menschen verhaftet hätte, weil sie eine kommunistische Demonstration abgehalten hatten oder Weihnachtsmann spielten." Auf keinen Fall wird es nützen, an amerikanische Werte zu appellieren: "Trumps Kampagne hofft anscheinend genau darauf. Deswegen macht sich der Präsident bereits lustig über Idee und Ideale der Demokratie. In den Sozialen Meiden hat er bereits 'Trump 2024, 2028, 2032'-Memes gepostet und kokettiert in Tweets mit einer Verschiebung der Wahl. Obwohl Trumps Tweets auch seine eigenen Anhängern alarmierten - was immerhin davon zeugt, dass Regeln in Bezug auf Wahlen noch auf beiden Seiten respektiert werden -, dürften sie bei anderen ihren Zweck erfüllt haben: Sie lassen die gebräuchliche Rhetorik von Demokratie und gemeinsamem Wohl altmodisch klingen, gestrig und weltfremd."

Ed Yong erklärt, wie das menschliche Immunsystem auf Covid 19 reagiert, was sich schwierig gestaltet, denn sehen Sie, "das Immunsystem ist sehr kompliziert". Ibram X. Kendi hofft, dass die Antirassimus-Revolution in den USA diesmal wirklich durchschlägt.
Archiv: The Atlantic

Magyar Narancs (Ungarn), 09.07.2020

Der Philosoph Gáspár Miklós Tamás denkt im Interview mit Zoltán Barotányi über die Feindseligkeit der Ungarn gegenüber dem Westen nach: "Der Nationalismus ist eine westliche Idee und er war immer am stärksten im Westen. Nationalismus bedeutete jedoch nicht immer Abschottung, sondern in den meisten Fällen Expansion. Aber es gibt ihn nicht mehr: der Nationalismus ist längst tot. Es gibt jetzt anstelle von Nationalismus Ethnizismus und der hat keine politische Dimension. Der Nationalismus beruhte auf einem Zusammenstehen, einer gesellschaftlichen Gleichheit, die die zusammenhaltenden Kraft der kulturellen Identität und der im Staat verkörperten Rationalität beinhaltete. Dem neuen Ethnizismus fehlen all diese Dinge. Marine Le Pen liebt den Westen, denn der Westen ist Gotik, Katholizismus, Monarchie. Für sie ist (das verhasste) Europa deutsch. Für die englischen Chauvinisten ist Europa französisch. Die ungarischen Ethnizisten haben kein Problem damit, dass Europa deutsch ist, sondern dass es europäisch ist, worin sie sich leider irren, doch das ist eine andere Frage. (…) Aber sie würden sich auch nicht damit nicht abfinden, wenn Europa deutsch wäre. Den ungarischen Ethnizisten kennzeichnet im Gegensatz zu den Ethnizisten anderer Völker , dass der ungarische Ethnizist alle ausländischen Völker hasst. Und wahrlich, welche ausländische Nation ist beliebt in Ungarn? Keine."
Archiv: Magyar Narancs

London Review of Books (UK), 13.08.2020

1849 musste Garibaldi mit seinen Anhängern aus Rom vor den französischen Truppen fliehen, die - ausgerechnet - den Vatikanstaat wieder unter die Kontrolle des Papstes stellen wollten. "Ich habe nur Hunger, Durst, Gewaltmärsche und die Gefahren des Krieges zu bieten. Wer die Liebe zu seinem Land nicht nur auf den Lippen, sondern auch im Herzen trägt, soll mir folgen", hatte er in seiner berühmten Rede zuvor erklärt. Heute reklamiert Italiens Rechte den Patriotismus für sich, seufzt Tim Parks, der sich irrsinniger Weise mit seiner Frau vorgenommen hatte, dem Weg des Revolutionärs von Rom in sheutige Porto Garibaldi zu folgen: "Wir hatten uns geschworen, die Strecke in derselben Zeit zurückzulegen wie die Garibaldini. Wir trugen Omni-Freeze-Shirts und Funktionsunterwäsche, Hightech-Rucksäcke und teure Wanderschuhe. Ihre roten Hemden und langen Hosen waren aus Wolle. Wir mussten unser Essen nicht um den Hals gebunden mit uns tragen, keine Brotlaibe oder gebratene Hühner, und wir mussten auch keine Herde Ochsen hinter uns herziehen und sie im Dunkeln schlachten. Sie trugen wertloses Papiergeld der ausgelöschten Römischen Republik; wir hatten Kreditkarten und Smartphones. Wir mussten nicht mit den örtlichen Behörden verhandeln, um Essen zu kaufen oder Mönche überreden, uns mit Wein zu versorgen. Diese Männer gehörten zu den letzten, die niemals motorisierten Transportmittel benutzt haben und sie waren im Gegensatz zu uns ans Laufen gewöhnt. Von der Hitze, den Hügeln und den steinigen Wegen erschöpft, stolperten wir die steilen Abhänge hinab in staubige Städtchen. Bei unserer Ankunft mussten die Sachen sofort gewachsen werden und vor Morgengrauen trocken sein, denn wir konnten nur einmal wechseln. Garibaldi bestand darauf, dass seine Männer die roten Hemden sauber hielten, selbst wenn das Wasser knapp war. Ihm war wichtig, wie eine reguläre Armee auszusehen, nicht wie ein ungeordneter Haufen. Aus demselben Grund kam es darauf an, die Männer vom Stehlen und Plündern abzuhalten. Wer dem zuwiderhandelte, wurde erschossen. Jenseits des Militärischen stand der Kampf um die Herzen und Köpfe, und hier war die Kirche der Hauptfeind, die Priester hatten die Bauern fest in ihrer Hand. In all den Jahren seines Feldzugs für ein geeintes Italien, sollte Garibaldi später erkennen, hatte sich nicht ein einziger Bauer freiwillig zum Kampf gemeldet."

Weiteres: John Lanchester stellt sich der unheimlichen Frage, warum er während des Lockdowns Cricketspiele so sehr vermisst hat: "Am Ende eines Spiels weiß ich nicht mehr als zu Beginn, außer was während des Spiels passierte."

Republik (Schweiz), 10.08.2020

Die Medien stecken nicht nur in einer ökonomischen Krise. Weltweit ist auch die Pressefreiheit immer mehr in Gefahr, stellt Simon Schmid fest, nachdem er zwei über mehrere Jahrzehnte geführte Untersuchungsreihen der "Reporter ohne Grenzen" und des "Freedom House" studiert hat, die trotz völlig unterschiedlicher Methoden zu fast parallelen Ergebnissen und Entwicklungslinien kommen. Die übelsten Länder sind China, die Türkei, Ägypten und Saudi Arabien (man wundert sich über das Fehlen des Irans, aber vielleicht ließ sich die Situation da in den letzten dreißig Jahren nicht mehr verschlechtern). Aber auch jenseits davon verdüstert sich die Lage auch in Ländern, wo man es nicht immer gleich vermutet, zum Beispiel "in Indien (minus 4 Punkte), wo die Angriffe auf Journalisten unter Premierminister Narendra Modi spürbar zugenommen haben und Journalistinnen, die nicht der hindu-nationalistischen Linie folgen, der 'Aufwiegelung' bezichtigt werden; - oder in Polen (minus 16 Punkte), wo die Partei PiS, die seit 2015 regiert, die öffentlichen TV- und Radiosender zu Propagandamaschinen umfunktioniert hat und unabhängige Zeitungen juristisch drangsaliert; - und selbst in Österreich (minus 6 Punkte), wo die rechtspopulistische FPÖ Attacken gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen ritt und versuchte, kritische Medien vom Informationsfluss ihrer Ministerien abzuschneiden."
Archiv: Republik

Guardian (UK), 06.08.2020

Nach dem Tod und der Einäscherung seines zoroastrischen Großvaters hat sich Shaun Walker auf die Spuren jener alten und geheimnisumwitterten Religionsgemeinschaft begeben, die in Indien als Parsi bekannt sind, aber an Zahl beständig abnehmen. In Mumbai konnte er sich sogar in eine Tour mit Khojeste Mistree schmuggeln, dem intellektuellen Kopf der orthodoxen Parsi: "Während wir durch das Grün zu den beiden Dakhmas spazieren, die zur Zeit als Totenstätten genutzt werden, schwärmt Mistree von dieser Methode der Totenbestattung: 'Es ist die beste und umweltfreundlichste Art, die Toten zu beseitigen', sagt er und erklärt, dass es verhindere, die Erde mit den bösen Geistern des Toten zu verschmutzen. Mistree berichtet, dass in der runden Steinstruktur eines Dakhmas mehr als 250 Leichen aufbewahrt werden könnten. Wenn die Leichen völlig verwest sind, schieben Leichenträgern sie von den Platten am Rand in das Loch in der Mitte, was wir allerdings wegen der hohen Mauern nicht sehen können. 'Sie stehen hier direkt neben einem Dakhma, und was riechen Sie?', fragt Mistree mit seiner unverwechselbaren Stimme, die Nuancen eines Bombay-Näseln in die aufsteigenden Kadenzen eines Oxford-Dons tröpfeln lässt: 'Genau. Nichts. Was die Zeitungen auch für Gerüchte über verrottende Leichen verbreiten mögen, das ist alles Unsinn.' Bis in die achtziger Jahre waren hungrige Geier in die Dakhmas gestürzt und hatten die Körper der toten Parsi in wenigen Tagen sauber abgenagt. Innerhalb einer Dekade starben die Vögel aus, vor allem wegen des häufigen Gebrauchs von Diclofenac, eines Schmerzmittels, das an Rinder verfüttert wurde und die Geier vergiftete, wenn die sich über die Kadaver hermachten... 'Es tut mir leid, das sagen zu müssen, erklärte Mistree in einem bemerkenswert ungerührten Ton, 'aber Paris, die sich einäschern lassen, kommen in die Hölle."
Archiv: Guardian

New Yorker (USA), 17.08.2020

Im neuen Heft erklärt Peter Hessler am Beispiel der Provinz Sichuan, wie China das Coronavirus kontrolliert und räumt zugleich Chinas Sonderstellung ein: "Viele Aspekte der chinesischen Strategie könnten in den USA oder in anderen Demokratien nicht umgesetzt werden. Die strenge Isolationstaktik bei Infizierten gilt auch für Kinder, die gegebenenfalls von ihren Eltern getrennt werden. Im Juni wurde ein einreisendes einjähriges pakistanisches Baby positiv getestet und für über einen Monat unter medizinische Beobachtung gestellt. Aber es gibt auch weniger dramatische Maßnahmen, die auch für die USA praktikabel sind. Ein chinesischer Epidemiologe, der in den USA gearbeitet hatte, erklärt: 'Nachbarschaftsarbeit! Das gibt es in dem Maß nicht in den USA, aber es wäre gut so etwas ähnliches zu entwickeln.' Aus meiner Sicht geht es auch um Bildung und eine gewisses Bemühen. Trotz der politischen Indoktrination an Chinas Schulen wird Respekt vor der Wissenschaft gelehrt. Harte Arbeit ist ein weiterer Kernwert."

Außerdem: Alex Ross schreibt über das gekonnte Spiel des französischen Komponisten Francis Poulenc mit dem Feierlichen und dem Lustvollen. Zadie Smith stellt die um das Thema Herrschaft kreisenden Arbeiten der nigerianisch-amerikanischen Künstlerin Toyin Ojih Odutola vor. Dan Kaufman schildert den Niedergang der Farmer in Wisconsin, was Donald Trump bei den Wahlen empfindlich Stimmen kosten könnte. Sunil Khilnani liest Isabel Wilkersons Buch "Caste: The Origins of Our Discontents", das den Rassismus in den USA mit dem Kastenwesen in Indien vergleicht. Anthony Lane sah im Kino "Boys State" von Amanda McBaine und Jesse Moss.
Archiv: New Yorker

Elet es Irodalom (Ungarn), 07.08.2020

Der Theaterregisseur István Verebes appelliert an ungarische Theaterschaffenden und verlangt mehr Respekt vor dem eigenen Beruf. "Wenn das Theater als eine der vielen 'kulturellen Dienstleistungen' weiterhin so an Qualität verliert, dann wird das nicht nur seinen eigenen Rang und seine Bedeutung beschädigen. In den letzten 30 Jahren erodierten Perzeption, Rezeption und der Bedarf nach Vernunft sowie das Niveau des Großteils der Nachfrage in eine atemberaubende Tiefe. ... Statt Fragen wie 'was ist in dir heute und warum?' oder 'wie sollte dein Morgen nicht sein' zu stellen, gibt es nur die Wahl zwischen 'wie schön war die ferne Vergangenheit' und 'wie schrecklich ist doch die Gegenwart', wobei keines von beidem wahr ist oder der Selbsterkenntnis des Individuums dient."
Stichwörter: Ungarn, Ungarisches Theater

Bloomberg Businessweek (USA), 05.08.2020

In einem Beitrag des Magazins untersuchen Mark Bergen und Shelly Banjo, am Beispiel der Psychotherapeutin Ellen Ross, wie Techgiganten wie Google mit ihren Geschäftsmodellen kleinere Unternehmen oder Selbsständige ruinieren: "Vermarkter, die Therapie als Nebengeschäft führen, wie BetterHelp oder Talkspace mit ihren Millionen an Venturekapital, stechen Ross in Google-Auktionen aus und verweisen die Kunden nach einem Vertragsmodel vergleichbar dem Ubers an ein ganzes Netzwerk von Beratern und Coaches. Ross ist promovierte klinische Psychologin mit sechs Jahren Ausbildung, sie nimmt 250 Dollar die Stunde. Die Therapueten von BetterHelp sind lizensierte Berater, Sozialarbeiter oder Psychologen mit Master und wenigstens drei Jahren Erfahrung. Eine Sitzung dort kostet zwischen 35 und 50 Dollar … Google arbeitet mit daran, die Psychotherapie in ein Marketingspiel zu verwandeln … Während der Pandemie stieg die Zahl der Kunden, die über Stress oder Angst klagen, um das Doppelte, ebenso die selbständigen Therapeuten, die sich auf der Plattform anmeldeten, weil sie während des Lockdowns gar keine andere Wahl hatten … Die Plattformen haben noch einen Vorteil: Sie haben keine Skrupel ihre eigenen Kunden mit positiven Kommentaren oder Influencer für sich werben zu lassen. So verbessern sie ihr Google-Ranking. Viele lizensierte Therapeuten halten so eine Form des Marketings für ethisch problematisch. Man könnte argumentieren, dass der Aufstieg der Therapieplattformen eine positive Entwicklung ist, weil sie Therapie bezahlbar und leicht zugänglich machen, aber das würde BetterHelp, das vergangenes Jahr 550 Millionen Dollar verdient hat, als furchtlosen Herausforderer darstellen und die Einzelunternehmerin Ross als amtierende Etablierte."

New York Times (USA), 09.08.2020

Im aktuellen Magazin der New York Times erkundet Robert Draper Trumps Privatkrieg gegen die US-Geheimdienste in Sachen Russlands Rolle bei den US-Wahlen. Dabei kommen u.a. haarsträubende Details über Trumps Verhältnis zur Arbeit des Nationalen Sicherheitsrats zutage: "Weil seine Berater irgendwann begriffen, dass der Präsident ihre Briefings nicht las, aber auf visuelles Material reagierte, stellten sie Dossiers aus Fotos, Grafiken und höchstens ein paar Bildunterschriften zusammen, bis klar wurde, dass damit nicht alles vermittelt werden konnte, was der Präsident wissen musste. Es blieb eine Herausforderung, Trumps Aufmerksamkeit zu gewinnen. 'Wer ihn briefen muss, bekommt kaum drei Minuten, dann schweift Trump ab', so ein früherer Berater. Solches Abschweifen betraf dann Trumps Beliebtheit in den Umfragen, Hilarys Emails und die Möglichkeit von Militärparaden. Für ein Briefing zu einem gegnerischen Waffensystem brachte der CIA-Beamte ein Modell der Waffe mit. 'Trump hielt es in der Hand und konzentrierte sich nur darauf', erinnert sich ein anwesender Geheimdienstler. 'Der Beamte sprach über Reichweite und Einsatzmöglichkeiten, und alles, was Trump wissen wollte, war: Aus welchem Material ist das gemacht, wozu ist dieses Teil hier?'

Außerdem: Megan K. Stack porträtiert den iranischen Buchautor Behrouz Boochani, der aus der Revolutionsgarde desertierte, in einem australischen Flüchtlingscamp ausharrte und seit 7 Jahren staatenlos ist. In der Titelgeschichte bedauert Irina Aleksander, dass niemand sich mehr schick anzieht und fragt, was nur aus der Modeindustrie werden soll.
Archiv: New York Times