Magazinrundschau

Über ungewöhnlichen Sinn und gewöhnlichen Unsinn

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
14.09.2021. Der New Yorker erzählt eine unglaubliche Geschichte über den syrischen Geheimdienstler Khaled al-Halabi, in der israelische und österreichische Geheimdienste eine wichtige Rolle spielen. In Unherd fordert Caroline Fourest, die Inseln der Demokratie im Nahen Osten zu hegen. Bevölkerungswachstum ist nicht der Hauptgrund für die Klimakrise, schreibt die New York Review of Books. Und Gentlemen's Quarterly betrachtet gerührt die letzten Hippies.

New Yorker (USA), 13.09.2021

Für die neue Ausgabe des Magazins Ben Taub erzählt die unglaubliche Geschichte des syrischen Geheimdienstoffiziers und Doppelagenten Khaled al-Halabi, der unzählige Menschen folterte oder foltern ließ (ein Handwerk, das der syrische Geheimdienst von dem österreichischen Nazi Alois Brunner gelernt hatte), dann nach Frankreich floh, wo er Asyl beantragte. Mit Geld versorgt wurde Halabi laut Taub von den Israelis, für die er offenbar auch spioniert hatte, und die ihn mit Hilfe des österreichischen Geheimdienstes in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Österreich bringen ließen, wo er untertauchen konnte. Die Österreicher dachten nicht daran, ihn wegen seiner Verbrechen vor Gericht zu stellen. "Wenn Halabi der ranghöchste syrische Kriegsverbrecher ist, der verhaftet werden könnte, dann nur, weil die größeren Ungeheuer geschützt werden. Das Hindernis für die Strafverfolgung von Assad und seinen Stellvertretern ist der fehlende politische Wille im UN-Sicherheitsrat. Halabis ehemaliger Chef in Damaskus, Ali Mamlouk, reiste Berichten zufolge 2018 in einem Privatjet nach Italien. Mamlouk ist einer der schlimmsten Übeltäter des Krieges - es war sein Befehl, den Halabi weitergab, auf Versammlungen von mehr als vier Personen in Raqqa zu schießen. Doch Mamlouk, der seit 2011 mit Sanktionen belegt ist und nicht in die Europäische Union einreisen durfte, hatte ein Treffen mit dem italienischen Geheimdienstdirektor, und so kam er und ging wieder." Einmal meint Taub, der Halabi überall in Wien sucht, ihn auf einem Balkon zu sehen. "Ein Klopfen an der Tür blieb unbeantwortet; einem Nachbarn zufolge ist die Wohnung leer. Eine Lüge, die der syrische Außenminister vor dreißig Jahren ausgesprochen hatte, ging mir nicht aus dem Kopf: 'Dieser Brunner ist ein Gespenst.'"

In einem anderen Beitrag untersucht Margaret Talbot die wahren Hintergründe der berühmten Grundsatzentscheidung "Roe gegen Wade" von 1973, in der es um die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch ging: "Als Jane Roe, deren richtiger Name Norma McCorvey war, Klägerin in einem der bekanntesten Fälle wurde, die je vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wurden, war die 22-jährige Texanerin pleite, geschieden, 'drogensüchtig und betrunken', wie sie sich später selbst beschrieb. Die meisten ihrer Liebhaber waren Frauen, aber 1970 wurde sie ungewollt zum dritten Mal schwanger. Sie wollte keinen Kreuzzug starten, als sie sich in Dallas mit den feministischen Anwältinnen Sarah Weddington und Linda Coffee traf. Sie wollte bloß ihre Schwangerschaft beenden. Abtreibung war in Texas illegal … Irgendwann gab McCorvey zu, dass sie Jane Roe war, und in den 80ern und 90ern trat sie in den Medien auf. Sie war eine ambivalente Bereicherung für die Pro-Choice-Bewegung, besuchte Kundgebungen und erzählte ihre Geschichte", wofür sie bezahlt wurde. "In Wahrheit scheint sie sich nie sonderlich um reproduktive Rechte geschert zu haben."

Außerdem: Jelani Cobb porträtiert den Bürgerrechtsanwalt Derrick Bell als "Den Mann hinter der Critical Race Theory". Jia Tolentino schreibt über die Singer-Songwriterin Caroline Polachek. D. T. Max erzählt, wie sich Colm Tóibín mit Thomas Manns Homosexualität auseinandersetzt. Judith Thurman liest Dantes "Göttliche Komödie". Hua Hsu hört Saint Etiennes neues Album "I've Been Trying to Tell You". Anthony Lane sah im Kino Paul Schraders "The Card Counter".
Archiv: New Yorker

Unherd (UK), 13.09.2021

Warum ist der Westen in Afghanistan gescheitert? Das fragt sich auch Caroline Fourest. Fehler gab es sicher viele, aber "das wichtigste Versäumnis war kein militärisches. Es war ein psychologisches: Es war die Unkenntnis, dass man den Terrorismus nur besiegen kann, wenn man seine ideologischen Wurzeln - den religiösen Fundamentalismus - angreift. Frankreich und Europa haben dies schon vor langer Zeit erkannt - nur um dann von Teilen der amerikanischen Medien als 'islamfeindlich' abgestempelt zu werden, sobald sie es wagten, die säkularen Werte entschieden zu verteidigen." Jetzt, so Fourest, "da Afghanistan aufgegeben wurde, besteht der ehrenwerte Weg für Europa und die Vereinigten Staaten nicht nur darin, ein Ort der Sicherheit für diejenigen zu werden, die vor gefährlichen Regimen fliehen. Vielmehr müssen sie auch die Demokratie im Nahen Osten, wo sie noch überlebt haben, unterstützen und schützen; sich für die Autonomie von Ländern oder Regionen einsetzen, die als Zufluchtsorte oder alternative Regierungssysteme fungieren; 'sichere Räume, wenn Sie so wollen, für die Ideale der Demokratie und Gleichheit schaffen. Es sollte unsere große Ehre und unsere Pflicht sein, das Wunder von Irakisch-Kurdistan zu unterstützen ... Ebenso müssen wir das Wunder von Rojava, der kurdischen Region im Nordosten Syriens, unterstützen". Und auch in Afghanistan "gibt es Orte der Demokratie, die als Symbole des Widerstands gegen die Tyrannei und des Optimismus für eine bessere Zukunft überleben. Die Demokratie wächst an solchen Orten - von unten, nicht von oben. In unserem eigenen Interesse - im Interesse der Befreiung Afghanistans - dürfen wir diese Saat der Hoffnung nicht untergehen lassen."
Archiv: Unherd

Himal (Nepal), 07.09.2021

Die Frauen in der ganzen Welt müssten zu den Afghaninnen stehen, ruft Mary Akrami vom "Netzwerk afghanischer Frauen", das eine Reihe von Frauenhäusern in Afghanistan gegründet hatte, von denen nur das in Kabul noch existiert. "Leider - ich habe gerade mit Frauen gesprochen, die im Frauenhaus leben - zahlt die Bank ihnen kein Geld mehr aus. Im Moment sind 50 bis 60 Frauen und Kinder im Frauenhaus untergebracht. Die andere Zweigstelle wurde geschlossen und alle Frauen wurden dorthin gebracht. Ich habe Hunderte von Nachrichten aus dem Frauenhaus erhalten und weiß nicht, was ich tun soll, um diesen Mädchen zu helfen. Sie schicken mir ständig Nachrichten, in denen sie sagen: 'Bitte vergesst uns nicht.' Sie stehen mir näher als meine Familie, und ich bin nicht in der Lage, sie zu retten. Einige von ihnen sind schon seit langer Zeit dort. Das erste Mädchen, das ich 2004 im Heim aufgenommen habe, ist immer noch dort. Sie wurde von ihrer Familie gefoltert. Jetzt hat sie eine Ausbildung und arbeitete in dem Restaurant, das an das Heim angeschlossen war und jetzt geschlossen ist. Diese Frauen haben studiert, sie haben als Sozialarbeiterinnen gearbeitet. Sie haben niemanden, und einige von ihnen kommen aus sehr ländlichen Gegenden. Es ist nicht leicht für Frauen, sich gegen eine solche Situation zu wehren. Ich bin sehr besorgt."
Archiv: Himal
Stichwörter: Afghanistan, Frauenhäuser

New York Review of Books (USA), 23.09.2021

Nicht nur für Feministinnen war die Kontrolle des Bevölkerungswachstums lange Zeit tabu. Doch jetzt setzen vor allem amerikanische Klima- und Umweltschützer wieder darauf, selbst die hippe New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez fragte, ob es noch okay sei, Kinder zu bekommen. Dabei gibt es kein einziges Modell, das Klimafolgen allein auf die Zahl der Menschen zurückführt, lernt Anna Louie Sussman in Jade Sassers Streitschrift gegen die neuen Malthusianer,"On Infertile Ground". Und mehr noch: "Das Argument, dass Bevölkerungskontrolle den Klimawandel aufhalten kann, hat seinen Reiz, aber es übersieht etliche so unangenehme wie offensichtliche Tatsachen. Eine ist, dass Menschen in geradezu absurd unterschiedlichem Maße konsumieren, auch wenn wachsende Lebensstandards in den aufstrebenden Ländern, vor allem der Eliten dort, zu wachsendem Konsum führen. Der CO²-Verbrauch pro Kopf lag 2017 in den USA bei 16,16 Tonnen, verglichen mit 0,15 Tonnen in Madagaskar, wo Sasser die Familienplanungsprogramme von Umweltschutzverbänden untersuchte. Zudem sind ausgerechnet die Länder mit dem höchsten Verbrauch auch die Länder, wo die Fertilität auf oder unter die Reproduktionsrate gefallen ist. Doch anstatt diesen Trend zu begrüßen, versucht die Politik in diesen Länder, ihn umzukehren, aus Angst vor einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und unterfinanzierten Rentensystemen... Nun Programme zu rechtfertigen, die Frauen vom Kinderkriegen abbringen sollen, weil sie vielleicht zu nah an bestimmten Landschaften leben, bedeutet, die Schuld nicht bei den verheerenden Logiken zu suchen, sondern bei den Individuen. Die Meeresschutz-Organisation Blue Ventures zum Beispiel setzt sich für Biodiversität an der Westküste von Madakaskar ein, betont die Bedeutung des 'menschlichen Stressfaktors' für die Küsten und betreibt deshalb Familienplanung in den dortigen Gemeinden. Aber was ist die größere Bedrohung für Madagaskars Küsten: Große Familien oder die globale Nachfrage nach Meeresfrüchten?"

Vielleicht sind gar nicht Afghaninnen und Afghanen an der Demokratie gescheitert, sondern die USA, überlegt Fintan O'Toole in gewohnter Eloquenz: "Von Beginn an lag das grundlegende Problem des amerikanischen Einsatzes in Afghanistan in den Defiziten der amerikanischen Demokratie. Eine gut funktionierende Republik fällt ihre Entscheidungen - besonders solche über Krieg und Frieden - mit einem offenen Prozess rationaler Überlegung. Sie stellt naheliegende Fragen: Was tun wir? Warum tun wir es? Was sind die finanziellen und menschlichen Kosten? Was ist der Nutzen? Wann wie wird es enden? Die Ursünde des Afghanistankrieges - für die nie gebüßt wurde - war das Versagen der politischen Institutionen in den USA, die grundlegendsten Standard einer kritischen Selbstbefragung zu erfüllen."

Paris Review (USA), 08.09.2021

In einem wunderbaren Artikel erzählt die Autorin Yiyun Li, warum sie mit Begeisterung immer wieder Tolstois "Krieg und Frieden" liest, obwohl er im Russland des 19. Jahrhunderts spielt und keine einzige Chinesin darin vorkommt. "Die Bücher, zu denen ich mich hingezogen fühle und die ich immer wieder lese, darunter 'Krieg und Frieden', sind voll von ungewöhnlichem Sinn und gewöhnlichem Unsinn. ... Und was ist mit dem gesunden Menschenverstand? Gesunder Menschenverstand in der Geschichte, in der Philosophie, in der Religion, im kollektiven Streben der Menschen - ist es nicht das, was Tolstoi in seinen Worten so sehr zu vermitteln suchte? Und doch denke ich gerne, dass der gesunde Menschenverstand etwas ist, das ich für mich selbst erreiche, nachdem ich mich durch ungewöhnlichen Sinn und gewöhnlichen Unsinn gewühlt habe. Und ich habe kein besseres Buch für diesen Zweck gefunden als 'Krieg und Frieden'. Ich versetze mich in keine der Figuren, aber ich messe mich mit ihnen: meine Eitelkeit und mein Ehrgeiz mit Andrej, meine Unbeholfenheit und Verwirrung mit der von Pierre, mein jugendlicher Eifer und meine Scham mit der von Nikolai, mein blinder Eigensinn mit der von Natascha, mein Kummer mit dem Kummer vieler Mütter, meine Tagträumerei mit der von Mlle Bourienne. Die Fehlbarkeit wird von allen Figuren geteilt; auch Tolstoi selbst war fehlbar. Und das, denke ich, ist der gesunde Menschenverstand, zu dem ich durch die Lektüre von 'Krieg und Frieden', durch das Leben und das Erinnern gekommen bin: Fehlbarkeit ist der einzige verlässliche Faktor in meinem Leben; Fehlbarkeit ist in allem, was ich tue."
Archiv: Paris Review

Tablet (USA), 10.09.2021

Matti Friedman hält einen Krieg zwischen Libanon und Israel für fast unausweichlich. Und wenn es geschieht, dann auch, wegen der Ähnlichkeit beider Länder: "Der Libanon ist ein Land, das es zugelassen hat, ausgehöhlt zu werden. Seine verschiedenen Sekten haben es nicht geschafft, eine gemeinsame nationale Geschichte zu schaffen, die andere Loyalitäten ersetzt. Der Staat wurde gelähmt, bis das zerbrechliche Gebäude zerfiel, bis die Kräfte des Fortschritts schwanden oder auswanderten und durch religiöse und stammesbezogene Kräfte ersetzt wurden, die der Moderne nicht nur gleichgültig gegenüberstanden, sondern sie offen verachteten. Es ist eine Geschichte des Staatszerfalls, eines der Themen dieser Region in der heutigen Zeit. Die Kräfte des Zerfalls sind in Israel schwächer als im Libanon, aber sie sind präsent und werden gewinnen, wenn wir sie lassen. Der Nachbar auf der anderen Seite des Zauns ist nicht nur ein Problem oder eine Bedrohung. Der Libanon ist eine mögliche Zukunft."
Archiv: Tablet
Stichwörter: Libanon, Israel, Sekten

epd Film (Deutschland), 27.08.2021

Václav Marhouls Verfilmung von Jerzy Kosińskis gleichnamigem Skandalroman "The Painted Bird" über einen jüdischen Jungen, der sich während des Zweiten Weltkriegs durchs polnische Hinterland schlagen muss und dabei zahlreiche Grausamkeiten erlebt, bringt die Filmkritik ganz schön zum Ächzen - schon bei der Filmpremiere in Venedig vor zwei Jahren, aber auch jetzt zum Kinostart (unser Resümee): Die Geste des Films ist die großer osteuropäischer Filmkunst: Schwarzweiß, gedreht auf 35mm-Kinomaterial, teuer eingekaufte Stars (Harvey Keitel, Stellan Skarsgård, Udo Kier), eine Drehzeit von mehreren Jahren und annähernd drei Stunden Laufzeit. Georg Seeßlen, sichtlich verstört von dieser Kino-Erfahrung, versucht in einem der großen Essays, für die er so berühmt wie berüchtigt ist, den Fragen nach der Schönheit der Grausamkeit und dem Verhältnis von Erhabenheit und Skandal im Kino auf den Grund zu gehen. "Wie 'Saló' oder 'Antichrist' erreicht auch 'The Painted Bird' einen Punkt der nihilistischen Erhabenheit, eine fundamentalistische Steigerung des transzendentalen Stils: Der Menschheit an sich ist nicht zu helfen. Die Menschen nehmen bis zu einem gewissen Grad ihre Verdammung an, indem sie aus ihrer Niedertracht ein Schauspiel machen. Es ist überflüssig, eine andere Aussage darin zu sehen, sich danach zu fragen, ob diese Bilder dem historischen Geschehen gerecht werden, ob ihre schockierende Wirkung als Mahnung verstanden werden kann, ob sie einer Gesellschaft im Zustand der Verrohung einen kritischen Spiegel vorhalten will, oder ob, anders herum, wie bei Kosiński das Trauma zur Manie umgeschaffen wird, ob sich das Opfer an den Taten infiziert, ob ein Härtetest des Torture Porn sich hier mit ästhetischen und historischen Bezügen umgibt, damit um jeden Preis ein Œuvre maudit entstehe, wie durchdacht das Konzept - extreme Grausamkeit in extrem schönen Schwarz-Weiß-Bildern - sein mag. Auch die Skandale bei den Aufführungen, die moralischen Windungen von uns Kritikern - all das sind Nebenaspekte. Was bleibt, ist die Erfahrung, durch einen Film aus dem Kino vertrieben worden zu sein, früher oder später, empörter oder depressiver, voll Zorn oder voll Trauer, vertrieben wie aus einem Paradies, vertrieben wie aus einer Kindheit der Wahrnehmung, in die eine fundamentale Form der Heimatlichkeit zu scheinen versprach, vertrieben auch wie aus einem Diskursraum und einer moralischen Anstalt, vertrieben wie aus einer mehr oder weniger demokratischen Konsensmaschine, vertrieben wie aus einer Oase in der Wüste namens Wirklichkeit. Was bleibt, ist die Frage, ob und womit wir diese Vertreibung aus dem Kino verdient haben."
Archiv: epd Film

HVG (Ungarn), 09.09.2021

Der neue Film des Regisseuren Gábor Herendi stellt die Konfrontation eines drogenabhängigen Schauspielers mit seinem Psychiater in den Mittelpunkt (Toxikoma, 2021). Der Kritiker Gellért Kovács spricht im Interview mit Dóra Matalin über die Frage, warum das Thema Drogenkonsum - insbesondere in ländlichen Regionen - in ungarischen Filmen kaum thematisiert wird. "Bis zur Wende war es ein Tabu, danach scheint es, als hätten die Filmemacher hierzulande keinen Zugang zum Thema Drogen gefunden. Es sind vielschichtige Gründe, warum hiesige Filme nicht die aktuelle Drogensituation reflektieren und wenn dann nur als Witz oder in einem Nebenstrang. Es gab und gibt erfolgreiche Kultfilme im Ausland. (…) Und es ist nicht einfache mit ihnen im Wettbewerb zu stehen, eine neue Herangehensweise oder Ausdrucksform zu entwickeln. Darüber hinaus sind ungarische Filmschaffende stets hauptstadtbezogen, die Drogensituation auf dem Lande konnte so nicht ins Blickfeld geraten. Ein Film entsteht aber auch, wenn er gefördert wird, also hängt es in erster Linie von den Entscheidungsträgern ab, welche Werke es in die Kinos schaffen. Gegenwärtig sind Dramedys und historische Filme beliebt, das Zeigen zeitgenössischer Gesellschaftsfragen hingegen weniger. Aber neben den sich rasch verbreitenden Designerdrogen schaffen es auch andere brennenden Fragen des heutigen Ungarns nicht auf die Leinwand. Im Gegensatz zu Polen, oder Rumänien, wo solche Filme regelmäßig entstehen."
Archiv: HVG
Stichwörter: Rumänien, Ungarischer Film

Gentlemen's Quarterly (USA), 09.09.2021

Wo sind eigentlich die Hippies geblieben? David Jacob Kramer entdeckt die letzten Residuen einer großen Utopie in den nordkalifornischen Wäldern: "Ende der 1960er bis Mitte der 70er gingen fast eine Million junge Menschen aufs Land. Nirgendwo war der Drang, sich wieder mit der Natur zu verbinden, stärker als in San Francisco, wo Scharen junger Menschen aus einer von Heroin, Hektik und schlechten Vibes verseuchten Stadt flohen. In Oakland jagte die Polizei Black Panthers, in Berkeley ging das Militär mit Tränengas auf Studenten los. Vietnam-Veteranen suchten Therapie für ihr Trauma, Marxisten wollten ihre Ideale auf die Probe stellen, manche wollten einfach nur high sein. Die Bewegung hatte ihr Epizentrum zwischen der Bay Area und der Grenze zu Oregon, einer Region, in der Land billig war, entwertet durch Abholzung und wirtschaftlichen Abschwung. Tausende kooperativer Gemeinschaften wie die Table Mountain Ranch entstanden entlang der Küste und in den Wäldern im Landesinneren. Die Bewohner brachten sich die Landwirtschaft selbst bei, praktizierten freie Liebe und bauten ihre eigenen Häuser. Ein grandioses soziales Experiment, aber das Versprechen war meist rosiger als die Wirklichkeit. Die meisten fanden die Arbeit zu hart und die Armut zu trist und kehrten bald in die Stadt und in ein konventionelleres Leben zurück. Doch einige hielten jahrzehntelang durch, und eine Handvoll von ihnen lebt noch immer in Gemeinden, die über ganz Nordkalifornien verstreut sind. ... Zwar sind sie die letzten Vertreter einer verblassenden Utopie originelle Charaktere, doch bleibt die Frage, was sie uns hinterlassen."
Stichwörter: Hippies, Trauma, Landwirtschaft